Autor: Nils Kahlefendt

Für Sie ist die Buchmesse etwas ganz Besonderes: Maria Rehm, seit 15 Jahren auf dem Messegelände (c)nk

Eine Frau für alle Fälle
30. Januar 2023
Seit 15 Jahren hat Maria Rehm, die Dame am Drehkreuz, keine Buchmesse verpasst. Im strengen blauen Kostüm ist sie stets auch ein Stück weit im diplomatischen Dienst
Autor: Nils Kahlefendt

Für Sie ist die Buchmesse etwas ganz Besonderes: Maria Rehm, seit 15 Jahren auf dem Messegelände (c)nk

Eine Frau für alle Fälle
30. Januar 2023
Seit 15 Jahren hat Maria Rehm, die Dame am Drehkreuz, keine Buchmesse verpasst. Im strengen blauen Kostüm ist sie stets auch ein Stück weit im diplomatischen Dienst

Wer schon einmal das Drehkreuz zwischen Pressezentrum und Halle 1 des Neuen Messegeländes passiert hat, ist der freundlichen Frau mit den sorgfältig frisierten rötlichen Haaren wahrscheinlich begegnet. Mit Sicherheit, ohne darüber groß nachzudenken. Wer indes nicht atem- und blicklos zu einem Termin hastet – mit einem Piepton wird der Strichcode des Messe-Ausweises gescannt – dem fällt auf, dass die Frau hier keinen Job herunterreißt. Sondern das, was sie tut, gern und mit Freude erledigt. Man merkt es an ihrem offenen Blick, einem Lächeln, der Art, wie sie Fragen beantwortet. Normalerweise geht ihre Schicht von neun bis 18 Uhr. Heute, am ersten Tag der Messe Partner Pferd hat Maria Rehm schon um 13 Uhr Feierabend – und wir sind in der Lobby des Verwaltungsgebäudes auf einen Kaffee mit ihr verabredet. 

Maria Rehm war Lohnbuchhalterin bei der Deutschen Reichsbahn; das Ost-Pendant zur Bundesbahn hieß zu DDR-Zeiten tatsächlich so. Nach der Vereinigung zur Deutschen Bahn AG wurde die Leipzigerin nach Dresden versetzt. „Jeden Morgen um 4 Uhr 52 mit dem ersten Zug zur Arbeit“, erinnert sie sich, „das war kein Zuckerschlecken“. Maria Rehm hat die Lohnunterlagen für Lokführer bearbeitet: „Der Ostdeutsche, der aus Leipzig nach München fuhr, hat damals 70 Prozent seines verbeamteten Kollegen aus München verdient.“ Die Bahn-Buchhalterin entschied sich für Altersteilzeit – und ging frühzeitig, aber mit Abschlägen in Rente. Um ihre nicht eben üppigen Bezüge aufzustocken, suchte sie einen Nebenverdienst. „Und wie eine Ruheständlerin habe ich mich schon gar nicht gefühlt.“ 

Durch den Tipp einer Freundin heuerte sie bei der Sicherheitsfirma an, die als Dienstleister auch für die Leipziger Messe tätig ist. Die Tätigkeiten sind abwechslungsreich: Sie ist bei der Eröffnung des Paulinums dabei und lernt alte Leipziger kennen, die die Sprengung der Universitätskirche auf Ulbrichts Geheiß am 30. Mai 1968 selbst erlebt haben. Sie arbeitet am Empfang der IHK, in der Kongresshalle am Zoo, hilft bei der Einkleidung von Messe-Hostessen oder an der Garderobe. Unsere „Frau für alle Fälle“ – so bezeichnen die Kolleginnen in der Firma Maria Rehm. In den 15 Jahren, die sie jetzt auf der Messe tätig ist, findet man sie mit Abstand am häufigsten am Drehkreuz. 

Liebt Begegnungen mit Autorinnen und Autoren: Maria Rehm (c)nk

Die Leipziger Buchmesse ist für Maria Rehm auf vielerlei Weise besonders: „Es sind mehr Medienleute da, als auf anderen Veranstaltungen. Und es wird deutlich mehr gefragt – nach Programmen, Leseorten, Parkschildern. Und auch schon mal nach dem nächsten Geldautomaten.“ Spannend sind auch die Begegnungen mit Autorinnen und Autoren: „Als Andrea Sawatzki hier durchkam, eine angenehm geerdete Person, habe ich mir für ihre Lesung freigeben lassen.“ Manchmal ist für die Frau vom Drehkreuz, wie sie lächelnd berichtet, auch Fingerspitzengefühl gefragt: „Wenn Sie mich nicht durchlassen, rufe ich den Messechef an – das habe ich durchaus schon gehört. Und wenn sich Presseleute schon vor der offiziellen Hallenöffnung zu Interviews verabredet haben, wird es auch schwierig. Mancher, der nicht an uns vorbeikommt, schimpft dann schon mal wie ein Rohrspatz. Ich versuche, die Bälle flach zu halten.“ Merke: Am Drehkreuz ist man immer auch ein wenig im diplomatischen Dienst. 

In Corona-Zeiten ruhte Maria Rehms Arbeitsvertrag – doch inzwischen ist sie längst wieder im Einsatz. Die Buchmesse Ende April soll für sie die letzte am Drehkreuz werden. Die Frau, der man ihre 73 Jahre nicht ansieht, hat ihre Abschluss-Runde sehr bewusst geplant. „Ich feiere im April Geburtstag. Und dann beginnt die Saison in unserem Gartengrundstück, ein kleines Paradies im Auwald zwischen Böhlitz-Ehrenberg und Lützschena. Der Garten wird mich auffangen.“ Ihre Freundinnen glauben nicht recht an den Messe-Abschied, auch Maria Rehms Mann traut dem Frieden noch nicht: Er hat vorsorglich für Mai einen Nordsee-Urlaub für sich und seine Frau gebucht. Und noch etwas wird in diesem Jahr anders sein: Während Maria Rehm 15 Jahre lang keine Zeit für ausgiebige Buchmesse-Entdeckungen hatte – sie musste ja arbeiten! – wird sie diesmal einen Tag frei nehmen. „Ich freue mich riesig darauf!“ 

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Nach der Messe ist vor der Messe. Jahr für Jahr gilt es, tausende Aussteller, hunderte Veranstaltungspartner, Autoren, Verleger, Buchhändler, Bibliothekare mit intelligent gebauten Programmen nach Leipzig zu bringen. Das kostet Zeit. Und Kraft. Erst recht, als wir es – absolutes Novum für Großveranstaltungen wie die unsere – mit einer schwer zu kalkulierenden pandemischen Situation zu tun hatten. In loser Folge stellen wir Ihnen an dieser Stelle vor, wer hinter den Kulissen in Leipzig die Fäden zieht, was uns um- und antreibt.

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