Gründet und mehret euch!

Gründet und mehret euch!

Der Mann hat Mut: Zur Leipziger Buchmesse im März präsentierte Robert Merkel sein Startup direkt neben dem Weltkonzern Amazon. Nach zehn Jahren bei der 20th Century Fox und Walt Disney hat der gebürtige Leipziger mit einem alten Kindergartenkumpel, der jetzt als IT-Spezialist arbeitet, die eigene Firma gegründet. Mit dem Digitalverlag frankly will die Life Media AG zwar nicht das Rad neu erfinden, aber immerhin einen Gegenentwurf zur amerikanischen Internet-Unternehmenskultur etablieren. Eine Art „YouTube für Publishing mit angeschlossenem iTunes-Store“, scherzt Merkel. Doch der Jungunternehmer meint es ernst. frankly ist Verlag, E-Book- Store und soziales Netzwerk in einem. Die Tugenden traditionellen Verlegens sollen mit den neuen technologischen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden – zum Nutzen von Autoren und Lesern. „Wir waren zu jung, als Napster die Musikindustrie revolutionierte“, meint Merkel selbstbewusst – für das eigene Startup sei die alte Buchstadt genau der richtige Ort. „Das Neue wird hier entstehen.“ Nicht nur auf der Messe oder den Berliner Buchtagen, dem jährlichen Gipfeltreffen der Branche, fällt es ins Auge: Die jungen Tüftler werden wahr- und ernst genommen – auch von Büchermenschen, die mit der hippen Gründerszene nicht per se verbandelt sind. Alles ist möglich, Denken mit Scheuklappen war gestern. Frank Maleu, Gründer der E-Book-Boutique Minimore, tüftelt gemeinsam mit der Mainzer Agentur bureau23 an einem Weg, wie sich E-Books einfach, sicher und ohne aufwendige technische Voraussetzungen lokal handeln lassen. Im Laden laden, womöglich gleich bar bezahlen – warum eigentlich nicht? Über die App des Berliner Start-ups MediaSpot können mit Hilfe der iBeacon-Technologie E-Books, Hörbücher und Magazine an ausgewählten Orten kostenlos gelesen und gehört werden, derzeit wird das Angebot schon an rund 150 Orten der Hauptstadt und in der Flotte von berlinlinienbus.de genutzt. Nun wollen die Berliner auch das stationäre Sortiment für die Technik begeistern. Klaus Rössler und Stefan Fischerländer, die Frankfurter Gründer von bookvibes, schrauben derweil an etwas, das sie gewitzt „Emotional Internet of Things“ nennen. Eine App, die Emotionen aus Büchern extrahiert: „Mit unserer Webanwendung können wir die emotionale DNA jedes Buchs bestimmen – und so ein Netzwerk aus Lesern, Händlern und

Autoren schaffen.“ Die Frage nach den Geschäftsmodellen von morgen trifft ganz offensichtlich einen Nerv. So ging bookvibes die ersten Schritte in der vom Forum Zukunft im Börsenverein und dem Arbeitskreis Elektronisches Publizieren (AKEP) gestarteten Initiative protoTYPE. Ein Beispiel, das zeigt, wie zarte Projektpf länzchen zu ernsthaften Business-Ideen reifen können. Über vier Jahre konnten Vor- und Querdenker der Buch- und Medienwelt hier ihre Ideen jeweils sechs Monate lang bis zur Projektreife vorantreiben. Mit seinem im Sommer 2014 gegründeten startup club möchte der Börsenverein jungen Unternehmen den Zugang zur Buchwelt erleichtern – und ihnen zugleich als wichtige Partner Gehör verschaffen. Letztlich geht es um ein Umfeld, in dem sich Start-ups gut aufgehoben fühlen – mit praktischen Angeboten, die ihnen Kontakte, Werkzeuge und Wissen an die Hand geben, nicht zuletzt auch darüber, wie die oft zu unrecht als konservativ gescholtene Branche tickt. Dorothee Werner, die als Leiterin der Abteilung Unternehmensentwicklung im Börsenverein protoTYPE und den startup club verantwortet, arbeitet inzwischen mit jungen Gründern und etablierten Unternehmen an der Weiterentwicklung dieser Bausteine. Entstehen soll eine Plattform, die innovationsrelevantes Wissen zur Verfügung stellt, potenzielle Kooperationspartner vernetzt, Kontakte zu Förderinstitutionen vermittelt, kurz: handfesten Mehrwert für Start-ups und klassische Unternehmen bietet.

Günter Faltin, Buchautor und Professor für Entrepreneurship in Berlin, ist, logisch, ein Start-up-Fan. Wobei er weniger die „schnellen Jungs“ im Auge hat, die „beim Entry gleich an den Exit denken“. Faltin rät Gründern, nicht auf Wunder oder den Anruf vom Großkonzern zu warten, sondern auf die eigene Kreativität zu bauen: „Wir sind das Kapital!“ Doch gilt nicht andererseits der gute alte Spruch: Ohne Moos nix los? Seinen Verlag Onkel & Onkel finanzierte Volker Oppmann 2007 privat. Bei seinem ehrgeizigen Projekt LOG.OS, einer gemeinnützigen E-Book-Plattform, ist nicht der schnelle Return-on- Invest, sondern Idealismus gefragt. Was wohl für die Buchbranche im Allgemeinen gilt: Die zu erwartenden Margen sind nicht so gewaltig, als dass Venture- Heuschrecken magnetisch angezogen würden. Passen also Finanzinvestoren überhaupt in diese Landschaft? Wie findet man als Gründer private Kapitalgeber? „Das Klinkenputzen, die Suche nach den passenden Partnern dauert“, meint Samuel Ju, der als Student der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Entwicklung der E-Learning-Software BRAINYOO beteiligt war und Anfang 2012 zusammen mit einem Freund die E-Learning-Plattform Repetico gründete. „Das ist wertvolle Zeit, die in der kreativen Arbeit fehlt.“ Ju hatte Glück: Jonathan Beck, Geschäftsführer bei C. H. Beck, hat als privat agierender Business Angel die Gründung von Repetico begleitet. Jens Klingelhöfer, der seine Firma bookwire mit Hilfe branchenfremder Investoren gründete, verweist auf die hierzulande prinzipiell schwierige Finanzierungslandschaft: Entweder tropft der Geldhahn nur spärlich – oder er sprudelt überreich. EUProgramme sind zudem meist an eine Mindestkapitalquote gebunden – und damit für Firmen, die von null starten, wenig hilfreich. Unternehmen in der Frühphase hilft das sogenannte INVEST-Wagniskapital: Unter bestimmten Bedingungen können private Geldgeber 20 Prozent ihres Investments als Zuschuss erhalten – derzeit sind noch mehr als 100 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm abrufbar. Ebenso entscheidend wie die Investmenthöhe ist allerdings auch die richtige Chemie zwischen Start-up und Geldgeber. Versteht der das Business nicht, in das er einsteigt, kann das die „Hölle auf Rädern“ sein, warnt Volker Oppmann: „Ein ausgemusterter Procter-&- Gamble-Manager mag für Pampers funktionieren – aber nicht für Bücher.“ Gesucht und rar: Risikobereite Leute mit Stallgeruch, die auch branchenunerfahrenen Neulingen Türen öffnen. Auch für Lisa Eineter ist der Austausch mit anderen Gründern, die Integration in bestehende Netzwerke wichtig. In kaum zehn Jahren hat die Berlinerin mit ihren Ex-Kommilitonen ein florierendes Bildungsunternehmen geschaffen, eben wagt sie die Ausgründung eines neuen Start-ups. Mit Schmökerkisten will die studierte Mathe- und Deutschlehrerin Sprachförderung in den Fachunterricht bringen: „In unseren Kisten stecken keine Schulbücher, sondern Nachschlagewerke, Romane, Lexika, Spiele, DVDs oder CD-ROMs, die bei den Schülern die Motivation für ein Thema rauskitzeln können“, erklärt Eineter. Der Bedarf ist da: 130 Schmökerkisten wurden in der im Frühjahr 2014 gestarteten Pilotphase verkauft; im August 2014 lief der deutschlandweite Vertrieb an. Von der Lehramtsstudentin zur Sozialunternehmerin: Lisa Eineter gründete das Start-up Schmökerkisten. Wenn Eineter in den Speed- Datings des startup clubs auf etablierte Player trifft, geht es nicht um den fixen Deal, eher um Vernetzung. Davon profitieren auch die klassischen Unternehmen der Branche: Gelungene Beispiele wie Bastei Entertainment, Oettinger34 oder die digitalen Ullstein- Imprints Midnight und Forever zeigen, dass man gelebte Start-up-Kultur nicht nebenbei in die Old Economy verpf lanzen kann. Es braucht geschützte Räume, in denen das Neue wachsen kann. „Grow or go home!“, heißt es hemdsärmelig im Silicon Valley. Doch ist es nicht vielmehr so, dass alte und neue Ökonomie voneinander lernen müssen? Rita Bollig, bei Random House verantwortlich fürs digitale Geschäft, bringt es zwischen zwei Leipziger Blitz-Dates auf den Punkt: „Für uns ist es wichtig, nicht im eigenen Saft zu schmoren. Die Vitalität, die Geschwindigkeit und Effizienz der jungen Wilden sind enorm. Wenn dazu noch gut durchdachte Geschäftsideen kommen, sollte man als traditionelles Unternehmen schon genau hinschauen.“

