Gesichter und Geschichten

Gesichter und Geschichten

Buzzaldrins Bücher: www.buzzaldrins.de

(Linus Giese)

Würden Sie sich und Ihren Blog kurz vorstellen?

Ich heiße Linus Giese und betreibe den Blog „Buzzaldrins Bücher“ – hauptberuflich arbeite ich als Buchhändler in einer Buchhandlung in Berlin. Auf meinem Blog gibt es Buchbesprechungen, Autoreninterviews und Lesungsberichte. Leider schaffe ich durch meine Arbeit längst nicht mehr so viel wie früher, freue mich aber immer noch über jede Minute, in der ich Zeit für meinen Blog finde.

Seit wann sind Sie Buchblogger und warum sind Sie es geworden?

Ich bin seit sieben Jahren Buchblogger und bin das geworden, weil ich gerne lese und über Bücher spreche und im echten Leben keinen Ort und keine Menschen hatte, um diesem Bedürfnis nachzukommen. Deshalb liebe ich es, seit sieben Jahren auf meinem Blog und den sozialen Kanälen mit allen möglichen Menschen über Bücher sprechen zu können.

Was ist Ihr Thema bei den buchmesse:blogger sessions auf der Leipziger Buchmesse und warum haben Sie es gewählt?

Ich spreche über die Frage, wie mutig man beim Bloggen sein sollte – entschieden habe ich mich dafür aus persönlichen Gründen. Vor einem halben Jahr, habe ich mich als trans geoutet und habe vorher lange darüber nachgedacht, wie öffentlich und wie mutig ich mit diesem Outing umgehen möchte. Ich glaube, dass ich deshalb einiges darüber erzählen kann, welche Türen sich durch Offenheit öffnen können – welche Risiken es aber auch geben kann.

Der berühmte erste Satz in einem Buch: Haben Sie einen Favoriten?

„Meine Mutter war sehr häßlich“ – aus Fünf Kopeken von Sarah Stricker.

Ihr Programmtipp zur Leipziger Buchmesse?

Die elfte LitPop – am 17. März im Neuen Rathaus!

Krähe und Kraken www.crowandkraken.de

(Mareike Hansen)

Würden Sie sich und Ihren Blog kurz vorstellen?

Ich heiße Mareike, lebe und schreibe in Hamburg, und blogge eigentlich seitdem ich 19 bin. Bisher steckte aber in keinem Blog so viel Herzblut wie in meinem jetzigen. Krähe und Kraken wurde anfange des Jahres aus dem Literaturblog Die Bücherkrähe und dem gesellschaftskritischen Blog Black Kraken zusammengelegt. Das gibt mir die Möglichkeit, Literatur und Gesellschaftskritisches mal getrennt, mal zusammen zu besprechen und ich habe insgesamt mehr Freiheit darüber zu schreiben, was mir am Herzen liegt, ohne meine Leserschaft vor den Kopf zu stoßen.

Seit wann sind Sie Buchblogger und warum sind Sie es geworden?

Ich habe mich 2012 schon kurz als Buchbloggerin versucht, richtig eingestiegen bin ich aber erst Anfang 2016 als Bücherkrähe. Ich war vorher sehr lange auf Literaturschock.de unterwegs, aber mir fehlte der Platz, mich weiter über Literatur ausdrücken zu können. Ich wollte meine eigene kleine Ecke, in der ich mich austoben kann, und so gründete ich 2016 Die Bücherkrähe.

Was ist Ihr Thema bei den buchmesse:blogger sessions auf der Leipziger Buchmesse und warum haben Sie es gewählt?

Zusammen mit Elif von The Written Word (https://lost-in-written-words.blogspot.de/) halte ich einen Vortrag über die Politisierung von Buchblogs. Wir sind beide sehr engagiert in Sachen Antirassismus, Feminismus und anderer gesellschaftskritischer und politischer Themen und fragen uns oft, warum die Buchblogcommunity bei vielen Sachen schweigt. Gerade bei Themen, die auch sie betrifft. Meistens ist die Antwort: „Das ist mein Hobby, da will ich keine anstrengenden Diskussionen sondern nur Spaß haben“. Das kann aber nicht alles sein, und deswegen möchten wir darüber einen Vortrag halten.

Der berühmte erste Satz in einem Buch: Haben Sie einen Favoriten?

Kristin Hannah, The Nightingale: „If I have learned anything in this long life of mine, it is this: In love we find out who we want to be; in war we find out who we are.“

Ihr Programmtipp zur Leipziger Buchmesse?

Samstag findet um 11 Uhr ein Interview mit Buchbloggern über die Rolle von Blogs bei der Literaturvermittlung statt.

(http://www.leipziger-buchmesse.de/ll/veranstaltungen/29883)

The Written Word www.lost-in-written-words.blogspot.de

(Elif)

Würden Sie sich und Ihren Blog kurz vorstellen?

Moin! Ich heiße Elif, bin 24 und habe Geschichte und Germanistik studiert. Meinen Blog „The Written Word“ nutze ich als Sprachrohr, um über Dinge zu reden, die mir wichtig sind – natürlich geht es hauptsächlich um Bücher, ich schreibe aber auch über Themen wie (Anti-)Rassismus oder andere Arten der Diskriminierung – und versuche mich und andere Leser_innen ein bisschen zu sensibilisieren. Im letzten Jahr waren meine liebsten Beiträge wohl die zu Rassismus und problematischen Klassikern. Beim Rezensieren meiner gelesenen Bücher sind mir diese Aspekte besonders wichtig. Ich lese gerne Gegenwartsromane, historische Romane, Klassiker, Jugendliteratur und hin und wieder auch Fantasy oder Sci-Fi. In den letzten Monaten habe ich auch Gefallen an Gedichtbänden und Sachbüchern zu gesellschaftskritischen Themen gefunden.

