Mit bösen Überraschungen von Brexit bis Trump war 2016 das Jahr der politischen Erdbeben, und auch 2017 lässt uns kaum zu Atem kommen. Für den unerwarteten Ausgang des Referendums in Großbritannien und der US-Wahl haben im Wesentlichen die Älteren gesorgt. Wer sich jedoch in Klassenzimmern und auf Pausenhöfen umhört, wird feststellen, dass Politik für die oft als unpolitisch gescholtene Jugend ebenso Thema ist wie für die meisten Erwachsenen. Junge Menschen wollen nicht nur mitreden, sondern gehört und ernst genommen werden, sie sind, wie zuletzt die Ergebnisse des Kinderreports 2017 des Deutschen Kinderhilfswerks nahelegen, demokratisch eingestellt und engagiert. Allerdings steht es mit dem Vertrauen der Jugendlichen in die Strukturen, in Parlamente und Parteien, nicht zum Besten. Für Politiker wie Öczan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, wäre die Kluft schon durch eine Absenkung des Wahlalters zu verringern. Denn, davon ist er überzeugt: „Junge Menschen sollen wissen, dass ihre Stimme zählt.“ Auch guter Politik-Unterricht in der Schule könnte gegen Verführungen von „alternativen Fakten“ und Populismus helfen – er muss aber auch stattfinden. Die schulische Erziehung zur Demokratie hat in der Bundesrepublik wegen der Erfahrungen der Nazidiktatur Verfassungsrang, gilt jedoch in der Praxis unter Bildungsexperten als „randständig“. Das vergleichsweise junge Fach Politik heißt in jedem Bundesland, in jeder Schulform anders, oft wird es mit anderen Fächern kombiniert. Mehr Lehrer müssten fortgebildet, neue Kräfte eingestellt, die gesellschaftlichen Fächer generell gestärkt werden. Letztlich gelingen kann politische Bildung jedoch nur, wenn alle Akteure – Eltern, Schule und Politik – an einem Strang ziehen und attraktive Angebote machen.
Aufsuchende Bildungsarbeit heißt auch: Ab ins Netz!
Auch die 1952 gegründete, heute mit Medienzentren in Bonn und Berlin vertretene Bundeszentrale für politische Bildung ist angetreten, das Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, demokratisches Bewusstsein zu festigen und zu politischer Mitarbeit anzuregen. In Zeiten, da die Grundfesten unseres Wertesystems erschüttert werden, scheint dies dringender geboten denn je – gerade mit Blick auf Kinder und Jugendliche. Thomas Krüger, seit 2000 Präsident der bpb, spürt in einer „repolitisierten Gesellschaft“ denn auch Rückenwind für die eigene Arbeit: 2017 verfügt die Bundeszentrale über den höchsten Sachmitteletat seit ihrer Gründung. Doch Geld ist beileibe nicht alles. Wenn sich Austausch, Orientierung und Urteilsbildung mehr und mehr in Online-Communities verlagern, heißt „aufsuchende“ politische Bildungsarbeit für Krüger auch, sich selbst ins Netz aufzumachen und die neuen Rezeptionsgewohnheiten der Kids und Teens zu bedienen. Der Präsenz in den Sozialen Medien, auf Youtube, Facebook & Co., schenkt man große Beachtung. Allerdings weiß Krüger auch, dass der erhoffte Bildungseffekt „nicht unbedingt durch das perfekt inszenierte und faktenbeladene Video“ eintritt – spannender geht es häufig weiter unten, im Kommentarbereich, zu, wo gestritten, hinterfragt, kontrovers diskutiert wird. Durchaus mit harten Bandagen. Als „Bildungsräume“ möchte der bpb-Präsident die Sozialen Medien nutzen, statt als reine „Verlautbarungsplattformen“.
Zusammenarbeit mit Digital Natives
Wie das aussehen kann, zeigten die letzten Wochen vor der Bundestagswahl im September. Um netzaffine Erst- und Jungwähler zu erreichen, kooperierte die bpb in Webvideo-Formaten wie #erstewahl2017 mit gestandenen Youtuberinnen und Youtubern. Die Digital Natives genießen das Vertrauen ihres jugendlichen Publikums und kommunizieren auf Augenhöhe. So traf der Aktivist und Moderator Raúl Kraushaar für die Social-Web-Reportage re:sponsive auf einer Reise quer durch Deutschland mit jungen Leuten von der Straße, aber auch mit prominenten Köpfen wie Sascha Lobo oder dem Youtuber Mr. Wissen2Go zusammen. Im Web-Format Space Cabin nahm das Comedy-Duo Rick Garrido und Steve Schuto („Space Frogs“) das heiße Wahlkampftheater zum Anlass, um in diversen Rollen und mit anarchischen Humor die politischen Positionen auf den Prüfstand zu stellen.
Formate für die junge Zielgruppe
Wie wichtig Aktualität und schnelle Reaktionszeiten sind, zeigte sich auch im Herbst 2015 beim Umgang mit den Themen Flucht und Asyl. Damals gelang es der bpb rasch, Angebote für Geflüchtete sowie haupt- und ehrenamtliche Helfer zu entwickeln. Allerdings kann politische Bildung nicht immer nur Feuerwehr spielen, wenn Populisten Wahlerfolge einfahren oder Terroranschläge ein ganzes Land erschüttern. Demokratische Werte müssen von Grund auf aufgebaut werden; sie funktioniert nur kontinuierlich. Bezogen auf die junge Zielgruppe verfolgt die bpb ihre Arbeit mit einem breiten Spektrum von Print- und Digital-Publikationen, Workshops, Seminaren und Kongressen sowie den Inhalten des eigenen Online-Portals. Unter den Themen, zu denen dort Dossiers und Materialsammlungen hinterlegt sind, nimmt die Medienpädagogik einen prominenten Platz ein. Eine ständig erweiterte Medienkompetenz-Datenbank klärt etwa über die Essentials der modernen Medienlandschaft auf, es gibt Specials zu aktuell brennenden Themen wie „Hate-Speech“ oder „Fake-News“; Online-Leitfäden in einfacher Sprache erleichtern digitalen Newcomern die ersten Schritte. fluter, das exzellent gestaltete Jugendmagazin der bpb, erscheint gratis vier Mal im Jahr als Print-Zeitschrift und, mit monatlich wechselnden Schwerpunkten, im Netz. Was geht? ist eine Publikationsreihe, die speziell für die Arbeit mit Jugendlichen, etwa an Hauptschulen oder in der offenen Jugendarbeit, entwickelt wurde.
Von Hass-Hasen und Bimus
Die Comic-Welt von HanisauLand entführt Kinder ab acht Jahren in Büchern, auf einer Website und – ganz neu – einer App für iOS und Android spielerisch in die Welt der Politik: Erste Kanzlerin dieser jungen Republik ist die Nilodame Bärbel Breitfuß, im Außenamt wirkt Egon Eber. Ihre Politik der ruhigen Hand wird nur hin und wieder durch lernunwillige Bimus (Bildungsmuffel) oder die noch übleren rechtsradikalen Hass-Hasen gestört.
Big Data – erklärt für Kids
Im von versierten Pädagogen moderierten Land der Hasen, Nilpferde und Wildsauen lässt sich sicher surfen – während im richtigen Leben jeder Mausklick, jeder Schritt und jeder Pulsschlag dokumentierbar geworden ist. Die Entwicklung hin zur digitalen Gesellschaft ist zugleich eine der größten Aufgaben für politische Bildungsarbeit. Ist es möglich, Kinder für die Hintergründe von Big Data-Technologien und die Notwendigkeit von Datenschutz zu sensibilisieren? Nötig ist es sicher, denn das Einstiegsalter in die digitale Welt sinkt rapide; heute besitzen bereits Grundschüler ihr erstes Smartphone. Auch hier sind neue, innovative Kommunikations- und Bildungsformate gefragt. Die bpb arbeitet daran: Gerade entsteht online ein großer Lern- und Erlebnisparcours zur „Digitalen Welt“. Die bpb lässt Konzepte und Materialien entwickeln, mit denen auch Kita-Kindern und ABC-Schützen eigentlich abstrakte Themen wie personelle Selbstbestimmung oder das Wirken der Algorithmen nahegebracht werden können: Geduldig, spielerisch, gern auch analog. Anlässlich der Bonner Gespräche zur politischen Bildung am 2./3. März 2018, zwei Wochen vor der Leipziger Buchmesse, soll der Parcours erstmals vorgestellt werden.
Neue Kooperation mit der Leipziger Buchmesse
„Wir brauchen Wissensallianzen, um die Grenzen der bisherigen Erforschung der Praxis politischer Bildung zu überschreiten“, ist sich Thomas Krüger sicher. „Erkenntnisse aus der Sozial-, Jugend- und Marktforschung, Denkmodelle aus angrenzenden Bildungsbereichen, aus Sozial- und Kulturarbeit können die politische Bildung befruchten.“ Ein langer Weg, für den, so darf man hinzusetzen, auch die Leipziger Buchmesse, längst führende Bildungsveranstaltung in den neuen Bundesländern, ein ausgezeichneter Ort ist. Eine junge, eine Entdeckermesse – das will Leipzig nicht nur auf literarischem Terrain sein.