Statt von „Beruf“ ist in der Buchbranche gern von „Berufung“ die Rede; wer hier arbeitet, brennt für die Literatur – und lange Zeit konnten sich die kreativen Berufsfelder, so zumindest mein Eindruck, vor Nachwuchs kaum retten. Das scheint sich grundlegend gedreht zu haben, oder?
Jessica Isselbächer: Die Wahrnehmung ist nicht falsch. Natürlich brennt der Nachwuchs immer noch für das Medium Buch. Allerdings hat diese Generation noch andere Ansprüche an ihren Job als wir vielleicht damals. Da hat sich etwas gedreht: Wir müssen als Branche attraktiv sein, auf die Wünsche der Jungen hören – und, ehrlich gesagt, betrifft es nicht nur den Nachwuchs: Hier werden Punkte benannt, die generationsübergreifend alle betreffen. Wer möchte kein faires Gehalt, oder einer wirklich sinnhaften Arbeit nachgehen?
Lassen Sie mich ein wenig provozieren: Ludwig Lohmann, Programmmacher beim Leykam Verlag, hat zum Jahreswechsel im Börsenblatt folgendes zu Protokoll gegeben: „Ich würde mir wünschen, dass die Branche weniger auf menschlichen Verschleiß fährt und ständig neue, hoch motivierte Mitarbeitende in den Burnout schickt. Systemische Probleme sollen nicht länger auf persönlicher Ebene ausgetragen werden.“ Hat die Branche systemische Probleme?
Isselbächer: Ich glaube, dass der Job es häufig mit sich bringt, dass man dazu neigt, auch über die eigene Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Ich finde es extrem wichtig, dass es da Signale aus der Geschäftsführung, von Vorgesetzten und von erfahreneren Kolleg:innen gibt, die da die Reißleine ziehen. Wir müssen eine gute Work-Life-Balance hinbekommen. Da können wir einiges von der viel beschworenen Generation Z lernen! Das bedeutet aber auch, dass es im Unternehmen genug Personal gibt, das die anfallenden Aufgaben gut auffangen kann.
Was tun Sie im Verlag, um die von Ihnen gerade angesprochene Generation Z für sich zu gewinnen – und, womöglich noch wichtiger, zu halten?
Isselbächer: Junge Menschen steigen bei uns häufig als Volontär:innen ein, es hat sich herumgesprochen, dass wir bei S. Fischer Volontariate, neben einem gut durchdachten Ausbildungspaket, wirklich sehr fair bezahlen. Wir sind z. B. auch Gütesiegel-Träger für Volontariate, das von den jungen Verlags- und Medienmenschen vergeben wird. Das ist keine Floskel. Menschen, die auf diesem Weg zu uns kommen, bringen über ihre Fachausbildung und diverse Praktika auch einen Wert ins Unternehmen ein, das sollten wir entsprechend vergüten. Wichtig ist ebenfalls, dass wir entsprechende Arbeitszeitmodelle anbieten. Teilzeit war klassischer Weise lange fast ausschließlich in Verbindung mit Care-Arbeit gedacht – wenn etwa Kinder oder pflegebedürftige Eltern zu betreuen waren, ging ich mit meiner Arbeitszeit runter. Dazu greifen Teilzeitmodelle auch meist in den letzten zehn Jahren eines Arbeitslebens. Von jungen Menschen erwarten wir aber, dass sie Vollzeit arbeiten – warum eigentlich?
Ist man nicht raus, wenn man als Berufseinsteiger beim Vorstellungsgespräch nach Teilzeitmodellen fragt?
Isselbächer: Das war lange so. Ich bin jetzt seit mehr als 20 Jahren im Personalbereich tätig. Ich erinnere mich an ein Vorstellungsgespräch, in dem eine junge Frau sagte: Ich würde gern 30 Stunden arbeiten, weil ich nebenbei noch tanze. Ich dachte: OK, schön – aber wer macht dann bitte die Arbeit? Inzwischen denke ich: Die Frau hat Recht! Ich arbeite selber in Teilzeit, und weiß sehr genau, dass da nicht weniger geleistet wird. Die Unternehmen müssen verstehen, dass beide Seiten, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, von solchen Lösungen profitieren. Wir haben mittlerweile immer häufiger Führungskräfte, die in Teilzeit arbeiten – warum dann nicht auch junge Menschen, wenn sie dadurch gesund und motiviert bleiben?
