Autor: Jochen Jung

Bildquelle: Maria Mrazek

Leipzig liest – ich auch
29. Dezember 2015
Dass Leipzig liest, weiß eh jeder, und ich, quod erit demonstrandum, auch
Autor: Jochen Jung

Bildquelle: Maria Mrazek

Leipzig liest – ich auch
29. Dezember 2015
Dass Leipzig liest, weiß eh jeder, und ich, quod erit demonstrandum, auch

Dass Leipzig liest, weiß eh jeder, und ich, quod erit demonstrandum, auch. Und noch etwas weiß jeder, ich auch, ich hab es nur nicht ernst genommen: Dass nämlich, wenn der Messetag vorüber ist, der schlechteste Moment ist, um in die Straßenbahn Richtung Stadt zu steigen. Dann ist die nämlich wie zur Rushhour in Tokio. Ich tat es trotzdem und hatte das unverdiente Glück, in dem Totalgedrängel noch einen Klappsitz zu erwischen. Auf dem saß ich also, die Tüte mit Büchern und Prospekten zwischen den Knien und direkt vor mir eine sehr schöne Frau, die mit dem Herrn, der neben mir saß, sich sehr lebendig in einer Sprache unterhielt, die ich absolut nicht erkennen konnte. Eine Weile ergötzte ich mich an dem Rätselraten und dem Klang, dann zog ich einen Gedichtband aus der Tüte, den mir am Nachmittag ein befreundeter Verleger in die Hand gedrückt hatte. Ich fing an zu lesen (s. o.). Es dauerte nicht lange, da beugte sich die Schöne über meinen Scheitel und sagte: „Da lesen sie aber gerade ein sehr schönes Buch.“ Und ich: „Ehe Sie mir das erklären, verraten Sie mir bitte, in welcher Sprache ihr beide geredet habt.“ „Albanisch“, sagte sie, und jetzt wusste ich auch (das erklär ich ein andermal), woher sie das Buch kannte. Bis zum Hauptbahnhof unterhielten wir uns über das Wunder des Gedichts, wie viel Kunst und Welt und Leser-Ich da auf knappstem Raum zueinander finden. Wir merkten das eigene Glück am Anderen, und Schöneres kann es kaum geben.

Jochen Jung, geboren 1942 in Frankfurt/Main, aufgewachsen in Eckernförde an der Ostsee, war lange Jahre Lektor und Geschäftsführer des Residenz Verlags in Salzburg. Im Jahr 2000 gründete er dort den eigenen Verlag Jung und Jung.

Beitrag teilen

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

International Slider

„Es geht immer ums Vollenden“ 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: Unter dem Motto „meaoiswiamia“ feierte Österreich die Vielfalt seiner Literatur. Insgesamt kamen rund 200 Autorinnen und Autoren aus Österreich zu mehr als 110 Veranstaltungen auf dem Messegelände und in der Stadt.

Leipzig liest Slider

Endlich! Wieder! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die erste Gewandhaus-Eröffnung seit vier Jahren wurde mit überschäumender Freude gefeiert – überschattet vom Angriffskrieg auf die Ukraine. Aufmerksamkeitsdusche, reloaded.

Wir

„Kein Schreibtisch-Job“ 

Bitte nicht alle auf einmal: Als Referent für die Tageskassenkoordination kümmert sich Tom Geißler darum, dass wir Besucher möglichst reibungslos zu unseren Tickets und aufs Messegelände kommen. Das ist alles andere als trivial

International

Leben und Schreiben

Intelligent und unterhaltsam: Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ mit Katja Gasser verkürzt die Zeit bis zum Gastlandauftritts Österreichs im Frühjahr.

Wir

Ideen Raum geben 

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Als Teamleiter bei der Leipziger Messe-Tochter FAIRNET kümmert sich Christian Merkel darum, tolle Ideen auf die Straße zu bringen.

Wir

Brücke zum Osten

März-Splitter (1): Statt Messe-Eröffnung feierte Leipzig die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung

Leipzig liest Slider

Geteiltes Glück 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 2: Dinçer Güçyeter hat so etwas wie den Roman der Stunde geschrieben – und wird mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Belletristik-Kategorie ausgezeichnet. „Unser Deutschlandmärchen“ blickt auf deutsche und europäische Verhältnisse, lässt die Worte zum Himmel fliegen, spart aber gleichzeitig die Demütigungen am Boden nicht aus.