Bildquelle: Maria-Helene Tornau / Nils Kahlefendt

Forever young!

Forever young!

Es gibt Verlage, die am Reißbrett irgendeiner Konzernzentrale erfunden werden. Andere entstehen aus einer übermütigen Weinlaune heraus oder weil da Bücher sind, die unbedingt in die Welt müssen. Die Geschichte von Voland & Quist beginnt 2001, fast drei Jahre vor der eigentlichen Gründung, als Planspiel zweier Studenten. Sebastian Wolter und Leif Greinus hatten sich während ihres Studiums an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirstschaft und Kultur angefreundet und brüteten in ihrer WG nächtelang über einer Fallstudie fürs Fach Controlling. Das Thema: Die Gründung eines Verlags. Eigentlich unmöglich, zu diesem Schluss kommen sie. Unmöglich? Warum nicht die Literatur der Poetry Slams und Lesebühnen, die sie in ihrer Freizeit organisieren, zwischen Buchdeckel bringen? Und: Wieso nicht Bücher konsequent mit CDs kombinieren, da die Texte ihre volle Wirkung erst in der performativen Praxis erzielen? „Live-Literatur“ nennen die beiden das. „Für uns lag das Konzept auf der Hand“, erklärt Wolter. „Unsere Autoren können hervorragend vorlesen – und das soll man auch zu Hause nachhören können.“ Im Herbst 2004 erscheinen die ersten Titel von Voland & Quist. Den Verlagsnamen borgen sich die Neu-Gründer in der Weltliteratur aus. Seither rätseln nicht nur Freunde, ob sich im finster-mephistophelischen Voland aus Bulgakows „Meister und Margarita“ oder dem freundlich-friedensstiftenden Quinten Quist aus Harry Mulischs „Entdeckung des Himmels“ Wesenszüge von Greinus und Wolter wiederfinden lassen.

Trau keinem über 30?

