Frau Ministerin, Angela Merkel gilt als leidenschaftliche Twitterin, und auch Ihr Haus hat fast 1700 Follower. Twittern Sie selbst, beruflich oder privat?
Brunhild Kurth: Ich kenne die technischen Möglichkeiten des Twitterns, sehe aber für meine Arbeit keine direkte Notwendigkeit. Noch immer sind mir die realen Kontakte und Begegnungen mit Menschen und Freunden wichtiger, als diese über eine begrenzte Anzahl von Buchstaben über mein Tun und meine Gefühle zu informieren.
Der Deutsche Lehrertag, der im März 2014 parallel zur Buchmesse stattfand, stand unter dem Motto „Unterricht der Zukunft“. Aktuell kommt die erste internationale Vergleichsstudie zur Medienkompetenz bei Jugendlichen, auch als „Computer-Pisa“ bekannt, zu dem Schluss, dass 30 Prozent der deutschen Achtklässler nur sehr geringe computer- und informationsbezogene Kenntnisse haben. Zugespitzt heißt das: Unsere Schüler sind zwar fit bei Facebook, Twitter & Co., es fehlt ihnen aber an systematischer Medienkompetenz – macht Ihnen das Sorgen?
Kurth: Die Studie sagt leider nichts darüber aus, wie die sächsischen Schüler abschneiden. Aus meiner Sicht wird es in unserer medial geprägten Welt für Kinder und Jugendliche immer wichtiger, sich ganz bewusst und auch kritisch mit Medien und deren Mechanismen auseinandersetzen. Eine umfassende Medienkompetenz zu entwickeln ist dabei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Elternhaus und Schule sowie die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kultur können das nur gemeinsam bewältigen.
Medienkompetenz gehört zu den Schlüsselfähigkeiten der Zukunft. Müssen junge Leute das gezielte Recherchieren von Fakten, die Unterscheidung von Glaubhaftem und Unseriösem, das Strukturieren und Aufbereiten von Informationen nicht ebenso lernen wie Lesen und Schreiben?
Kurth: Genau das ist Ziel schulischer Medienbildung.Es handelt sich dabei um einen dauerhaften, pädagogisch strukturierten und begleiteten Prozess. Die Schüler sollen sich konstruktiv und kritisch mit der Medienwelt auseinandersetzen. Dazu gehört auch, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, sich verantwortungsvoll in der virtuellen Welt zu bewegen, die Wechselwirkung zwischen virtueller und materieller Welt begreifen und neben den Chancen auch die Risiken und Gefahren zu erkennen. Zeitgemäße Bildung in der Schule ist nicht ohne Medienbildung denkbar; sie ist als wichtiger Beitrag zu Lernprozessen zu sehen, die aus Wissen und Können, Anwenden und Gestalten sowie Reflektieren, Bewerten, Planen und Handeln erwachsen.
Kinder, denen das Smartphone heute buchstäblich in die Wiege gelegt wird, haben einen natürlichen, gleichsam generationsbedingten Wissensvorsprung gegenüber ihren Lehrern – die im europäischen Vergleich eher zu den Ältesten gehören. Ein Problem?
Kurth: Überhaupt nicht. Den generationsbedingten Wissensvorsprung gab es immer – und es wird ihn weiterhin geben. Das ist in allen Ländern so. Trotzdem schauen wir nicht tatenlos zu, sondern unterstützen unsere älteren Kollegen, in dem wir Ihnen zahlreiche Möglichkeiten der Fortbildung anbieten. Aus Gesprächen mit diesen Kollegen weiß ich, dass das Interesse an Fortbildungen zu neuen technischen Möglichkeiten im Unterricht groß ist. Entsprechende Angebote der Medienpädagogischen Zentren werden zahlreich wahrgenommen.
Einer der Gründe dafür, dass digitale Medien so selten im Unterricht genutzt werden, erklären bisherige Studien mit der eher distanzierten Einstellung der Lehrkräfte; anders als zum Beispiel in skandinavischen Ländern stellt hier nahezu die Hälfte der Pädagogen den Mehrwert des Computer-Einsatzes im Unterricht infrage. ‚Die Kids’, heißt es gern, ‚sitzen eh’ schon lange genug vor dem Bildschirm’. Wie lässt sich diese Skepsis aufbrechen?
