Kreativität und Leidenschaft: Cosplay ist vom Hobby weniger Fans zur weltweiten Community geworden. Für Szene-Kenner Fritjof Eckardt sind die besten Coser echte Künstler.
Herr Eckardt, klären Sie uns auf: Was ist Cosplay?
Fritjof Eckardt: Cosplay („Kostümspiel“) ist ein Kunstwort, das aus den englischen Begriffen „costume“ und „play“ zusammengesetzt ist. Ein Cosplayer stellt einen Charakter aus einem Anime (japanischer Zeichentrickfilm), einem Manga (japanischer Comic), einem Videospiel oder einer japanischen Band dar. Für die meisten Cosplayer ist die Herstellung des Kostüms und der Requisiten sehr wichtig; im Zentrum stehen Auftritte in Wettbewerben, die Dokumentation in Fotos und Videos – und natürlich der Austausch, das Treffen mit Gleichgesinnten
Wie hat sich Cosplay in Deutschland entwickelt?
Eckardt: Während die Manga-Kultur schon 300 Jahre alt ist, kann man Cosplay als Kind der Popkultur bezeichnen. Ab Ende der 1990er Jahre begann der Cosplaytrend, zunächst zögerlich, auch in Deutschland Fuß zu fassen. Den meisten Fans begegnete man damals an den Universitäten, insbesondere unter Informatikstudenten, die Zugang zu schnellem Internet hatten. Neben der Ausstrahlung verschiedenster Anime im deutschen Fernsehen sorgte später auch die rasche Entwicklung des Internets und entsprechender Communities dafür, dass sich Cosplay auch außerhalb Japans zunehmend verbreitete. Die Website www.animexx.de ist mit weit über 100.000 Online-Mitgliedern die größte Manga-Communitie im deutschsprachigen Raum – und auch bei Cosplayern sehr beliebt. Das Internet zeigt den Leuten: Ich bin nicht allein! Und über neue Tools und soziale Netzwerke ist das Phänomen immer größer geworden.
Was war Ihr erster Kontakt mit Cosplay?
Eckardt: Auf einer Veranstaltung in Düsseldorf habe ich zum ersten Mal in Deutschland Live-Cosplayer gesehen. Kurz danach war ich in Japan auf der Comiket, der weltgrößten Dōjinshi-Messe. Mein erstes Kostüm Anfang der Nullerjahre war nach heutigen Maßstäben allerdings äußerst amateurhaft – wir mussten mit Styropor schnitzen, mit Salzteig, Holz und Sekundenkleber haben wir Zauberstäbe und Schilde zusammengebaut. Heute kann man mit thermoplastischen Werkstoffen und 3-D-Druckern arbeiten.
Was hat Cosplay mit Ihnen gemacht, was hat Sie begeistert?
Eckardt: Ich fand die Möglichkeit, in eine andere Rolle hineinzuschlüpfen, jemand komplett anderes zu sein, sehr reizvoll.
Man taucht in andere Welten ein, noch aktiver als beim Lesen?
Eckardt: Man entdeckt sein Interesse für Kreatives. Das reicht von der Gestaltung der oft sehr aufwändigen Kostüme über Fotografie bis zum Webdesign. Vielen Cosplayern gibt ihr Hobby zudem Selbstbewusstsein. Nach den ersten gelungenen Auftritten können sich schüchterne, introvertierte Teenager durchaus in sozial aktive Menschen mit breiter Brust verwandeln – auch im Alltagsleben oder im Beruf. Für manche ist es der Einstieg in eine kreative Laufbahn, etwa als Schneider oder Modedesigner.
Ab einem gewissen Komplexitätsgrad kann Cosplay zu einer eigenen Art von Kunst werden?
Eckardt: Absolut! Es gibt Cosplayer, die in ihrer Präsentation einen enormen Professionalitätsgrad erreicht haben. Wenn man es ernsthaft betreibt, lernt man viele Fähigkeiten, die im heutigen Berufsleben eigentlich vorausgesetzt werden: Wie gehe ich mit Kritik um? Wie vermarkte ich mich online? Wie arbeite ich im Team?
In Leipzig trifft die Buchmesse-Klientel auf ein ausgelassenes, ziemlich buntes Völkchen – für manchen Verleger oder Buchhändler ein Kulturschock. Was würden Sie denen sagen?
Eckardt: Da steht eure Zielgruppe! Die meisten Cosplayer sind ja nicht nur Japan-Fans: Sie lesen Fantasy- und Science-Fiction-Romane, sie lesen Bücher über Reisen in fremde Welten, kaufen Kochbücher oder Krimis. Cosplayer kommen aus allen Schichten der Gesellschaft: Menschen, die arbeiten, lernen, in Urlaub fahren, Familie haben – wer weiß schon, wer sich hinter dem martialischen Schwertkämpfer verbirgt, der einem gerade gegenübersteht? Die Durchlässigkeit zwischen Buchmesse und MCC ist für mich der richtige Ansatz – beide Welten können voneinander profitieren.
Fotos: privat (Fritjof Eckardt), Leipziger Buchmesse