Autor: Nils Kahlefendt

Die Zukunft der Bücher
2. März 2016
Live-Feuilleton: Seit fast 20 Jahren bringt die Reihe bücher.macher spannende Branchenthemen aufs Podium.
Autor: Nils Kahlefendt

Die Zukunft der Bücher
2. März 2016
Live-Feuilleton: Seit fast 20 Jahren bringt die Reihe bücher.macher spannende Branchenthemen aufs Podium.

Am Anfang stand, fern aller krachlederner Assoziationen, ein Ausflug nach Bayern: Ein „Novemberfest“ mit Kunstmann aus München und dem Maro Verlag aus Augsburg, moderiert vom erfolgreichen „großen Bruder“ in Gestalt von Hanser-Verleger Michael Krüger, gab 1997 den Startschuss für die bücher.macher. Komplettiert wurde der Abend durch eine Ausstellung und, natürlich, mit Lesungen; später am Abend legten die Geschwister Gerth vom Weilheimer Hausmusik-Label ihre Lieblingsplatten auf – zu einer Zeit, wo Notwist, heute eine der erfolgreichsten deutschen Indie-Bands, noch als Geheimtipp vom Lande galten.

Neue Hosen, alte Zöpfe

„Wie überlebt man gute Bücher?“, Klaus Wagenbachs klassische Frage, stand quasi leitmotivisch über diesem Happening – und nur ein halbes Jahr später leuchteten Wagenbachs rote Socken wie kleine Glühwürmchen im Garten des Leipziger Literaturhauses. Mit einem Sommerfest unter freiem Himmel, einer Ausstellung und einer Podiumsdiskussion gingen die bücher.macher in Runde zwei: „Buchgestaltung = Produktdesign?“ Über die Janusköpfigkeit der „geheiligten Ware Buch“, neue Hosen und alte Zöpfe stritten neben der Verleger-Legende aus Berlin Gottfried Honnefelder, der eben bei DuMont ein opulentes Literatur-Programm an den Start gebracht hatte, und Buchgestalter Rainer Groothuis; die skurrilen Leuchtplastiken der Berliner Künstlergruppe Shining strahlten mit den Verlegersocken um die Wette. Spät wurde es, sehr spät; nur hin und wieder brandete Torjubel durch die Sommernacht. Es war Fußball-WM in Frankreich, und noch hatten die Deutschen Hoffnung.

Alles, was zählt

Der Name des Veranstaltungsformats, das damals für den Börsenverein im frisch bezogenen Leipziger Literaturhaus entwickelt wurde, war Programm: In spannenden Konstellationen wollte bücher.macher Verlage mit unverwechselbarem Gesicht nach Leipzig holen. Geplant war jedoch keine Null-Acht-Fünfzehn-Präsentation: Möglichst allen Aspekten des Büchermachens sollte Raum gegeben; nicht nur Verleger und Autoren, auch Lektoren, Werbe- und Vertriebsprofis, Hersteller und Buchkünstler einbezogen werden. Ein Konzept, das im Lauf der Jahre behutsam zu „Themenabenden“ modifiziert werden sollte. Es folgten Veranstaltungen zur damals gerade dezent losbrechenden Welle der Netzliteratur („Überleben im Internet“) und der Rolle des Guten, Schönen und Baren im Literaturbetrieb („Literatur und Geld“) – Wolfgang Ferchl, damals Verleger bei Eichborn, hatte den „Verlag mit der Fliege“ gerade an die Börse gebracht, Georg M. Oswald, der heute den Berlin Verlag leitet, sorgte mit seinem Roman „Alles was zählt“ für die passende Umrahmung.

Schöne neue Bücher-Welt?

2001 gingen die bücher.macher erstmals auf der Leipziger Buchmesse vor Anker. Eine Zeit, von der Nora Rawlinson, Chefredakteurin des US-Branchenmagazins „Publishers Weekly“, schrieb: „Ich habe den Eindruck, dass deutsche Verleger immer amerikanischer werden.“ Den bücher.machern gelang ein kleiner Scoop, als sie Peter Olson, der am Abend zuvor im Gewandhaus sprach und sich gerade anschickte, als erster Nichtdeutscher in den New Yorker Random House-Chefsessel zu steigen, zusammen mit Michael Naumann, Arnulf Conradi, Günter Berg und Antje Kunstmann aufs Podium holten. Mit feinem Florett wurde um die „New Book Economy“ und die Rolle des Verlegers in einer hart durchkalkulierten Welt gestritten. Christoph Links notierte in seinem Messetagebuch für die „Berliner Seiten“ der FAZ: „Ich gehe nach zwei Stunden aus dieser Selbstverständigungsrunde mit dem beruhigenden Gefühl hinaus, in einem Sechs-Personen-Unternehmen mit lediglich 30 Titeln im Jahr ganz gut aufgehoben zu sein, da mir niemand für fremde Renditegelüste einen spitzen Bleistift in den Rücken rammt.“

