Die Bundessprecherin Kerstin Ruthenschröer vom Jungen Verband Bildung und Erziehung (Junger VBE) studierte Primarstufe an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und absolvierte ihr Referendariat am heutigen Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Rheine. Sechs Jahre war sie als Vertretungslehrkraft tätig und ist heute Konrektorin an einer Grundschule im Kreis Steinfurt. Zudem fungiert sie als Personalrätin im ÖPR Steinfurt und im Bezirkspersonalrat für Grundschulen in Münster. Zum Deutschen Lehrertag 2018 ist sie Teil des neuen Programms speziell für Junglehrer.
Der Deutsche Lehrertag 2018 bietet erstmals ein großes Angebot speziell für Junglehrer an. Warum ist es Ihrer Meinung nach besonders wichtig, gerade angehende und junge Lehrkräfte als kompetenter Ansprechpartner zu unterstützen?
In den letzten Jahren hat sich das Lehramtsstudium weiterentwickelt. In vielen Bundesländern wurde das Praxissemester eingeführt, um den Studenten mehr Praxiserfahrung während des Studiums zu bieten. Im Gegenzug wurden aber viele Vorbereitungsdienste auf 18 Monate oder noch weniger gekürzt. Durch Gespräche mit Studenten, Lehramtsanwärtern und Junglehrern wissen wir, dass viele wichtige Bestandteile des Lehrerdaseins immer noch zu wenig oder gar nicht in der Lehrausbildung behandelt werden.
Mit unserem Angebot auf dem Deutschen Lehrertag 2018 möchten wir unseren Kollegen die Möglichkeit geben, erste wichtige Impulse in Thematiken wie zum Beispiel „Classroommanagement“ oder „Unterrichtsstörungen“ zu bekommen.
Was bewegt ihrer Meinung nach die Junglehrer derzeit? Was sind ihre Bedürfnisse?
Zurzeit beschäftigen sich viele Junglehrer mit dem Thema Lehrermangel. Die Einstellungschancen sind gut, jedoch oftmals an eine direkte Abordnung geknüpft. Innerhalb der Bundesländer werden vorrangig die Schulen besetzt, die einen sehr hohen Lehrermangel aufweisen, oftmals sind dies Gebiete mit Brennpunktschulen. Des Weiteren machen wir Junglehrer uns Sorgen um die Qualität unseres Berufes. Immer mehr Seiteneinsteiger werden eingestellt. Der Junge VBE fordert die Qualität der Ausbildung weiterzuentwickeln, gerade in Zeiten des Lehrermangels gilt dies nicht nur für das Lehramtsstudium und den Vorbereitungsdienst, sondern auch für die Qualifizierung der Seiteneinsteiger.
Ein großes Bedürfnis der Junglehrer ist die gleichwertige Anerkennung der verschiedenen Lehrämter. Dies trägt auch zur Attraktivität der Lehrerberufe bei. Mit Besorgnis schauen wir zurzeit auf NRW. Dort machen sich die Junglehrer Sorgen über die angedachte Besoldung im Grundschul- und Sek I-Bereich. Die Besoldungsangleichung an die anderen Lehrämter ist längst überfällig und völlig gerechtfertigt, allerdings soll sie nur für die neu ausgebildeten Lehrer kommen.
Besonders in der recht fordernden Referandariatszeit kommen bei angehenden Lehrern oft Selbstzweifel auf. Der bekannte Bildungsforscher John Hattie meint, dass ein guter Lehrer der Schlüssel für einen Lernerfolg ist. Was macht einen guten Lehrer aus?
Ein guter Lehrer bringt vielfältige Kompetenzen mit: Er zeigt sich im Umgang mit Kindern und Jugendlichen geduldig, nahbar und setzt dennoch deutliche Grenzen. Er ist methodisch und didaktisch in der Lage, seine Schüler zu fördern und zu fordern. Er akzeptiert seine Schüler und unterstützt sie in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und Selbstständigkeit. Es braucht eine gute Atmosphäre, um gut lernen, lehren und leben zu können. Hier trägt neben den Schülern auch der Lehrer eine entscheidende Verantwortung. Neben der Arbeit mit den Schülern zeichnet sich für mich ein guter Lehrer auch in seiner Teamfähigkeit und Kooperation mit seinen Kollegen aus.
Was kann die Bildungspolitik tun, um Junglehrer dabei zu unterstützen, gute Lehrer zu werden? Und was können Junglehrer selber tun, um als gute Lehrer Lernerfolge bei ihren Schülern zu generieren?
