Autor: Nils Kahlefendt

Fotos: Leipziger Messe / Jens-Ulrich Koch; Guntram Vesper

Eine Heimkehr
27. Januar 2020
Nachgefragt, Folge 2: Haben sich Ihr Leben & Schreiben nach dem Preis der Leipziger Buchmesse verändert, Herr Vesper?
Autor: Nils Kahlefendt

Fotos: Leipziger Messe / Jens-Ulrich Koch; Guntram Vesper

Eine Heimkehr
27. Januar 2020
Nachgefragt, Folge 2: Haben sich Ihr Leben & Schreiben nach dem Preis der Leipziger Buchmesse verändert, Herr Vesper?

Für Guntram Vesper war der Roman „Frohburg“ so etwas wie ein Lebensprojekt. An die zehn Jahre währte die Schreibarbeit, erst ab 2010 übertrug er seine handschriftlichen Manuskripte auf einen Computer. Sollte er dieses stetig weiter wuchernde Opus magnum überhaupt veröffentlichen? „Ich wusste, dass ich hier über meine heiligsten Bezirke schreibe. Und mich damit auch angreifbar mache. Sich mit über 70 Jahren noch einmal dem rauen Wind des Literaturbetriebs aussetzen? Das hatte er doch alles hinter sich. Vesper erzählte schnurrige Details aus der Werkstatt: Von der ersten Postkarte, mit der er Klaus Schöfflings Neugier weckte, geschrieben in der Sachsenbaude auf dem Kleinen Fichtelberg bei Oberwiesenthal, bis zum letzten Lektorat in Rekordzeit. Zwei Tage später schickte Vesper das Konvolut – als Mail-Anhang. Klaus Schöffling las während seines Urlaubs in Oberitalien. Und war begeistert. Ein wenig bangte Vesper dann doch vorm Erscheinen: „Geht das Buch spurlos unter? Zieht es ein paar Kreise?“

Als „Frohburg“ dann auf der Nominiertenliste des Preises der Leipziger Buchmesse auftauchte, war Guntram Vesper eigentlich schon zufrieden. „Mit der Nachricht war ich im siebten Himmel! So konnte es bleiben.“ Als am Messedonnerstag 2016 unter der Glashallenkuppel der Preis in der Kategorie Übersetzung an Brigitte Döbert für ihre kongeniale Übertragung von Bora Ćosićs ebenfalls bei Schöffling erschienenen Roman „Die Tutoren“ ging, dachte Vesper: „OK, das war’s jetzt. Es war eh’ nur eine Fünf-Prozent-Chance.“ Dann der Paukenschlag. Überraschung, Rührung, Umarmung des bärtigen Verlegers. „Ich war völlig perplex, hatte mir natürlich nichts zurechtgelegt.“ Am Messe-Samstag ging es weiter, ins echte Frohburg. „In Borna habe ich mir die ‚Welt’ gekauft; über Richard Kämmerlings’ Rezension stand: ‚Jahrhundertroman’. Was sollte jetzt noch folgen?“

Nun, es folgte eine Menge. Lesungen, Interviews, Radio und Fernsehen. Vespers Exemplar von „Frohburg“ – Leinen, extradicker Schutzumschlag, farbiges Vorsatzpapier, Lesebändchen – hat die mehr als 150 Auftritte der letzten Jahre übrigens tadellos überstanden. „Mehr kann sich ein Autor nicht wünschen.“ An eine Lesung kann er sich noch besonders erinnern: Am 23. April 2016, dem Welttag des Buches, las Vesper aus „Frohburg“ – in Frohburg. 500 Menschen stürmten die Fabrikationshalle der Tischlerei Graichen, aus der die Maschinen heraus- und Stuhlreihen hineingeschoben worden waren. Einer der Graichens war mit Vesper in eine Klasse gegangen, damals. Ebenso bewegend: Auf Vermittlung einer ehemaligen Mitschülerin konnte Vesper im letzten Sommer – nach 62 Jahren! – sein Geburtshaus in der Greifenhainer Straße wiedersehen. In der Wohnung im ersten Stock, wo die Großeltern lebten, war sogar die alte Schiebetür aus Kindertagen erhalten geblieben. Ãœber all’ das führt Vesper Tagebuch. „Über fünf Millionen Zeichen“, laut PC. Schon jetzt der doppelte Umfang von „Frohburg“. Für Guntram Vesper ermöglicht der sensationelle Erfolg seines Buchs so etwas wie eine Heimkehr. Es ist eine wichtige Begleiterscheinung des Preises, dass er nun entspannt und wach, ganz real, durch seine Vergangenheit gehen kann. „Für meinen schriftstellerischen Zugriff“, sagt er lachend, „liegt sie nun günstiger“.

Beitrag teilen


Der mit 45.000 Euro dotierte Preis der Leipziger Buchmesse gehört zu den richtungweisenden Literaturpreisen im deutschsprachigen Raum. Prämiert werden die herausragendsten Titel des aktuellen Bücherjahrgangs; verliehen wird der Preis zu gleichen Teilen in den Kategorien „Belletristik“, „Sachbuch und Essayistik“ sowie „Übersetzungen“. 402 Titel aus 134 Verlagen wurden diesmal eingereicht; am 11. Februar wird die siebenköpfige Jury unter Leitung von Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung) die Nominierten verkünden. Wer den begehrten Preis letztlich gewinnt, geben die Juroren am Eröffnungstag der kommenden Leipziger Buchmesse, dem 12. März 2020, im Rahmen der feierlichen Preisverleihung in der Glashalle bekannt.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Literarisches Leben Slider

„Gute Bücher übersetzen ist leicht!“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (4): 2018 ging der Preis in der Sparte Übersetzung an Sabine Stöhr und Jurij Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadans Roman „Internat“. Inzwischen hat der Ukrainer, der lange mit Worten und Musik für die Sache seines Landes gekämpft hat, zur Waffe gegriffen.

Slider Wir

Back to the Roots 

Von der klassischen ‚PK’ bis ‚unter drei’: Der Thüringer Felix Wisotzki, Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, organisiert die Kommunikation des Branchen-Großereignisses. Mit der Arbeit fürs Buch ist der studierte Amerikanist zu einer frühen Leidenschaft zurückgekehrt

Leipzig liest Slider

Fest des freien Wortes 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 4: Mit Leipzig liest swingte eine ganze Stadt vier Tage lang im Takt der Literatur. Die heißgeliebte fünfte Jahreszeit – sie war zurück!

Literarisches Leben Slider

Fortüne & Phantasie 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen Independent-Verlage für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. In Leipzig kommen auch die Kleinen groß raus

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Wir

Abschied der Alphatiere?

Messe-Nachschlag, Teil 4: Die bücher.macher fragten nach dem neuen Verleger-Bild und der Führungskultur in der Branche

Leipzig liest

Wanderlust

In einer kleinen Serie stellen wir Blogs vor, die für Durchblick im Fantasy-Dschungel sorgen. Folge 3: Weltenwanderer.

Wir

Auf Sendung

Kommunikation in Ausnahme-Zeiten: Julia Lücke, Constanze Hilsebein und Lydia Schaffranek trommeln für die Buchmesse