Autor: Ruth Justen

Gedanken zu europäischen Werten
13. März 2018
Von Jón Gnarr, Margarete Stokowski und Kateryna Mishchenko vom Europa21-Programm
Autor: Ruth Justen

Gedanken zu europäischen Werten
13. März 2018
Von Jón Gnarr, Margarete Stokowski und Kateryna Mishchenko vom Europa21-Programm

Vom 15. bis 18. März öffnen die Leipziger Buchmesse und die Robert Bosch Stiftung GmbH zum dritten Mal mit dem Programmschwerpunkt Europa21 den Denk-Raum für die Gesellschaft von morgen. Sind wir wirklich die Besten? Unter dieser Überschrift lädt der diesjährige Kurator Mohamed Amjahid internationale Gäste aus Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Medien ein, über die europäische Vergangenheit zu reflektieren, über Gegenwart zu streiten und Ideen für die Zukunft des Kontinents zu entwickeln. Aus diesem Anlass haben wir drei Teilnehmer des diesjährigen Europa21- Programmschwerpunktes zu ihren Gedanken zu den europäischen Werten befragt:

Heilige Menschenrechte

„Die Menschenrechte, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Redefreiheit und Frieden sind nach meiner Meinung die zentralen europäischen Werte. Sie sind ein wichtiger Teil der isländischen Kultur. Mir persönlich sind die Menschenrechte heilig und damit unverzichtbar. Unser Ziel sollte es außerdem sein, den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen. Gewalt muss die Ausnahme bleiben“, meint der isländische Schauspieler, Komiker und Autor Jón Gnarr. Im Jahr 2010 wurde er zum Bürgermeister von Reykjavík gewählt und bestimmte danach vier Jahre die Geschicke der isländischen Hauptstadt. Er setzt sich für Menschenrechte in Island, Europa und weltweit ein.

Nationale Herausforderungen und grenzüberschreitende Lösungen

„Ich finde selbst den Begriff ‚europäische Werte‘ zu abstrakt oder sogar inflationär. Dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität etc. einzig mögliche Grundsätze des Zusammenlebens nach dem 2. Weltkrieg sein müssen, ist nicht zu bezweifeln. Wichtig ist, dass diese Prinzipien realisiert und nicht zur Abgrenzung von anderen instrumentalisiert werden. Wenn wir diese Grundsätze als europäisch bezeichnen, was heißt das? Sind sie für die EU exklusiv und gelten außerhalb nicht mehr, oder möchte Europa als Botschafter diese Werte mit allen teilen und somit auch eigene Grenzen maximal erweitern? Es ist meines Erachtens heute wichtig, ‚europäische Werte‘ im Sinne ihrer Funktion und Realisierung zu befragen. In der Ukraine, wie in ganz Europa, gibt es ambivalente Stimmungen. Rechtspopulismus, Nationalismus und Isolationismus spielen gegen Offenheit und Integration aus. Die Rechtsstaatlichkeit bleibt dabei utopisch. Die Herausforderungen sind also spezifisch und national geprägt, die Lösung – für die Ukraine und Europa – muss aber gemeinsam und grenzüberschreitend sein“, sagt die Autorin, Kuratorin und Verlegerin Kateryna Mishchenko. Sie ist Co-Autorin des Buches „Ukrainische Nacht“, ihre Essays erschienen in Sammelbänden über den Euromaidan im Suhrkamp Verlag.

Bedrohte Werte

„Für mich sind Menschrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung und Solidarität, Frieden und Anti-Faschismus gemeinsame europäische Werte. Diese Werte sind theoretisch mehrheitsfähig ja, aber auch bedroht, sowohl in Polen als auch in Deutschland. In Polen wird der Rechtsstaat auseinandergenommen, die Unabhängigkeit von Justiz und Medien ist nicht mehr gesichert, nationalistische und rechtsextreme Einstellungen sind weit verbreitet, Frauen müssen um Grundrechte kämpfen, es ist extrem beunruhigend. In Deutschland ist die Lage anders, auch weil die Regierung nicht rechts ist wie in Polen, aber anti-demokratische und minderheitenfeindliche Entwicklungen gibt es hier auch und sie zeigen, dass jeder einzelne der oben genannten Werte weiterhin verteidigt werden muss. Die Werte an sich sind nicht verhandelbar. Die Frage ist, wie man sie umsetzt. Natürlich erklärt sich ein Begriff wie Solidarität oder Gleichberechtigung nicht von selbst; es ist nicht unbedingt klar, was sich daraus konkret ergibt, und auch so grundlegende Dinge wie Meinungsfreiheit oder Pressefreiheit sind erklärungsbedürftig und werden immer wieder missverstanden oder instrumentalisiert. Ich würde, statt in ‚unverzichtbar‘ und ‚verhandelbar‘ zu unterscheiden, eher noch einen Wert hinzufügen: Verantwortung – in Anbetracht der Geschichte, die gezeigt hat, was passiert, wenn Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht gesichert sind“, so Margarete Stokowski. Sie schreibt seit 2009 als freie Autorin unter anderem für die taz und das Missy Magazine. Seit 2015 erscheint ihre wöchentliche Kolumne „Oben und unten“ bei Spiegel Online.

Besucher der Leipziger Buchmesse können den sechs Podiumsgesprächen auf dem Leipziger Messegelände im Café Europa folgen oder sich Freitagabend aktiv am Europaduell im Zeitgeschichtlichen Forum beteiligen. Erstmals betritt eine Künstlergruppe den Denk-Raum für die Gesellschaft von morgen. Various & Gould überraschen Leipziger und die Gäste in ihrer Stadt und auf dem Messegelände mit der Plakatreihe Identikits und laden zur Reflexion über Identität und Klischees ein.

Fotos: Jón Gnarr Copyright Gassi, Kateryna Mishchenko Copyright Oleksandra Shelesnova, Margarte Stokowski Copyright Esra Rotthoff

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