Gründerzeit

Das Konzept, aktuelle Branchenthemen für ein breites Publikum aus Profis und Messebesuchern aufzubereiten, ging auch in den Folgejahren auf: Herausgefordert vom schlagfertigen, nie um eine Pointe verlegenen Moderator Denis Scheck diskutierten die bücher.macher etwa über Literatur im Fernsehen („Bücherflimmern“), die grassierende Eventisierung im Literaturbetrieb („Laute Bücher“) oder Bücher, die – wie Maxim Billers „Esra“ – zum Fall für den Staatsanwalt geworden waren („Bücher vor Gericht“). Mit einem Panel zu den Independents, die seit Anfang der Nullerjahre die Verlagswelt aufmischten („Günderzeit“), kehrte die Reihe 2005 zu ihren Wurzeln zurück. Neben „Jungen Wilden“ wie Daniela Seel (Kookbooks) oder Michael Zöllner (Tropen) saß natürlich auch der Große Wildweise Häuptling Klaus Wagenbach auf dem Podium.

Das Beste beider Welten

Seit 2012 wird das bücher.macher-Podium von der Leipziger Buchmesse veranstaltet. Das im Wechsel von Felicitas von Lovenberg und ihrem FAZ-Kollegen Andreas Platthaus moderierte Panel ist ein Fixpunkt am ersten Messetag – wer sich auf das, was die Gespräche der nächsten vier Tage mitbestimmen wird, schon ein wenig einschwingen will, ist hier goldrichtig. Noch immer stehen besonders Aspekte des unabhängigen Verlegens im Fokus. Die Euphorie der Nullerjahre, in denen junge Print-Verlage an den Festen der Buchhandels-Welt rüttelten, ist längst in der digitalen Welt angekommen – eine Entwicklung, die sich auch in Themen und Gästen der bücher.macher wiederspiegelt. Wie sich auch im digitalen Raum intelligent mit Literatur arbeiten lässt, ohne die Errungenschaften der Papier-Welt aus den Augen zu verlieren: Darüber wird auf dem Podium beherzt gestritten und diskutiert.

Die vollkommene Lesemaschine

Manchmal begegnen sich vermeintlich alte und neue Welt dabei ganz überraschend. So wie 2013: Da wäre Star-Autor Dave Eggers zum Podium über die „Zukunft der Bücher“ beinahe zu spät gekommen. Der Mann, der alte Ausgaben von Nabokovs „Lolita“ sammelt, hatte sich im Gewühl der Antiquariatsmesse verloren. Seine Beute: Eine Handvoll Insel-Bändchen aus Anton Kippenbergs Verlag. Versonnen streichelte Eggers die papierbezogenen Einbände, als er zu den Überlebenschancen des physischen Objekts Buch befragt wurde: „Wir haben dieses Gen, von schönen Dingen angezogen zu werden. Wir wollen sie anfassen, aufbewahren, uns an sie erinnern, sie an unsere Kinder und Enkel weitergeben.“

www.buechermacher.org

Bildquellen:Nils Kahlefendt

Beitrag teilen

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Leipzig liest Slider

Alles außer flach! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 5: Der opulente Gastlandauftritt der Niederlande und Flanderns war eine intelligent orchestrierte Charme-Offensive fürs deutsche Lesepublikum

Literarisches Leben Slider

„Gute Bücher übersetzen ist leicht!“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (4): 2018 ging der Preis in der Sparte Übersetzung an Sabine Stöhr und Jurij Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadans Roman „Internat“. Inzwischen hat der Ukrainer, der lange mit Worten und Musik für die Sache seines Landes gekämpft hat, zur Waffe gegriffen.

Slider Wir

Back to the Roots 

Von der klassischen ‚PK’ bis ‚unter drei’: Der Thüringer Felix Wisotzki, Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, organisiert die Kommunikation des Branchen-Großereignisses. Mit der Arbeit fürs Buch ist der studierte Amerikanist zu einer frühen Leidenschaft zurückgekehrt

Leipzig liest Slider

Fest des freien Wortes 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 4: Mit Leipzig liest swingte eine ganze Stadt vier Tage lang im Takt der Literatur. Die heißgeliebte fünfte Jahreszeit – sie war zurück!

Literarisches Leben Slider

Fortüne & Phantasie 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen Independent-Verlage für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. In Leipzig kommen auch die Kleinen groß raus

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest

„Comic ist ein Medium, kein Genre!“ 

Alles außer flach (5): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämischen Comic-Pionierinnen Ephameron und Judith Vanistendael

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Wir

Literatur-Flashmob

Lesezeichen (III): Ein Blick ins Buch, zwei ins Leben - wir empfehlen Ihnen unsere persönlichen Leipzig liest-Favoriten

International

„Das Signal unter den Geräuschen“

Gebrauchsanweisung für Österreich, Gast der Leipziger Buchmesse 2023, Folge 4: Einen Bahö machen steht im Österreichischen für Aufruhr, Tumult, Lärm – Leo Gürtler und Rudi Gradnitzer wollen mit ihrem Verlag Bahoe Books in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen