In der täglich größer werdenden wundersamen Welt der Podcasts wird viel geredet. Die Halbwertzeit des großen Palavers ist oft recht kurz. Wenn sich Katja Gasser in ihrem Podcast den Luxus erlaubt, abseits des Tagesgeschäfts mit österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern über das Leben und das Schreiben zu sprechen, und darüber, wie beides zusammenwirkt, scheint sie intuitiv einem Diktum zu folgen: Wieso allgemein bleiben, wenn es auch persönlich geht? Was das bedeutet, kann man als Hörer etwa in Folge Zwei erfahren, die nicht lange nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit der österreichisch-ukrainischen Autorin und Tanja Maljartschuk aufgezeichnet wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war die Bachmannpreisträgerin des Jahres 2018 in ungezählten Interviews wider Willen zur Erklärerin der Ukraine und zur Kommentatorin der schrecklichen Ereignisse im Land ihrer Herkunft geworden. Als Gasser Maljartschuk auf ihre „tollen Haare“ anspricht, bricht es aus der Autorin heraus: „Ich habe gestern erst verstanden, dass der Frühling angekommen ist, überall blühen die Bäume und zwitschern die Vögel. Ich habe das alles übersehen! Ich bin noch immer im Februar 2022, fühle mich wie gefesselt – dieser Krieg hat aus mir ein Monster gemacht.“ Auf diesen Moment angesprochen, in dem beide Frauen kurz davor zu stehen scheinen, in Tränen auszubrechen, sagt Gasser, dass sie sich Teile dieses intensiven Dialogs „für immer“ merken wird. „Ich habe in jeder Episode etwas gelernt, etwas erfahren, was ich bis dahin nicht gewusst habe.“ Es soll „um etwas gehen“, das ist Gassers Anspruch, für den Podcast und fürs Gastland-Programm insgesamt: „Wir möchten eine gute Mischung zwischen einer ‚humanistischen Heiterkeit’ und einem ‚sehr ernst gemeinten Ernst’ finden.“
Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ ist Teil des Gastlandauftritts Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023. Seit März 2022 erscheinen die Folgen zweiwöchentlich, mit Ausnahme einer kleinen Sommerpause. Bis zum April 2023 will Gasser möglichst viele Autorinnen und Autoren vorstellen – alle werden beim Gastlandauftritt dabei sein. Bei der Auswahl ihrer Gesprächspartner*innen wägt die Kuratorin beständig ab; sie möchte ein möglichst „polyperspektivisches Bild“ zeichnen und dabei berühmte Namen und Newcomer gleichermaßen berücksichtigen.
Katja Gasser spricht mit ihren Gästen über grundlegende Fragen des Mensch-Seins, des Schreibens, des Lesens. „In diesem Podcast“, sagt sie, „dreht sich letztlich alles um das Leben selbst.“ Und schiebt nach: „Es gibt ja keine Literatur jenseits der Welt, jenseits des Menschen.“ Spricht man länger mit Gasser, wird klar, dass solche Sätze nicht leichthin dahingesagt sind, weil sie gut klingen. Sie sind Resultat einer langen Karriere im TV-Literaturressort des Österreichischen Rundfunks (ORF). „Ich habe immer hart um die Relevanz von Literatur im Fernsehen kämpfen müssen“, erklärt Gasser. „Literatur ist keine elitäre Angelegenheit, keine Minderheiten-Veranstaltung, und sie prägt mein Leben sehr zentral!“ Genau das will sie auch im Podcast zeigen – ohne einer Simplifizierung des literarischen das Wort zu reden. Sich selbst nimmt sie dabei nicht besonders wichtig. Es geht ihr um den Transport einer Grundhaltung. „Ich möchte nicht, dass man Literatur in eine Ecke schiebt, die nur dann bewässert wird, wenn alle anderen schon Wasser gehabt haben.“
In den einzelnen Folgen überlässt sich Gasser den Dynamiken der Unterhaltung; sie hört zu, fragt nach, lässt sich überraschen – Tugenden, die in Kulturgesprächen nicht durchgängig verbreitet sind. Sie ist freier als im stärker durchformatierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Einige dramaturgische Elemente wiederholen sich – etwa der Beginn der ersten Folgen, in denen die Moderatorin versucht, einen gemeinsam erlebten Moment mit ihrem jeweiligen Gast in Erinnerung zu rufen. Originell auch die Bitte an die Gäste, einen Gegenstand mitzubringen, ohne den ihr Alltag nicht denkbar wäre. In den ersten Folgen wird hier erstaunlich oft Technik ausgepackt: Doron Rabinovici hat seinen Laptop dabei, Teresa Präauer ihre Kopfhörer („Ich bin eine richtige Radiosüchtlerin“), Reinhard Kaiser-Mühlecker das Ladegerät seines Smartphones, das für ihn, via Internet, die Verbindung zur Welt sicherstellt. Die letzte Stufe des Gesprächs ist die Rubrik „Meyers Fragen“; Gasser ist Fan des des Schweizer Schriftstellers Thomas Meyer, der es in der Kunst des erkenntnisbringenden, kommunikationsfördernden Fragestellens zu einiger Meisterschaft gebracht hat. Seit letztem Herbst greift Gasser, quasi als Eisbrecher zu Beginn des Gesprächs, auf den berühmten Proust-Fragenkatalog zurück, den Zeitschriften wie Vanity Fair in den USA und das FAZ-Magazin in Deutschland populär gemacht haben. „Wie würdest du deine aktuelle Geistesverfassung beschreiben“, fragt Gasser etwa den Autoren Paul Ferstl, der schlagfertig antwortet: „Unzurechnungsfähig-zuverlässig.“
Der Podcast ist für Katja Gasser, ähnlich wie die von ihr erfundene Porträt-Reihe Archive des Schreibens, ein mediales „Herzensprojekt“. Während sie als Kuratorin des Gastlandauftritts zur temporären Kultur-Managerin mit hundert Debatten und gefühlt tausend Telefonaten im Monat geworden ist, wollte sie auch eine Wiese beackern, die sie inhaltlich ausfüllt und zugleich das Projekt prägt. In den „Literaturgesprächen“ geht es um die großen und kleinen Fragen des Lebens, um die Freude an der Literatur und das große Glück des Lesens. Sehr frei zitiert Gasser den großen Sprachkünstler Ernst Jandl, wenn sie sagt: „Das sein kein Scheißn Podcast!“ Wie recht sie hat.