Seit wann sind Sie Buchblogger und warum sind Sie es geworden?

Seit 2012 blogge ich über Bücher, nach und nach sind Instagram und Twitter als weitere Plattformen dazugekommen. Ich brauchte den Austausch! Und ich habe meine Gedanken schon immer gerne aufgeschrieben.

Was ist Ihr Thema bei den buchmesse:blogger sessions auf der Leipziger Buchmesse und warum haben Sie es gewählt?

Das Thema ist, dass Buchblogs politischer werden müssen und damit meine ich, dass wir alle sensibilisierter sein sollten, um zu erkennen, wenn ein Buch rassistische, sexistische, homofeindliche, ableistische (usw.) Aspekte beinhaltet, die nicht deshalb drin sind, um Missstände aufzuzeigen. Oder auch, um uns dessen bewusst zu werden, wie wir was lesen und warum. Fällt uns auf, wenn Bücher nur aus weißen, cis, hetero, ‚gesunden‘ Charakteren bestehen? Wenn nein, warum nicht? Und wenn wir ein Buch über ein Thema lesen, das uns nicht betrifft: machen wir uns schlau, schauen wir, wie Betroffene das empfunden haben oder behaupten wir, dass etwas gute oder schlechte Repräsentation ist, ohne in der Haut zu stecken? Das sind alles Nuancen, derer man sich nicht immer direkt bewusst ist, die aber sehr viel ausmachen können.

Der berühmte erste Satz in einem Buch: Haben Sie einen Favoriten?

Ich mag den ersten Satz aus „Six of Crows“ (dt: „Das Lied der Krähen“) sehr gerne: „Joost had two problems: the moon and his mustache.“

Ihr Programmtipp zur Leipziger Buchmesse?

Tatsächlich finde ich die Themen der anderen Blogger Sessions unglaublich spannend. Die von Linus Giese möchte ich auf keinen Fall verpassen!

Gesichter und Geschichten

Gesichter und Geschichten

Nerdkultur-Blog www.nerds-gegen-stephan.de

(Philipp Lohmann)

Würden Sie sich und Ihren Blog kurz vorstellen?

Hallo. Mein Name ist Philipp, 31, und ich betreibe den Nerdkultur-Blog www.nerds-gegen-stephan.de. Hier schreibe ich primär Rezensionen zu Literatur, Comics und Rollenspielen, führe Interviews mit Autor*innen und berichte von Events wie Buchmessen und Conventions. Das Bloggen ist dabei mein Ausgleich zum stressigen Klinikalltag, den ich als Pain Nurse in einer großen Bayrischen Klinik so erlebe. Je nachdem, wie mich die reale Welt so in Beschlag nimmt, schreibe ich 10 – 15 Artikel im Monat und erreichte damit letztes Jahr ca. 14.000 Besuche im Monat. Wohl am bekanntesten auch über die eigentliche Zielgruppe hinaus ist mein Blog für den alljährlich verliehenen „Publikumspreis für Eskapismus, Nerdkultur & Phantastik“, welcher von meinen Leser*innen liebevoll „Goldener Stephan“ genannt wird und der jedes Jahr ein merkliches Wachstum an Teilnehmer*innen und Aufmerksamkeit verzeichnet.

Seit wann sind Sie Buchblogger und warum sind Sie es geworden?

Gebloggt habe ich schon mein halbes Leben lang, da gab es den Begriff wohl noch gar nicht. Immer über die Themen, die für mich jeweils aktuell waren, früher etwa über Videospiele und Paintball. Die Freude an der kritischen Auseinandersetzung kam vermutlich daher, dass ich damals immer mit meinem besten Freund Stephan (nachdem dieser Blog benannt wurde) rumdiskutiert habe wie gut/schlecht etwas ist. Als wir uns nach dem Abitur dann in verschiedenen Städten niederließen, nutzte ich das Bloggen als Möglichkeit mich weiterhin mit ihm auszutauschen. Irgendwann fing ich dann an über Rollenspiele zu bloggen – Von „gespielter“ hin zu „gelesener“ Phantastik war es dann gar nicht mehr so weit. www.nerds-gegen-stephan.de habe ich um die Jahreswende 2013/14 gestartet und noch im selben Jahr sprachen mich die ersten Autor*innen an, ob ich nicht mal meine Meinung zu ihren Büchern abgeben wollen würde. Also um ehrlich zu sein war mein Werdegang zum Buchblogger sehr unspektakulär…

Was ist Ihr Thema bei den buchmesse:blogger sessions auf der Leipziger Buchmesse und warum haben Sie es gewählt?

Mein Thema lautet „Blogtouren in Buchblogs: Pro und Contra“. Zugegeben, da wurde der Titel ein wenig entschärft, denn meine erste Idee wäre die provokantere Formulierung „Blogtouren sind eine Krankheit“ gewesen. Gewählt habe ich dieses Thema, nachdem ich selbst mehrfach an Blogtouren teilgenommen habe. In Gesprächen mit den Autor*innen musste ich dann aber feststellen, dass viele von ihnen gar nicht an den Erfolg glaubten, sondern einfach daran teilnahmen weil (Original-Zitat) „das ja alle machen, da muss ich halt auch“. Diesen Widerspruch zwischen der Tatsache, dass jeden Tag mehrere Blogtouren durchgeführt werden und der Meinung vieler Autor*innen, dass das eigentlich gar nichts bringt, fand ich spannend. Ich befrage derzeit Leser*innen, Blogger*innen und Autor*innen nach ihren Erfahrungen und habe einige spannende Antworten erhalten, welche ich dann vorstellen werde.

