Autor: Nils Kahlefendt

Auch James Joyce wurde schon "verwurstet", wie Mahler es nennt (c)Suhrkamp

„Wer alles liest, hat nichts begriffen“
20. Februar 2023
Gebrauchsanweisung für Österreich, Gast der Leipziger Buchmesse 2023, Folge 3: Nicolas Mahler, Meister der Verknappung, balanciert virtuos zwischen Comic und Hochkultur
Autor: Nils Kahlefendt

Auch James Joyce wurde schon "verwurstet", wie Mahler es nennt (c)Suhrkamp

„Wer alles liest, hat nichts begriffen“
20. Februar 2023
Gebrauchsanweisung für Österreich, Gast der Leipziger Buchmesse 2023, Folge 3: Nicolas Mahler, Meister der Verknappung, balanciert virtuos zwischen Comic und Hochkultur

Nicolas Mahler polarisiert: Für die einen ist der 1969 in Wien geborene Zeichner ein Spaßvogel, für andere ein verkappter Tragiker. Und was, bitte, ist von einem zu halten, der dickleibige Weltliteratur-Wälzer zu handlichen Bildgeschichten eindampft? Gemessen an der Zahl der Preise, die er eingeheimst hat, ziemlich viel: Mahler, der gern selbst mit dicker Brille und Gurkennase durch seine Strips geistert, ist einer der profiliertesten und produktivsten Comic-Künstler im deutschsprachigen Raum. 

Mahlers neuester Streich erscheint pünktlich zur Buchmesse (c) Reprodukt

Früher wurde Nicolas Mahler häufig gefragt, ob das, was er macht, Kunst sei? Mitfühlende Geister schlossen dann meist ein „Können Sie davon leben?“ an. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht: Der Mahler-Stil, einst als Krakelei abgetan, gilt als unverwechselbar in der grafischen Reduktion. Seine Figuren haben weder Ohren noch Münder, aber zweifellos Charakter. Neben den fast 50 Buchveröffentlichungen, die seit den späten 90er Jahren entstanden sind, experimentiert der Zeichner auch mit anderen Medien – offenbar ein Tausendsassa. 

Bernhard und kein Ende… (c) Suhrkamp

Einem größeren Publikum wurde Mahler durch Comic-Adaption von Thomas Bernhard oder Robert Musil im Suhrkamp Verlag bekannt. So destillierte er aus Musils 1700-Seiten-Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ einen 150-Seiten-Strip. Ein Sakrileg für Germanisten. Auch die Bearbeitung von Bernhards Theaterstück „Der Weltverbesserer“ ist längst Kult: Ein Mann in seinem hohen Sessel, eine Frau – das war’s auch schon. Doch Mahler bebildert nicht einfach, sondern interpretiert mit seiner Darstellung neu.

(c) Suhrkamp

Literarische Comic-Erzählungen mit Suhrkamp-Gütesiegel – ist das noch zu toppen? Dem schlitzohrigen Wiener gelang es: Mit seinem schlicht „Gedichte“ betitelten Band schaffte er es in die Insel-Bücherei. Die bibliophile Buchreihe gilt als Hort der Hochkultur. Mahler weiß, dass die Aufnahme hier eigentlich Klassiker-Status verbürgt – und spielt damit. „Also, ich bin ja ganz gern blöd. Und a Blödsinn funktioniert natürlich am besten in einem total seriösen Mantel.“

Ohne Mahler ist eine Reise nach Salzburg möglich, aber sinnlos (c) Residenz

Ohne Mahlers kongeniale Annäherung an „Thomas Bernhards Salzburg“ (Residenz 2022) ist eine Reise an die Salzach zwar möglich, aber sinnlos. Neun Blätter zieren die Wände der neuen Dauerausstellung im Salzburg Museum Neue Residenz. Mahlers Adaptionen von Texten der österreichischen Literatur-Prominenz von Musil bis Jelinek zeigt eine Ausstellung, die im März im Literaturhaus Leipzig zu sehen ist und dort zur Buchmesse Finissage feiert („Ah! Thomas Bernhard. Den kenn ich. – Schreibt der jetzt für Sie?“, Eröffnung: 9. März, Laudatio Andreas Platthaus).

