Autor: Nils Kahlefendt

Podcast-Host: Katja Gasser, künstlerische Leiterin des österreichischen Gastlandprojekts (c) Ingo Pertramer

Leben und Schreiben
20. Dezember 2022
Intelligent und unterhaltsam: Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ mit Katja Gasser verkürzt die Zeit bis zum Gastlandauftritts Österreichs im Frühjahr.
Autor: Nils Kahlefendt

Podcast-Host: Katja Gasser, künstlerische Leiterin des österreichischen Gastlandprojekts (c) Ingo Pertramer

Leben und Schreiben
20. Dezember 2022
Intelligent und unterhaltsam: Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ mit Katja Gasser verkürzt die Zeit bis zum Gastlandauftritts Österreichs im Frühjahr.

In der täglich größer werdenden wundersamen Welt der Podcasts wird viel geredet. Die Halbwertzeit des großen Palavers ist oft recht kurz. Wenn sich Katja Gasser in ihrem Podcast den Luxus erlaubt, abseits des Tagesgeschäfts mit österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern über das Leben und das Schreiben zu sprechen, und darüber, wie beides zusammenwirkt, scheint sie intuitiv einem Diktum zu folgen: Wieso allgemein bleiben, wenn es auch persönlich geht? Was das bedeutet, kann man als Hörer etwa in Folge Zwei erfahren, die nicht lange nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit der österreichisch-ukrainischen Autorin und Tanja Maljartschuk aufgezeichnet wurde. 

Zu diesem Zeitpunkt war die Bachmannpreisträgerin des Jahres 2018 in ungezählten Interviews wider Willen zur Erklärerin der Ukraine und zur Kommentatorin der schrecklichen Ereignisse im Land ihrer Herkunft geworden. Als Gasser Maljartschuk auf ihre „tollen Haare“ anspricht, bricht es aus der Autorin heraus: „Ich habe gestern erst verstanden, dass der Frühling angekommen ist, überall blühen die Bäume und zwitschern die Vögel. Ich habe das alles übersehen! Ich bin noch immer im Februar 2022, fühle mich wie gefesselt – dieser Krieg hat aus mir ein Monster gemacht.“ Auf diesen Moment angesprochen, in dem beide Frauen kurz davor zu stehen scheinen, in Tränen auszubrechen, sagt Gasser, dass sie sich Teile dieses intensiven Dialogs „für immer“ merken wird. „Ich habe in jeder Episode etwas gelernt, etwas erfahren, was ich bis dahin nicht gewusst habe.“ Es soll „um etwas gehen“, das ist Gassers Anspruch, für den Podcast und fürs Gastland-Programm insgesamt: „Wir möchten eine gute Mischung zwischen einer ‚humanistischen Heiterkeit’ und einem ‚sehr ernst gemeinten Ernst’ finden.“  

Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ ist Teil des Gastlandauftritts Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023. Seit März 2022 erscheinen die Folgen zweiwöchentlich, mit Ausnahme einer kleinen Sommerpause. Bis zum April 2023 will Gasser möglichst viele Autorinnen und Autoren vorstellen – alle werden beim Gastlandauftritt dabei sein. Bei der Auswahl ihrer Gesprächspartner*innen wägt die Kuratorin beständig ab; sie möchte ein möglichst „polyperspektivisches Bild“ zeichnen und dabei berühmte Namen und Newcomer gleichermaßen berücksichtigen. 

Meaoiswiamia: Der Schriftsteller Josef Winkler ist Gasser Gast in Folge Acht (c)Marlene Nemeth

Katja Gasser spricht mit ihren Gästen über grundlegende Fragen des Mensch-Seins, des Schreibens, des Lesens. „In diesem Podcast“, sagt sie, „dreht sich letztlich alles um das Leben selbst.“ Und schiebt nach: „Es gibt ja keine Literatur jenseits der Welt, jenseits des Menschen.“ Spricht man länger mit Gasser, wird klar, dass solche Sätze nicht leichthin dahingesagt sind, weil sie gut klingen. Sie sind Resultat einer langen Karriere im TV-Literaturressort des Österreichischen Rundfunks (ORF). „Ich habe immer hart um die Relevanz von Literatur im Fernsehen kämpfen müssen“, erklärt Gasser. „Literatur ist keine elitäre Angelegenheit, keine Minderheiten-Veranstaltung, und sie prägt mein Leben sehr zentral!“ Genau das will sie auch im Podcast zeigen – ohne einer Simplifizierung des literarischen das Wort zu reden. Sich selbst nimmt sie dabei nicht besonders wichtig. Es geht ihr um den Transport einer Grundhaltung. „Ich möchte nicht, dass man Literatur in eine Ecke schiebt, die nur dann bewässert wird, wenn alle anderen schon Wasser gehabt haben.“ 

