Jede Buchmesse hat für uns etwas von einer Klassenfahrt: Man trifft die Autorinnen und Autoren des Verlags, dazu die geschätzten Kolleginnen und Kollegen. Und immer freut man sich, einander wiederzusehen. Dieses Mal hing allerdings ein Ereignis wie eine dunkle Wolke über uns: die KNV-Pleite. Und so folgte der herzlichen Begrüßung am Dienstag beim Standaufbau sogleich ein sorgenvoller Blick, verbunden mit der Frage: „Und, wie ist es bei euch?“ So gut wie alle Indie-Verlage sind betroffen, der Schock und die Verärgerung saßen immer noch tief. Co-Verleger Leif Greinus hatte vorab dazu einen Text in unserem Blog veröffentlicht, der auf der Messe für viel Gesprächsstoff sorgte. Tenor unter den Kollegen: „Endlich sagt es mal einer.“
Doch die KNV-Insolvenz bestimmte natürlich nicht alles, was auf der Messe bei uns passierte. Für uns besteht der Tag auf dem Messegelände aus zahlreichen Terminen, abends jagt eine Veranstaltung die nächste. Gastland der diesjährigen Messe war Tschechien, und wir hatten zwei Titel dazu im Programm, Tereza Samotamovás Roman „Im Schrank“ (übersetzt von Martina Lisa) und die Graphic Novel „Tschechenkrieg“ von Jan Novák und JaromÃr 99 (übersetzt von Mirko Kraetsch). Beide Titel bekamen vor und während der Messe viel Medien-Aufmerksamkeit, was uns sehr freute.
Donnerstag
Der erste Messetag ist einer der längsten und dichtesten für uns. Tagsüber: Termine mit Veranstaltern, Agenten und Journalisten. Abends, gewisser Maßen als Krönung, unser Verlagsabend im Horns Erben, zu dem wir traditionell unsere aktuellen Titel präsentieren. Dieses Jahr waren das Tereza Semotamovás Roman, Benedikt Feiten mit „So oder so ist das Leben“, unser Leipziger Autor André Herrmann („Platzwechsel“) und das Duo Nora Gomringer mit Philipp Scholz als poetisch-musikalischer Abschluss („Peng Peng Parker“); jeweils etwa 20 Minuten Programm, moderiert von Co-Verlegerin Karina Fenner und mir. Die Atmosphäre im Horns Erben zur Buchmesse ist etwas Besonderes, finde ich: Es ist immer rappelvoll, die Nähe von Bühne und Publikum sorgt für Intimität und Stimmung, dazu das rustikale Ambiente dieser alten Weinstube einer ehemaligen lokalen Schnapsbrennerei.
Aber das Horns Erben war nur ein Programmpunkt von mehreren an diesem Abend: Parallel fand die Buchpremiere von „Tschechenkrieg“ in der Galerie KUB statt, wir mussten uns also aufteilen:
Kollege Björn Reinemer fuhr von der Messe in die Galerie, Leif nahm am Indie-Dinner im Chinabrenner teil. Und Karina musste den Verlagsabend zur Halbzeit verlassen, um mit Benedikt Feiten zu dessen Auftritt bei der Langen Leipziger Lesenacht L³ in der Moritzbastei zu fahren.
Ein langer Abend, nach einem langen ersten Tag – aber man wird auch dafür belohnt: Im Anschluss an die Lesung im Horns Erben kamen einige Gäste zu mir und bedankten sich für den inspirierenden Abend.
Später ging es dann gemeinsam wie jedes Jahr zur Tropen Party im Café der GfZK, wo es zwar immer viel zu eng und zu voll ist, aber man eben doch auch wirklich alle und jeden trifft. Die Stimmung changiert zwischen ausgelassen und euphorisch. Da man nimmt das Gedränge gern in Kauf, um links und rechts zu grüßen, zu reden und zu tanzen, den Tag mit Kollegen ausklingen lassen, die man viel zu selten sieht.
Freitag
Wieder ein Tag mit Terminen im Halbstundentakt. Was mir sicher in Erinnerung bleiben wird: Eine Diskussionsveranstaltung zu unserem Erzählband „Leben“ von Oleg Senzow im Forum Leipzig liest weltoffen, die ich moderieren durfte. Die beiden Ãœbersetzerinnen Claudia Dathe und Christiane Körner sprachen über den unschuldig in einem russischen Arbeitslager am Polarkreis einsitzenden ukrainischen Regisseur und Autor. Aber es blieb nicht bei Senzow allein, auch die Situation in der Ukraine wurde von beiden sehr anschaulich dargestellt. Eine Veranstaltung, aus der man definitiv klüger rauskam als man hineingegangen war – und die auch beim anwesenden Publikum sichtlich für Betroffenheit und anschließenden Gesprächsbedarf sorgte. So soll es sein.
Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse an Anke Stelling für „Schäfchen im Trockenen“ war natürlich nicht nur ein großer Sieg für die Autorin, sondern auch für den befreundeten Verbrecher Verlag – und gefühlt auch einer für uns alle. Es war schließlich erst das zweite Mal, dass ein Autor oder eine Autorin aus einem Indie-Verlag diesen Preis erhalten hat. Wir haben uns sehr mit den Kolleg*innen gefreut. Und tun es noch immer!
