Johannes Graubner kam im letzten Juli zur Leipziger Messe. Es ist die Zeit, als die Belegschaft nach einem langen Lockdown aus der Kurzarbeit zurückgekehrt war, das Leben wieder in einen, wenn auch eingeschränkten, Normal-Modus umsprang. Als neuer Leiter der Abteilung Sicherheit und Verkehrsorganisation fallen auch große Teile der Veranstaltungssicherheit in sein Ressort. Im normalen Tagesgeschäft reicht das vom Ordnungs- und Sanitätsdienst oder der Verkehrsorganisation bis zur Kontrolle der Zutritte zum Messegelände. Dazu, in Abstimmung mit anderen Abteilungen, Notfallmanagement oder Evakuierungen. Dass das Corona-Management der Abteilung zufällt, die das Wort „Sicherheit“ im Namen trägt, ist für Graubner logisch. Er ist gut gerüstet: Als freier Sicherheitsberater hat er für seine Kunden seit anderthalb Jahren hauptsächlich Hygiene-Konzepte geschrieben. „Das Thema war für die meisten in der Branche neu“, gesteht Graubner. „Ich stand im ständigen Austausch mit Gesundheitsbehörden und Fachkollegen der Branche die letzten zwei Jahre waren für uns alle ein großer Learning-by-doing-Prozess.“
Nachdem Anfang September in Leipzig mit Cadeaux und Midora die ersten Präsenz-Fachmessen über die Bühne gingen, öffnete wenig später mit der modell-hobby-spiel die erste Publikumsmesse ihre Tore. Auch für Graubner und sein Team ein großes Gefühl – aber auch eine große Herausforderung. „Eine Schwierigkeit in Pandemie-Zeiten: Du weißt nie, wie viele Besucher am Ende wirklich kommen. Wir haben mit der Hälfte gerechnet – und so ist es am Ende gekommen.“ 47.000 Besucher und 320 Aussteller aus elf Ländern bewiesen, dass Großveranstaltungen auch in pandemischen Zeiten gelingen, lang vermisste persönliche Begegnungen möglich sind – dank des umfassenden Hygienekonzepts SafeExpo der Leipziger Messe, aber auch dank rücksichtsvoller Besucher und Aussteller. Im Messegeschäft, dass sich in Zeiten von Corona mit einem der bislang größten Härtetests konfrontiert sieht, ist das Thema „Sicherheit“ zum Standortfaktor geworden.
Drei Tage nach unserer Begegnung in Graubners Büro auf der neuen Messe erreicht uns eine neue, wenn auch nicht ganz unerwartete Hiobs-Botschaft: Sachsen zieht aufgrund steigender Inzidenzen die Corona-Notfallverordnung, nach der bis zum 12. Dezember Großveranstaltungen, Messen und Kongresse nicht zulässig sind. Wie geht ein Mann wie Johannes Graubner mit der volatilen Lage, der permanenten Ungewissheit um? „Ich versuche, die Sozialen Medien in diesen Tagen möglichst zu meiden, auch aktuelle Nachrichten gebe ich mir nur in homöopathischen Dosen.“ Während die Medien orakeln, was das Zeug hält und auf Facebook oder Twitter die Spekulationen ins Kraut schießen, hält sich Graubner an die Fakten. „Für mich zählt, was in den Verordnungen steht. Vorher lasse ich mich nicht wild machen. Punkt.“
Beim Studium der Verordnungslage hat es Graubner in Pandemie-Zeiten häufig nur noch mit der Rubrik „Großveranstaltungen“ zu tun; das ist, recht pauschal, alles, was über 1000 Besucher geht. „Dabei fällt nicht ins Gewicht, ob es sich um Konzerte, Club-Events, Kongresse oder eben Messen handelt“, erklärt der Sicherheits-Chef, „obwohl es ja jeweils um gänzlich andere Umstände, ein ganz anderes Publikum geht.“ Seine Herausforderung besteht nicht nur darin, die Verordnungen irgendwie zu erfüllen. Es geht, mehr noch, um ihre sinnvolle Umsetzung. Die Frage, wie man als Veranstalter verhindert, dass es zu Infektionen kommt, ist nach fast 24 Monaten Pandemie keine Raketenwissenschaft mehr: Abstand. Masken. Desinfektion. Moderne Lüftungskonzepte. Intelligenter Standbau. Das ganze Programm. „Die Kunst ist, vorausschauend zu fahren, die Entwicklung des Virus ebenso im Blick zu haben wie die Verordnungslage. Im Zweifelsfall planen wir lieber eine Nummer sicherer – aber wir zögern auch nicht, Erleichterungen sofort umzusetzen.“ Der enge Austausch mit den zuständigen Behörden ist für Graubner längst Routine.
Johannes Graubner weiß um das schwer aufzulösende Dilemma, in dem er mit seiner Arbeit steckt: Er will auf der einen Seite maximale Sicherheit gewährleisten, weiß aber auf der anderen Seite, dass eine Buchmesse auch ein anarchisches Moment hat, Luft zum Leben, Räume für Zufallsbegegnungen braucht. Wie lassen sich die Hallen intelligent bespielen, ohne dass sich alles abgezirkelt und in Plastik gepackt anfühlt? „Wir wissen ja, was die Leipziger Buchmesse so besonders macht. Und das wollen wir nicht wegfallen lassen! Signierstunden oder Lesungen lassen sich auch so planen, dass das Abstandsgebot eingehalten werden kann – auch wenn das letztlich mehr Aufwand für uns bedeutet.“ Hier sprechen wir nicht nur von breiteren Gängen und sogenannten „Kommunikationszonen“ vor den Ständen. Es geht auch darum, Programme zu entzerren, um Besucherstaus zu vermeiden. Aktuell plant man für Frühjahr 2022 mit 25.000 Besuchern pro Tag. Eine Zahl, die für den Sicherheits-Planer Segen und Fluch in einem ist.
Johannes Graubner ist einer, der auch in seiner knapp bemessenen Freizeit in diversen Arbeitskreisen engagiert ist, eher Verordnungen und Paragraphen durchackert, als den literarischen Bestseller der Saison zu schmökern. „Ich mach’ das, was ich mache, ziemlich gern“, sagt er. Und schiebt grinsend nach: „Auch wenn Corona die Sache gerade etwas überstrapaziert.“ Dienst nach Vorschrift jedenfalls gibt es für den zweifachen Vater, der für den neuen Job von Dresden nach Leipzig gezogen ist, nicht. Gut möglich, dass das mit seiner Zeit als Selbstständiger zu tun hat – auch da war die klassische 40-Stunden-Woche nicht vorgesehen. Graubner sieht sich als Ermöglicher, nicht als Spielverderber. „Alle, die gesund zur Messe kommen, kommen bitte auch wieder gesund nach Hause! Dieses Ziel haben wir doch alle gemeinsam.“