WƤhrend die Buchmesse im Gewandhaus erst feierlich erƶffnet wird, sind ein paar Indies schon dabei, die ersten Sausen zu feiern: Bei Klett Kinderbuch, in der gelben Villa zwischen Südvorstadt und Connewitz, hat Thomas Engelhardt MarkklƶĆchen gerollt, aber auch Vegetarierinnen kommen nicht zu kurz bei der traditionellen Kinderbuchstabensuppe. In der Galerie für Zeitgenƶssische Kunst, ein beliebter Party-Hotspot zur Buchmesse, haben sich die Feierbiester von Voland & Quist die Pole Position gesichert. Klassentreffen und Highlight der Indie-Verlags-Messe ist aber ohne Zweifel die Verleihung des Kurt-Wolff-Preises am Freitag am Messestand Die UnabhƤngigen.

āEndlich sind wir wieder auf dem MessegelƤndeā, freut sich Merlin-Verlegerin Katharina E. Meyer, Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung. Die letzte Preisverleihung an diesem Ort war 2019. Diesmal geht der mit 15.000 Euro dotierte Kurt-Wolff-Fƶrderpreis an den Elif Verlag (Nettetal), dessen Verleger DinƧer Güçyeter nach dem Gewinn des Belletristik-Preises am Donnerstag so etwas wie das omniprƤsente Gesicht dieser Buchmesse ist. Seit 2011 legt Güçyeter in seinem engagierten und leidenschaftlichen Programm einen Schwerpunkt auf Lyrik, regional wie international, gegenwƤrtig und immer wach. Er fischt Textperlen auch aus selten übersetzten Sprachen, wie etwa Taiwanesisch oder IslƤndisch, und achtet dabei auf jeweils individuelle, dem Inhalt folgende Gestaltung und hochwertige Ausstattung. Beate Trƶger, die Laudatorin, wird erklƤren, dass man fürs Büchermachen, ādieses mühevolle GeschƤftā, etwas mitbringen muss, ohne dass kein Buch zu einem guten wird: Liebe. Die Lyrik-Expertin Trƶger zƤhlt einige Spielarten dieser Liebe auf, von der griechischen agape, über caritas und philia, die Freundesliebe, bis zur Liebe im Sinn von eros. Trƶger erinnert, wie Güçyeter seinen Alltags-Slalomlauf zwischen den Stangen des Gabelstapelns und Verlegens im wunderbaren Band āBrotjobs und literaturā (Verbrecher Verlag 2021) beschrieb. Eine Laudatio als LiebeserklƤrung.

Der so von der Power of Love Entflammte erinnert sich, wie er im MƤrz 2014, bei gefühlt sibirischen Minus 20 Grad, mit einem Hackenporsche voller Elif-Bücher in Leipzig aus dem Flixbus kletterte ā und davon trƤumte, die alle zu verkaufen. āAm Ende habe ich drei Exemplare verkauftā, grinst Güçyeter, āzwei davon mit Studenten-Rabatt.ā Kennengelernt hat er in Leipzig Wolfgang Schiffer, Karsten Dehler von der Kurt-Wolff-Stiftung und ungezƤhlte andere aus der Branche, mit denen ihn heute freundschaftliche Beziehungen verbinden.

Der mit 35.000 Euro dotierte Kurt-Wolff-Preis 2023 geht an den von Alexander Wewerka gegründeten Alexander Verlag (Berlin), der seit genau vierzig Jahren mit sicherem Griff gut gemachte Bücher zu Theater und Film sowie literarische und essayistische Texte publiziert. Mit Verƶffentlichungen von Fritz Kortner, Ingmar Bergman, Peter Brook, Heiner Müller, und Frank Castorf, mit den Reihen Nahaufnahme, KreisbƤndchen und Postdramatisches Theater in PortrƤts belegt der Verlag, dass Literatur zu einzelnen Künsten nicht nur die Fachwelt etwas angeht, sondern eingreifend sein kann, und zwar gesellschaftlich, kunstpolitisch und Ƥsthetisch. Carl Hegemann, eng mit Frank Castorfs Volksbühne verbandelt, war nƤchtens aus Italien angereist, um die Laudatio aufs Lebenswerk Wewerkas zu halten. Das geschƤtzte Publikum wollte er eigentlich mit āliebe Gehirn-Skifahrerinnenā anreden ā in Anspielung aufs Logo des Verlags, eine Grafik von Roland Topor, die einen ein menschliches Gehirn hinunter wedelnden Skifahrer zeigt. Voller Pirouetten war folglich auch Hegemanns Laudatio. Am Ende konnte Alexander Wewerka mit seiner Crew anstoĆen, alles Leute, die im seit 20 und mehr Jahren die Treue halten. Und mit seiner Frau Antje, die er vor 24 Jahren auf der Leipziger Buchmesse kennenlernte. Zwei Tƶchter, heute 17 und 19, sind aus dieser Liebe hervorgegangen: āDie besten Neuerscheinungen!ā

Liebe und Literatur gehen bekanntlich auch durch den Magen, fragen Sie den Verleger Lojze Wieser, wenn er am Stand gerade wieder ein Stück KƤrntner Schinken absƤbelt. Endlich hat es auch die Kurt Wolff Stiftung schwarz auf weiĆ ā das an der Bar des Standes Die UnabhƤngigen in Halle 5 ausgeschenkte HeiĆgetrƤnk ist der beste Espresso auf dem Messe-GelƤnde. So jedenfalls legte sich die lokale āLeipziger Volkszeitungā fest, und die muss es ja wissen. Die Bohnen, so verrƤt der Leipziger Stiftungs-ReprƤsentant Karsten Dehler, stammen von der hiesigen Kaffeerƶsterei Elstermühle. Noch besser ist, dass die Dosse Gowwe hier im Stundenrhythmus von Indie-Verlegerinnen und āverlegern ausgeschenkt wird. So gibt es zum heiĆen Schwarzen immer noch ein wenig heiĆen Branchen-Gossip.

Neben dem Buchmesse-Dickschiff gibt es in Leipzig gleich mehrere kleine Indie-Messen. Wer über den Standortvorteil und genügend Energie verfügt, prƤsentiert sich ā wie etwa Spector Books, Kookbooks oder die Stiftung Buchkunst ā parallel. In der Hochschule für Grafik und Buchkunst findet die Itās a book, das jƤhrliche Treffen von Produzierenden aus dem Indie-Publishing, zum 14. Mal statt. Rund 90 Verlage sind beteiligt, von adocs publishing (Hamburg) bis zero sharp (Berlin).

Herzschlagfinale zur Messe-Premiere: Die edition überland wurde 2019 von Kirsten Witte-Hofmann in Leipzig gegründet, inzwischen ist Barbara ThĆ©riault, deren Buch āDie BodenstƤndigenā 2020 als schƶnstes Regionalbuch ausgezeichnet wurde, als Co-Verlegerin eingestiegen. Nach erzwungener Pandemie-Pause ist Leipzig 2023 die erste Buchmesse für den jungen Verlag, der mit einem feinen belletristischen Programm und Sachbüchern zu ausgewƤhlten regionalen Themen aufwartet. Den Stand teilte man sich mit der Connewitzer Verlagsbuchhandlung, und als Lokalmatador wirft man sich mit annƤhernd zehn Veranstaltungen inklusive Party ins Leipziger Allerlei. Dass dann am Messemittwochmorgen noch die druckfrischen Vorab-Exemplare von āDemokratie in Sachsenā, dem Jahrbuch des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts von der Druckerei direkt in die Halle 5 spediert wurden, fƤllt unter das Glück der Tüchtigen.

āGibt es eine Lyrikkrise?ā fragte der DLF-Büchermarkt in seiner Freitagssendung von der Buchmesse, ausgehend von einem Facebook-Post der Kookbooks-Verlegerin Daniela Seel, der vor kurzem innerhalb weniger Stunden hunderte Reaktionen aus der Szene ausgelƶst hatte. Nimmt man die Veranstaltungsdichte der Buchmesse, muss man die rhetorische Frage rundweg verneinen. So viele hochkarƤtige Lyriklesungen wie in den vier Buchmesse-Tagen gibt es selten: Da ist etwa die hochkarƤtig besetzte Lyriknacht āTeil der Bewegungā in der HGB, da sind Lyrik-Lesungen mit so zauberhaften Titel wie āContainer Loveā oder āHey guten Morgen, HƶllengewƤchs-Glückspfennigā im āNoch besser Lebenā in SchleuĆig. Und da ist an drei Messeabenden die temporƤre āLyrikbuchhandlungā in der Galerie KUB ā nach Ausflügen ins Digitale endlich wieder āzum Bücheranfassen und Menschen umarmenā, wie Ulrike Feibig, eine der Organisatorinnen vom Hochroth-Kollektiv, sagt. Love is in the Air! Die Lyrikbuchhandlung ā Veranstaltungsformat und tatsƤchlich lƤngster Verkaufstresen in einem ā versteht sich als PrƤsentations- und Vernetzungsplattform für Verleger und Autoren zeitgenƶssischer Gedichte. Seit 2019 sind auch die āLyrik-Empfehlungenā zu Gast ā am Messefreitag konnte man mit Sam Zamrick (Hanser Berlin), Jƶrg Piringer (Ritter) sowie Don Mee Choi & Uljana Wolf (Spector Books) den Autoren von drei der insgesamt 20 empfohlenen Bücher begegnen.
