Wiederholt sind die wortgewaltigen Phantasmen von Mircea Cărtărescu für den Nobelpreis vorgeschlagen worden; für seine „Orbitor“-Trilogie erhielt er 2015 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Innerhalb von zehn Jahren hat er das 1.800-Seiten-Werk geschrieben. Sein neuer Großroman „Solenoid“, der 2019 in der Übersetzung Ernest Wichners auf Deutsch erscheinen wird, ist bislang – höchst erfolgreich – in Spanien und Katalonien herausgekommen und wurde in zehn Sprachen verkauft. An einem sonnigen Bukarester Januarmorgen trifft sich Cărtărescu in einer Filiale der Buchhandlung Humanitas zum Gespräch mit seinem deutschen Übersetzer.
Durchs Schaufenster fällt unser Blick auf den Boulevard Regina Elisabeta – und auf jede Menge marode Jugendstil-Fassaden, einige mit großen „Zu verkaufen!“-Transparenten. Für den Schriftsteller ist der Boulevard ein magischer Ort: „In meiner Kindheit kam ich hierher, um ins Kino zu gehen – das war der Kino-Boulevard, allein in dieser Straße gab es um die 20 Kinos. Wir gingen hinein, um uns die nackten Brüste der Stuckdamen im dämmrigen Kinosaal anzuschauen. So etwas konnte man sonst nicht sehen, weil die Kommunisten so prüde waren.“ Cărtărescu hat sich der Kino-Boulevard mit seinem blätternden Jugendstil-Charme tief eingeprägt: „Es war der Anfang meines Wegs in die Welt.“