Herr Lenz, passt Brechts Diktum „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns. Vor uns liegen die Mühen der Ebene” auch aufs Thema „Digitalisierung“?
Daniel Lenz: Ganz richtig. Die Verlage haben ihre Hausaufgaben gemacht, um im ersten Schritt Prozesse aufzusetzen, mit denen sie ihre Printprodukte auch digital anbieten. Die E-Book-Produktion ist Routine geworden. Bei den Presseverlagen gibt es seit Jahren Digitalabos. Vielen Angeboten sind aber ganz klar noch Ableitungen von Print und keine genuin digitalen Angebote – es gibt wenige Produkte, die auch die Stärken des Mediums ausnutzen. Diesen, für uns entscheidenden Schritt sind viele Verlage noch nicht gegangen.
Wie schätzen Sie Innovationsgrad und –klima in der Buch- und Medienbranche aktuell ein?
Lenz: Bei den Buchverlagen sehen wir teilweise eine Trägheit bei den Innovationen – vielleicht auch, weil es zwischenzeitlich eine Flaute im E-Book-Geschäft gab. Ihr Motto ist: Print funktioniert noch zu großen Teilen und ist die sichere Bank – und das Digitale ist ein kleines Zusatzgeschäft. Das ist aber der falsche Ansatz.
Warum?
Lenz: Weil diese Haltung heute funktioniert, morgen aber nicht mehr. Die Studie von Börsenverein und GfK zeigt eindeutig, dass es einen massiven Käufer- und Leserschwund gibt, gerade bei jüngeren Menschen, bei denen Print eben nicht mehr so attraktiv ist. Die Zahlen des Pressegrosso sind für Zeitschriftenverlage auch alarmierend. Wenn es nicht gelingt, für diese wegbrechenden Kunden neue Angebote – und das müssen zwingend auch digitale sein – zu schaffen, ist die Verlagsbranche morgen oder spätestens übermorgen eine Krisenbranche. Vor diesem Hintergrund haben wir auch den digital publishing award entworfen…
… als Nachfolger des 2014 gestarteten Deutschen eBook Award. Warum der neue Ansatz?
Vedat Demirdöven: Der Deutsche eBook Award ist zu einer Zeit gegründet worden, als die eBook-Produktion noch nicht bei allen Verlagen Routine war. Wir wollten mit dem Preis best practices hervorheben, um die Verlage zu animieren, schönere, attraktivere digitale Bücher zu entwerfen. Die eBooks von heute sind rein handwerklich meist gut gemacht. Hier sind wenige neue Innovationen zu sehen, vielleicht auch nicht so dringend nötig. Um junge Menschen heute mit Inhalten zu erreichen, sollten Verlage über das Epub- oder Kindle-Format hinausdenken. Ein Wattpad beispielsweise hätte ganz dringend von der Verlagsbranche erfunden werden müssen.
Der Zuschnitt des Preises hat sich stark verändert; die inhaltlichen Kategorien wie Fiction, Nonfiction oder Kinder- und Jugendbuch, wie man sie auch von anderen Designpreisen kennt, wurden aufgelöst. Können Sie uns die Beweggründe erklären?
Demirdöven: Wenn wir über das reine Buchformat hinausdenken, passen nicht mehr die alten, genrebezogenen Kategorien. Wir möchten grundsätzliche digitale Innovationen von Verlagen honorieren – und der Branche so Mut machen, diesen Weg selbstbewusst zu beschreiten. Denn es gibt nach wie vor hervorragende Innovationen von Verlagen.
Der Deutsche eBook Award, so verdienstvoll seine Gründung war, schwächelte zuletzt ein wenig. Ist die Ausweitung der Bandbreite des neuen Preises – nominiert werden können jetzt etwa auch innovative Technologien und Prozesse oder Akteure auch außerhalb der engeren Branchengrenzen – der Königsweg?
Lenz: Das wird sich zeigen. Der Vorteil des neuen Zuschnitts ist sicher, dass wir ein breiteres, womöglich interessanteres Portfolio haben. Der Nachteil ist aber auch, dass das Profil der einzelnen Kategorien unschärfer ist. Wir werden sehen, ob die Balance gelingt.
Der neue Preis wird erstmals zur kommenden Leipziger Buchmesse vergeben – welche Projektionen verknüpfen sich mit dem Umzug von Frankfurt nach Leipzig?
