Für Petr Borkovec ist ein Stipendium nicht weniger als „ein süßes Geschenk“, denn es bietet Raum für Freiheit und ist die ideale Gelegenheit, gewohnte Alltags-Abläufe zu durchbrechen. Da ist zum Beispiel die Sache mit Schlaf und Arbeit: „Nach dem Aufstehen schreibe ich die besten Sätze. Deshalb kann es während eines Stipendiums vorkommen, dass ich vier, fünf Mal aufstehe – und so vier, fünf Mal sehr gut schreibe. Zuhause würde meine Frau das nicht erlauben.“ So sagt es – augenzwinkernd – der 1970 im mittelböhmischen Louňovice pod Blaníkem geborene Autor, Übersetzer und Kulturredakteur, der zu den renommiertesten Dichtern Tschechiens gezählt wird. Nun ist er im Leipziger Neuen Rathaus von Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, Buchmessedirektor Oliver Zille und Martin Krafl, Programmkoordinator des Gastlands Tschechien, als erster Stipendiat des tschechisch-deutschen Residenzprogramms in der Messestadt begrüßt worden. Der Mann, der bereits 2002 mit dem Hubert Burda Preis für junge Lyrik ausgezeichnet wurde, will den Monat in der Messestadt dazu nutzen, an seinem neuen Erzählband weiterzuschreiben. Sein Buch „Lido di Dante“ wird anlässlich des tschechischen Gastlandauftritts zur Leipziger Buchmesse 2019 ins Deutsche übersetzt und erscheint im Herbst in der Edition Korrespondenzen.
Skadi Jennicke, die den Gast aus Tschechien mit einem Band über die Musikstadt Leipzig begrüßt, sieht in dem einmonatigen Stipendium ein „Stadtschreiberamt im Miniaturformat“. Und noch viel mehr: „Das tschechisch-deutsche Residenzprogramm für Schriftstellerinnen und Schriftsteller ist ein großer Erfolg und eine wunderbare Inspiration für unsere beiden Partnerstädte Leipzig und Brno. Den internationalen Kulturaustausch weiter voranzubringen und Kulturschaffenden die Chance zu geben, die internationale Kulturszene kennenzulernen, ist eine Zukunftsaufgabe der Leipziger Kulturpolitik. Deshalb freue ich mich sehr, dass das Residenzprojekt gemeinsam mit engagierten Partnern Wirklichkeit geworden ist.“ 22 Jahre nach dem letzten tschechischen Schwerpunkt in Leipzig und angesichts einer tiefen Krise der Europäischen Union bietet der kommende Gastlandauftritt für Buchmesse-Direktor Oliver Zille die Chance, „Horizonte offen zu halten und – im besten Fall – etwas über uns selbst zu erfahren, gespiegelt durch den Anderen“. Borkovec wünschte Zille gute Inspirationen „in unserer schönen, wilden, sich ständig verändernden Stadt“.
Während sich Petr Borkovec nun in der von der LWB zur Verfügung gestellten citynahen Wohnung einrichtet, hat die Stipendiaten-Besetzung in Brno bereits gewechselt: Auf Luise Boege, die im August in der Partnerstadt zu Gast war, folgt die Schriftstellerin und Kulturjournalistin Bettina Hartz, die am Literaturhaus Berlin eine Veranstaltungsreihe zum Prager Frühling und den Folgen im Osten bis 1989 kuratieren wird. Martin Krafl hofft, dass das Residenzprogramm über das tschechische Kulturjahr hinaus Bestand haben wird: „In Brno wären die Wohnung und finanzielle Mittel dafür da.“ Bei Buchmesse-Diektor Oliver Zille läuft er da offene Türen ein. „Das Residenzprogramm ist das beste Beispiel, um zu zeigen, was mit Literatur gelingt: Neue Einblicke geben, Verständnis füreinander schaffen. Und letztlich damit Grenzen überwinden.“ Ein idealer Auftakt für den Auftritt Tschechiens, des Buchmesse-Gastlands 2019.