So etwas hat Katja Stergar, Direktorin der Slowenischen Buchagentur JAK und damit auch zuständig für die Buchmesse-Auftritte des Balkan-Landes, noch nicht erlebt: Als am 21. März dieses Jahres, Messebeginn in Leipzig und gleichzeitig Welttag der Poesie, die Lyrik-Empfehlungen veröffentlicht wurden, standen – wow! – gleich drei Übersetzungen aus dem Slowenischen auf der Bestenliste! Wie immer hatten Kritikerinnen und Kritiker zehn deutschsprachige und zehn ins Deutsche übersetzte Gedichtbände ausgewählt, beachtet wurden Neuerscheinungen von Anfang 2023 bis März 2024. „Drei von sieben, das gab es noch nie“, begeistert sich Stergar, „ich habe das recherchiert. Wir hatten in unserem Gastland-Programm Lyrik im Fokus – und offensichtlich hat das deutsche Publikum slowenische Poesie ins Herz geschlossen.“ Die Österreicherin Daniela Strigl hatte die Lyrik-Auswahl „Mein Gedicht ist mein Gesicht“ von Srečko Kosovel (Otto Müller) empfohlen, Nico Bleutge den Band „nicht fisch“ von Ana Pepelnik (Parasitenpresse) und Joachim Sartorius „Steine aus dem Himmel“, eine Sammlung der späten Lyrik von Tomaž Šalamun (Suhrkamp).
„Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebenen“, heißt es bei Bert Brecht. Welche Rolle, will ich von Katja Stergar wissen, spielt die Leipziger Buchmesse, nachdem die Auftritte in Frankfurt im Oktober 2023 – unter dem Motto: „Waben der Worte“ war Slowenien da Gastland – und Bologna im April 2024 – da war man Ehrengast der Internationalen Kinderbuchmesse – absolviert sind? „Während wir in Frankfurt eher Panels zu Fragen rund ums Verlegen organisieren, von Deep Reading bis zu Leserforschung, haben wir in Leipzig deutlich mehr Autoren-Präsentationen und literarische Diskussionsrunden – ganz einfach, weil Leipzig neben der Messe mit Leipzig liest auch ein großes Literaturfestival ist. Als die Lyrikempfehlungen, genau passend zur Leipziger Buchmesse 2024, herauskamen, waren wir froh, dass wir eine ganze Reihe Dichterinnen und Dichter dabeihatten.“
In Leipzig, so erklärt Katja Stergar, ist es eher möglich, Autorinnen und Autoren vorzustellen, die noch nicht so bekannt beim deutschsprachigen Lesepublikum sind. Zudem gebe es in Leipzig deutlich mehr Slots für Autorinnen und Autoren – als die JAK-Chefin ihr Budget für Frankfurt im Herbst 2024 gesichert hatte, war Open Books bereits ausgebucht. Bewährt hat sich, egal ob am Main oder an der Pleiße, wenn medial noch wenig durchgesetzte Autorinnen und Autoren mit prominenten Kollegen zusammenspannt. So präsentierte die JAK den slowenischen Autor Vinko Möderndorfer und dessen aktuellen Roman „Die andere Vergangenheit“ (Residenz) gemeinsam mit Reinhard Kaiser-Mühlecker, dessen Roman „Brennende Felder“ zum Auftakt der Buch Wien mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die Essayistin und Journalistin Marie Luise Knott präsentierte den dritten auf Deutsch vorliegenden Roman des großen, 1987 gestorbenen Enfant terrible der slowenischen Literatur, Vitomil Zupan, der in „Levitan“ (Guggolz) über seine Haftjahre nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt. Deutsche Leser kennen Zupan durch seinen begeistert aufgenommenen Roman „Menuett für Gitarre (zu 25 Schuss)“, ebenfalls bei Guggolz erschienen.
Verleger aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz haben in Leipzig einfach etwas mehr Zeit, sind offener für Gespräche.
Katja Stergar, Direktorin JAK
Die Leipziger Buchmesse ist für Katja Stergar zudem ein idealer Treffpunkt mit Verlegerinnen und Verlegern aus dem deutschsprachigen Raum. „Unsere Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben in Leipzig etwas mehr Zeit, sie sind hier offener, entspannter“, weiß Stergar. „Natürlich haben wir ihnen im Vorfeld eine Menge guter Titel vorgeschlagen. Aber wir alle wissen: Entscheidungen brauchen in unserer Branche Zeit!“ Was der JAK derzeit nicht gerade in die Karten spielt: 2024 haben drei bewährte Agenten, die sich um die Auslandsrechte für slowenische Autoren kümmerten, das Business verlassen. „Wenn man weiß, dass es insgesamt weniger als ein Dutzend Agenturen gibt, ist das schon eine Hausnummer.“ Autorinnen und Autoren wie die Bachmannpreis-Gewinnerinnen Maja Haderlap und Ana Marwan oder der umtriebige Aleš Šteger sind im deutschsprachigen Raum durchgesetzt – schwieriger ist es mit spannenden jungen Talenten, die vielleicht erst in Literaturmagazinen oder Anthologien übersetzt wurden.
Ein schöner Nebeneffekt der diversen Ehrengast-Auftritte ist, dass man „niemanden mehr auf der Landkarte zeigen muss, wo Slowenien liegt“, das Land, dessen Sprache von ungefähr zwei Millionen Menschen gesprochen wird. Katja Stergar weiß, dass sie in ihrem Job eher Marathon-Läuferin als Sprinterin ist. Aber sie glaubt fest an die Qualität „ihrer“ Autorinnen und Autoren. „Als jemand, der volle Straßenbahnen und drangvolle Enge in Lese-Orten liebt, freue ich mich auf Leipzig. Die Stadt ist für alle, die in der Buchbranche arbeiten, wie eine warme Umarmung.“ Noch wird am Programm für März 2025 gefeilt – neben Literatur für Erwachsene will Stergar auch spannende Bücher und Autoren für junge Leser nach Leipzig holen. Und, wer weiß: Vielleicht gelingt es ihr ja sogar, den erst 21-jährigen slowenischen RB-Fußball-Star Benjamin Šeško als Leseförderungs-Multiplikator zu gewinnen? Stergar, die selbst beinahe eine Leistungssport-Karriere hingelegt hätte, weiß, dass das Vorurteil von den TikTok-fixierten Sport-Stars häufig nicht stimmt. Literatur und Fußball zusammenzubinden, das wäre aus Sicht der JAK-Direktorin ideal. „Wir müssen Kinder und Jugendliche erreichen, die eher mit Büchern fremdeln, wir müssen raus aus der Komfortzone!“
Als ich Katja Stergar zum Abschied nach ihrem Leipziger Lieblings-Lese-Ort frage, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: Das UT Connewitz, Location der legendären „Balkannächte“. Als Sloweniens vielleicht berühmtester Autorenexport-Artikel Slavoj Žižek zur Leipziger Buchmesse im April 2023 gemeinsam und mit Jela Krečič über „Philosophie in der Popkultur“ referierte, im Rahmen des Traduki-Programms „Zwischen den Zeilen“ war das – da stand die Schlange derer, die noch in das alte Kino wollten, fast bis zum Connewitzer Kreuz. „Ein Anblick, den ich nie vergessen werde!“