Unter https://nerds-gegen-stephan.de/archives/668-Leipziger-Buchmesse-Blogtour-Umfrage-fuer-meinen-LBM-Workshop.html kann man nach wie vor an der Umfrage von Philipp teilnehmen.

Natürlich wird es dazu auch eine Pro & Contra-Diskussion geben, dazu habe ich mir zwei sehr spannende Gäste eingeladen: Gloria H. Manderfeld (Bloggerin und Autorin) und Kathrin Dodenhoeft (Verlagsleiterin Feder & Schwert). Da ich bei dem Thema nicht ganz unparteiisch bin (wie die erste Idee des Themas nahelegt) wird Wolfgang Tischer von literaturcafe.de zwischen uns untereinander, aber auch zwischen uns und dem Publikum vermitteln. Zudem geben wir für die Zuhörer*innen, die nach dieser Session noch nicht von Blogtouren abgeschreckt sind, hilfreiche Tipps für die Durchführung bzw. Teilnahme.

Zudem werde ich als Gast beim Thema „Alleinstellungsmerkmale für Buchblogger finden.“ auftreten und kurz über meinen „Goldener Stephan“-Leserpreis als Alleinstellungsmerkmal meines Blogs sprechen.

Der berühmte erste Satz in einem Buch: Haben Sie einen Favoriten?

Ich persönlich finde ja, dass um den berühmten ersten Satz ein viel zu großer Aufriss gemacht wird. Spontan muss ich da aber an den ersten Roman denken, welchen ich in meinem Blog rezensierte und dessen erster Satz simpel, aber effektiv ist: „Jeder kennt diesen Zustand.“ (Jessica August, Die Männerliste)

Ihr Programmtipp zur Leipziger Buchmesse?

Die buchmesse:blogger sessions natürlich- So viele interessante Themen, da werde ich meinen gesamten Sonntag verbringen. Besonders gespannt bin ich auf „Warum Buchblogs politischer werden müssen“ (11:30, Fachforum 2) und auf „Buchblogger im Vergleich: Listen, Rankings und Awards“ (12:30, Fachforum 1).

Nerd-Gedanken.de

(Gloria Manderfeld)

Würden Sie sich und Ihren Blog kurz vorstellen?

Die „Nerd-Gedanken.de“ gibt es seit Mitte 2013, und seitdem liegt der Themenschwerpunkt bei Rezensionen, Rollenspiel- und Gaming-Themen. Als One-Woman-Show betrachte ich Entwicklungen kritisch, sinniere über aktuelle Publikationen und veröffentliche in unregelmäßigem Abstand auch eigene Geschichten sowie frei verfügbare Inhalte für Rollenspiel-Gruppen. Garniert wird das Ganze durch Einblicke ins Schreiben als Autorin und Berufskreative.

Seit wann sind Sie Buchblogger und warum sind Sie es geworden?

Meine Ursprünge als Buchbloggerin liegen im Fantasy- und SciFi-Portal „Fictionfantasy.de“, für das ich schon mit Mitte Zwanzig immer wieder Bücher aus dem entsprechenden Themenbereich rezensiert habe – bis schließlich die Lust auf ein eigenes Blog mit einem etwas größeren Themenbereich so groß war, dass ich mich an diese Herausforderung gewagt habe. Buchblogger wurde ich aus der Liebe zum Lesen und dem Wunsch, anderen Lesesüchtigen guten Stoff vorstellen zu dürfen – und natürlich auch zum kritischen Betrachten so mancher gehypter Bücher anzuregen.

Was ist Ihr Thema bei den buchmesse:blogger sessions auf der Leipziger Buchmesse und warum haben Sie es gewählt?

Ich bin bei zwei Veranstaltungen zugegen – zum einen bei einem Workshop zum Thema „Alleinstellungsmerkmale für Buchblogger finden“, zum anderen bei einer Podiumsdiskussion über Sinn und Unsinn von Blogtouren. Mein Workshopthema soll gerade für neue Bloggerinnen und Blogger eine Hilfestellung sein, ein individuelles Blog zu gestalten, das sich von anderen Blogs absetzen kann – es gibt einfach zu viele unglaublich gleichförmige Blogs, die man auch nach dem dritten Blick nicht groß von anderen unterscheiden kann. Dennoch steckt auch in diesen Blogs viel Liebe und Zeit – und manchmal genügen nur ein paar kleine Änderungen, um wirklich einzigartig zu werden.

Bei der Podiumsdiskussion freue ich mich auf einen vielfältigen Blick auf das Thema Blogtouren, der sicherlich gerade auch für Indie-Autoren einige Anregungen mit sich bringen wird.

Der berühmte erste Satz in einem Buch: Haben Sie einen Favoriten?

Da halte ich es ganz mit Snoopy: Es war eine dunkle und stürmische Nacht – nein, Scherz: Wenn mich ein erster Satz sofort abholt, bleibe ich auch meist dabei und lese weiter. Er muss mir Lust auf mehr machen, mehr Vorgaben habe ich nicht.

Ihr Programmtipp zur Leipziger Buchmesse?

