Autor: Nils Kahlefendt

Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. (Ingeborg Bachmann, Böhmen liegt am Meer, 1964)

Ahoj Leipzig!
14. August 2018
Tschechien, Gastland der Leipziger Buchmesse 2019. Heute: Über die Sehnsucht nach Meer und einen Trabi auf vier Füßen
Autor: Nils Kahlefendt

Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. (Ingeborg Bachmann, Böhmen liegt am Meer, 1964)

Ahoj Leipzig!
14. August 2018
Tschechien, Gastland der Leipziger Buchmesse 2019. Heute: Über die Sehnsucht nach Meer und einen Trabi auf vier Füßen

Ahoj! Der Schlagersänger Karel Gott ruft es seinen Fans zu, der fast ebenso berühmte kleine Maulwurf von Zdeněk Miler führt es im Munde und, na klar, von Spejbl und Hurvínek kennen wir’s auch. Das Wörtchen ist nicht so lax wie „Hi!“, weniger förmlich als „Guten Tag“, eigentlich entspricht es ziemlich genau dem deutschen „Hallo“. Erklärungen, warum das maritime Signalwort gerade im Binnenland Tschechien zum allgegenwärtigen Gruß werden konnte, gibt es, Achtung Kalauer, wie Sand am Meer: Manche sagen, tschechoslowakische Seeleute hätten ihn in den 1930er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus Hamburg mitgebracht. Nach einer anderen Theorie geht die Verbreitung auf tschechische Jugendliche und Studenten zurück, die in den 1920er Jahren in einer Art Wasser-Wandervogelbewegung das Kanufahren auf südmährischen und böhmischen Flüssen popularisierten. Am Ende ist der Gruß, wie die auf Shakespeares „Wintermärchen“ zurückgehende Formel von „Böhmen am Meer“, wohl die trotzig behauptete, melancholisch grundierte Projektionsfläche eines utopischen Idealzustandes, wie er in Ingeborg Bachmanns Gedicht oder in Texten von Franz Fühmann und Hans Magnus Enzensberger bis Volker Braun auch durch die deutschsprachige Literatur geistert. „Das Meer ist unser dauerhafter Sehnsuchtsort“, sagt Ilja Šmíd, Kulturminister der Tschechischen Republik. „Und es ist ein Ort, zu dem wir Tschechen immer wieder gerne aufbrechen, natürlich mit Büchern in der Hand – so dass es in Tschechien stattdessen ein ‚Meer an Büchern‘ gibt.“

Fast folgerichtig also, dass der tschechische Gastlandauftritt bei der Leipziger Buchmesse 2019 unter dem Motto „Ahoj Leipzig!“ steht. Die vier Tage im kommenden März sind der Höhepunkt eines ganzen Kulturjahrs, das vom tschechischen Kulturministerium (Prag) und der Mährischen Landesbibliothek (Brno) mit zahlreichen Kooperationspartnern vom Herbst 2018 bis zum Herbst 2019 organisiert. Natürlich steht die breite Präsentation neuer tschechischer Bücher und ihrer deutschen Übersetzungen im Mittelpunkt. Mehr als 50 Autorinnen und Autoren werden im kommenden Jahr nach Leipzig reisen – neben hierzulande bereits etablierten Schriftstellern wie dem jüngst mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichneten Jaroslav Rudiš, werden auch spannende Comiczeichner wie Jaromír Švejdík (Jaromír 99) oder hochinteressante Stimmen der jüngeren tschechischen Literatur wie die 1970 in Prag geborene Bianca Bellová in Leipzig erwartet. „Viele dieser Autoren werden im nächsten Jahr Neuerscheinungen in deutscher Sprache präsentieren können“, erklärt Martin Krafl, Projektkoordinator des Gastlandauftritts. „Ihre Werke geben einen profunden Einblick in die aktuelle tschechische Gesellschaft und repräsentieren alle Bereiche der literarischen Szene.“ Zu erleben sind sie am Tschechischen Stand in Halle 4, an einer Kinder- und Jugendliteratur-Ausstellung in Halle 2, in der Tschechien Lounge der Glashalle und an zahlreichen „Leipzig liest“-Orten. Bereits am Dienstag vor der Messe wird im Leipziger Literaturhaus Pavel Kohout erwartet. Der 1928 geborene Autor gilt als einer der Wortführer des „Prager Frühlings“ und ist Mitverfasser der „Charta 77“. Anlässlich von Kohouts Besuchs plant das Literaturhaus eine Ausstellung zu Leben und Werk. Weil die Programm-Macher nicht allein auf die Kraft der Literatur setzen, sondern darüber hinaus an die Synergie-Effekte anderer Kunst-Sparten glauben, wird es im Rahmen des Kulturjahrs auch Konzerte, Foto- und Designausstellungen, Filmprogramme und ein Opern-Gastspiel geben.

Die Leipziger Stadtbibliothek etwa wartet mit Porträts zeitgenössischer tschechischer Literaten auf, die der Ausnahmefotograf Karel Cudlín über Jahre hinweg geschossen hat. Cudlín, 1960 im Prager Arbeiterstadtteil Žižkov geboren, zählt zu den Großen der tschechischen Fotografie. Bekannt geworden ist er mit Reportagen über die Zeit der Samtenen Revolution und mit seinen eindrucksvollen Reportagen über die Ukraine und Israel. In den 1990er Jahren begleitete er für einige Zeit den Präsidenten Václav Havel als offizieller Fotograf. Deutschen Leserinnen und Lesern sind Cudlíns Schwarz-Weiss-Fotografien aus Tschechien, Polen der der Kaukasusregion aus dem Band „Unterwegs in den Osten“ (Starfruit 2011) bekannt; die Aufnahmen sprechen von der Herrschaft des Kommunismus, von archaischen Landschaften, von Armut und Not – aber auch von gesellschaftlichen Veränderungen und Reservaten der Menschlichkeit. In der Tschechien Lounge wird die Plastik „Quo vadis“ des Prager Künstlers David Cerny (*1967) zu sehen sein – jener berühmte Trabi auf vier massiven „Elefantenbeinen“, der an die Hunderte von DDR-Zweitaktern erinnert, die Ausreisewillige im Spätsommer 1989 in der Umgebung der bundesdeutschen Botschaft in Prag zurückließen. Das Original von Cernys Kunstwerk steht übrigens in Leipzig – in der Sammlung des Zeitgeschichtlichen Forums.

http://www.ahojleipzig2019.de/de

Fotos: CzechLit (Bianca Bellova), Adam Novak (Jan Novak), Jana Plavec (Petr Borkovec), David Konečný (Tereza Semotamová), Ondřej Trhoň (Vratislav Maňák), privat (Jaroslav Rudiš, Karel Cudlín).

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