Wie sind Sie mit Ihrem Verlag durchs Jahr 2020 gekommen?
Sebastian Guggolz: Am Ende war es gar nicht so schlecht, wie zwischendrin befürchtet. Natürlich war das Jahr geprägt von Unsicherheiten und offener Zukunft. Aber die Zahlen waren gut. Im Gegensatz zu großen Verlagen gab es auch keine Einschnitte oder Verschiebungen, ich habe einfach weiter produziert. Das scheint sich auszuzahlen: Im Lockdown haben viele Leute offensichtlich Lust auf Bücher – das einzige „Kulturmittel“, das nach wie vor uneingeschränkt zur Verfügung steht.
Wie sah es mit Veranstaltungen aus?
Guggolz: Das ging leider gar nicht. Und da fehlt natürlich etwas. Das sind nicht nur die Veranstaltungen im Buchhandel – das sind natürlich auch die Messen. Dazu haben sich für mich in den letzten Jahren die kleinen Büchermärkte, wie etwa „Neue Bücher braucht das Land“ im Literaturhaus München, zu einem relevanten Faktor entwickelt. Auch die sind alle gestrichen gewesen. Mit den Sozialen Medien haben sich alternative Wege eröffnet, um das Bedürfnis nach Austausch über Bücher und Lektüre am Köcheln zu halten. Das ist eines der positivsten Signale des vergangenen Jahres. Was ein Like für den konkreten Verkauf bedeutet, weiß ich natürlich nicht.
Was war die größte Überraschung für Sie?
Guggolz: Es war handgreiflich spürbar, dass es so etwas wie eine Lust auf Bücher gibt. Mit meinen an die beiden Buchmessen gekoppelten Veröffentlichungsterminen kenne ich schon auch Phasen, in denen ich das Gefühl habe, aus der Wahrnehmung rauszufallen. Es gibt gerade kein neues Buch, wenig Besprechungen… Das habe ich 2020 überhaupt nicht erlebt! Es gab kontinuierlich Interesse, interessanterweise auch Rekordumsätze durch Bestellungen über die Homepage. Aber auch die Bestellungen über den Buchhandel liefen super. Es gab einen Hunger auf Bücher und auf Lesen – das war für mich die positivste Überraschung. Eine Schocksituation kann einen ja auch lähmen.
Stimmt. Gab es bei all dem Rückenwind auch so etwas wie eine negative Überraschung?
Guggolz: Wir haben mit Monika Grütters eine tolle Fürsprecherin, und bei mir sind viele der Hilfsprogramme wirklich angekommen. Dass aber Kultur – und damit auch Bücher – in der öffentlichen Diskussion mit Tattoo- und Nagelstudios oder Glücksspielhallen in einen Topf geworfen wurden, finde ich inakzeptabel.
Was erwarten Sie vom eben beginnenden neuen Jahr?
Guggolz: Ich hoffe natürlich, dass die Pandemie deutlich zurückgeht und vielleicht bis Ende des Jahres so weit bekämpft ist, dass deutlich mehr Normalität möglich ist. Ich hoffe sehr, dass die Buchmessen wieder stattfinden. Denn auch das ist eine Erkenntnis im Jahresrückblick: Was mir am meisten gefehlt hat, sind Austausch und Begegnung, vor allem mit den lieben Kolleginnen und Kollegen. Ich war sehr viel für mich allein, habe natürlich auch viele Entscheidungen allein treffen müssen. Natürlich telefoniert man, tauscht E-Mails aus – aber das ersetzt natürlich nie die spontane Begegnung. Das sollte sukzessive doch wieder möglich werden. Wenn ich ehrlich bin, fürchte ich natürlich, dass uns ein großes Maß an Unsicherheit übers Jahr erhalten bleibt – gerade, was die wirtschaftliche Erwartung angeht. Insgesamt bin ich allerdings ziemlich optimistisch. Sollte die Rückbesinnung auf Bücher in den Lockdown-Zeiten nicht dauerhafte Konsequenzen haben? Das ist zumindest ein Signal, das ich aus dem Buchhandel höre: Viele Leute wenden sich dem stationären Sortiment zu, es gibt eine Art Renaissance des regionalen Umfelds. Und ich höre, dass auch jüngere Leute wieder mehr lesen.
Werden Sie Ende Mai nach Leipzig kommen?
Guggolz: Auf jeden Fall! Die Verschiebung in Richtung Sommer lässt die Pläne der Leipziger ja sehr handfest erscheinen. Das sind gute zwei Monate, in denen sich sehr viel zum Positiven wenden kann. Und ich spüre ja, wie ausgehungert ich bin! (lacht) Wir brauchen solche Anlässe doch wie Luft zum Atmen.
Sebastian Guggolz, geboren 1982 am Bodensee, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Volkskunde in Hamburg. Nach einigen Jahren als Lektor bei Matthes & Seitz Berlin gründete er 2014 den Guggolz Verlag, in dem er Neu- und Wiederentdeckungen vergessener Klassiker aus Nord- und Osteuropa in neuer Übersetzung herausgibt.