Kein konkreter Tipp, sondern eher eine Empfehlung für das Vorgehen: sich einfach treiben lassen, genug Zeit einplanen, um auch ein bisschen zu stöbern, ohne sich zu viel Termindruck zu machen. Natürlich gibt es viele spannende Veranstaltungen – unter anderem meine! – aber sich zu viel vorzunehmen artet nur in Stress aus. Lasst euch locken, verführen, einladen!

Frau Hemingway

(Janine Rumrich)

Würden Sie sich und Ihren Blog kurz vorstellen?

Ich bin Janine Rumrich und mache beruflich irgendwas mit Betriebswirtschaftslehre. Auf Frau Hemingway lebe ich meine innige Liebesbeziehung zur Literatur aus. Dabei sage ich gern einmal deutlich, wenn ein Buch mir nicht gefällt. Ich möchte zeigen, wie toll Literatur sein kann und dass sie eines der wirksamsten Mittel gegen Dummheit und Einfältigkeit ist. Ich blogge nicht aus Leidenschaft, sondern weil es für mich eine Notwendigkeit ist.

Seit wann sind Sie Buchblogger und warum sind Sie es geworden?

Meinen ersten Blog begann ich 2012 aus Neugier am Bloggen und weil ich etwas über Literatur zu sagen hatte.

Was ist Ihr Thema bei den buchmesse:blogger sessions auf der Leipziger Buchmesse und warum haben Sie es gewählt?

Mein Thema auf den Bloggersessions lautet „Storytelling in Buchblogs“. Mit diesem Vortrag möchte ich zeigen, dass man auch für Buchblogs und in Rezensionen Erzähltechniken verwenden kann, wie sie eben in Büchern ohnehin vorkommen. Dabei möchte ich anderen Bloggern erklären, wie sie noch interessantere Artikel verfassen können.

Der berühmte erste Satz in einem Buch: Haben Sie einen Favoriten?

Das ist einfach: „Es war ein alter Mann, der allein in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen.“ Dieser Satz stammt aus Ernest Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ und er erinnert mich daran, dass Hartnäckigkeit eine Tugend ist.

Ihr Programmtipp zur Leipziger Buchmesse?

Ich möchte mir unbedingt „Man übersetzt das nicht ungestraft“ ansehen. Das ist ein Gespräch mit den ÜbersetzerInnen Nicola Denis, Ingo Herzke und Christiane Körner. Moderiert wird das Gespräch von Isabel Bogdan. Mir kommt es immer so vor, dass ÜbersetzerInnen im Literaturbetrieb vernachlässigt werden und ich nehme mich da selbst nicht aus. Das Gespräch handelt davon, was das Übersetzen von Literatur mit einem persönlich macht – wie es verändern kann.

You will never write alone!

You will never write alone!

Von der Gartenküche weht der Geruch gebratener Maiskolben, ein Sprachgemisch aus aller Herren Länder schwirrt über den langen Holztischen, nebenan packen Straßenmusiker ihre Instrumente aus. In den Prinzessinnengärten am Berliner Moritzplatz, dem Vorzeigeprojekt der deutschen Urban-Gardening-Bewegung, ist die Hipsterdichte zur Mittagszeit beträchtlich: Junge Kreative aus dem benachbarten Aufbau- oder dem Betahaus, noch immer Blaupause aller Co-Working-Spaces der Stadt, kommen zum vegetarischen Essen vorbei oder nutzen die baumbeschattete Idylle mitten im Metropolengetriebe für ein spontanes Meeting. Auch für Micz Flor und Julian Sorge, Geschäftsführer des Berliner Startups Booktype, sind die Prinzessinnengärten so etwas wie ein Lieblingsplatz, eine Oase der Entschleunigung im schnell getakteten Alltag.

In der quecksilbrigen Welt der Medienstartups, in der Programmierer, Texter und Designer in Prag, Toronto oder Belgrad nur einen Mausklick entfernt voneinander arbeiten, sind die beiden keine heurigen Hasen: Flor, studierter Psychologe, hat in den Nullerjahren die Agentur Redaktion und Alltag mitbegründet, die Projekte wie das Jugendmagazin Fluter für die Bundeszentrale für politische Bildung realisierte, und war Berater der Stiftung Media Develeopment Investment Fund, die unabhängige Medienprojekte in Schwellenländern Osteuropas und Asiens unterstützt. Gemeinsam mit zwei Prager Kollegen aus dieser Zeit gründete er 2010 die auf Open-Source-Software spezialisierte Sourcefabric. Eines der „Babys“ von Sourcefabric war eine cloudbasierte Software, die es Autoren oder Redaktionsteams ermöglichen sollte, gemeinsam Bücher, Berichte oder Manuale zu erstellen. 2013 wurde sie unter dem Namen Booktype gelauncht. Als 2015 die Ausgründung der Booktype GmbH erfolgte, wurde Produktmanager Julian Sorge einer der zwei Geschäftsführer des kleinen Teams in der Berliner Prinzessinnenstraße. Auch Sorge ist Seiteneinsteiger; nach ersten Erfahrungen als Unternehmensberater für Neue Medien war der Philosoph lange für den Gestalten Verlag in Berlin tätig, zehn Minuten Fußweg von seinem heutigen Arbeitsplatz.

