Autor: Nils Kahlefendt

Vom Architekten zum Schriftsteller und Verleger: Jürgen Lagger (c) Luftschacht

Vom Text zum Bild
17. März 2023
Gebrauchsanweisung für Österreich, Gast der Leipziger Buchmesse 2023, Folge 5: Der Wiener Luftschaft Verlag hat feine Belletristik, Graphic Novels und kunstvolle Kinderbücher im Programm – nun wird er 20. Ein Gespräch mit Verleger Jürgen Lagger
Autor: Nils Kahlefendt

Vom Architekten zum Schriftsteller und Verleger: Jürgen Lagger (c) Luftschacht

Vom Text zum Bild
17. März 2023
Gebrauchsanweisung für Österreich, Gast der Leipziger Buchmesse 2023, Folge 5: Der Wiener Luftschaft Verlag hat feine Belletristik, Graphic Novels und kunstvolle Kinderbücher im Programm – nun wird er 20. Ein Gespräch mit Verleger Jürgen Lagger

Auf dem Papier wurde der Luftschacht Verlag schon 2001 gegründet… 

Jürgen Lagger: Ich habe eigentlich Architektur studiert und von 1987 an als freier Mitarbeiter in Architekturbüros gearbeitet. Im Zuge des eigenen literarischen Schreibens habe ich Stefan Buchberger und Gabriel Vollmann kennengelernt, die damals Lesungen veranstaltet und den Verlag gegründet haben. Wir freundeten uns an – und beschlossen, den damals nur als „Karteileiche“ bestehenden Verlag endlich zu beleben.

Das war 2003, nachts, in Ihrer Küche. Erinnern Sie die ‚Urszene’ noch?

Lagger: Nicht wirklich, wir hatten schon ein paar Bier. Aber das erste Buch war ein schmales Paperback im Digitaldruck, Auflage 300 Exemplare. Wir haben das auf Lesungen selbst vertickt, es gab keinerlei Vertriebsstruktur. Ich musste sehr viel lernen. Anfangs habe ich parallel weiter als Architekt gearbeitet; irgendwann habe ich den Sprung gewagt und meine Erwerbstätigkeit ganz auf den Verlag hingelenkt. 

Was war die wichtigste Entscheidung in 20 Jahren Luftschacht? Die Geschichte eines Verlags ist ja keine Aneinanderreihung von Zufällen, oder?

Lagger: Der vielleicht folgenreichste Entschluss fiel um 2008 – da haben wir uns entschlossen, neben Belletristik auch Graphic Novels und Comics zu machen. Etwas, wofür es in Österreich noch keinen Verlag gab. Wir wurden von Sebastian Broskwa angesprochen, der mit seinem Vertrieb Pictopia nebst angeschlossener Buchhandlung als die Comic-Instanz der Republik gilt. Seastian hat die Kontakte hergestellt – aus diesem Pool haben wir am Anfang unsere Zeichner bezogen. Man braucht noch nicht mal zu gendern, weil es wirklich ausschließlich Männer waren. Inzwischen sind mit Regina Hofer oder Michaela Konrad auch tolle Zeichnerinnen dazugekommen. 

Der Comic hat Luftschacht dann seine dritte Programm-Säule beschert?

Lagger: Genau, das aufwändig gestaltete Bilderbuch. Inzwischen sind wir für viele Zeichnerinnen und Zeichner so etwas wie ein sicherer Hafen jenseits des schnelldrehenden Lesefutters geworden. Und ich finde es auch für mich schön, dass ich so unterschiedliche Kunstformen im Verlag habe – die jeweils eine ganz spezifische Beschäftigung erfordern. 

Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Buchhandel?

Lagger: Wir haben uns sowohl bei Leser:innen wie auch bei Buchhändler:innen ein Stammpublikum erarbeitet, das auf die leicht abseitigen Dinge steht, die wir machen. Andere sehen Probleme, das zu vermitteln, was ich ein bisschen schade finde. Auch wenn unser Programm nicht dem Mainstream hinterherläuft, ist es doch nichts, was einen abschrecken müsste – im Gegenteil! Natürlich sind die Erwartungen immer höher, als es der Markt dann einlöst. Aber man kriegt die Leute schon! 

Können Sie uns ein Lieblingsbuch nennen, das Ihnen über die Zeit besonders ans Herz gewachsen ist? 

