Herr Wichner, Sie leiten das Literaturhaus Berlin, sind Autor, Herausgeber und Ãœbersetzer – wie geht das alles zusammen?
Ernest Wichner: Ich kann nichts Anderes als Literatur (lacht). Und das mache ich auf verschiedene Weise, in verschiedenen Medien. Als junger Mensch begann ich zu schreiben, wie das viele machen. Bald musste ich feststellen, dass man vom Gedichteschreiben nicht leben kann – ich brauchte also einen Job. Und so landete ich im Literaturhaus. Damals schrieb ich auch noch Literaturkritiken. Als ich 2003 Leiter des Literaturhauses wurde, hörte ich damit auf – und habe mich stärker aufs Ãœbersetzen verlegt. Inzwischen ist es so, dass ich übersetzen muss, um meinen Beruf als Literaturhausleiter ausüben zu können: Ich brauche eine literarische Praxis, über die man uneitel sprechen kann.
Eine Art Sauerstoffdusche?
Wichner: Genau! Ich werde unglücklich, wenn ich mich nicht am Wochenende hinsetzen und selbst etwas produzieren kann. So ist es mir möglich, auf Augenhöhe mit Autoren zu reden. Ich werde von ihnen akzeptiert und bin nicht nur Funktionsträger.
Zum Frühjahr 2018, wenn Rumänien Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse sein wird, haben Sie sich ein besonders üppiges Übersetzer-Pensum aufgeladen: Zwei Gedichtbände, ein Roman, ein Erzählungsband, dazu die Mitarbeit an zwei Anthologien. Wie, um alles in der Welt, schaffen Sie das?
Wichner: Den Band mit Gedichten von Iulian Tănase (Abgrunde), der jetzt in Ulf Stolterfohts wunderbarer Brueterich Press erscheinen wird, hatte ich schon zu achtzig Prozent fertig. Das gleiche gilt für den Gedichtband von Daniel Banulescu (Republik Daniel Banulescu). Da konnte ich mich auf zwei bereits erschienene Bücher im Ludwigsburger Pop Verlag stützen. Richtig Arbeit hat natürlich der der Roman von CÇŽtÇŽlin Mihuleac (Oxenberg & Bernstein) gemacht. Er wird, wie die Erzählungen von Varunjan Vosganian, bei Zsolnay erscheinen. Und, ja: Die Ãœbersetzung der Kurzgeschichten für den Horen-Band beginnt gerade…
Oh, das wird aber knapp…
Wichner: Ich muss gesund bleiben, dann klappt das.
Die Frage ist unfair, aber: Welches der von Ihnen übersetzten Bücher, die im Frühjahr erscheinen, liegt Ihnen besonders am Herzen?
Wichner: Das ist schon der Roman, „Oxenberg & Bernstein“ von CÇŽtÇŽlin Mihuleac – nicht zuletzt wegen seines hochpolitischen Themas. Er setzt sich literarisch mit einem dunklen Tag in der Geschichte Rumäniens auseinander – dem 29. Juni 1941, als die Juden im ostrumänischen Iasi, einer bis dato kosmopolitischen und multiethnischen Stadt, zu Tausenden ermordet werden. Die Historiker haben das Pogrom inzwischen aufgearbeitet, in der breiten Bevölkerung wird es noch immer geleugnet. Ich hatte Zsolnay das Buch zunächst nicht empfohlen…
Warum?
Wichner: Ich hatte Skrupel, weil ich dachte: So salopp kann man mit dem Stoff nicht umgehen. Ein Jahr darauf habe ich mir das Buch noch einmal angeschaut und dem Verleger gesagt: Ich glaube, der Autor hat keine falsche Entscheidung getroffen. Er hat den Ton gewählt, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen – statt durch falsch verstandene Literarizität Hürden aufzubauen.
Wie ist das Buch in Rumänien aufgenommen worden?
Wichner: Es wurde kontrovers diskutiert, der Autor ist auch angefeindet worden. Leider gibt es heute in Rumänien jenseits des Boulevards so gut wie keine seriöse Presse.
Sie kennen den rumänischen Literaturbetrieb noch aus der Zeit der kommunistischen Herrschaft, inklusive Zensur und Beschneidung der freien Meinungsäußerung. Wie geht es dem Betrieb heute, unter demokratischen Rahmenbedingungen?