Mit Booktype zum Hybrid-Buch

Als Booktype vor gut fünf Jahren Gestalt annahm, erinnert sich Julian Sorge, war die browser-basierte Erstellung von E-Books noch „der heiße Scheiß“. Auch Booktype war zunächst als „sozialer Editor“ für digitale Bücher gedacht: Eine „Social-Writing-Plattform“, die es Redaktionsteams und externe Autoren erlaubt, zur gleichen Zeit gemeinsam an Publikationen zu arbeiten – von der Materialsammlung über das Korrektorat bis zur fertigen Buchdatei: alle Workflows in einer Software, kein Medienbruch, nirgends. Inzwischen hat sich der Fokus geweitet – das Zauberwort heißt „Single Source Publishing“: Fertige Publikationen können – aus einer Quelle und praktisch auf Knopfdruck – für Print, E-Reader, Tablets oder Webseiten ausgegeben werden; Bildschirm-PDFs bieten sich als Vorab-Leseproben für Buchhändler oder Verlagsvertreter an. Booktype ist also längst mehr als ein reines E-Book-Tool. Aktuell experimentieren die Berliner bereits mit Text-to-Speech-Anwendungen für automatisierte Audiobooks – interessant etwa für Menschen mit Sehbehinderung. Für Micz Flor wandelt sich unser Begriff vom Leitmedium der Gutenberg-Galaxis gerade zur umfassenden Metapher für „gebündelte Inhalte“. Hat man gerade auf dem Handy oder in gedruckter Form gelesen, seinem Sprachassistenten gelauscht? „Die Kanäle, auf denen ein Buch erlebbar wird, werden sich erweitern. Genau dort wollen wir mit Booktype andocken.“

Seine Feuertaufe erlebte Booktype zur Frankfurter Buchmesse 2016; beim contentSHIFT-Wettbewerb des Börsenvereins waren die Berliner unter den Finalisten. Dass sie im März 2017 bei Neuland 2.0, dem Startup-Village der Leipziger Buchmesse, mit ihrem eher B2B-orientierten Geschäftsmodell den Jurypreis gewannen, kam dennoch überraschend. „Die 3000 Euro Preisgeld haben wir natürlich gern mitgenommen“, lacht Micz Flor. „Noch wichtiger war für uns allerdings das tolle Feedback von Messe-Publikum und Kollegen. Egal, ob Schüler, Studenten, Selfpublisher, Autoren, Laien oder Profis, die Leute sind mit einer irren Selbstverständlichkeit auf uns zugekommen und haben uns vermutlich mehr Löcher in den Bauch gefragt als die contenSHIFT-Jury in Frankfurt.“ Mit dem Münchner Verlagsberater Markus Hartmann, dessen Startup XL Book im Neuland 2.0 einer der Standnachbarn von Booktype war, arbeitet man inzwischen partnerschaftlich zusammen. Und auch sonst hilft das innovative Startup-Village kräftig beim Netzwerken: „Mancher, der uns vor Leipzig einfach nur auf dem Zettel hatte, ist inzwischen direkt vorbeigekommen.“ Gut möglich, dass – eher früher als später – auch ein passender Partner dabei ist. „Im klassischen Startup-Maßstab sind wir schon sehr weit“, erklärt Julian Sorge, „wir haben zur richtigen Zeit das richtige Produkt am Markt und einen festen Kundenstamm. Allerdings erfordert jeder strategische Markteintritt Investitionen, die man nicht einfach aus der Kriegskasse generieren kann. Klar, wir werden keinen Venture-Kapitalisten mit Dollarzeichen in den Augen anlocken. Aber ein strategischer Partner aus der Branche, der unser Potenzial erkennt und über gute Netzwerke verfügt, käme uns sehr gelegen.“

Fortschritt – nur „eine neue Word-Version“?

Obwohl es sich bei Booktype um ein noch junges Produkt handelt, konnte die Firma mit Books on Demand und epubli bereits zwei große Dienstleister im Bereich Selfpublishing als Kunden gewinnen. So stellt BoD Autoren den Bucheditor von Booktype unter dem Brand easyEditor zur Verfügung. Seit 2016 wird die Booktype-Technologie auf der Plattform von epubli angeboten – auch dort können Autoren Manuskripte für E-Books selbst bearbeiten, gestalten und veröffentlichen. Mikrotext, 2013 von Nikola Richter in Berlin zunächst als reiner E-Book Verlag gegründet, inzwischen jedoch auch mit gedruckten Büchern am Markt, zeigt die Stärke von Booktype für kleinere Independents, die schnell und hybrid veröffentlichen: Bei erfolgreichen Titeln kann die Verlegerin nun per Mausklick ein Druck-PDF erzeugen, auch Korrektorat und Layout werden in Booktype abgewickelt. Der bislang „schönste Use-Case“ für Booktype hat, wie Julian Sorge augenzwinkernd erzählt, nur einen kleinen Schönheitsfehler: „Er findet nicht im klassischen Verlagsbereich statt.“ Seit 2015 wird der Jahresbericht von Amnesty International in Booktype erstellt: Ein internationales Team aus Übersetzern, Lektoren und Redakteuren arbeitet dabei kollaborativ im Browser und erstellt den 400 Seiten starken Bericht in neuen Sprachen, das Ganze innerhalb von zwei Monaten. „Letzte Änderungen sind selbst am Tag vor der Drucklegung möglich.“ Gemeinsames Arbeiten an Texten – ein Trend, der nicht zufällig aus der Softwareentwicklung kommt – ist auch unter Autoren auf dem Vormarsch; eine wachsende Anzahl von ihnen beteiligt die Community auf Facebook & Co. schon bei der Plot-Erstellung. Noch sind die Arbeitsabläufe vieler klassischer Verlage von der Arbeit mit Papier geprägt, auch wenn aus Manuskriptstapeln mittlerweile Dateien geworden sind. Die digitale Revolution ist in aller Munde, doch oft bleibt Fortschritt, um mit Kathrin Passig zu sprechen, nur „eine neue Word-Version“. Die Software-Tüftler von Booktype, mit dem Siegeszug des Internets in den 1990er Jahren sozialisiert und in Leipzig nun erstmals ins große Rampenlicht getreten, wollen dieses Denken aufbrechen. Frischer Wind, der der Branche guttut. Wenn Micz Flor gefragt wird, was er beruflich macht, antwortet er: „Ich verändere die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen und Wissen teilen.“ Um nicht weniger geht es.