Die Bildungspolitik sollte darauf achten, dass das Studium viele Praxiselemente enthält, die im späteren Berufsleben unabdingbar sind. Hier nur zwei Beispiele: Wie führe ich Elterngespräche? Wie stelle ich die Lernvoraussetzungen von Schülern fest? Junglehrer sollten offen für Neues sein und vor allem eigeninitiativ Fort- und Weiterbildungen besuchen, um ihre Kompetenzen zu erweitern. Das Wichtigste ist jedoch, die Schüler stets als individuelle Lerner zu sehen. Jeder Schüler lernt und begreift anders. Es benötigt eine gute Differenzierung, um alle Schüler zu erreichen.
Prof. Dr. Jens Weidner von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg wird mit dem Thema „Zeit für Veränderungen – Mehr Optimismus wagen“ den Deutschen Lehrertag eröffnen. Wie können gerade Junglehrer ihrem neuen Lehreralltag in der fordernden Zeit des Referendariats mit Optimismus begegnen?
Das Referendariat ist für viele angehende Lehrer eine enorme Belastung und bringt viele an ihre Grenzen. Manchmal zermürbt es einen, wenn trotz guter und intensiver Vorbereitungen, die Unterrichtsstunde nicht so verläuft wie geplant, Schüler nicht mitarbeiten oder Eltern sich beschweren. Um den Optimismus in solchen Situationen nicht zu verlieren, hilft es, den Blick auf seine Schüler zu richten. Die meisten von ihnen geben einem sehr viel zurück, in denen sie Lernerfolge erzielen, auch wenn sie manchmal noch so klein sind. Dies zeigt einem, warum man Lehrer werden möchte und bestärkt einem in der Berufswahl. Genauso wichtig ist ein gutes Team im Kollegium, das unterstützt und berät.
Sie werden im Rahmen des Angebots für Junglehrer zum Deutschen Lehrertag 2018 einen Workshop für alle Schulformen zum Thema Störungen im Unterricht anbieten. Warum haben Sie sich für das Thema Unterrichtsstörungen entschieden?
Während des Studiums lernt man nur sehr wenig über Unterrichtsstörungen, wie sie entstehen und zu beheben sind. Meistens lernt man während der Praktika und im Vorbereitungsdienst verschiedene Regelsysteme mit den verbundenen Konsequenzen bzw. Maßnahmen bei Verstößen oder Verstärkersysteme kennen. In meinem Workshop lege ich den Fokus auf das eigene Lehrerverhalten. Ich möchte dafür sensibilisieren, dass wir Lehrkräfte mit unserem Lehrerverhalten bereits einiges an Störungen vermeiden und beheben können.
Würden Sie sagen, dass Unterrichtsstörungen entscheidend vom Lehrerverhalten abhängen oder spielen hierbei auch andere Faktoren eine Rolle?
Unterrichtsstörungen können vom Lehrerverhalten abhängen. Es gibt aber viele weitere Faktoren, die wir mit unserem Verhalten als Lehrer nicht beeinflussen können. Deshalb ist es wichtig, bei Unterrichtsstörungen die Situation immer ganzheitlich zu betrachten: Welche Rolle spielt der „Störende“, welche Rolle spielen die anderen Schüler, welche Rolle spiele ich als Lehrer und welche Rolle spielt mein Unterricht?
Ein zweiter Workshop behandelt das Thema Klassenleitung, eine große Herausforderung für Junglehrer. Wie kann die Aufgabe der Klassenleitung Ihrer Meinung nach einerseits engagiert angenommen und andererseits dennoch Überlastung vermieden werden?
Dies ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt im Lehrerberuf. Wenn wir die Klassentür schließen oder nach Hause fahren, ist die Tätigkeit nicht beendet. Wir nehmen sie mit nach Hause. Um eine Überlastung zu vermeiden, ist eine hohe Disziplin erforderlich. Ich muss es schaffen, den Blick auf mich selber zu richten. Das bedeutet, dass ich mir bestenfalls klare Arbeits- und Ruhezeiten setze. Des Weiteren sollten wir als Lehrer stets unsere Profession im Auge behalten und erkennen, wann es an der Zeit ist, außerschulische Hilfe für Schüler in Anspruch zu nehmen. Auch dies kann und muss uns entlasten.
Was würden Sie sich persönlich für die Zukunft der Ausbildung angehender Lehrkräfte wünschen?
In Zukunft sollte die Lehrerausbildung ein gutes Gleichgewicht zwischen Fachwissenschaft, Methodik, Didaktik und Praxiselementen erzielen. Dies würde die Qualität der Lehrerausbildung verbessern und Lehrer gut auf ihren Beruf vorbereiten. Die Übergänge zwischen den Ausbildungsphasen sollten sinnvoll verzahnt sein, um Leerläufe und Abbrüche zu verhindern. Für die jungen Menschen muss zudem die berufliche Mobilität, der Wechsel zwischen den Bundesländern innerhalb ihrer Ausbildung, vereinfacht werden.