Auf dem Papier wurde der Luftschacht Verlag schon 2001 gegründet…
Jürgen Lagger: Ich habe eigentlich Architektur studiert und von 1987 an als freier Mitarbeiter in Architekturbüros gearbeitet. Im Zuge des eigenen literarischen Schreibens habe ich Stefan Buchberger und Gabriel Vollmann kennengelernt, die damals Lesungen veranstaltet und den Verlag gegründet haben. Wir freundeten uns an – und beschlossen, den damals nur als „Karteileiche“ bestehenden Verlag endlich zu beleben.
Das war 2003, nachts, in Ihrer Küche. Erinnern Sie die ‚Urszene’ noch?
Lagger: Nicht wirklich, wir hatten schon ein paar Bier. Aber das erste Buch war ein schmales Paperback im Digitaldruck, Auflage 300 Exemplare. Wir haben das auf Lesungen selbst vertickt, es gab keinerlei Vertriebsstruktur. Ich musste sehr viel lernen. Anfangs habe ich parallel weiter als Architekt gearbeitet; irgendwann habe ich den Sprung gewagt und meine Erwerbstätigkeit ganz auf den Verlag hingelenkt.
Was war die wichtigste Entscheidung in 20 Jahren Luftschacht? Die Geschichte eines Verlags ist ja keine Aneinanderreihung von Zufällen, oder?
Lagger: Der vielleicht folgenreichste Entschluss fiel um 2008 – da haben wir uns entschlossen, neben Belletristik auch Graphic Novels und Comics zu machen. Etwas, wofür es in Österreich noch keinen Verlag gab. Wir wurden von Sebastian Broskwa angesprochen, der mit seinem Vertrieb Pictopia nebst angeschlossener Buchhandlung als die Comic-Instanz der Republik gilt. Seastian hat die Kontakte hergestellt – aus diesem Pool haben wir am Anfang unsere Zeichner bezogen. Man braucht noch nicht mal zu gendern, weil es wirklich ausschließlich Männer waren. Inzwischen sind mit Regina Hofer oder Michaela Konrad auch tolle Zeichnerinnen dazugekommen.
Der Comic hat Luftschacht dann seine dritte Programm-Säule beschert?
Lagger: Genau, das aufwändig gestaltete Bilderbuch. Inzwischen sind wir für viele Zeichnerinnen und Zeichner so etwas wie ein sicherer Hafen jenseits des schnelldrehenden Lesefutters geworden. Und ich finde es auch für mich schön, dass ich so unterschiedliche Kunstformen im Verlag habe – die jeweils eine ganz spezifische Beschäftigung erfordern.
Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Buchhandel?
Lagger: Wir haben uns sowohl bei Leser:innen wie auch bei Buchhändler:innen ein Stammpublikum erarbeitet, das auf die leicht abseitigen Dinge steht, die wir machen. Andere sehen Probleme, das zu vermitteln, was ich ein bisschen schade finde. Auch wenn unser Programm nicht dem Mainstream hinterherläuft, ist es doch nichts, was einen abschrecken müsste – im Gegenteil! Natürlich sind die Erwartungen immer höher, als es der Markt dann einlöst. Aber man kriegt die Leute schon!
Können Sie uns ein Lieblingsbuch nennen, das Ihnen über die Zeit besonders ans Herz gewachsen ist?
Lagger: Ich habe all meine Kinder lieb! (lacht) Worauf ich stolz bin, sind die Bücher von Dennis Cooper, die wir im Programm haben.
Und der heuer passender Weise 70 wird. Sie bringen „Ich wünschte“ von Dennis Cooper als Spitzentitel…
Lagger: In den 1990er Jahren gab es Übersetzungen von ihm im Wiener Passagen Verlag. Die habe ich zufällig in einer Grabbelkiste entdeckt – und war völlig hingerissen. Als ich später noch mehr von ihm lesen wollte, merkte ich: Es gibt keine Übersetzungen mehr! Ich habe angefangen zu recherchieren, mit diversen Agenturen gesprochen – irgendwann hat’s dann geklappt. Im April kommt mit „Ich wünschte“ das vierte Buch, das wir von ihm bringen. Das freut mich sehr – nicht zuletzt, weil Cooper für meine eigene Lesebiografie enorm wichtig war.
Sie haben dafür ein Nachwort von Clemens J. Setz ergattert?
Lagger: Der Clemens ist ein absoluter Cooper-Fanboy! Noch ärger als ich! Der kennt wirklich alles. Und liest dazu alles, was Cooper empfiehlt.
Haben Sie Visionen für die nächsten 20 Luftschacht-Jahre?
Lagger: Vom Lebensalter her gerechnet könnte es knapp werden (lacht), aber: Nein, eigentlich nicht. Im Kern möchte ich weitermachen wie bisher. Wen sich der Verlag auf diesem Level weiterentwickelt, bin ich sehr zufrieden. Nur manchmal denke ich: Vielleicht hätte ich zehn Jahre früher anfangen sollen?
Luftschacht auf der Leipziger Buchmesse: Halle 4, Stand E 109
Books & Beers: Neue Bücher und das aktuelle Programm stellen die beiden unabhängigen Verlage Luftschacht aus Wien und Parasitenpresse aus Köln zum ersten Mal gemeinsam vor. Es lesen Jelena Jeremejewa (Berlin), Adrian Kasnitz (Köln), Greta Lauer (Wien), Thomas Podhostnik (Leipzig), Uroš Prah (Wien) und Alexander Rudolfi (Hannover). Durch den Abend führen die Verleger Adrian Kasnitz und Jürgen Lagger. 28. April, 20 Uhr, Schaubühne Lindenfels Westflügel, Eintritt frei.