Verleger, die nicht nur Bilanzen lesen, sondern auch Bücher entdecken können, hat es immer gegeben. Trau keinem über 30? Wagenbach, Rotbuch, Stroemfeld: Viele, die ihren Weg in den politisch aufgeheizten Jahren der Alt-Bundesrepublik um 1968 begannen, feiern inzwischen runde Geburtstage. Dem Osten bescherte der Mauerfall vor 25 Jahren noch einmal einen regelrechten Gründungsboom. Mitte des neuen Jahrtausends, als Voland & Quist ihre ersten Schritte gehen, wird der Buchmarkt wieder aufgemischt: Junge, ambitionierte Nachwuchsverleger drängen aufs umkämpfte Parkett. Gegen Konzernkonkurrenz und Massenware setzen die „Independents“, wie sie sich in Analogie zur Musik-Szene nennen, auf sorgfältig zusammengestellte Programme und liebevoll gestaltetes Buchdesign.

Sie wollen erfolgreich Bücher verkaufen – und doch authentisch, ganz nah bei ihren Lesern bleiben.In Leipzig, wo seit 2001 der Kurt-Wolff-Preis vergeben wird, sind die Indies mit originellen Veranstaltungsformaten und immer wieder neuen, ausgefallenen Veranstaltungs-Orten Magneten fürs Lesepublikum.Gemeinsam hat man viel erreicht: Der „Indiebookday“, vom Hamburger Mairisch Verlag in bester Graswurzel-Tradition angestoßen, hat sich im Kalender etabliert. Die „Hotlist“ lenkt das Scheinwerferlicht von den großen Literatur-Preisen auf den Reichtum der Verlagslandschaften insgesamt. Kein Zweifel: Sichtbarer sind sie geworden, die unabhängigen Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz –und das ist beileibe keine Frage des Alters.

Käpt’n ohne Schiff

Aus ganz jungen Independents werden erfahrene – wenn sie gut sind. Als Ricco Bilger 1983, wenige Gehminuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt, seine Buchhandlung eröffnete, galt das Viertel noch als Problembezirk. Heute dominieren im Kreis 5 schicke Bars und Galerien. Sec 52 heißt sein Laden. Die Ziffern stehen für die Hausnummer in der Josefstraße, „sec“ meint so viel wie „astrein“, „ohne Schnickschnack“. Heute würde man vermutlich „cool“ sagen, doch damit hat Bilger nichts am Hut. „Es bedeutet so viel wie auf den Punkt gebracht“, erklärt er. „Unprätentiös. Nicht ideologisch. Jenseits des Zentrums, den Rändern entlang.“ Eine Schlüsselformel, die auch für den Büchermacher Bilger gilt. Schon in den 1980er Jahren trat er verlegerisch in Erscheinung; 2001 gründete er mit dem Grafik-Designer Dario Benassa den Bilgerverlag. 1996 startete er an seinem Geburtsort im Wallis das Internationale Literaturfestival Leukerbad, das er über zehn Jahre leitete. Im Herbst 2007 war er Gründungspräsident der Plattform SWIPS. Was an eine Sektlaune denken lässt, ist ernst gemeint und steht für Swiss Independent Publishers. Ein Dach, unter dem heute knapp 30 unabhängige Deutschschweizer Verlage gemeinsame Interessen formulieren: Es geht um faire Wettbewerbsbedingungen, sinnvolle Fördermodelle und, natürlich: größere Sichtbarkeit in den Medien. Den Staffelstab des SWIPS-Präsidenten hat Bilger inzwischen abgegeben. Es zieht ihn weiter, tolle Bücher macht er immer noch. Sein Bruder im Geist ist der seefahrende Comic-Held Corto Maltese, der Käpt’n ohne Schiff, der rund um die Welt durch alle Literaturen reist. Und stets dort präsent ist, wo es brennt.

