Fotos: Martin Neuhof
Stell’ Dir vor es ist Buchmesse, und alle gehen hin: Ein sonniger Donnerstagmorgen Mitte März, aus dem Bürofenster im Verwaltungsgebäude der Leipziger Messe sind Menschenpulks zu sehen, die von den Straßen- und S-Bahn-Haltestellen Richtung Glashalle strömen. Toll, so viel ist fakt, wenn man an gefühlt 364 Tagen zuvor für die Leipziger Buchmesse getrommelt hat. Für Constanze Hilsebein, Kommunikationsmanagerin Werbung bei der Messe, kommt der eigentliche Flash üblicherweise schon zwei Wochen vorher: „Wenn ich durch die Innenstadt laufe und unsere Citylight-Plakate sehe. Wenn ganz Leipzig rot trägt. Und leuchtet. 2020 hingen die Poster ja schon.“ Was kam, ist bekannt: Die Vollbremsung aus ICE-Hochgeschwindigkeit, die erste pandemiebedingte Absage einer Leitmesse im deutschsprachigen Raum. Schockstarre, sich berappeln. Langes banges Hoffen und Vorbereiten, dann „Leipzig liest extra“ statt Buchmesse. Nicht lamentieren, sondern auf ein Neues. Alle Kräfte angespannt und losgelaufen: Das Ziel März 2022 so fest im Blick wie die täglichen Inzidenzen. Ein hochemotionales Stop-und-go über nun fast zwei Jahre. Jeder und jede in der Branche hat eigene Erfahrungen damit.
Wie darüber sprechen? Einfach auf bessere Zeiten warten, oder darauf, dass alles so wird wie früher, vor Corona? Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat Ende der Sechziger festgestellt, dass „wir nicht nicht kommunizieren“ könnten. Das gilt nicht nur für Plaudertaschen und notorische Tratschen, sondern auch für Kommunikations-Profis. Fragt sich also, wie die Werbefrau Constanze Hilsebein, Onlinerin Lydia Schaffranek und Pressesprecherin Julia Lücke, die Drei, die für die Leipziger Buchmesse das Redeholz in der Hand haben, in Zeiten wie diesen arbeiten. Kommunizieren. Und wer, bitte, sind diese drei Frauen eigentlich, von denen auf der Buchmesse-Website nur Kontakt und Foto hinterlegt ist?
„Wenn alles klappt, wie wir hoffen, wird 2022 erst meine fünfte Buchmesse“, sagt Julia Lücke, die seit 2015 als Pressefrau an Bord ist. Zwei Elternzeiten und Corona, so kann’s gehen. Lücke, gebürtige Leipzigerin, studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Obwohl sie fast alle Praktika in Redaktionen absolvierte, entschied sie sich bewusst für eine PR-Laufbahn. Der erste Job führte sie für drei Jahre nach Köln, zur Werbeagentur Rheinfaktor: „Das war zum Einstieg eine coole Sache, weil man sich überall ausprobieren konnte – vom Texten, das mir am meisten Spaß gemacht hat, bis zu Online-Marketing und Veranstaltungs-Management. Für den ADAC etwa haben wir eine Riesen-Roadshow organisiert.“ Der Job war interessant und fordernd, vor acht oder zehn Uhr kam Lücke selten aus dem Büro. Als die Sehnsuchts-Signale der alten Heimat unüberhörbar wurden, suchte sie nach Alternativen – und heuerte 2011 im Kommunikationsteam der Leipziger Messe an, wo sie zunächst diverse andere Publikumsmessen betreute. Nach drei Jahren dann der Wechsel zur Buchmesse; dazu betreut Julia Lücke die Erlebnismesse modell-hobby-spiel.
„Mit kleinen Herausforderungen fangen wir gar nicht erst an!“ So forsch und alle potenziellen Zweifel im Keim erstickend wurde Constanze Hilsebein von der Chefin der Kommunikations-Abteilung empfangen, als sie 2011, zunächst in Elternzeit-Vertretung, als Werbereferentin für die Buchmesse begann. „So habe ich schwimmen gelernt“, sagt sie lachend, „und bin nicht untergegangen“. Hilsebein, in Wurzen geboren, studierte an der Hochschule Harz in Halberstadt, die sie als diplomierte Verwaltungsökonomin für öffentliches Dienstleistungsmanagement verließ. „Ich hatte anfangs erwogen, eine Polizeilaufbahn einzuschlagen; in Halberstadt hatten sie auch Polizei- und Ordnungsrecht im Portfolio. Ich habe recht bald gemerkt: Das ist nicht meins. In die Branche bin ich aber schließlich über die Vertiefungsrichtung Kommunikation/Marketing gekommen.“ Praktika führten Hilsebein zur Leipzig Touristik und Marketing GmbH (LTM) und 2010 auch zur Leipziger Messe, wo sie unter anderem für die Auto Mobil International (AMI) tätig war. Nach einem kurzen Intermezzo bei den Versicherungsforen Leipzig ist Hilsebein seit August 2014 fest für die Leipziger Buchmesse tätig. Über ihren Schreibtisch geht alles, was die Markenführung der Messe angeht, von der Einhaltung der CI-Richtlinien über die Abstimmung mit Agenturen bis hin zur Erstellung der Print-Produkte und Anzeigen. Klassisches Werbe-Einmaleins, eigentlich. Doch die Herausforderung ist groß: Wenn der Frühjahrs-Aufgalopp der Branche ansteht, schauen alle nach Leipzig. „Der Aufschlag muss sitzen.“
