Bibliotheken brauchen E-Books
Ein wenig überspitzt könnte man sagen, dass derjenige, der infrage stellt, dass öffentliche Bibliotheken überhaupt ein E-Book-Angebot vorhalten müssen, die Existenzberechtigung und Zukunftsfähigkeit dieser Einrichtungen infrage stellt. Bibliotheken waren schon immer dazu da, ihre Kundinnen und Kunden mit Information, Wissen und Unterhaltung zu versorgen – und das ganz unabhängig von den gerade aktuellen „Datenträgern“. Wer Bibliotheken also auf das gedruckte Buch reduzieren wollte, würde ihnen den weiteren Weg ins Digitale verwehren. Über kurz oder lang würden sich Bibliotheken damit zu „Papiermuseen“ entwickeln. Für Nostalgiker wären sie damit zwar immer noch ein attraktiver Ort, aber eine aktive Rolle bei der Informationsversorgung der Bevölkerung würde ihnen damit nicht mehr zukommen. Um genau diese Rolle auch weiterhin spielen zu können, brauchen Bibliotheken also dringend ein attraktives E-Book-Angebot. Die Situation in Deutschland ist im europäischen bzw. internationalen Vergleich zwiespältig einzuschätzen. Auf der einen Seite gibt es relativ viele öffentliche Bibliotheken, für die ein entsprechendes Angebot selbstverständlich ist. Andererseits ist es für die Bibliotheken und ihre Nutzerinnen und Nutzer immer weniger nachvollziehbar, dass sich große Verlage und Verlagsgruppen (Holtzbrinck) sträuben, ihre E-Books für öffentliche Bibliotheken zu lizenzieren. Und noch schwerer ist es zu verstehen, dass tatsächlich – ganz anders als bei gedruckten Büchern – Verlage darüber entscheiden können, ob Bibliotheken ihre Produkte anbieten können oder nicht. Da dies ein unhaltbarer Zustand ist, fordern Bibliotheksvertreter bereits seit 2012, dass es hier zu einer gesetzlichen Regelung kommen muss. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien hat im Frühjahr 2015 eine klare Richtung vorgegeben, dass nämlich – wenn es zwischen Verlagen und Bibliotheken hier in absehbarer Zeit nicht zu einer Einigung kommt – „aus kulturpolitischer Sicht gesetzliche Regelungen in Betracht zu ziehen sind“.
Frank Simon-Ritz, Jahrgang 1962, ist seit 1999 Direktor der Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität Weimar. Seit 2012 ist er stellvertretender Sprecher der Deutschen Literaturkonferenz und Mitglied des Sprecherrats des Deutschen Kulturrats, seit April 2012 Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv).
Bibliotheken haben E-Books
Das erfolgreichste Segment im Buchmarkt ist aktuell die E-Book-Ausleihe der öffentlichen Bibliotheken. Fast täglich findet man in Regionalzeitungen Fotos von Bürgermeistern, die sich stolz am Computer bei der Nutzung der neu eröffneten Onleihe in ihrer Kommune fotografieren lassen. Noch nie konnten Bibliotheken solche Zuwächse vermelden, noch nie gab es so begeisterte Rückmeldungen der Nutzer, noch nie waren die Kommunalpolitiker so stolz auf ihre Bibliotheken. Eine echte Erfolgsgeschichte. Dennoch bemüht sich der Bibliotheksverband, in der Lobbyarbeit ein Bild von Krisen und Gefahren zu zeichnen. Wie passt das zusammen? Ob im Bereich der Musik, der Filme, der Hörbücher oder jetzt auch der E-Books: Verleih- oder Abomodelle sind offenbar das angemessene Vertriebsmodell für digitalisierte Medien. Sie lösen zunehmend die Kaufmodelle ab. Für Urheber und Verwerter ist es deshalb notwendig, sich rechtzeitig umzustellen und die Refinanzierung der Medien über die neuen Vertriebskanäle zu sichern. Auf der Suche nach angemessenen Preis und Lizenzmodellen bedeutet das zunächst: viel Experimentieren. Die E-Book-Angebote der öffentlichen Bibliotheken sind für Leser attraktiv und kostenlos. Das ist unschlagbar. Man kann bezweifeln, dass es neben den 2.500 öffentlichen E-Book-Angeboten noch Platz für kostenpflichtige kommerzielle gibt. Und da beginnt das Problem: Wenn sich die E-Book-Nutzung komplett auf Leihmodelle verlagert und die Kaufumsätze wegfallen, ist die Produktion von Literatur in Form von E-Books nur möglich, wenn adäquate Umsätze im Leihmarkt entstehen. Läuft der Leihmarkt fast vollständig über die öffentlichen Bibliotheken, müssen die Umsätze von den Bibliotheken finanziert werden. Und dafür haben sie keine Gelder. Eine Urheberrechtsschranke würde zwar den Schwarzen Peter von den Kommunen auf die Kultusminister verschieben. Das Geld – daran zweifelt niemand – werden aber auch die nicht zur Verfügung stellen. Es bleibt nur die Möglichkeit, gemeinsam einen Weg zu finden, der Autoren angemessene Honorare sichert, der die Investitionen der Verlage refinanziert, der für Kommunen finanzierbar und für Leser attraktiv ist.
Matthias Ulmer, Jahrgang 1964, ist geschäftsführender Gesellschafter des Verlags Eugen Ulmer (Stuttgart). Er ist Vorstandsmitglied des Verlegerausschusses im Börsenverein des Deutschen Buchhandels und befasst sich dort schwerpunktmäßig mit dem Thema Digitalisierung und dem Dialog mit den Bibliotheken.
Bildquelle: Philipp Wiegandt / Ferdinando Iannone