Aus zahlreichen und unterschiedlichen Gründen wird mir die Leipziger Buchmesse lange in Erinnerung bleiben. Grundsätzlich werde ich sie immer mit meinem Roman verbinden. Interior zero wurde dieses Jahr von Manuela Klenke ins Deutsche übersetzt und vom mikrotext Verlag aus Berlin veröffentlicht. Eine Reihe von Premieren für viele der Beteiligten: Für mich war es der erste Roman, für Manuela das erste übersetzte Buch und für den Verlag das erste Hardcover. Zum ersten Mal kam ich in Kontakt mit den deutschen Medien. Der Auftakt lag bereits vor der eigentlichen Messe: Seit November 2017 reisten deutsche Journalisten unterschiedlicher Zeitungen, Radio- und TV-Sender nach Rumänien, um die Schriftsteller zu treffen, die nach Leipzig kommen würden.
Bei dieser Gelegenheit konnte ich die Mechanismen der Präsenz beobachten: Wie ein Image kreiert wird, welch große Rolle die Synchronisierung spielt und der Umstand, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Die Veröffentlichung meines Romans ein Jahr früher oder später hätte den besonderen Anlass der Leipziger Buchmesse mit dem Schwerpunkt Rumänien verpasst – und dadurch auch die Förderung vom Rumänischen Kulturinstitut, was letztlich ausschlaggebend für die Veröffentlichung war.
Die Leipziger Buchmesse war die erste internationale Messe, zu der ich eingeladen wurde. Mit steigender Ungeduld wartete ich darauf, je öfter ich die deutschen Journalisten in Bukarest traf. In Rumänien werden auf den Buchmessen Bücher verkauft. Der Hauptgrund, warum die Leser dann eine solche Messe besuchen, ist, dass sie Bücher zum Sonderpreis direkt vom Verlagsstand kaufen. Neuerscheinungen werden zwar auch vorgestellt, aber immer sehr knapp und in einem eher unangenehmen Rahmen, da beim Verlagsstand der Platz nicht ausreicht und die Zuschauer stehen müssen, teilweise in dem Gang zwischen den Ständen, in einer lauten Geräuschkulisse und eventuell noch von anderen Passanten geschubst.
Das waren die Bilder, die ich von Veranstaltungen auf einer Buchmesse vor Augen hatte. Kleine Bemerkung am Rande: Meine Schriftsteller-Freunde und ich nennen ironischerweise die Bukarester Messen (die zweimal jährlich, im Mai und im November, beim Romexpo-Ausstellungszentrum stattfinden) „Das Fest des Buches”. Selbstverständlich haben unsere Messen auch ihren eigenen Charme; es ist wunderbar, Menschen zu sehen, die Trolleys voller Bücher hinter sich herziehen, es ist wunderbar, Kartons mit Büchern für 1 LEU (entspricht 20 Cent) durchzustöbern und dort kleine Schmuckstücke zu finden, Bücher, die in den Läden nicht mehr käuflich sind.
Seitdem ich das erste Mal das Messegelände in Leipzig betreten habe, hat „Das Fest des Buches” eine andere Bedeutung für mich. Kurz vor zehn war ich schon da, wurde von einem Beauftragten des rumänischen Standes empfangen, der mich an den Sicherheitskräften vorbeibrachte und ihnen sagte, dass ich Autorin sei und ein Event habe. Als ich in die Hallen voller Bücher eintrat, während alles geordnet und vorbereitet auf den Eröffenungsgong wartete, fühlte ich mich wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal ein Süßwarengeschäft betritt. Mein größtes Bedauern war, dass ich nicht ausreichend Deutsch kann – ein bisschen verstehe ich, so viel man braucht, um auf der Straße nicht zu verhungern, aber ich kann keine Literatur lesen, höchsten kann ich die Minus Drei Bücher mit dem Wörterbuch entziffern.
Der rumänische Stand hat mir gefallen und mich gleichzeitig gerührt, auf eine Art und Weise, die schwer zu erklären ist. Er war der Stand einer Auseinandersetzung unter den anwesenden Autoren und in der rumänischen Presse. Ich selbst war zu müde um noch über den 1989-Augenblick, Ceaușescu und die Überreste der kommunistischen Mentalität im heutigen Rumänien zu sprechen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich fast 30 von meinen 35 Jahren in einer Welt, aus der Ceaușescu verschwunden war, gelebt habe, habe ich im Gespräch mit der deutschen Presse ein bisschen zu viel darüber geredet. Und trotzdem rührte mich dieser Stand, so wie die abstrakte Idee eines Gefängnisses einen rühren kann, irgendwo am Ende der Welt, neben einem unendlich schwarzen Vorhang.
Bei dieser Buchmesse habe ich zum ersten Mal auf ein Bild von mir mit dem Marker ein Autogramm gegeben. Und es war das erste Mal, dass ich mitansehen musste, wie die Übersetzung meines Buches gestohlen wurde. „Das ist ein gutes Zeichen”, sagte mir die Verlegerin fröhlich. Ich schaute in den Büchereien der Stadt nach meinem Buch. Ich trug auf der Straße die blaue Tragetasche mit dem Claim Zoom in Romania. Und ich spürte eine Art Stolz, die ich noch nie auf einer anderen Reise in ein europäisches Land verspürt habe.
(Aus dem Rumänischen übersetzt von Manuela Klenke)
Fotos: Tom Schulze/LBM, Adi Bulboacă (Lavinia Braniște)
Lavinia Branişte wurde 1983 in Brăila, im Südosten Rumäniens, geboren. Sie lebt in Bukarest, wo sie als Literaturübersetzerin arbeitet. Sie veröffentlichte zwei Sammlungen mit Kurzgeschichten Cinci minute pe zi (Fünf Minuten am Tag, 2011) und Escapada (Eskapade, 2014), einen Roman (Interior zero, 2016) und drei Kinderbücher. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden ins Englische, Französische, Portugiesische, Kroatische und Bulgarische übersetzt. Interior zero wurde mit dem Preis „Nepotul lui Thoreau“ („Thoreau’s Neffe“) als der beste rumänische Roman im Jahr 2016 ausgezeichnet. Unter dem Titel Null Komma Irgendwas erschien die deutsche Ausgabe von Braniştes Romandebüt im Frühjahr 2018 bei mikrotext.