Offen für Neues

Die runde Geburtstagsparty feierten Voland & Quist gerade in ihrem Dresdner Lieblings-Club, der „Scheune“. In zehn Jahren hat der Verlag rund 100 Titel veröffentlicht: Bücher mit und ohne CD, dazu DVDs, Comics und Musik-Alben. Zu Lesebühnenliteratur und Spoken-Word-Lyrik gesellten sich Kinderbücher und eine Reihe mit jungen Autoren aus Osteuropa („Sonar“). „Nach all den Umbrüchen dort liegen die Geschichten förmlich auf der Straße“, sagt Sebastian Wolter. „Die wollen wir entdecken!“ Die beiden Verleger haben Durststrecken überstanden; Liquiditätsengpässe und kaffeegedopte Lektorate bis in den frühen Morgen – und dafür mehr als nur wohlwollendes Schulterklopfen geerntet. 2010 mit dem Kurt-Wolff-Förderpreis ausgezeichnet, sind sie heute selbst Vorbild für nachwachsende junge Kollegen. Stehenbleiben gilt nicht: Mit der Kurzgeschichten-App „A story a day“ haben Voland & Quist eben ein Publikationsmodell für mobile Endgeräte gestartet. „Mit Blick auf den digitalen Wandel“, erklärt Wolter, „wollten wir etwas Neues ausprobieren. Neben dem klassischen Format Buch.“

Elektrische Bücher

Die Euphorie der Nullerjahre, in denen junge Print- Verlage an den Festen der Buchhandels-Welt rüttelten, ist längst in der digitalen Welt angekommen. Doch die Lage ist heute komplizierter: Im flüchtigen Raum des Digitalen versenden sich Dinge leichter. Die Vielfalt ist gewachsen – aber es ist schwieriger geworden, den eigenen Platz und die eigene Stimme zu finden. Zu den neuen Verlagen, die ihre Autoren ausschließlich digital publizieren, gehört Mikrotext aus Berlin. Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass Gründerin Nikola Richter an ihr erstes Smartphone kam – über einen Blogger-Wettbewerb. Heute verlegt die studierte Literaturwissenschaftlerin Autoren wie Alexander Kluge oder das Tagebuch des Syrers Aboud Saeed, der auf Facebook seine eigene kleine Revolution angezettelt hat. Das Medium ist schnell; viele Bücher sind inspiriert von Diskussionen in sozialen Medien und dem Blick auf internationale Debatten. Mit der Genre-Literatur, wie sie auf Internetportalen und Fan-Foren zirkuliert, hat Richter nichts am Hut. Die mutige Seiteneinsteigerin, die im Oktober mit dem erstmals vergebenen „Young Excellence Award“ des „Börsenblat t“ ausgezeichnet wurde, setzt ganz auf klassische Verlagsarbeit. Während die Dickschif fe der Branche E-Books meist als Beiprodukt des physischen Buchs behandeln, versteht Nikola Richter ihre digitalen Ausgaben nicht als billige Kopie – sondern als Originalprodukt. Mit der von ihr im letzten Sommer mitorganisierten „Electric Book Fair“, Deutschlands erster Messe für E-Book-Verlage, hat die Netzwerkerin der digitalen Aufbruchstimmung eine neue Plattform geschaffen. Es bleibt dabei: Jede Verlegergeneration muss sich, immer wieder, neu erfinden; Programme entwickeln, die mit der Zeit gehen, ohne im „Zeitgeist“ aufzugehen. Aus ganz jungen Independents werden ältere, erfahrene – wenn sie gut sind.

Bildquelle: Robert Gommlich / Nils Kahlefendt / Monique Wüstenhagen

Hossa!

Hossa!

Schweinevogel, dieses seltsame Mischwesen, hat mich seit meinem 19. Lebensjahr begleitet. Ein echtes Kind der DDR, wo man nirgends legal Comics drucken konnte. 1987 habe ich mich also einfach in ein Messehaus geschlichen – und die ersten Exemplare meines Fanzines „Klump’n’Schlomp“ an einem Minolta-Kopierer vervielfältigt. 1989 erschien Schweinevogel dann als wöchentlicher Strip in der frisch gewendeten „Leipziger Volkszeitung“. Inzwischen tritt er, ganz old-fashioned, im Digitalen auf – in der „Leipziger Internetzeitung“.