Ist das Kunst – oder kann das weg? (c) Reprodukt

Mit „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“, einer Sammlung autobiografischer Bildgeschichten, lässt uns Mahler an den oft grotesken Missverständnissen teilhaben, die aus dem Zusammenprall von Literaturbetrieb und Comic erwachsen. Franz Kafka und Rolf Kauka, der legendäre „Fix und Foxi“-Erfinder, haben offensichtlich mehr gemein, als mancher sich träumen lässt. Dass Germanisten und bornierte Kritiker ihr Fett abbekommen, versteht sich von selbst. „Wer alles liest, hat nichts begriffen“, schreibt ihnen Nicolas Mahler, frei nach Bernhard, ins Stammbuch. Ist ein Roman, nur weil er mehr Zeilen zur Verfügung hat, wertvoller als ein Comic? Umgekehrt ist es richtig, meint Nicolas Mahler: „Die Verknappung ist aussagekräftiger als das große Ganze!“ 

(c) Reprodukt

Nicolas Mahler, geboren 1969, lebt und arbeitet als Comic-Zeichner und Illustrator in Wien. Seine Comics und Cartoons erscheinen in Zeitungen und Magazinen wie Die Zeit, NZZ am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und in der Titanic. Für sein umfangreiches Werk wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet; unter anderem erhielt er 2010 den Max-und Moritz-Preis als »Bester deutschsprachiger Comic-Künstler« und 2015 den Preis der Literaturhäuser.

www.mahlermuseum.at.  

Beitrag teilen


„Um ein Land kennenzulernen, gibt es viele Wege“, schreibt Karl-Markus Gauß zum Gastlandprojekt Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023. Der „Königinnenweg“ ist laut Gauß: die Literatur. Bis zum Beginn der Leipziger Buchmesse (27. – 30. April) nehmen wir den in Salzburg lebenden Autor beim Wort – und bringen Ihnen in loser Folge das Literaturland Österreich nahe.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Literarisches Leben

„Die Welle reiten“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (2): Mit ihrem in einem Indie-Verlag erschienenen Roman „Schäfchen im Trockenen“ gilt Anke Stelling 2019 als Außenseiterin – und gewinnt!

Comic & Manga Slider

Straße der Besten

Zur Jubiläums-MCC im März 2024 löst die New Artist Alley die bisherige Gemeinschaftspräsentation MCC Kreativ ab. Im Interview sprechen Kerstin Krämer und Sassette Scheinhuber über Hintergründe – und wesentliche Neuerungen.

Bildung Slider

Leseförderung per Podcast

Die Initiative „Bücheralarm“ erlaubt es Kindern und Jugendlichen, die Welt der Bücher aktiv für sich zu erobern. Mit dem „Bücheralarm Award“, der im März in Leipzig erstmals verliehen wird, geht Initiatorin Lena Stenz nun den nächsten Schritt.

Leipzig liest Slider

Vom Buch auf die Bühne

Für seine ausgefallenen Locations ist „Leipzig liest“ berühmt. Hier stellen wir in loser Folge einige der spannendsten vor. Heute: Christoph Awe und die Cammerspiele Leipzig im Connewitzer Werk 2.

Leipzig liest Slider

Zeltplatz Mitte 

Für seine ausgefallenen Locations ist „Leipzig liest“ berühmt. Hier stellen wir in loser Folge einige der spannendsten vor. Heute: Rando Steinbach und der Outdoor-Spezialist tapir im Herzen der City.

International Slider

„Alles außer flach!“

Vorglühen: Margot Dijkgraaf und Bettina Baltschev, die Kuratorinnen des Gastlandprogramms Niederlande & Flandern 2024, über Themen, Formate und erste Namen eines großen Auftritts

International Slider

„Es geht immer ums Vollenden“ 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: Unter dem Motto „meaoiswiamia“ feierte Österreich die Vielfalt seiner Literatur. Insgesamt kamen rund 200 Autorinnen und Autoren aus Österreich zu mehr als 110 Veranstaltungen auf dem Messegelände und in der Stadt.

Leipzig liest Slider

Endlich! Wieder! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die erste Gewandhaus-Eröffnung seit vier Jahren wurde mit überschäumender Freude gefeiert – überschattet vom Angriffskrieg auf die Ukraine. Aufmerksamkeitsdusche, reloaded.

Wir

„Kein Schreibtisch-Job“ 

Bitte nicht alle auf einmal: Als Referent für die Tageskassenkoordination kümmert sich Tom Geißler darum, dass wir Besucher möglichst reibungslos zu unseren Tickets und aufs Messegelände kommen. Das ist alles andere als trivial

International

Leben und Schreiben

Intelligent und unterhaltsam: Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ mit Katja Gasser verkürzt die Zeit bis zum Gastlandauftritts Österreichs im Frühjahr.

Wir

Ideen Raum geben 

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Als Teamleiter bei der Leipziger Messe-Tochter FAIRNET kümmert sich Christian Merkel darum, tolle Ideen auf die Straße zu bringen.

Wir

Brücke zum Osten

März-Splitter (1): Statt Messe-Eröffnung feierte Leipzig die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung