Wie sind Sie zum Thema Games gekommen?
Lena Falkenhagen: Ich gehöre vielleicht zur ersten Generation derer, die tatsächlich schon in der Kindheit an Computer und Computerspiele herangeführt worden sind. Das ging los mit Floppy Discs und ganz simplen Spielen, die auf dem C 64 meines älteren Bruders liefen. Der hat mich damals angefixt. Eine Computerspiel-Szene im heutigen Sinn gab es damals noch nicht, das fand alles im elterlichen Haus statt. Mit elf Jahren habe ich dann parallel mit Tischrollenspielen begonnen, „Das Schwarze Auge“, 1984 von Ulrich Kiesow für Schmidt Spiele und Droemer Knaur herausgegeben, war da ganz wichtig. Jungs aus dem Dorf riefen an und sagten: „Hey, hast du Bock dieses neue Spiel auszuprobieren, dazu braucht man mindestens fünf Leute.“ Nach der ersten Sitzung war ich dem neuen Hobby vollständig verfallen – für eine Elfjährige, die damals in Büchern, in Geschichten gelebt hat, war das großartig. Wenn ich ehrlich bin, war das auch der Nährboden für meine spätere Karriere als Roman-Autorin. Damals habe ich das Geschichtenerzählen gelernt. Sehr viel später bekam ich durch meine Redaktionstätigkeit für „Das Schwarze Auge“ Kontakt zu einem Berliner Gaming Studio, das an einer Computerspiel-Umsetzung des „Schwarzen Auges“. Aus diesem Kontakt entstand 2011 das Angebot, an Drakensang Online mitzuwirken – das Computerspiel, für das ich dann sechs Jahre die Story geschrieben habe. Eigentlich entstand das alles aus dem „Schwarzen Auge“.
Sie haben erfolgreiche Romane veröffentlicht und wurden 2017 unter die Top-Ten der deutschen Games-Entwicklerinnen gewählt. Wie unterscheidet sich das Schreiben für Print von jenem für Computerspiele?
Falkenhagen: In beiden Fällen baut man fiktive Welten. Wenn ich einen Roman schreibe, bestimme ich ganz autonom, wo die Handlung hinsteuert. Wenn ich ein Computerspiel oder einen Abenteuerband für ein Tischrollenspiel schreibe, dann habe ich nicht den Luxus zu entscheiden, was die Hauptfiguren wann machen. Das entscheiden die Spieler! Ich muss ihnen eine Welt mit verschiedenen Stationen zur Verfügung stellen, die sie im besten Fall nach eigenem Gutdünken passieren. Die Chronologie entsteht im Kopf der Spieler – das macht das Schreiben anders.
Im Team flutscht es besser
Als Autorin eines Romans sitzen Sie im stillen Kämmerlein, beim Computerspiel geht es um Teamwork…
Falkenhagen: Absolut, ich musste auch erst lernen, wie man in einem Team funktioniert. Bei großen Produktionen gibt es verschiedene Abteilungen; angefangen von Narrative Design über die Grafik-Abteilung, Content- und Audio-Design bis zu den Community-Leuten, die das Ganze an den Markt bringen.
Bei ganz großen Produktionen, habe ich gelesen, können ganz leicht auch mal mehrere Hundert Leute zwei, drei Jahre beschäftigt sein?
Falkenhagen: Bei Triple-A-Games wie dem Action-Rollenspiel „The Witcher 3“ ist das sicher so. Bei Bigpoint in Berlin, den Produzenten des browserbasierten Rollenspiels Drakensang Online waren wir in der Zeit, in der ich dort mitarbeitete, ungefähr 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Dagegen scheint mir die Entstehung eines Romans fast vergnügungssteuerpflichtig…
Falkenhagen (lacht): Komischerweise finde ich das Erstellen von Computerspielen leichter. Beim Roman muss man jede einzelne Entscheidung selbst treffen. Im Team kann man auf einen großen Pool von Kreativität und Ideen zurückgreifen – ich finde das einen sehr schönen Prozess. Klar, ich schreibe auch gern Romane. Aber wenn man eine Durststrecke hat, kann es schnell sehr einsam um einen werden.
Ja mach’ nur einen Plan…
Jetzt switchen Sie zwischen beiden Welten?
Falkenhagen: Ich habe zuletzt mit Carlsen zusammen ein kleines Mobile-Game fürs Handy entwickelt. Und ich konzipiere gerade eine Fantasy-Trilogie und sitze an einem zeitgenössischen Thriller.
Klingt nach strenger Selbstorganisation…
Falkenhagen: Perfekt bin ich darin nicht, aber man muss schon gut jonglieren und im Voraus planen können (lacht).
Würde es Sie reizen, einmal eine Geschichte cross-medial durchzudeklinieren, vom Buch zum Film zum Game?
Falkenhagen: Spieleproduktionen sind sehr teuer. Es ist vermutlich praktischer, erst mal ein erfolgreiches Buch zu veröffentlichen – und dann im Zweifel ein Spiel draus zu machen. Weil man so sieht, ob die Story eine Fan-Base hat. Und man muss sagen, dass die Story in der Spielewelt nicht denselben Stellenwert hat wie in der Romanwelt. In der Spielewelt versucht man, ein Gameplay, einen schönen Spiele-Mechanismus, zu entwickeln. Ein Roman entwickelt sich von der Story aus, bei Spielen ist das seltener der Fall. Wobei es immer Gegenbeispiele gibt, in diesem Fall etwa „The Witcher 3“ – hier hat der Content-Designer den Hut aufgehabt. Das Spiel ist unglaublich erfolgreich gewesen.
In Spielform gegossene Literatur
Im Feuilleton ist Literatur – allen Unkenrufen zum Trotz – immer noch sehr präsent. Für ambitionierte Computerspiele gilt das nicht.
Falkenhagen: Das wundert mich auch. Erklären kann ich es mir nur aus einer Generationen-Problematik – die Feuilleton-Schreiber gehören offensichtlich in ihrer Mehrzahl (noch) nicht zu jenen, die mit den Regelstrukturen und Prozessen des Computerspiels alphabetisiert worden sind. Dabei gibt es tolle Beispiele für in Spielform gegossene Literatur. Mein aktuelles Lieblingsspiel in dieser Richtung ist Orwell, entwickelt von der kleinen Hamburger Firma Osmotic Studios: Als Angestellter eines fiktiven Staats namens „The Nation“ wird man in dem Spiel beauftragt, eine Überwachungssoftware zu testen – allerdings unter Realbedingungen: Man kann Zeitungsmeldungen und soziale Netzwerke auswerten, Chats und Telefonate mitschneiden, Smartphones und Computer durchstöbern. Im Zweifel sind Sie also verantwortlich, wenn jemand verhaftet wird, dem am Rechner mal die Maus ausgerutscht ist. Ein unfassbar spannendes Spiel, das mit ganz reduzierter Grafik auskommt.
Sind Computerspiele die Romane des 21. Jahrhunderts?
Falkenhagen: Ich glaube, dass das momentan eher für die Serien gilt.
Auch Spiele sind politisch
Die ernsthafte, auch wissenschaftliche Beschäftigung mit Games erscheint häufig nur legitim, wenn der kulturelle Bezug zum Bekannten, bereits Etablierten kräftig herausgestellt wird: Computerspiele und Film, Computerspiele und Literatur – fast so, als besäßen digitale Spiele kein unabhängiges kulturelles Dasein.
Falkenhagen: Ich halte Computerspiele für eine Art Meta-Disziplin. Gute Games verbinden alle anderen Medien – die gute Story des Romans, gute Videosequenzen, einen guten Soundtrack. Ja, die professionelle Kritik muss Computerspiele ernster nehmen. Die Spiele-Macher müssen ihr Medium aber auch ernster nehmen! Es gibt keine unpolitischen Medien.
Der Spieleforscher Gundolf S. Freyermuth meinte, dass Games heute da stehen, wo der Film Mitte der 20er Jahre war. Wie sehen Sie das?
Falkenhagen: Es ist noch Luft nach oben, auch was das Sich-selber-Ernstnehmen der Community betrifft. Auch in Spielen fängt man mittlerweile an, über Gesellschaftsentwürfe nachzudenken. Spielen ist nicht mehr nur – wie vielleicht noch in den 90er Jahren – eine Domäne für testosterongesteuerte Jungmänner. Sie werden inzwischen auch von Frauen gespielt, für Frauen gemacht – Tendenz steigend. Es gibt sogar Frauen als Games-Entwicklerinnen… (lacht).
Sie selbst gehören zu den Gründerinnen des Netzwerks Autorenrechte und arbeiten im Berliner VS-Vorstand mit…
Falkenhagen: Ich habe gemerkt, dass in Zeiten der Digitalisierung in der Verlagsbranche ein rauerer Wind weht – und dass wir Autoren uns mit unseren Interessen deutlicher positionieren müssen. Ich möchte Missstände beheben, wo ich sie finde. Es ist natürlich möglich, an der Realität zu scheitern. Aber man kann die Dinge nicht dem Selbstlauf überlassen.
Spielend in phantastische Welten: In den letzten Jahren hat sich die Manga-Comic-Con (MCC) verstärkt zum Magneten für Gaming-Fans entwickelt. So gibt es in Halle 1 einen eigenen Games Room, in dem Spiele ausprobiert werden können – im letzten März etwa konnte auf der Convention das Action-Abenteuer A.O.T. 2 (Koei Tecmo) bereits vor der offiziellen Veröffentlichung gespielt werden.
Die nächste MCC findet vom 21. bis 24. März 2019 im Rahmen der Leipziger Buchmesse statt.