Kurth: Wir haben eine völlig gegensätzliche Erfahrung gemacht. Das Interesse der Lehrerschaft an der Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten ist erstaunlich hoch, was diverse lokale und zentrale Fortbildungen immer wieder beweisen. Außerdem wäre ein Lehrer, der sich nicht der Realität anpassen würde, ein schlechter Lehrer und dieses würden ihm auch seine Schüler spiegeln.
Müsste sich aus Ihrer Sicht auch die Lehrplangestaltung ändern? Hierzulande werden Lerninhalte häufig nach Fächern definiert, der Computer kommt also bevorzugt im Informatikunterricht zum Einsatz – dabei ließen sich doch praktisch überall mit digitalen Medien arbeiten, auch im Biologie- oder Chemieunterricht, den Fächern, die Sie einst lehrten?
Kurth: Die Medienbildung ist in den sächsischen Lehrplänen aller Schularten bereits integrativer Bestandteil und wird als Querschnittsaufgabe von Unterricht verstanden. Das ist nicht in allen Bundesländern selbstverständlich. Dennoch ist es auch in Sachsen notwendig, die Lehrkräfte weiterhin in Fragen von Medienkompetenz fortzubilden und zunehmend auch die erste und zweite Phase der Lehrerbildung verstärkt in den Fokus zu nehmen. Bereits jetzt werden über die 13 Medienpädagogischen Zentren fächerspezifische Fortbildungen für alle Schularten angeboten, die den Einsatz digitaler Medien im Unterricht veranschaulichen.
Dass das Schulbuch auf dem Tablet, das Whiteboard als Schultafel längst keine Utopie mehr sind, zeigt nicht zuletzt das sächsische Pilotprojekt „Klassenzimmer der Zukunft“. In einer ersten Projektphase werden 20 Lehrkräfte aus Oberschulen und Gymnasien in Workshops fortgebildet. Ist das, angesichts der mehr als 30.000 Lehrer im Freistaat, nur ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein? Wie geht es weiter?
Kurth: Wir haben uns ganz bewusst für diesen Ansatz entschieden. Dabei waren für uns die Ergebnisse vieler Tablet-Projekte in anderen Bundesländern entscheidend, um nicht deren Fehler zu wiederholen. Ein großes Problem liegt vor allem darin, dass man zuerst die Schulen mit Tablets ausgestattet hat und danach die Lehrer fortbildet. Gerade für den Einsatz von Tablets im Unterricht gibt es zu Beginn viele offene Fragen zu klären. Von der ausreichenden Verfügbarkeit digitaler Schulbücher über Finanzierungs- und Versicherungsfragen bis zu didaktischen Konzepten für den Fachunterricht.Aus diesem Grund haben wir uns für den sächsischen Weg entschieden – und bilden zunächst Lehrkräfte aus unterschiedlichen Fächern aus, die auch die Wirksamkeit von Tablets in ihren jeweiligen Fachgebieten prüfen werden. Parallel dazu erarbeiten Expertenteams Vorschläge für einen landesweiten Einsatz dieser Technik. Die Experten kommen aus dem gesamten Bundesgebiet und sind hervorragende Fachleute auf diesem Gebiet. Ab dem Schuljahr 2015/16 sollen dann gemeinsam mit dem Schulträger ausgewählte Pilotschulen mit Tablets zur Erprobung ausgestattet werden.
Seit Computer, Tablets und Smartphones neben das bedruckte Papier getreten sind, ist die digitale Revolution auch auf der Leipziger Buchmesse mit Händen zu greifen – dennoch hält der Ansturm von Lehrern und Lesernachwuchs ungebrochen an. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Messe?
Kurth: Lesen ist die Schüsselkompetenz für Bildung. Aus diesem Grund ist die Leseförderung auch von herausragender Bedeutung. Leipziger Buchmesse und Bildung gehören deshalb untrennbar zusammen. Das beweisen die zahlreichen ausstellenden Bildungsverlage, die rund 30.000 Lehrer, die jährlich die Buchmesse besuchen sowie die verschiedenen Fachveranstaltungen im Rahmen von Fokus Bildung. Ich wünsche der Leipziger Buchmesse deshalb, dass es ihr weiterhin so hervorragend gelingt, für Literatur zu begeistern und dabei die neuen Medien und das gedruckte Buch gleichermaßen einzubeziehen.