Demirdöven: Wir hatten auf der Frankfurter Buchmesse eine schöne Heimat. Die Anbindung an die Stiftung Buchkunst hat auch für den alten Preis Sinn gemacht – schließlich ging es auch um die digitale Ästhetik. Mit dem neuen Preis wagen wir den Schritt nach Leipzig, aus mehreren Gründen: Ein solcher B2B-Preis droht im Herbst unterzugehen, in Leipzig setzen wir im Frühjahr ein neues Schlaglicht. Hinzu kommt, dass uns die Anbindung an Ehrhardt Heinolds und Holger Ehlings „Zukunft.Verlage: Leipziger Ideenforum für Marketing und Vertrieb“ sehr passend erscheint.
Sie vergeben auch einen Preis in der Kategorie Start-up. Konkurrenz für Neuland 2.0, die Innovationsplattform der Leipziger Buchmesse?
Lenz: Nein. Wir möchten diese Kategorien bedienen, weil es nicht zielführend wäre, einen Innovationspreis auszuloben, bei dem Start-ups als zentrale Motoren der Innovation fehlen. Und es ist keine Floskel, wenn ich sage, dass wir bei dem Preis nicht in Kategorien wie Konkurrenz denken. Wir freuen uns, wenn wir Bewerber dabeihaben, die vielleicht schon woanders angetreten sind – oder in Leipzig weitere Auftritte haben.
Seit kurzen fragen Sie die Jury-Mitglieder des digital publishing awards, welche digitalen Innovationen die Damen und Herren in den letzten zwölf Monaten am meisten beeindruckt haben. Gibt es bei Ihnen persönlich auch einen Favoriten?
Lenz: Ganz grundsätzlich interessieren mich aktuell besonders Projekte, bei denen sich Verlage hin zu Communities wandeln. Das bedeutet ein ganz anderes Selbstverständnis. Es geht nicht mehr primär darum, auf einer kommunikativen Einbahnstraße Informationen zu verkaufen, sondern Kommunikation der Zielgruppe zu ermöglichen und auszubauen – und da sind Informationen nur ein Bestandteil. Erste gute Ansätze gibt es vom Handelsblatt, der Zeit und t3n.
Demirdöven: Ich schaue jetzt bewusst nicht auf einzelne Innovationen, sondern einen grunsätzlichen innovativen Trend. Mich begeistert in letzter Zeit, dass frühere Worthülsen wie „Change“, „Agilität“ und „Transformation“ endlich im konkreten Berufsalltag angekommen sind. Immer mehr Multiplikatoren schaffen es, neue Werte wie Wissen zu teilen, vernetzt zu arbeiten, dem Team Vertrauen zu schenken, zu vermitteln – das ist eine tolle Entwicklung.
https://digital-publishing-award.de
Daniel Lenz ist Co-Herausgeber des digital publishing report, des Magazins zur digitalen Transformation der Medienbranche. Mit seiner Firma ecolot ist er als Journalist, Unternehmensentwickler und Berater für Verlage und Mediendienstleister aktiv. Bis Juli 2017 war der gelernte Journalist als Leiter der Produktentwicklung und stellvertretender Chefredakteur beim Branchenmagazin buchreport beschäftigt.
Vedat Demirdöven, aufgewachsen in Köln und Istanbul, Digital-Experte und Photograph, liebt digitalisierte Medien und innovative Nutzungssituationen dank veredelter Daten und optimierter Prozesse. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch verantwortet er als Projektleiter das Content Management und durfte seit 2010 erfolgreich dazu beitragen, das Portfolio eBook im Verlag zu etablieren. Demirdöven ist Mitgründer des Deutschen eBook Awards, Beiratsmitglied des digital publishing report und im Autorenteam der Initiative morethandigital.
Der digital publishing award wird erstmals im Frühjahr 2019 auf der Leipziger Buchmesse verliehen. Im Fokus stehen Innovationen im Bereich des digitalen Publizierens: herausragende Produkte, Prozesse oder Geschäftsmodelle, mit denen Verlage, aber auch verlagsähnliche Akteure ihre Inhalte publizieren. Verliehen wird der Award von Daniel Lenz und Steffen Meier, den Herausgebern des digital publishing report, sowie dem Digitalexperten Vedat Demirdöven. In der Jury sitzen hochkarätige Digitalexperten aus unterschiedlichen Branchen.
[Donnerstag, 21. März 2019, 17 Uhr, Halle 5, Fachforum 1, E600]