Das war Neuland 2.0 2017: Während sich Booktype über den mit 3.000 Euro dotierten Jurypreis freuen kann, zeichneten die Medienforen Leipzig SciFlow mit einem Sonderpreis aus. Den Publikumspreis gewann Isle Audio.

Verlegen in postfaktischen Zeiten

Verlegen in postfaktischen Zeiten

Am Anfang stand, fern aller krachlederner Assoziationen, ein Ausflug nach Bayern: Ein „Novemberfest“ mit Kunstmann aus München und dem Maro Verlag aus Augsburg, moderiert von Hanser-Verleger Michael Krüger, gab 1997 im Leipziger Literaturhaus den Startschuss für die bücher.macher. Komplettiert wurde der Abend durch eine Ausstellung und Lesungen, am Abend legten die DJs vom Weilheimer Hausmusik-Label ihre Lieblingsplatten auf. „Wie überlebt man gute Bücher?“, Klaus Wagenbachs klassische Frage, stand leitmotivisch über diesem Happening – und nur ein halbes Jahr später leuchteten Wagenbachs rote Socken wie kleine Glühwürmchen vom Podium. Das Konzept, aktuelle Branchenthemen für ein breites Publikum aus Profis und Messebesuchern aufzubereiten, ging auch in den Folgejahren auf. Seit 2012 wird das bücher.macher-Podium von der Leipziger Buchmesse veranstaltet. Das von Felicitas von Lovenberg, nun von Andreas Platthaus moderierte Panel ist ein Fixpunkt am ersten Messetag – wer sich auf das, was die Gespräche der nächsten vier Tage mitbestimmen wird, schon ein wenig einschwingen will, ist hier goldrichtig. Noch immer stehen besonders Aspekte des unabhängigen Verlegens im Fokus. Die Euphorie der Nullerjahre, in denen junge Print-Verlage an den Festen der Buchhandels-Welt rüttelten, ist längst in der digitalen Welt angekommen – eine Entwicklung, die sich auch in Themen und Gästen der bücher.macher wiederspiegelt. Beherzt gestritten und diskutiert wird dabei immer.

Was heißt eigentlich „unabhängig“?

Mit dem unerwarteten Brexit, der zugespitzten Lage in der Türkei oder der Wahl Donald Trumps hat das vergangene Jahr, häufiger als uns lieb war, gezeigt, dass kulturelle Vielfalt, Austausch und die Freiheit des Wortes, auf denen das Geschäft unserer Branche ja letztlich beruhen, keine Selbstverständlichkeiten sind. Gleichzeitig erlebt die Buchwelt den vermutlich massivsten strukturellen Umbruch seit Gutenberg – auch das ein weltweiter Prozess. Darüber, wie sich jenseits der bestsellergeriebenen Produktion großer Konzerne neue verlegerische Konzepte durchsetzen, womöglich neue Allianzen schmieden lassen, werden die bücher.macher 2017 sprechen. Und darüber, wie unabhängig „unabhängige Verlage“ eigentlich sind – Fragen, bei denen es guttut, den deutschen Blick zu erweitern.

Bibliodiversität – das neue Bio der Indie-Verlagswelt?

Den weitesten Weg nach Leipzig hat diesmal Susan Hawthorne, die seit 1991 gemeinsam mit Renate Klein im australischen Melbourne den feministischen Verlag Spinifex Press betreibt. Die deutsche Ausgabe ihres bereits in mehrere Sprachen übersetzten Buchs „Bibliodiversität. Manifest für unabhängiges Publizieren“ erscheint zur Messe im Verbrecher Verlag. Der Begriff, inspiriert vom strukturell verwandten der Biodiversität, umschreibt ein ‚organisches’ verlegerisches Konzept, dass sich vom ‚big business’ der großen Konzerne unterscheidet: Die Herstellung kultureller Vielfalt unter besonderer Berücksichtigung vermeintlich „kleiner“ Literaturen, ökologisches Bewusstsein, die Überwindung des Nord-Süd-Gefälles – am Ende gar so etwas wie das neue Bio der weltweiten Indie-Verlagsszene. Auf dem Podium trifft Hawthorne auf ihre junge Berliner Kollegin Nikola Richter (Mikrotext), die Literaturagentin Elisabeth Ruge und Muge Sokmen, Mitbegründerin von Metis Publishers (Istanbul), einem der führenden unabhängigen Verlage der Türkei, die in den letzten Monaten unter anderem für die Freilassung der Autorin Aslı Erdoğan gestritten hat. Dass „Bibliodiversity“ nun auch im Deutschen einzieht, freut Verleger Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag); ein Stachel gegen jene, die Indies für eine Quantité négligeable halten: „Wir sind vielleicht nicht mächtig – aber bibliodivers. Und was bist du?“