Ich habe immer mal wieder versucht, ihn mainstreamiger zu machen, zum Geldschwein, sozusagen. Aber Schweinevogel lässt sich nicht einfangen und verwursten. Er ist ein sperriger Charakter; jeder neue Strip eine Herausforderung, weil er sein Eigenleben nie aufgegeben hat. Wir hatten immer unsere Beziehungskrisen, Liebe und Hass, wie das in Familien so ist. Kaum zu glauben: Über der Arbeit am Schweinevogel-Film bin ich Veganer geworden, mit 39. Und meine beiden Kinder sind mit diesem Geschwister-Kind aufgewachsen. Es war immer klar: Da gibt’s noch jemanden, der in der zweidimensionalen Welt zu Hause ist. Der aber dazugehört.

Schwarwel, geboren 1968 in Leipzig, ist Comic-Zeichner, Illustrator und Art Director von Glücklicher Montag, einem Studio für Animation, Grafik und Multimedia. Eine 25jährige Zeitreise durch den Comic-Kosmos rund um seine berühmteste Figur ermöglichen die beiden dicken Bände „Schweinevogel Total-o-Rama“ (2010 und 2013).

Foto: Nils Kahlefendt

Der Klempner

Der Klempner

Ich bin mit „Tim und Struppi“ oder „Lucky Luke“ aufgewachsen und kann mit richtigen Superhelden eigentlich gar nichts anfangen – selbst mit „Batman“ tue ich mich schwer. In den 90er Jahren bin ich dann bei „Hellboy“ gelandet, Carlsen hatte die Serie nach Deutschland gebracht; Anfang der Nullerjahre startete der Kleinverlag Cross Cult dann einen neuen Anlauf.

Ziemlich düster, aber ich fand die Story gut. Sein Schöpfer, der Amerikaner Mike Mignola, hat Hellboy mal als „Klempner unter den Superhelden“ bezeichnet: Einer, der einfach seinen Job macht. Nur das der eben aus der Bekämpfung von Monstern, Vampiren und Nazis besteht.

Sebastian Röpke, geboren 1968 und aufgewachsen im Rheinland, studierte ab 1993 an der TH Dresden. 1997 startete er in Leipzig die „Comic Combo“, der heute als dienstältester Comic-Laden Ostdeutschlands gilt.

Foto: Nils Kahlefendt

Big in Japan

Big in Japan

Angefangen hat alles mit „Sailormoon“, „Pokemon“ und den ganzen Serien auf RTL II, damals war ich sieben, acht Jahre alt. Und genau genommen ging’s wahrscheinlich noch früher los, mit „Heidi“ und „Biene Maja“: Das waren ja, so gesehen, auch schon Animes, wenn man den Begriff für in Japan produzierte Zeichentrick-Serien verwendet. Für die Hintergründe, für japanische Kultur, habe ich mich erst später interessiert. Und bin dann bewusst auf Manga und Anime zugegangen. Mit 16, als ich viel im Internet unterwegs war, habe ich Animexx entdeckt – eine Art Facebook für Manga- und Anime-Fans. Dort habe ich viele Gleichgesinnte gefunden, nicht selten sogar aus meiner Nachbarschaft. Gemeinsam sind wir dann auf die ersten Coventions gegangen, ich habe Nähkurse belegt und begonnen, meine Kostüme selber zu schneidern. Do-it-yourself! Das macht Spaß, aber auch eine Menge Arbeit. In Berichten über unsere Szene ist oft von einem besonderen „Lebensgefühl“ die Rede, da sage ich: flache Bälle! Für die meisten von uns sind Cosplay, Manga und Anime ein schönes Hobby. Nicht mehr – aber auch nicht weniger!

Charline-Nana Lenzner wurde 1992 in Hamburg geboren und arbeitet dort in einer Werbeagentur. In ihrer Freizeit organisiert sie ehrenamtlich Cosplay-Wettbewerbe, so auch auf der Manga Comic Convention MCC in Leipzig.

Foto: Privat