Dennoch leiden wir alle unter einem Phänomen, das mit dem schönen Wort „Arbeitsverdichtung“ beschrieben wird…
Isselbächer: Stimmt. Das ist auch bei S. Fischer ein Thema. Wir müssen angesichts der potenziell gestiegenen Erwartungen, die an Jobs geknüpft sind, darauf achten, dass Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden erhalten bleiben. Wir bieten unseren Mitarbeitenden diverse Programme zum Thema Work-Life-Balance, etwa Sportprogramme und individuell gestaltbare Arbeitszeitmodelle. Unsere Abteilungsleitenden sind angehalten, darauf zu achten, dass die Überstunden-Konten im Rahmen bleiben. Wir bieten eine ganze Palette an Benefits – von vermögenswirksamen Leistungen bis zu außertariflichen Sonderurlaubstagen oder einem Deutschlandticket. Dazu haben wir für alle Mitarbeitenden noch fünf zusätzliche Care-Days pro Jahr eingeführt.
Das Gros der jungen Leute kommt in kleine Indie-Verlage, die sich so einen Strauß kaum leisten können. Was raten Sie denen?
Ein Satz wie ‚Das haben wir schon immer so gemacht‘ ist heute mehr denn je ein No-go!
Jessica Isselbächer, S. Fischer
Isselbächer: Ein wertschätzendes Miteinander ist aber auch in solchen Unternehmen möglich: Dass man einander zuhört, voneinander lernt. Auch in kleineren Verlagen gibt es häufig ein großes Generationen-Gap – ich habe die Verleger:innen oder Mitarbeitende, die schon viele Jahre dabei sind – und Einsteiger:innen, die mit Anfang 20 gerade aus dem Studium oder aus der Ausbildung kommen. Wenn ich wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss ich mir auch anhören, was diese jungen Leute umtreibt! Feedback-Gespräche sind wichtig. Überhaupt: Die Generationen müssen miteinander sprechen! Ein Satz wie ‚Das haben wir schon immer so gemacht‘ ist heute mehr denn je ein No-go!
Es geht also nicht nur um punktuelle Maßnahmen, sondern um eine grundlegende Weiterentwicklung der Organisations-Kultur?
Isselbächer: Richtig. Ich muss als Unternehmer:in ein wertschätzendes Umfeld schaffen – und aufrecht erhalten. Es geht um ein „Wir-Gefühl“, das alle einschließt – vom Azubi bis zum:zur Geschäftsführer:in. Gelingt uns das nicht, bleiben wir stehen und entwickeln uns nicht weiter – und das ist auch in unserer Branche fatal.
Worauf achten Sie als Personalerin bei Bewerbungen?
Isselbächer: Dass jemand „gern liest“, setze ich voraus, das muss auch nicht in der Bewerbung stehen. Wichtig ist für mich eine ehrliche Antwort auf die Frage: Wieso S. Fischer? Wieso nicht zu einem anderen Verlag? Der Lebenslauf muss nicht immer geradlinig, aber erklärbar sein. Wenn es uns um eine diverse Unternehmenskultur geht, beginnt das schon beim Bewerbungsverfahren.
Sind Sie offen für Initiativbewerbungen?
Isselbächer: Ehrlich gesagt, bekommen wir relativ viele Initiativbewerbungen, die wir uns auch regelmäßig anschauen. Wir haben allerdings nur eine eher geringe Fluktuation. Wenn ich aber eine interessante Person identifiziere, für die aktuell in unserem Haus keine Vakanz offen ist, kommt es schon vor, dass ich meine Kolleg:innen in den Holtzbrinck-Schwesterverlagen auf die Bewerbung aufmerksam mache – natürlich immer nur nach vorheriger Rücksprache mit dem:der Bewerber:in.
Wie wichtig ist eine Initiative wie der Karrieretag für Sie als Unternehmen?
Isselbächer: Ich finde es wichtig, dass wir auf die vielen interessanten Möglichkeiten unserer Branche aufmerksam machen. Dass wir darüber sprechen, was uns im Verlag wichtig ist, worauf wir achten, nicht zuletzt im Ausbildungsbereich. Auszubildende sind für uns wertvolle Mitglieder des Teams. Wir legen großen Wert darauf, ihre Ausbildung umfassend zu gestalten und sie aktiv in unsere Arbeit einzubinden. Damit möchte S. Fischer auch ein Orientierungspunkt für andere Verlage sein. Die Tür für den Nachwuchs ist bei uns immer offen. Unsere Branche ist, heute mehr denn je, eine ungeheuer spannende. Das müssen wir auch kommunizieren und nach außen tragen – nicht zuletzt zu solchen Gelegenheiten wie dem Karrieretag auf der Leipziger Buchmesse.

Nach Tätigkeiten als Personalerin in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen ist Jessica Isselbächer heute stellvertretende Personalleiterin und Ausbilderin bei den S. Fischer Verlagen in Frankfurt/Main. Neben ihrer Tätigkeit im Verlag engagiert sie sich als Mitglied im Berufsbildungsausschuss des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und setzt sich dort für die Belange des branchenspezifischen Nachwuchses ein.