How Indie Are You? Die Zukunft der unabhängigen Verlage. Mit Susan Hawthorne (Spinifex Press), Nikola Richter (Mikrotext), Elisabeth Ruge (Elisabeth Ruge Agentur) und Muge Sokmen (Metis Publishers). Moderation: Andreas Platthaus (FAZ). Donnerstag, 23. März 2017, 14 Uhr, CCL, Mehrzweckfläche 4.

www.leipziger-buchmesse.de/buechermacher

Fotos: Naomi McKesher, Klaas Posselt, Stefan Nimmesgern, Metis Grafik: bureau david voss

Deutsche Comickultur – established 1967

Deutsche Comickultur – established 1967

Auf der Leipziger Buchmesse feiert Carlsen Comics sein 50-jähriges Jubiläum. Herr Schikowski: Sie sind Comickritiker, Buchautor, Comicexperte – und seit 2014 Programmleiter von Carlsen Comics.

Welche Titel waren die großen Meilensteine, unterwegs?

1967, mit Tim und Struppi, fing alles an. Damit wurde auch der Grundstein für das Softcover-Albumfomat im Buchhandel gelegt. In den 1980er Jahren gründete man das Label Carlsen Spezial Comics, später Edition ComicArt. Bis dahin bestand das Programm hauptsächlich aus frankobelgischen Funny- und Abenteuer-Comics. Mit Titeln wie Reisende im Wind von F. Bourgeon oder Corto Maltese von H. Pratt öffnete es sich dann in Richtung Erwachsenencomic.

Unter diesem Label erschienen dann auch erstmals deutschsprachige Autoren, Chris Scheuer und Matthias Schultheiss, die sich in Frankreich bereits einen Namen gemacht hatten. Es folgten amerikanische Superheldencomics (The Dark Knight returns von F. Miller und Watchmen von Moore und Gibbons) und die ersten Manga – allerdings in westlicher Leserichtung, da sie zunächst aus den USA importiert wurden.

Der Manga „Akira“ erschien ab 1991 in Deutschland – und war recht wegweisend.

Ja. Aber erst, als Manga auch in östlicher Leserichtung veröffentlicht wurden, begann das Genre zu boomen. Durch den Erfolg wurde daraus eine eigene Abteilung, Carlsen Manga.

Rückblickend enorm wichtig waren auch die Veröffentlichungen deutscher Künstler zu Beginn der Nullerjahre, denn mit Flix (Held) und Reinhard Kleist (Cash) hob man nicht nur das Label „Graphic Novel“ aus der Taufe, sondern legte den Grundstein für eine neue deutsche Comickultur, mit einem neuen Selbstverständnis.

Steht Carlsen als Comicverlag bei zwei Generationen für zwei verschiedene Kundschaften und Welten? Zum einen gibt es viele französische und belgische Alben, altmodische „Funnies“: teure Hardcover für ein wohlhabendes, meist männliches und älteres Publikum. Cartoon-Nostalgie?

Es ist sicher richtig, dass sich der Comicleser im Laufe der Jahre verändert hat. Wie sich ja überhaupt auch der Comic verändert hat. Man muss sich dazu nur einmal vorstellen, dass die wichtigsten und bekanntesten Comicfiguren schließlich alle älter als 50 Jahre sind. Sie sind regelrecht in einer anderen Zeit entstanden. Was man ja auch deutlich spürt. Die Zeit, in der sie entstanden sind, schwingt mit.

Die Leser, die damals mit diesen Serien aufgewachsen sind, wünschen sich noch einmal eine bibliophile Veröffentlichung der Klassiker. Allerdings ist das gerade die große Herausforderung: Wie können solche vermeintlich alten Helden noch lebendig gehalten werden?

Einerseits darf man die Tradition nicht verleugnen, andererseits wünscht man sich diese Helden in einem modernen Setting. Wie man diesen Spagat gut meistert, zeigt die Serie Spirou, die parallel zur Hauptserie neue Abenteuer von modernen Autoren erzählen lässt, die grafisch auch etwas innovativer sind. Das wird es in Zukunft auch von anderen Serien geben (Valerian, Blake und Mortimer). Ein interessanter Weg, auch noch einmal ein anderes Lesepublikum zu erreichen.

Auf der anderen Seite verlegt Carlsen sehr viele Manga – preiswert, und bei jungen Leserinnen und Lesern beliebt… aber oft kein Thema z.B. im Comic-Feuilleton. Treffen sich diese beiden Welten irgendwo? Oder sind das zwei ganz verschiedene Käufer- und Zielgruppen?

Comics und Manga haben tatsächlich eine eigene Geschichte, die darin gipfelt, dass einige sagen, sie läsen keine Comics, nur Manga, obwohl ja beide zu den Bilderzählungen zu zählen sind und der Manga sozusagen Comic fernöstlicher Prägung ist, wenngleich die Stilistik und die Codes andere sind. Aber bis in die 1980er Jahre hat sich der Manga fast im Alleingang in Japan entwickelt und die westliche Comicwelt nahm kaum Notiz davon.

Doch die Schere geht noch weiter auf: Moderne Comics erzählen anders, sie bedienen sich einer größeren grafischen Bandbreite und nehmen Einflüsse aus Illustration und Design mit. Überhaupt sind es nicht mehr kulturelle Schulen, die dem Comic den Stempel aufdrücken, sondern die Grafik wird freier. Genau diese Diversifikation macht auch das Programm von Carlsen heutzutage aus.

Haben Sie einen Alben-Tipp: etwas, das mir nicht altbacken vorkommen wird?