Wichner: Es gibt heute vor allem zwei wichtige größere Verlage: Da ist zum einen Humanitas, vielleicht so etwas wie ein rumänischer Suhrkamp Verlag. Der macht Belletristik, Zeitgeschichte, Philosophie, Kulturgeschichte, ein breites Spektrum. Dort gibt es das Gesamtwerk von Emil Cioran ebenso wie Heidegger, Hertha Müller oder die Bücher von Mircea Cărtărescu. Dann gibt es Polirom, der vormalige rumänische Staatsverlag, fokussiert auf die zeitgenössische rumänische Literatur; da ist etwa „Oxenberg & Bernstein“ im Original erschienen. Dazu gibt es eine Handvoll deutlich kleinerer unabhängiger Verlage. Das Hauptproblem ist jedoch der Buchhandel. Der staatliche Buchhandel, den es in jeder Kleinstadt gab, ist nach 1989 zerbrochen, er war faktisch nicht zu privatisieren. Es gibt heute zwei große Ketten – die eine gehört Humanitas, die andere ist CărtureÅŸti. Das ist eine Art Kulturkaufhaus, meist untergebracht in historischen, wunderbar sanierten City-Lagen. In der Stada Lipscani, der Leipziger Straße in Bukarest etwa öffnete 2015 so ein Kultur-Tempel, CărtureÅŸti Carusel. Ein alter Adelspalast, sechs Stockwerke, mit Büchern, CDs, Filmen und anderen schönen Dingen. Allerdings kenne ich kaum inhabergeführte Buchhandlungen in Rumänien. Kleinere Verlage haben es wegen dieser schwierigen Vertriebs-Infrastruktur nicht leicht. Sie sind ohne staatliche Förderung eigentlich nicht überlebensfähig.
Dann dürften auch Autorinnen und Autoren dicke Bretter bohren?
Wichner: 80 Prozent von ihnen können nicht von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leben.
Sie haben, gerade durch die Arbeit für die Ausgabe der „Horen“ mit zeitgenössischen Erzählungen, auch mit neuen Stimmen innerhalb der rumänischen Literatur zu tun bekommen. Wodurch zeichnen sie sich aus?
Wichner: Man kann das natürlich nicht generalisieren. Was auffällt: Die Texte sind kruder, ruppiger, schroffer – wilder als vieles, was ihre Altersgenossen hierzulande schreiben. Da hat man oft das Gefühl, die Prosa ist runtergedimmt. In Rumänien ist die Verletzung durch die Zeitgeschichte in den Personen, in den Familien noch manifester; das spielt nach wie vor eine große Rolle.
Was erhoffen Sie sich vom Schwerpunktland-Auftritt Rumäniens im März 2018?
Wichner: Ich erwarte, dass tatsächlich eine größere Aufmerksamkeit für die rumänische Literatur geschaffen und damit auch das Terrain für die Zukunft bereitet wird. Das zu hoffen, ist nicht verwegen – ich weiß sogar, dass es so kommen wird (lacht)! Da ist einiges in der Pipeline – auch für die Zeit nach dem Frühjahr 2018: In der „Anderen Bibliothek“ wird es einen Roman von Gabriela AdameÅŸteanu geben; ich selbst übersetze einen Tausendseiter von Mircea Cărtărescu, der 2019 bei Zsolnay erscheinen soll. Das alles sind keine Einzelfälle. Die rumänische Literatur gibt das her! Die Geschichte geht weiter.
Ernest Wichner, geboren 1952 in Guttenbrunn, Banat/ Rumänien, studierte Germanistik und Rumänistik an der Universität in Timișoara. Er war Gründungsmitglied des dortigen Schriftstellerkreises Aktionsgruppe Banat. 1975 siedelte er nach Deutschland über, wo er Germanistik und Politikwissenschaft an der FU Berlin studierte. Seit 1988 ist er im Literaturhaus Berlin tätig, seit 2003 als dessen Leiter. Ernest Wichner ist Autor von Gedichtbänden und Erzählungen. Zudem hat er sich als Übersetzer einen Namen gemacht: Wichner hat die Werke zahlreicher Autorinnen und Autoren aus dem Rumänischen ins Deutsche übertragen, darunter das gesamte Prosawerk von Max Blecher sowie Bücher von Francesca Banciu, Mircea Cărtărescu, Nora Iuga, Norman Manea und Varujan Vosganian. Als Herausgeber ist Wichner unter anderem für die Werkausgabe Oskar Pastiors verantwortlich. Ernest Wichner gilt als exzellenter Kenner der zeitgenössischen rumänischen Literatur und ist für den Gastlandauftritt Rumäniens in Leipzig 2018 als Fachberater tätig.
Neuerscheinungen rumänischer Autoren zur Leipziger Buchmesse 2018, übersetzt von Ernest Wichner:
– Daniel Banulescu, Republik Daniel Banulescus, Gedichte, Pop Verlag, Ãœbersetzung von Ernest Wichner
– Cătălin Mihuleac, Oxenberg & Bernstein, Roman, Zsolnay Verlag, Ãœbersetzung von Ernest Wichner
– Iulian TÇŽnase, Abgrunde, Gedichte, Brueterich Press, Ãœbersetzung von Ernest Wichner
– Varujan Vosganian, Als die Welt ganz war, Erzählungen, Zsolnay Verlag, Ãœbersetzung von Ernest Wichner
– Die Entführung aus dem Serail. Rumänische Erzählungen aus dem letzten Jahrzehnt. die horen 269, Wallstein Verlag, Hrsg.v. Georg Aescht, Bogdan Alexandru StÇŽnescu und Ernest Wichner
– Schwerpunktheft zur zeitgenössischen rumänischen Lyrik. Sprache im Technischen Zeitalter, Literarisches Colloquium Berlin, Ãœbersetzung von Alexandru Bulucz, Georg Aescht und Ernest Wichner, Hrsg.v. Radu Vancu
Fotos: Nils Kahlefendt, Christian Kerber/laif, Zsolnay Verlag