„Wir und sie“ lautet das Motto im dritten Jahr des Buchmesseschwerpunkts „Common Ground. Literatur aus Südosteuropa“. Ebenso gut hätte er „Wir bleiben dran“ heißen können, sagt Angelika Salvisberg vom Kultur-Netzwerk Traduki, dessen größtes Projekt „Common Grund“ ist. Mit dem auf drei Jahre angelegten Projekt wollten Traduki und die Leipziger Buchmesse ab März 2020 die Schwerpunktregion einem breiteren Publikum näherbringen. Obwohl sich der gestaltete Messe-Stand pandemiebedingt noch nicht in Leipzig materialisiert hat und viele Aktivitäten in den digitalen Raum ausweichen mussten, hat sich „Common Ground“ in Corona-Zeiten mit bewundernswerter Zähigkeit durchgesetzt. Nun haben die Macher ins UT Connewitz eingeladen – seit den Nullerjahren zu Messezeiten so etwas wie ihr erweitertes Wohnzimmer. Dass es hier Mitte März trotz der abgesagten Buchmesse sehr lebendig werden wird, daran ließen Angelika Salvisberg, die slowenische Autorin Nataša Kramberger, der Buchblogger Tino Schlench und Buchmesse-Direktor Oliver Zille keinen Zweifel.
In Zeiten, wo wir erschreckender Weise einen Krieg in Europa erleben, ist es für Buchmesse-Direktor Oliver Zille extrem wichtig, dem „Kriegs-Narrativ einen Verständigungs-Narrativ entgegenzusetzen“. Dass die Leipziger Buchmesse mit ihrer besonderen Geschichte eine geradezu ideale Ost-West-Drehscheibe und „Türöffner“ für den deutschsprachigen Buchmarkt ist, gilt spätestens seit den Länderschwerpunkten ab Mitte der 1990er Jahre (Rumänien: 1998/2018, Bulgarien: 1999, Slowenien: 2007, Kroatien: 2008, Serbien: 2009) als Gemeinplatz. Die „Balkannacht“, die 2008 erstmals das UT Connewitz abheben ließ, gehört in diese Reihe, ebenso der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, mit dem regelmäßig auch Welt-Autor:innen aus der Balkanregion geehrt wurden, denken wir nur an Aleksandar Tišma (1996), Bora Ćosić (2002), Dževad Karahasan (2004) oder Mircea Cărtărescu (2015). „Für uns ist das eine der wesentlichen Linien der Buchmesse“, sagt Oliver Zille, „und diese Verständigungs-Arbeit wird ein Kern unserer Bemühungen bleiben“. Eine Herkulesaufgabe, die nur mit langem Atem und vielen Partnern zu stemmen ist. Genau hier setzt das Literaturnetzwerk Traduki an, das 2008 am Rande der Leipziger Buchmesse gegründet wurde. Kein Wunder, dass „Common Ground“ für Zille so etwas wie ein „Booster unserer Gesamt-Idee“ ist.
Annähernd 30 Autorinnen und Autoren, Verleger und Balkan-Expert:innen sind vom 17. Bis 20. März live im UT Connewitz und online zu erleben. Spannend und ungeplant brandaktuell dürfte bereits die Eröffnung werden: Hier trifft der Autor Norbert Mappes-Niedick („Europas geteilter Himmel. Warum der Westen den Osten nicht versteht“, Ch. Links) auf den Grünen-Politiker Manuel Sarrazin und Ralf Beste, neuer Leiter der Abteilung für Kultur und Kommunikation des Auswärtigen Amts (18. März, 20 Uhr, UT Connewitz). Unter dem provokanten Titel „Die verschissene Zeit“ (Residenz) entführt uns die serbisch-österreichische Autorin Barbi Marković ins Belgrad der Neunziger (20. März, 11 Uhr, UT Connewitz); der bulgarische Star-Autor Georgi Gospodinov stellt mit „Zeitzuflucht“ (Aufbau) seinen neuen Roman vor (20. März, 13 Uhr, UT Connewitz). Online zu erleben ist auch die slowenische Autorin Nataša Kramberger, die aus ihrem autofiktionalen Roman „Verfluchte Misteln“ (Verbrecher Verlag) lesen wird. Die Schriftstellerin und Öko-Landwirtin betreibt im Sommer in Slowenien mit dem Öko-Kunstkollektiv Zelena Centrala einen kleinen biodynamischen Bauernhof, im Winter lebt sie in Berlin, wo sie den slowenisch-deutschen Kulturverein Periskop leitet (19. März, 19 Uhr).
Zu den Transporteuren der Literaturen Südosteuropas, die in Leipzig mitmischen, gehört auch der im brandenburgischen Prenzlau geborene, heute in Wien lebende Buchblogger Tino Schlench. Schlench, der noch im letzten Herbst beim Internationalen Lyrikfestival Meridian Czernowitz in der Ukraine hospitierte, startete 2018 den Instagram-Account Literaturpalast, zu dem inzwischen auch eine eigene Website und der Audiospur-Podcast gehören. In Leipzig wird Schlench zwei Südosteuropäische Lyrikerinnen vorstellen – die Bulgarin Marianna Georgieva und ihren Band „ausweg“ (Edition Korrespondenzen) und die Albanerin Luljeta Lleshanaku mit „Stadt der Äpfel“ (Edition Lyrik Kabinett bei Hanser). Nachzuhören ist das Ganze später dann im „Literaturpalast“ (19. März, 13.30, UT Connewitz). Ausklingen wird „Common Ground“ im dritten Jahr endlich wieder mit der heiß geliebten „Balkannacht“ – den Soundtrack liefert das Trio Pantaloons in einem Mix aus elektronischer Tanzmusik und einem Hauch von Jazz, Funk, Breakbeat und Dubstep. Verständigung, die ins Bein geht. Wetten, dass das eine lange Nacht wird?