Eine Autostunde von Salzburg, im oberösterreichischen Ohlsdorf, kaufte Thomas Bernhard 1965 einen Vierkanthof, sein erstes Haus. Dabei ging es ihm nicht um Repräsentation oder gesellschaftliches Leben. Der Schriftsteller hatte plötzlich die Möglichkeit der Rückkehr zu Wurzeln, die es eigentlich nie gab, die aber erträumt waren: „Mein Wunsch war schon immer gewesen“, so Bernhard, „ein Haus für mich allein zu haben und wenn schon kein richtiges Haus, so doch Mauern um mich herum, in welchen ich tun und lassen kann, was ich will, in welchen ich mich einsperren kann“.
Legendär das Telefonat mit seinem Verleger: „Ich forderte von Unseld 40.000 Mark. Angeblich hatte Unseld zu diesem Zeitpunkt, wie seine Frau mir 19 Jahre später versicherte, 40 Grad Fieber gehabt. Ich forderte also damals, wie ich heute denke, für jeden Fiebergrad des Verlegers tausend Mark. Nach diesem Geschäft, das mich im Höchstmaß befriedigte und das zur Rettung meines Ohlsdorfer Narrenhauses notwendig war, fuhr ich nach Gießen, um einen Vortrag zu halten, und dachte die ganze Zeit, dass gute Geschäfte machen wenigstens so schön ist wie Schreiben.“
Wenn der Besuch Glück hat, führt Peter Fabjan, Bernhards Halbbruder und Ehrenpräsident der Thomas-Bernhard-Gesellschaft, über knarzende und schwindelerregend steile Stiegen durchs Haus und beantwortet geduldig auch noch die letzte Frage. Bis auf die, ob der erklärte Bernhard-Fan Michel Houellebecq bei seinem Besuch im Sommer 2019 eine rustikale Jacke des Dichters im Trachten-Stil als Devotionalie mitgenommen hat? Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gab Fabjan 2021 jedenfalls zu Protokoll: „Seine Freude, an diesem Ort zu sein, hat sich unter anderem darin gezeigt, dass er eine Jacke anprobiert hat und, da sie ihm so perfekt passte, nicht mehr zurückgegeben hat, was toleriert wurde. Kein Entwenden!“
„Mein Hof verbirgt, was ich tue“, schrieb Bernhard im Dezember 1965 für „Die Presse“ in Wien: „Ich habe ihn zugemauert, ich habe mich eingemauert. Mit Recht. Mein Hof schützt mich. Ist er mir unerträglich, laufe ich, fahre ich weg, denn die Welt steht mir offen.“ Zu sehen ist heute in Ohlsdorf eine Art Privatkosmos der Täuschungen – als ob Bernhard ein Landadeliger gewesen wäre, ein Waidmann oder ein Maßschuh-Fetischist. Was sollen die Batterien von Spirituosen, die Rauchwaren-Reservoire für den Nichtraucher, die Gewehre für den Nichtschützen ohne Waffenschein? In der Garderobe Gummistiefel, Holzpantinen, rahmengenähte Halbschuhe, trachtengrüne Loden, jede Menge Gürtel und Hosenträger, Seidenkrawatten und raffinierte Harris-Tweeds. Am Traktor, vom Hausherrn nur alle Jubeljahre bestiegen, ist eine Plakette befestigt: Thomas Bernhard, Bauer zu Nathal.
A-4694 Ohlsdorf, Obernathal 2, thomasbernhardhausnathal@hotmail.com
Öffnungszeiten: Im Juni, Juli, August, September Sa., So. und Feiertag von 14 – 18 Uhr; April, Mai und Oktober nach Vereinbarung.
Lesetipps:
Peter Fabjan: Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard. Ein Rapport. Suhrkamp, Berlin 2021. 195 Seiten, 24 Euro.
André Heller (Hrsg.): Thomas Bernhard: Hab & Gut. Das Refugium des Dichters. Brandstätter, Wien 2019. 175 Seiten, 35 Euro.
Karl Ignatz Hennetmair: Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972. Residenz, Wien und Salzburg 2014. 592 Seiten, 35 Euro.