Fotos: Christian Modla
Um die Gemütslage der Leipziger zu erfassen, reicht es manchmal, in den nächsten Späti zu gehen. Sie wissen schon, einen von diesen vor allem in ostdeutschen Städten wie Berlin, Leipzig oder Dresden zu findenden Kiosken, die uns außerhalb der üblichen Ladenöffnungszeiten mit allem Nötigen versorgen. Dazu gehören auch die relevantesten Nachrichten. „Nächstes Jahr ist wieder Buchmesse“ strahlte mir letzten Donnerstag der Inhaber eines beliebten Spätkaufs in der Südvorstadt am Tresen entgegen. Der Mann hatte recht; am Abend war das Zukunftsgespräch zur Leipziger Buchmesse Thema in den Hauptnachrichten der „Tagesschau“.
Kurz nach der erneuten pandemiebedingten Buchmesse-Absage im Februar hatten Claudia Roth und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer Vertreter aus Branche und Politik dazu eingeladen. Vor Ort nahmen an dem Spitzentreffen unter anderem der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, der Geschäftsführer der Leipziger Messe GmbH Martin Buhl-Wagner, der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland Carsten Schneider, der CEO der Holtzbrinck Buchverlage Alexander Lorbeer, die VS-Vorsitzende Lena Falkenhagen und die Merlin-Verlegerin Katharina Eleonore Meyer, Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung, teil. Digital zugeschaltet waren Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, Thomas Rathnow, CEO Penguin Random House, Christian Schumacher-Gebler, CEO Bonnier Media Deutschland, und – coronabedingt – Oliver Zille, der Direktor der Leipziger Buchmesse.
Nach dem rund anderthalbstündigen Gespräch im Verwaltungsgebäude der Messe trat die Kulturstaatsministerin gewohnt energisch vor die Presse – nicht nur als hochrangige Vertreterin des Bundes, sondern als leidenschaftlicher Buchmesse-Fan: „Ich lasse mir diese Buchmesse nicht wegnehmen – um alles in der Welt nicht!“ Roth markierte die große Bedeutung des Leipziger Frühjahrs-Branchentreffen gleich auf mehreren Feldern: Sie sei gerade in diesen Zeiten wichtig, da sie „in Richtung Mittel- und Südosteuropa Türen öffnen und Brücken bauen“ könne; Leipzig sei aber auch traditionell „die Buchmesse der Leserinnen und Leser“ und habe enorme Signalwirkung für die „Verlagsvielfalt und Diversität“. An all dies, so die Ministerin, müsse man sich jetzt erinnern – aber „in die Zukunft“ hinein: „Ich werde alles zu tun, was in unserer Macht steht, damit es nächstes Jahr in Leipzig wieder eine tolle Buchmesse gibt!“
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sah schon in der prominenten Beteiligung am Zukunftsgespräch einen Ausweis für die Relevanz und Wichtigkeit der Leipziger Buchmesse. „Leipzig ist ein Forum der Demokratie, ein Ort der Selbstvergewisserung und der produktiven Verunsicherung.“ Hier sei es möglich, „mit den Augen der anderen auf die Probleme der Welt zu schauen“. Ausdrücklich bedankte sich Kretschmer für die „klare Ansage“ der erst kurz im Amt befindlichen Kulturstaatsministerin und das „gemeinsame Unterhaken“ von Politik und Kulturwirtschaft.
„Wir wollen diese Messe“, betonte auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. „Ich glaube, es ist ein gutes, wichtiges Zeichen, Bund, Land, Kommune und Verlagsbranche Hand in Hand zu erleben.“ Wie essentiell das Bücherfest fürs gesellschaftlich-kulturelle Leben der Kommune ist, illustrierte der OBM mit einem Bonmot: „Die Leipziger Messe als Mutter aller Messen“ sei die einzige Messe der Welt, die sich „eine eigene Stadt“ halte.
Für Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe GmbH, hat die Vorbereitung auf die Leipziger Buchmesse 2023 bereits begonnen: „Sie ist auf den Schienen.“ Zwei Aufgaben nimmt der Manager aus der Runde mit: „Wir werden Formate in einem Stufenmodell entwickeln – gemeinsam mit Ausstellern, Autoren, Verlagen und Medienhäusern. Und wir werden vieles bringen, was wir nach den erfolgreichen Jahren bis 2019 in den Schubladen lassen mussten.“ Dabei weiß sich Buhl-Wagner mit Oliver Zille einig: Neben der Schärfung des bewährten Doppel-Konzepts von Messe und „Leipzig liest“ geht es dem Buchmesse-Direktor und seinem Team darum, mit einem „Backup-Modell“ zu garantieren, dass die Frühjahrs-Großveranstaltung auch unter tendenziell unsicheren pandemischen Bedingungen sicher über die Bühne gehen kann. „Das ist fundamental neu im Vergleich mit einer klassischen Messe-Organisation“, sagt Zille. „Aber das ist unsere Innovations-Aufgabe.“
Auf „unterschiedliche Szenarien“ vorbereitet zu sein, ist auch für Alexander Lorbeer, den CEO der Holtzbrinck Buchverlage, essentiell. Leipzig sei für sein Haus auch deshalb wichtig, weil die Buchmesse „sehr stark an den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser“ ausgerichtet sei – „ein sehr, sehr hohes Gut“. Das gilt nicht nur für die großen Konzerne, sondern ebenso für die vielen kleineren, aber ungemein innovativen Independent-Verlage, die hier die dringend benötigte Sichtbarkeit für sich und ihre Programme schaffen. Mit künstlich hochgejazzten Frontlinien Groß gegen Klein oder Ost gegen West, davon ist auch die Kurt-Wolff-Vorstandsvorsitzende Katharina Eleonore Meyer überzeugt, rede man die Bedeutung der Leipziger Buchmesse fahrlässig klein.
Für den sächsischen Wirtschaftsminister und Aufsichtsratsvorsitzenden der Leipziger Messe GmbH Martin Dulig ist es mit dem schieren „Stattfinden“ der Messe im kommenden Jahr nicht getan. „Die Buchmesse 2023 wird nicht einfach die Fortsetzung von 2019 sein“, so Dulig. „In den Jahren, wo Leipzig nicht stattfinden konnte, hat es mit Pandemie und geändertem Freizeitverhalten, inzwischen einem heißen Krieg in Europa dramatische Veränderungen gegeben. Wir alle, die diese Messe wollen, von ihr überzeugt sind, haben uns in die Hand versprochen, dass wir an ihrer Fortentwicklung mitwirken wollen.“ Das vertrauensvolle Gespräch wird weitergehen – auch wenn die „Tagesschau“ und mein freundlicher Späti-Betreiber nicht dabei sind.