„Dieses aufgedrehte Summen und Brummen, das hat mich sofort selbst unter Strom gesetzt. Und dann kamen da noch Leute mit Blumensträußen und einer Torte vorbei! Echt jetzt?“ Ausgerechnet an einem Buchmesse-Mittwoch war Lydia Schaffranek im März 2015 nach Neuwiederitzsch gefahren, um sich für ein Praktikum bei der Leipziger Messe zu bewerben. Damals wurden es dann drei Monate Arbeit für die modell-hobby-spiel. Doch auch dieser Buchmesse-Flash wirkte weiter. Schaffranek stammt, wie ihre Kollegin Hilsebein, aus dem Muldental. Sie wuchs im 40 Kilometer von Wurzen entfernten Grimma auf – und schrieb sich nach dem Abitur 2009 für ein Soziologiestudium in Leipzig ein. „Meine Eltern hätten BWL lieber gesehen“, erzählt sie. „Ich habe nach einer Kombi aus Sozialwissenschaften und etwas halbwegs ‚Handfestem“ gesucht.“ Wohin es die seit Schulzeiten internetaffine junge Frau mit geisteswissenschaftlichem Master beruflich treiben würde, war anfangs schwer abzusehen. Nach dem Studium stieg sie bei einer kleinen E-Commerce-Agentur ein und wechselte im Herbst 2018 in den Bereich Neuproduktentwicklung der Leipziger Messe. Nach einem Zwischenspiel bei einer internationalen Agentur betreut sie seit Juli 2021 als Online-Managerin die Webseite der Leipziger Buchmesse und alle Social-Media-Kanäle, natürlich auch den Blog, den Sie gerade lesen. Daneben kümmert sich Lydia Schaffranek um die digitalen Belange der CosmeticBusiness, einer Fachmesse der Kosmetik-Zulieferindustrie, die die Leipziger in München veranstalten. Seit letzten Jahr sind die Onliner dabei, die Unternehmenswebseite und Präsenzen der einzelnen Veranstaltungen der Leipziger Messe auf ein neues System zu migrieren. Buchmesse und Manga Comic Con (MCC) sind längst umgezogen, doch gerade in Pandemiezeiten steht die Frage, welche digitalen Erweiterungen Sinn machen, beständig auf Wiedervorlage.
Der von Julia Lücke ins Spiel gebrachte Begriff der „Inhouse-Agentur“ beschreibt recht gut, wie die Arbeit der drei Kommunikations-Frauen im Buchmesse-Kosmos zu denken ist: „Wir sind feste Key-Accounterinnen für das Kern-Team. Wir gehören ihm zwar strukturell nicht an, die Kolleginnen denken uns jedoch stets mit.“ Soll ein herausgehobenes kulturpolitisches Hintergrundgespräch über die 2021 enorm gehypten Clubhouse-App geführt werden – oder heute besser über den Live-Audio-Dienst Twitter Spaces? „Man vertraut auf unsere Expertise“, ist Schaffranek überzeugt, „und ist sehr offen für unsere Einschätzung“. Einmal pro Woche, immer mittwochs, gibt es eine komplette Teamrunde. Auch bei strategischen Themen sind die Drei von der Kommunikations-Stelle früh in die Prozesse involviert – „viel enger, als es bei einer klassischen Agentur je der Fall wäre“. Dieser Verklammerung konnte auch Corona nichts anhaben – trotz zeitweiliger Kurzarbeit, Homeoffice und einer internen Umstrukturierung, die den Schreibtisch der Onlinerin Lydia Schaffranek in ein anderes Büro der Messe-Verwaltung beamte. „Wir fangen das durch Chatprogramme, die gute alte Telefon-Konferenz oder regelmäßige jour-fixes ab“, meint Constanze Hilsebein. „Ich habe nicht das Gefühl, dass uns Themen verloren gehen.“
Dass die drei Frauen neben dem Leuchtturm Buchmesse auch noch andere Veranstaltungen betreuen, ist für Julia Lücke in Pandemiezeiten eher ein psychologischer Vorteil: Mit den im Oktober in Leipzig und München wieder physisch durchgestarteten Messen ließ sich ein Stück „Vertrauen ins Gelingen“ zurückerobern. „Selbst vorübergehende Limitierungen haben der Wiedersehens-Euphorie keinen Abbruch getan“, sagt Lydia Schaffranek, die als aktive Buchmesse-Mitarbeiterin noch keine Leipziger Buchmesse erlebt hat. „Die Leute wollen sich sehen, im richtigen Leben und nicht nur via Zoom & Co.“ Auch Julia Lücke fiebert auf Tage wie den Messe-Mittwoch: Vormittags die von ihr geleitete Eröffnungs-Pressekonferenz, ein Kraftakt. Abends die ersten Töne des Gewandhaus-Orchesters. „Ein irrer Moment.“ Wenn es für das Team Lücke, Hilsebein und Schaffranek – ach was, für uns alle! – nur einen Funken höhere Gerechtigkeit gibt, hat es die Leipziger Buchmesse in diesen Minuten wieder in die „Tagesschau“ geschafft.