Inzwischen ist es unglaubliche 25 Jahre her, dass im Bonner Weidle Verlag mit „Napoleon. Spiegel des Antichrist“ von Teixeira de Pascoaes (1877 – 1952) die erste Übersetzung aus dem Portugiesischen erschien. Kein Geringerer als Albert Vigoleis Thelen (1903 – 1989), ein vom Verlegerpaar Stefan und Barbara Weidle hoch geschätzter Autor, hatte das Werk des portugiesischen Mystikers und Visionärs auf Mallorca kennengelernt. „Thelen wurde der Übersetzer von Pascoaes, später sein Freund, in dessen Haus er von 1939 bis 1947 lebte“, weiß Stefan Weidle. „An der 1940 fertiggestellten Übersetzung arbeiteten die beiden Freunde eng zusammen.“
Vieles kommt dann zusammen: Der Umschlag des Pascoaes-Bandes stammt von Michael Biberstein (1948-2013), einem in Sintra (Portugal) lebenden Künstler, der ebenso wie seine Frau Ana Nobre de Gusmão (*1952), eine der wichtigsten Gegenwartsautorinnen Portugals, mit dem deutschen Verlegerpaar befreundet ist. Von Gusmão erschienen bei Weidle drei erfolgreiche Bücher: „Spiegel der Angst“ (2002), „Die Seherin) und „Die Gefangene von Emily Dickinson“ (2013). „Wenn man angefangen hat, mit einer Sprache zu arbeiten“, sagt Stefan Weidle, „passiert es öfter, dass man Angebote bekommt“. Häufig sind es Übersetzer und Übersetzerinnen, die als Agent in eigener Sache auftreten – so gelangte etwa Rui Zinks „Die Installation der Angst“ (2016) durch die Vermittlung des hier schon porträtierten Michael Kegler ins Weidle-Programm.
Der in Leipzig und Lissabon lebende Übersetzer Markus Sahr war es schließlich, der den Weidles die 1963 in Lourenço Marques, dem heutigen Maputo, geborene Isabela Figueiredo und ihr Buch „Roter Staub“ vorschlug. Die Autorin wuchs mitten in den Kolonialkriegen in enger Nachbarschaft zu den Schwarzen auf, doch als Weiße. Eine Jugend, die früh zu Ende ging: 1975, nach der Nelkenrevolution und Mosambiks Unabhängigkeit, verließ sie Afrika allein und lebte fortan – bis zum Studium – bei Verwandten in der tiefsten portugiesischen Provinz. Ihre Eltern sah sie erst zehn Jahre später wieder, als auch sie aus Afrika zurückgekehrt waren. „Ein Hauptthema im Verlag ist Exil“, sagt Stefan Weidle. „allerdings in einem sehr weit gefassten Sinn. Unsre Heimat ist nicht hier, heißt es in den Wesendonck-Liedern von Wagner. Dazu gehört auch, dass ein Mädchen, das in Mosambik aufwächst, das Land ihrer Kindheit verliert, und in Portugal sehr lange nicht Fuß fasst.“
Der Erinnerungsband „Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit“, der bei seinem Erscheinen in Portugal 2009 einen veritablen Skandal auslöste, wurde von Weidle – mit einem Nachwort von Sophie Sumburane – im Herbst 2019 publiziert und liegt heute bereits in der dritten Auflage vor. Zum Erfolg hierzulande hat zweifellos beigetragen, dass das Buch nicht nur an ein portugiesisches Tabu-Thema rührt – sondern einen universalen Loyalitätskonflikt darstellt: Jenseits von Mosambik und Portugal, von Kolonialherrschaft und Befreiung, schildert die Autorin die Ãœberwindung des Zwiespalts zwischen unbedingter Vaterliebe und der radikalen Ablehnung dessen, wofür der Vater steht, arbeitet der Rezensent der „Süddeutschen Zeitung“ heraus: Es geht darum, „wie eine Tochter das Joch des geliebten Vaters abwirft“.
Ganz anders der von Marianne Gareis kongenial übersetzte Roman „Die Dicke“, der im letzten Frühjahr erschienen ist und mit dem Isabela Figueiredo bereits eine pandemiebedingt kurze Zwischenlandung bei der Leipzig liest extra-Veranstaltung „Portugal liest in Leipzig – Ein Ausblick auf das Gastland 2022“ hatte. Es ist die Geschichte eines hochintellektuellen und durchaus eigenständigen Mädchens, dessen starke Ãœbergewichtigkeit alles überlagert: ihre sozialen Kontakte, ihr Gefühls- und Liebesleben, ihren Wirklichkeitsbezug. Als Erwachsene fasst die Roman-Heldin Maria LuÃsa den Entschluss, ihren Magen operativ verkleinern zu lassen. „Alle in diesem Buch beschriebenen Figuren, Orte und Situationen sind reine Fiktion und pure Realität“, heißt es doppeldeutig im Beipackzettel zu „Die Dicke“ – einem literarisch eigenwilligen, anspruchsvollen, sehr persönlichen Buch, das alles andere als leichte Kost ist.