Lagger: Ich habe all meine Kinder lieb! (lacht) Worauf ich stolz bin, sind die Bücher von Dennis Cooper, die wir im Programm haben. 

Und der heuer passender Weise 70 wird. Sie bringen „Ich wünschte“ von Dennis Cooper als Spitzentitel…   

Lagger: In den 1990er Jahren gab es Ãœbersetzungen von ihm im Wiener Passagen Verlag. Die habe ich zufällig in einer Grabbelkiste entdeckt – und war völlig hingerissen. Als ich später noch mehr von ihm lesen wollte, merkte ich: Es gibt keine Ãœbersetzungen mehr! Ich habe angefangen zu recherchieren, mit diversen Agenturen gesprochen – irgendwann hat’s dann geklappt. Im April kommt mit „Ich wünschte“ das vierte Buch, das wir von ihm bringen. Das freut mich sehr – nicht zuletzt, weil Cooper für meine eigene Lesebiografie enorm wichtig war. 

Sie haben dafür ein Nachwort von Clemens J. Setz ergattert?

Lagger: Der Clemens ist ein absoluter Cooper-Fanboy! Noch ärger als ich! Der kennt wirklich alles. Und liest dazu alles, was Cooper empfiehlt. 

Haben Sie Visionen für die nächsten 20 Luftschacht-Jahre?

Lagger: Vom Lebensalter her gerechnet könnte es knapp werden (lacht), aber: Nein, eigentlich nicht. Im Kern möchte ich weitermachen wie bisher. Wen sich der Verlag auf diesem Level weiterentwickelt, bin ich sehr zufrieden. Nur manchmal denke ich: Vielleicht hätte ich zehn Jahre früher anfangen sollen?  

Luftschacht auf der Leipziger Buchmesse: Halle 4, Stand E 109 

Books & Beers: Neue Bücher und das aktuelle Programm stellen die beiden unabhängigen Verlage Luftschacht aus Wien und Parasitenpresse aus Köln zum ersten Mal gemeinsam vor. Es lesen Jelena Jeremejewa (Berlin), Adrian Kasnitz (Köln), Greta Lauer (Wien), Thomas Podhostnik (Leipzig), UroÅ¡ Prah (Wien) und Alexander Rudolfi (Hannover). Durch den Abend führen die Verleger Adrian Kasnitz und Jürgen Lagger. 28. April, 20 Uhr, Schaubühne Lindenfels Westflügel, Eintritt frei. 

Beitrag teilen


„Um ein Land kennenzulernen, gibt es viele Wege“, schreibt Karl-Markus Gauß zum Gastlandprojekt Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023. Der „Königinnenweg“ ist laut Gauß: die Literatur. Bis zum Beginn der Leipziger Buchmesse (27. – 30. April) nehmen wir den in Salzburg lebenden Autor beim Wort – und bringen Ihnen in loser Folge das Literaturland Österreich nahe.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Literarisches Leben Slider

„Gute Bücher übersetzen ist leicht!“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (4): 2018 ging der Preis in der Sparte Übersetzung an Sabine Stöhr und Jurij Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadans Roman „Internat“. Inzwischen hat der Ukrainer, der lange mit Worten und Musik für die Sache seines Landes gekämpft hat, zur Waffe gegriffen.

Slider Wir

Back to the Roots 

Von der klassischen ‚PK’ bis ‚unter drei’: Der Thüringer Felix Wisotzki, Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, organisiert die Kommunikation des Branchen-Großereignisses. Mit der Arbeit fürs Buch ist der studierte Amerikanist zu einer frühen Leidenschaft zurückgekehrt

Leipzig liest Slider

Fest des freien Wortes 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 4: Mit Leipzig liest swingte eine ganze Stadt vier Tage lang im Takt der Literatur. Die heißgeliebte fünfte Jahreszeit – sie war zurück!

Literarisches Leben Slider

Fortüne & Phantasie 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen Independent-Verlage für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. In Leipzig kommen auch die Kleinen groß raus

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

International

Geheimnis und Wunder

Rumäniens Botschafter Emil Hurezeanu über Kultur-Transfer in schwierigen Zeiten – und die Leipziger Straße in Bukarest

Wir

Brücke zum Osten

März-Splitter (1): Statt Messe-Eröffnung feierte Leipzig die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung