Kann man Politik tanzen? Jenseits eines Eurythmie-Kurses an der Waldorfschule geht das wohl am besten auf dem JugendCampus UVERSE, der Kreativwerkstatt der Leipziger Buchmesse in Halle 2. Ein Tanzkurs ist die Sache allerdings nicht: Die Leute von der John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie an der TU Dresden, die hier, betont lässig, JoDDiD genannt wird, kommen mit Kartenspielen und Abstimmungstools um die Ecke, in spielerischen, niedrigschwelligen Formaten kann man sich darüber austauschen, welche Rolle Politik im eigenen Alltag spielt, oder was, bitte, man letzte Woche für die Demokratie getan hat. Lydia Bayer von der Leipziger Eventagentur Hahnlive ist Projektleiterin von UVERSE – bereits im dritten Jahr organisiert sie mit einem dreiköpfigen Team die Kreativwerkstatt, in deren Rahmen an vier Messetagen rund 90 Workshops und Aktiv-Formate für rund 2000 Kinder und Jugendliche über die Bühne gehen. „2023, im ersten Jahr nach der Pandemie, war das ein Testballon, dann ist der JugendCampus immer größer geworden.“ Unterstützt unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung sucht man sich immer wieder neue Akteure, die sich beteiligen – in diesem Jahr etwa The Rapid Publisher, eine partizipative Veranstaltung an der Schnittstelle von Performance, Installation, DIY-Publishing, Copy-Art und Kunstbuch. Oder die Hacker School, bei der die Kids unter Anleitung kleine Computerspiele programmieren können. Dadurch, dass Hahnlive kontinuierlich auch für die Kulturstiftung des Bundes arbeitet, verfügt man über ein exzellentes Netzwerk. „Häufig rennen wir offene Türen ein.“

Gelungene Messepremiere: Für die Beisheim-Stiftung, die den UVERSE in diesem Jahr mit spannenden Projekten unterstützt, ist Leipzig der erste Auftritt bei einer Messe überhaupt. Geschäftsführer Max Wagner, der die strategische Ausrichtung der Stiftung und deren operatives Tagesgeschäft gemeinsam mit Ulf Matysiak verantwortet, zeigt sich am Messesamstagmorgen begeistert – eine halbe Stunde nach Öffnung herrscht in Halle 2 bereits reges Treiben. „Die Tatsache, dass es sich hier um eine Publikumsmesse handelt, spielt uns in die Karten“, sagt Wagner. „Wir sind vom jungen Publikum genauso begeistert wie von der Tatsache, dass wir hier auch viele Lehrer und Pädagogen erreichen. Während wir sonst eher mit unseren Förderpartnern zu tun haben, also klassisches B2B-Geschäft betreiben, bekommen wir hier Feedback von den Leuten, die wirklich draußen sind.“ Auch dass man am UVERSE andocken konnte, findet Wagner ideal: „Während bei normaler Messe-Architektur oft Stand auf stand folgt, ist hier ein großzügiges Forum, eine Agora entstanden, die sehr gut angenommen wird.“ Die Beisheim Stiftung, gegründet von Metro-Eigentümer Otto Beisheim (1924-2013), setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch seine Potenziale entfalten und eine aktive Rolle in der Gemeinschaft wahrnehmen kann. Um dies zu erreichen, fördert und entwickelt sie Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport. „Gerade im Gesundheitsbereich liegt unser Fokus im Bereich der mentalen Gesundheit“, erklärt Max Wagner. „Wir sind eine der Stiftungen, die sich als erstes damit beschäftigt haben.“ Von Anfang an ausgebucht waren in Halle 2 alle Sessions der „Mentalen Tankstelle“ – dort erhielten Kinder und Jugendliche in Workshops mit erfahrenen Coaches Impulse rund um mentale Stärke, ein Auftanken und Ruhepol mitten im Messe-Trubel.

Der Elefant im Raum: Ich bin alles, ebenfalls ein Projekt der Beisheim Stiftung, ist ein Infoportal zu Depression und psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. „Ein noch allzu häufig stigmatisiertes Thema“, sagt eine Standmitarbeiterin. „Deshalb haben wir hier Rosi dabei.“ Rosi ist der materialisierte, sprichwörtliche „Elefant im Raum“, der für Verdrängtes, Beschwiegenes steht: Für Probleme, Krankheiten oder Sorgen. Alles Dinge, die nicht verschwinden, wenn man nicht über sie spricht. Im Gegenteil. Das Portal, das auch eigens eingerichtete Websites mit evidenzbasierten, wissenschaftlich evaluierten Infos für Eltern oder pädagogische Fachkräfte umfasst, entstand seit 2017 in enger Kooperation mit dem LMU-Klinikum. „In die Entwicklung des Portals waren auch Kinder und Jugendliche selbst einbezogen. Das war uns sehr wichtig.“ Und wie haben die Menschen, kleine und große, auf diesen Stachel im Messetrubel reagiert? „Wir hatten mehr Zulauf, als wir erwartet haben. Und manche haben sich tatsächlich geöffnet, über ihre Erfahrungen mit Depression gesprochen.“

Basti & Bella in den Höhlen von Carbos: Vis à vis von UVERSE findet sich auch der Stand der BayWa Stiftung, die sich in Kooperation mit der Beisheim Stiftung, dem Thema Ernährungsbildung verschrieben hat. Das Team um Geschäftsführerin Ellie Zips-Pape stellte in Leipzig das 2024 neu überarbeitete Lehr- und Aktionsbuch Der Ernährungskompass vor – Grundschulkinder lernen hier spielerisch jede Menge über Kohlenhydrate, Eiweiße, Fette, Vitamine und Ballaststoffe. Und können ihr Wissen nutzen, um mit Basti, Bella und den Ernährungshelden spannende Abenteuer in Translantis und Proteinien, in den Nebelwäldern von Vita oder den Höhlen von Carbos zu bestehen. Zur Welt des Ernährungskompasses gehört eine Online-Plattform mit Unterrichtsmaterialien zum Download, eine Hör-Version und ein Spiel sichern das erlangte Wissen interaktiv ab. Am Messesonntag nahmen viele Kinder im UVERSE an einem BayWa-Workshop unter dem Titel „Pommesbande, Schurkenkekse, Burgerwichte – Ernährungsbildung ohne erhobenen Zeigefinger“ teil. Der Ernährungskompass der BayWa Stiftung ist in seiner Ursprungsversion seit 2018 an über 4.000 Schulen in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen im Einsatz. „Rund eine halbe Million Kinder konnten so von unserem ganzheitlichen Ernährungsbildungsprogramm zur Gesundheitsprävention profitieren“, erklärt Ellie Zips-Pape. „Dank sehr guter Kontakte der Beisheim Stiftung zum hiesigen Kultusministerium konnten wir in Sachsen im letzten halben Jahr jede zweite Grundschule erreichen. Insofern war auch das Feedback, das wir hier auf der Buchmesse bekommen haben, großartig. Wir haben jede Menge Rückenwind für unsere Arbeit bekommen.“

Das Hey-ich-kann-das-Gefühl rauskitzeln: Die Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland e. V. ist ein bundesweit agierendes Netzwerk von rund 130 Mitglieds-Unternehmen, das sich für Startup-Förderung und MINT-Bildung engagiert. Gegründete wurde der gemeinnützige Verein vor 20 Jahren von Konzernen wie BASF oder Bosch. „Nach dem PISA-Schock dachten die Unternehmen, dass man dringend etwas tun sollte“, erklärt Andreas Petermann, Projektmanager Bildung am MINT-Hub Sachsen in Dresden. „Die Wirtschaft kann das Bildungssystem zwar nicht im Alleingang umkrempeln, darf aber auch nichts unversucht lassen.“ Und so versucht die Wissensfabrik, früh Interesse für technische Themen in Kinderköpfe zu pflanzen. „Was in der Kita geweckt wurde, lässt sich auch später wieder rauskitzeln. Petermann nennt es das „Hey-ich-kann-das-Gefühl“. Auf die Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik, die Fähigkeit, Lösungen zu finden, Sachen selbst in die Hand zu nehmen zielen alle Mitmach-Projekte, die die Wissensfabrik für Kitas und Schulen entwickelt hat – egal, ob es sich, wie bei City4Future, um Klima und Nachhaltigkeit dreht, oder, wie bei IT2School, um Digitalisierung und KI. Die Beisheim Stiftung unterstützt Länder-Kooperationen in einzelnen Bundesländern, letztes Jahr ging es in Sachsen los. Und auch Andreas Petermann ist zum ersten Mal auf der Leipziger Buchmesse: „Das ist eine Premiere für uns“, sagt er, „und in der Tat eine sehr spannende. Donnerstag und Freitag waren viele Schulklassen hier, wenn du die nach ihrem Informatik-Unterricht fragst, bis du sofort im Gespräch. Es kommen aber auch sehr viele Lehrkräfte, nicht nur aus Sachsen. Und natürlich kommt es auch zu Gesprächen mit Unternehmen – die wollen wir begeistern, mitzumachen. Wir könnten ja noch deutlich mehr Schulen bedienen, wenn das Netzwerk größer wäre.“ Im UVERSE haben Petermann und sein Team Workshops angeboten, unter anderem mit einer Referentin vom Mitglieds-Unternehmen SAP zu KI und maschinellem Lernen. „Wir sind happy über die Premiere!“
