Trau keinem über 30? Verlegerinnen und Verleger, die nicht nur Bilanzen lesen, sondern auch Bücher entdecken können, hat es immer gegeben. Gegen Konzernkonkurrenz und Massenware setzen die „Independents“, wie sie sich in Analogie zur Musik-Szene nennen, auf sorgfältig zusammengestellte Programme und liebevoll gestaltetes Buchdesign. Ihre Geschichten erzählen von Freiheitsnischen, von geglückter Improvisation und fröhlichen Zufällen. Sie fürchten die Logik der Ökonomie eben so wenig wie die Konkurrenz der Großen. Sie wollen erfolgreich Bücher verkaufen – und doch authentisch, ganz nah bei ihren Lesern bleiben. In Leipzig, wo seit 2001 der Kurt-Wolff-Preis vergeben wird, sind die Indies mit originellen Veranstaltungsformaten und immer wieder neuen, ausgefallenen Veranstaltungs-Orten Magneten fürs Lesepublikum.

Herzstück des Indie-Aufgalopps war schon zum achten (!) Mal das Forum Die Unabhängigen in Halle 5. Dort gingen – neben knapp 50 Lesungen und Diskussionen im Halbstundentakt – die Verleihung des Alfred-Kerr-Preises an die Literaturkritikerin Beate Tröger und die des Kurt-Wolff-Preises an Theater der Zeit (Hauptpreis) und den Verlag A • B • Fischer (Förderpreis) über die Bühne. Der Espresso an der Bar wurde (gegen Spende) von leibhaftigen Verlegerinnen und Verlegern ausgeschenkt, die guten Gespräche waren gratis. Und da unabhängige Verlage ohne unabhängiges Sortiment nichts wären, gab’s am Freitagabend den Buchhandelstreff, einen schon zur guten Tradition gewordenen geplanten Flash-Mob, an dem sich beide Branchenteile bei einem guten Drink begegnen konnten. Zum fünften Mal zog das Forum am Messe-Samstag in die Stadt – zur Spätausgabe im Westflügel in Leipzig-Plagwitz. Das Abendprogramm fand in bewährter Weise zeitgleich im Westflügel-Saal und in der Kulturbar „froehlich & herrlich“ statt – manch einer wünschte sich da die Gabe der Bi-Lokalität.

Kulturpolitisch ernst wurde es vor der Verleihung des Kurt-Wolff-Preises (Laudator Friedrich Dieckmann forderte, „aus Achtung vor der Amtlichen Rechtschreibung“, fortan auch die gleichnamige gastgebende Stiftung „unbedingt mit zwei Bindestrichen“ zu schreiben); in Gegenwart der scheidenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth schrieb die Stiftungsvorsitzende Katharina E. Meyer (Merlin Verlag) noch einmal allen ins Stammbuch, warum Indie-Verlage „systemrelevant“ sind: Oberflächlich betrachtet, produzieren deren Verlegerinnen und Verleger die Ware Buch, sind also Unternehmerinnen und Unternehmer. „Aber tatsächlich verbreiten sie Inhalte, Geschichten, Ideen, die Leserinnen und Leser anregen und bilden, die diskurste und Gesellschaftliche Debatten begleiten oder anstoßen.“ Systemrelevant sind Indie-Verlage aber auch, weil sie an der Schnittstelle der Kreativwirtschaft agieren und mit ihren Aufträgen eine Existenzgrundlage für eine sehr große Zahl von Freiberuflern in Deutschland schaffen.Um die komplexe Vielschichtigkeit von Verlagsarbeit für Außenstehende transparenter zu machen, hat die Stiftung anlässlich der Leipziger Buchmesse das Plakat „Was macht ein Verlag“ entwickelt, umgesetzt von der Berliner Agentur Golden Cosmos.

Nach sechsjähriger Hunger- und Durststrecke brachte das Independence-Dinner Medienleute und unabhängige Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Der legendäre „Chinabrenner“ von Thomas Wrobel ging in Corona-Zeiten über den Deister, doch nun konnte das Festbankett wieder neu aufleben – in Wrobels neuem Etablissement „Drunken Master“, zu finden auf einem von der Gentrifizierung noch nicht voll erwischten klandestinen Areal zwischen Messegelände und Bahnhof, auf dem es ein wenig ausschaut wie im Leipzig von 1990. So vielfältig und stark gewürzt wie Wrobels Gerichte sind die Programme der unabhängigen Verlage, die nach langer Pause wieder Medien-Leute und Kulturnetzwerker einluden, selbst Denis Scheck („Druckfrisch“) ließ sich nicht zwei Mal bitten. Das kulinarisch-kulturpolitische Gemeinschaftswerk von Hotlist, ARGE Österreichische Privatverlage, Swiss Independent Publishers (SWIPS) und der Kurt-Wolff-Stiftung (KWS) kam heuer, so erklärte Hotlist-Promotor Axel von Ernst (Lilienfeld) durch tatkräftige Hilfe von Dörlemann Satz (Lemförde) zustande. Dem Vorsitzenden des Österreichischen Verlegerverbandes Alexander Potyka (Picus) blieb es vorbehalten, mit einer Legende aufzuräumen – der in schöner Regelmäßigkeit vorgebrachten Behauptung, man sei unabhängig. Das Gegenteil ist der Fall: „Wir sind extrem abhängig! Von unseren Lesern, Autoren, von Buchhändlerinnen und Buchhändlern.“ Und natürlich auch von den so zahlreich erschienenen Kritikerinnen und Kritikern. Letztlich, so Potyka, sitzen Journalisten und Verlagsleute in einem Boot. Den passenden Slogan dafür liefert ihm ein indischer Wirt, der unweit seines Verlags in der Wiener Josefstadt mit diesen Worten wirbt: „Essen Sie bei mir, sonst verhungern wir beide!“