Ein jährliches Highlight am Freitagabend ist die UV-Lesung der Unabhängigen Verlage im Lindenfels Westflügel – oder vielmehr war, denn nach 10 Jahren ist nun Schluss, die Kosten sind einfach zu stark gestiegen und konnten nicht im gleichen Maße kompensiert werden. Die Reihe wird uns allen fehlen und dem Verein UV-Lesung ist es zu verdanken, dass diese Veranstaltung lange Jahre im Abendprogramm von Leipzig liest ein echter Fixpunkt war. Hier konnte man als Besucher einen bestens kuratierten Überblick über das Schaffen der Autorinnen und Autoren von Indie-Verlagen bekommen.
Nachts ging es dann ins Institut für Zukunft, wo dieses Jahr die Party der Jungen Verlage stattfand. Die Leipziger DJs Donis und Johny Bravo legten auf und die Branche tanzte ausgelassen im dunklen Technokeller, als gäbe es nicht noch zwei Tage Arbeit auf der Messe zu absolvieren … Feiern bis in den Morgen, und dann trotzdem am nächsten Tag auf der Messe einen glänzenden Eindruck auf die Besucher zu machen – die jährliche Samstags-Challenge.
Samstag
Der Samstag war dann terminmäßig eher entspannt. Schön war André Hermanns Lesung aus „Platzwechsel“ auf der Leseinsel der jungen Verlage in Halle 5. André merkt man seine Bühnenerfahrung an: Von Anfang an hat er sein Publikum im Griff und sorgt für ordentlich Gelächter, und das lockte dann auch im Laufe der Lesung immer neue Zuhörer an, was die Menschentraube um die Leseinsel stetig anwachsen ließ. Den Tag beschlossen wir ausnahmsweise ganz gemütlich – mit einigen Kolleginnen und Kollegen aus befreundeten Indie-Verlagen in der Kulturapotheke, einem der schönsten Veranstaltungsorte Leipzigs.
Sonntag
Am Sonntag dann konnten wir uns schließlich ein wenig zurücknehmen. Wir konnten uns vor allem um die Besucher am Stand kümmern, Leif moderierte zudem eine gut besuchte Lesung mit Tereza Semotamová im Forum Die Unabhängigen. Das Forum in Halle 5, kuratiert von Barbara Weidle, wird von der Kurt-Wolff-Stiftung betreut. Auf dem Messegelände kriegt man hier wohl den besten Überblick über die Veröffentlichungen der Indies. Ein Highlight hier ist natürlich die Verleihung des Kurt-Wolff-Preises, bei dem es regelmäßig so eng zugeht, dass nur rechtzeitiges Erscheinen Plätze sichert. Der mit 26.000 Euro dotierte Hauptpreis ging an Andreas J. Meyer vom Merlin Verlag, der Förderpreis an die edition.fotoTapeta.
Nora Gomringer und Philipp Scholz waren zum Gespräch ins ARD-Forum geladen. Hauptgesprächsthema hier: Die New Yorker Künstlerin und Kritikerin Dorothy Parker, deren Texte die beiden für ihr aktuelles Album „Peng Peng Parker“ vertont haben.
Und während meine KollegInnen den Standabbau betreuten, ging es für mich ins UT Connewitz, wo wir in Kooperation mit dem Livelyrix e.V. immer einen Abend mit vier Autor*innen aus der Lesebühnenszene organisieren: Für mich jedes Mal ein schöner Messeausklang mit klugen, oft satirischen Texten, über die man auch lachen kann.
Zehn Jahre und kein bisschen leiser: Lyrik auf der UV-Lesung, hier mit Jörg Schieke, Lina Atfah, Katja Cassing, Max Sessner und Sabine Franke (Franziska Frenzel) | Make Some Noise: Zum Buchmesse-Auftakt lädt EDIT in die GfZK ein (Sophie Valentin) | Peng Peng Parker: Im Horns Erben lassen es Nora Gomringer und Philipp Scholz krachen (V&Q) | Tschechenkrieg: Buchpremiere in der Galerie KUB (V&Q) | Benedikt Feiten ist bei großen Lesungs-Marathon in der MB am Start (V&Q) | Schäfchen im Trockenen: Anke Stelling gewinnt den Preis der Leipziger Buchmesse für einen Indie-Verlag (Ulrich Koch) | Willkommen und Abschied: Die UV-Lesung im zehnten Jahr (Franziska Frenzel) | Platzwechsel: Andre Hermann auf der Leseinsel der jungen Verlage (V&Q) | Publikumsmagnet seit 2015: Das Forum Die Unabhängigen (V&Q) | Aufgalopp der Indie-Szene: Die Kurt-Wolff-Preisträger 2019 (Ulrich Koch) | Lesebühnen-Battle: Das UT Connewitz gibt den stimmungsvollen Rahmen zum Messe-Schluss (V&Q) | Unser Autor, Voland & Quist Verleger Sebastian Wolter (Thomas Bär) |
Sebastian Wolter, geboren 1980, lebt und arbeitet in Leipzig. Nach dem Studium der Verlagswirtschaft in Leipzig und Edinburgh gründete er mit Leif Greinus 2004 den Indie-Verlag Voland & Quist. 2010 erhielt Voland & Quist den Kurt-Wolff-Förderpreis.