Egal, wen Daniel Schade ins Ost-Passage Theater (OPT) einlädt: Wer zum ersten Mal unter der riesigen Gewölbedecke des Gründerzeitgebäudes in der Konradstraße 27 steht, ist sprachlos – und begeistert. 1909 als Markthalle errichtet, wurde der Bau 1912, in der ersten Kino-Boom-Zeit, zum Lichtspieltheater umgewidmet. Eine Weile war es das zweitgrößte Kino der Stadt. Vor seiner Schließung war es im Leipziger Osten als Lichtschauspielhaus („Lichtscher“) bekannt. 1962 war, wegen bautechnischer Mängel und fehlender Sanierungskapazitäten, Schluss – das Haus fiel in einen Dornröschenschlaf und bröselte mehr und mehr auseinander. 2008/09 wurde das Baudenkmal wachgeküsst, die Außenfassade nach denkmalpflegerischen Standards saniert. Aldi Nord hieß der Prinz, der das Gebäude im ursprünglichen Sinn nutzen wollte. Fortan wurde es durch eine Zwischendecke geteilt: Unten eine Aldi-Filiale, oben das alte Tonnengewölbe, ein optisches Juwel – aber ungenutzt. Und hier kommen Daniel und seine Freunde ins Spiel.
Daniel Schade, im OPT heute für künstlerische Prozesse, die Öffentlichkeitsarbeit und Administration verantwortlich, ist in Wittenberg aufgewachsen. In Leipzig studierte er Philosophie, Soziologie und Theaterwissenschaften und produzierte schon während seines Studiums mit der freien Theater-Kompanie gruppe tag. Nach seinem Magister-Abschluss war er unter anderem für den Verein Notenspur tätig, am Geyserhaus arbeitete er als Produktionsleiter mit einem Arbeitslosentheater. „Eine bunte Truppe, 25 U-25 Arbeitslose, ‚Arbeitslose gibt es nicht’ hieß unser wichtigstes Stück.“ Aus den Vernetzungen in die freie Szene der Stadt und den nicht selten prekären Produktionsbedingungen entwickelte sich der Wunsch nach einem eigenen Haus: „Wollen wir nicht unser eigenes Theater aufmachen?“ Im Leipziger Osten schienen dafür am ehesten noch Freiräume zu existieren. Irgendwann entdeckten die Theater-Direktoren in spe dann das vor sich hinträumende Tonnengewölbe überm Aldi in der Konradstraße. „Wir haben uns sofort verliebt“, sagt Daniel Schade.
2011 konnte man den damaligen Eigentümer für eine Nutzung der oberen Etage als Nachbarschaftsbühne begeistern. Bis zur feierlichen Eröffnung brauchte es allerdings noch einen Eigentümerwechsel und fast sieben weitere Jahre. 2017 bekam der gemeinnützige Ost-Passage Theater e. V. einen Mietvertrag. „Dann haben wir mit gefühlten 5000 Ehrenamtsstunden und einer Reihe von Fachfirmen den Umbau gewuppt.“ Am 9. März 2018 konnte die Eröffnung des OPT gefeiert werden. Die Bandbereite des Programms, das von einem harten Kern von 14 Leuten und vielen Ehrenamtlichen getragen wird, reicht von Theater, Musik und Kino bis zu Lesungen, Diskussionen und Workshops. Gerade die Arbeit mit Kindern- und Jugendlichen wird großgeschrieben. „Aus unseren Projekten wissen wir, dass man migrantische Milieus am besten über die Kinder aufschließt.“ So gibt es am Haus etwa eine offene Mädchen-Theaterwerkstatt, die letztes Jahr Shakespeares „Sommernachtstraum“ auf die Bretter gebracht hat.
Die Literatur steht, seien wir ehrlich, nicht im absoluten Zentrum der Arbeit des OPT. Für Daniel Schade wird sie jedoch immer wichtiger. „Letztlich ist Text ein ganz wichtiger Grundbaustein für Theater.“ Sehr gut funktionieren erwartungsgemäß die Kooperationen mit Lesebühnen wie den Anemonen; auch mit Orinoco, einem Hybrid aus Buchhandlung, Antiquariat und Bibliothek für fremdsprachige Bücher in der Mariannenstraße arbeitet man im Multikulti-Kiez gern zusammen. Highlights im Jahr sind die Veranstaltungen des Literarischen Herbsts – die Show Beste erste Bücher mit den Debüts der Saison genießt nach fünf Jahren schon Klassiker-Status. Das gilt natürlich auch für Leipzig liest. „Nach unserer Eröffnung Anfang März 2018 wollten wir natürlich beim Lesefestival groß einsteigen“, erinnert sich Daniel Schade. „Und es passte! Alle waren begeistert, das Leipzig liest-Team schlägt uns seitdem immer sehr tolle Autorinnen und Autoren vor. Für uns sind die Abende inhaltlich und wirtschaftlich attraktiv.“ In diesem Jahr ist etwa Toxische Pommes („Ein schönes Ausländerkind“) oder Karen Köhler mit ihrem ersten Kinderbuch („Himmelwärts“) dabei, legendär ist der Messe-Salon der Edition Outbird aus Gera, die auch viele Leipziger Szene-Größen im Programm haben.
Das OPT ist in sehr kurzer Zeit zu einem enorm wichtigen Kultur-Ort im wilden Leipziger Osten geworden. „Wir haben das Haus mit null Geld aufgebaut“, sagt Schade, „inzwischen wirtschaften wir mit einem Haushalt von annähernd 400.000 Euro.“ An die emotionale Berg-und-Tal-Fahrt muss der Kultur-Aktivist heute noch denken: „Im Februar 2020 sind wir in die institutionelle Förderung aufgenommen worden, gleich danach kamen die Lockdowns.“ Corona war für den Kulturbetrieb aber auch eine Chance, in Technik zu investieren. Und digitale Formate wie kulturrelevant, der regelmäßige Radio-Talk des OPT zur Lage der Kultur in Leipzig, ist auch nach mehr als 70 (!) Sendungen noch hoch relevant. Folgerichtig, dass das OPT mit seinem shabby chick nun die Location für die Leipzig liest Pressekonferenz abgibt. „Wir haben ein bisschen Lampenfieber“, sagt Daniel Schade und zwinkert uns zum Abschied zu. „Wird schon schiefgehen!“
Die Vorab-Pressekonferenz zur Leipziger Buchmesse 2024 findet am Donnerstag, 22. Februar 2024, 11:00 Uhr im Ost-Passage Theater, Konradstraße 27, statt.
Die Pressekonferenz wird zudem auf www.leipziger-buchmesse.de gestreamt.