In den einzelnen Folgen überlässt sich Gasser den Dynamiken der Unterhaltung; sie hört zu, fragt nach, lässt sich überraschen – Tugenden, die in Kulturgesprächen nicht durchgängig verbreitet sind. Sie ist freier als im stärker durchformatierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Einige dramaturgische Elemente wiederholen sich – etwa der Beginn der ersten Folgen, in denen die Moderatorin versucht, einen gemeinsam erlebten Moment mit ihrem jeweiligen Gast in Erinnerung zu rufen. Originell auch die Bitte an die Gäste, einen Gegenstand mitzubringen, ohne den ihr Alltag nicht denkbar wäre. In den ersten Folgen wird hier erstaunlich oft Technik ausgepackt: Doron Rabinovici hat seinen Laptop dabei, Teresa Präauer ihre Kopfhörer („Ich bin eine richtige Radiosüchtlerin“), Reinhard Kaiser-Mühlecker das Ladegerät seines Smartphones, das für ihn, via Internet, die Verbindung zur Welt sicherstellt. Die letzte Stufe des Gesprächs ist die Rubrik „Meyers Fragen“; Gasser ist Fan des des Schweizer Schriftstellers Thomas Meyer, der es in der Kunst des erkenntnisbringenden, kommunikationsfördernden Fragestellens zu einiger Meisterschaft gebracht hat. Seit letztem Herbst greift Gasser, quasi als Eisbrecher zu Beginn des Gesprächs, auf den berühmten Proust-Fragenkatalog zurück, den Zeitschriften wie Vanity Fair in den USA und das FAZ-Magazin in Deutschland populär gemacht haben. „Wie würdest du deine aktuelle Geistesverfassung beschreiben“, fragt Gasser etwa den Autoren Paul Ferstl, der schlagfertig antwortet: „Unzurechnungsfähig-zuverlässig.“ 

Der Podcast ist für Katja Gasser, ähnlich wie die von ihr erfundene Porträt-Reihe Archive des Schreibens, ein mediales „Herzensprojekt“. Während sie als Kuratorin des Gastlandauftritts zur temporären Kultur-Managerin mit hundert Debatten und gefühlt tausend Telefonaten im Monat geworden ist, wollte sie auch eine Wiese beackern, die sie inhaltlich ausfüllt und zugleich das Projekt prägt. In den „Literaturgesprächen“ geht es um die großen und kleinen Fragen des Lebens, um die Freude an der Literatur und das große Glück des Lesens. Sehr frei zitiert Gasser den großen Sprachkünstler Ernst Jandl, wenn sie sagt: „Das sein kein Scheißn Podcast!“ Wie recht sie hat.      

Beitrag teilen


Die „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ sind Teil des Gastlandauftritts Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023 (27. bis 30. April).  Die Literaturkritikerin Katja Gasser erlaubt sich in diesem Podcast den Luxus, abseits des Tagesgeschäfts mit österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern Gespräche über das Leben und das Schreiben zu führen – und darüber, wie beides zusammenwirkt. Zu hören sind die zweiwöchentlich erscheinenden „Literaturgespräche“ auf Plattformen wie Podigee, Spotify oder Deezer.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Literarisches Leben Slider

„Gute Bücher übersetzen ist leicht!“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (4): 2018 ging der Preis in der Sparte Übersetzung an Sabine Stöhr und Jurij Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadans Roman „Internat“. Inzwischen hat der Ukrainer, der lange mit Worten und Musik für die Sache seines Landes gekämpft hat, zur Waffe gegriffen.

Slider Wir

Back to the Roots 

Von der klassischen ‚PK’ bis ‚unter drei’: Der Thüringer Felix Wisotzki, Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, organisiert die Kommunikation des Branchen-Großereignisses. Mit der Arbeit fürs Buch ist der studierte Amerikanist zu einer frühen Leidenschaft zurückgekehrt

Leipzig liest Slider

Fest des freien Wortes 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 4: Mit Leipzig liest swingte eine ganze Stadt vier Tage lang im Takt der Literatur. Die heißgeliebte fünfte Jahreszeit – sie war zurück!

Literarisches Leben Slider

Fortüne & Phantasie 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen Independent-Verlage für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. In Leipzig kommen auch die Kleinen groß raus

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Leipzig liest

Liebeserklärung

Mucksmäuschenstill: Die Leipziger hören Sätze, die Martin Walser noch gar nicht als besondere Sätze entdeckt hat

Leipzig liest

Leipzig leuchtet

Seit 28 Jahren gehören Buchmesse und "Leipzig liest" zusammen. Aber wie, bitte, hat diese Erfolgsgeschichte begonnen?