Tyler Cross von Nury und Brüno erzählt eine Gangster-Genregeschichte ganz frisch und clever und spielt mit verschiedenen Versatzstücken: So wird hier zum Beispiel der frankobelgische Semifunny-Stil weiterentwickelt. Bei Spirou Spezial machen die nostalgisch anmutenden Modernisierungen der Figur von Emile Bravo oder Olivier Schwartz besonderen Spaß.

Allerdings wird gerade in anderen Formaten die Form weitergedacht. Wie Catherine Meurisse beispielsweise ihr Trauma in Die Leichtigkeit bekämpft ist mehr als außergewöhnlich: Sie lässt ihre Figuren, die mehr aus der Karikatur zu kommen scheinen, in aquarellierten Hintergründen verschwinden, ein ganz großes Leseerlebnis, welches durch die Aktualität – es geht um den Anschlag auf Charlie Hebdo – eine weitere, tief emotionale Komponente enthält.

Und umgekehrt? Haben Sie einen Manga-Tipp für all die Leute, die sonst nur Alben kaufen?

Es sind die Wanderer zwischen den Welten, die zu empfehlen sind: Jiro Taniguchi, der wie kein zweiter europäische Einflüsse in seine ruhigen Alltagsbeobachtungen einfließen lässt, Tatsumi, der als Vorreiter eines Erwachsenencomics in Japan gilt und natürlich Urasawa, dessen Langerzählungen (Monster, Billy Bat, Pluto) ein popkulturelles Potpourri sind.

Was bietet Carlsen auf der Messe?

Carlsen Comics und Carlsen Manga haben gemeinsam eine Präsenz in Halle 1 und am Comicgemeinschaftsstand. Unsere Schwerpunkte sind das Erscheinen eines weiteren Bandes aus der Kindercomicreihe Ferdinand von Flix und die Krimiadaption Der Nasse Fisch von Aren Jysch. Beide Künstler sind auch vor Ort, werden an Veranstaltungen teilnehmen sowie ihre Bücher signieren. Gerade auf das neue Buch von Arne Jysch darf man sehr gespannt sein, da er die bekannte Gereon-Rath-Krimireihe von Volker Kutscher, die in den 20er Jahren in Berlin spielt, als Graphic Novel adaptiert.

Was liegt Ihnen im 50. Jahr von Carlsen Comics besonders am Herzen?

Einerseits das Feiern mit unseren traditionellen Marken, andererseits auch das Programm weiterzubringen und tolle Novitäten zu veröffentlichen. Ich freue mich beispielsweise sehr auf den Cave von Reinhard Kleist. Ein großartiges Buch, das sogar Nick Cave selbst total begeistert hat. Ich hoffe allerdings auch, dass wir über das Jubiläum auch mehr Leute zum Comiclesen bewegen können.

Sind Comics eine Industrie, Fließbandarbeit… oder sind die Gewinnmargen so niedrig und die Risiken so hoch, dass sich die Künstler*innen oft sehr verausgaben?

Es ist eine große Herausforderung für deutsche Künstler, die ernsthaft von ihren Comics leben möchten. Mittlerweile haben es einige glücklicherweise geschafft, jedoch ist die Arbeit an einem 200-seitigen Band so aufwändig, dass man gemeinsam verschiedene Modelle schaffen muss, denn allein von den Vorschüssen auf die zu erwartenden Verkäufe können die Künstler nicht leben. Verlage, die ohne Risiko arbeiten, veröffentlichen keine Comics.

Ist Carlsen ein Einzelkämpfer – oder gibt es tolle Reihen und Projekte in anderen Verlagen, die Sie bewundern?

Nein, mittlerweile gibt es viele Mitstreiter, die sich mit viel Engagement dem Comic in all seinen Facetten widmen. Ich finde es beispielsweise toll, was der avant-verlag mit seinen Liebhaberausgaben vergessener Klassiker macht. Das Programm von Reprodukt hat Vorbildcharakter für jeden ernsthaften Comicleser. Allerdings habe ich auch die Befürchtung, dass der Comic selbst immer mehr zum Nischenprodukt wird und die Auflagen immer weiter runtergehen. Das wäre äußerst schade, da gerade Bestseller auch Aufmerksamkeit generieren. Doch die werden immer rarer.

Ich habe das Gefühl, jedes Kind sieht dauernd Cartoons oder spielt cartoonhafte digitale Spiele – doch sind Comics noch Massenunterhaltung? Wie hat sich das in 50 Jahren verändert: Geht es mittlerweile meist um Liebhaber, Eingeweihte – oder potenziell doch immer um das große Massenpublikum?

Früher waren Comics, da sie ja auch in Zeitungen erschienen, ein Massenmedium. Auch die Comics im Pressegrosso in den 1970ern haben sich sechsstellig verkauft. Doch die Zeiten haben sich grundlegend gewandelt. Da muss man schon eher von einem Nischenprodukt sprechen. Unsere Verkaufszahlen von Reihen wie Tim und Struppi, Spirou oder Marsupilami legen allerdings nahe, dass es ein weitaus größeres Potenzial an Comiclesern geben muss, diese muss man nur mit Qualität und guten Geschichten finden und überzeugen. Denn dass die Bilderzählung, ergo Comics, ganz wunderbare Geschichten erzählen kann, die zudem noch höchst eigenständig mit einer eigenen Bildsprache aufwarten, das dürfte mittlerweile weitläufig bekannt sein.

Herr Schikowski: vielen Dank!

Der freie Journalist Stefan Mesch führte das Interview.