„Horrormittagessen mit Nikola Richter“ 

„Horrormittagessen mit Nikola Richter“ 

Doch, Nikola Richter, die Verlegerin von mikrotext, verfügt über Selbstbewusstsein und Humor, und von beidem nicht zu knapp. Wie, bitte, würde sich sonst erklären lassen, dass sie einen Erzählband des in Charkiw geborenen Anton Artibilov ins Jubiläumsprogramm gehoben hat, der den schönen Titel „Der Niedergang des mikrotext Verlags“ trägt? Die zugehörige Geschichte („Mein Horrormittagessen mit Nikola Richter“) war ein Geschenk an die Verlegerin zum zehnjährigen Verlagsgeburtstag 2023: Artibilov, der auch anderen Orts als Battle-Rapper Josef Steinschleuder auftritt, trug sie live auf der Jubiläumsparty vor. „Nach den ganzen Jubel-Arien habe ich mir von Anton gewünscht, dass er mich disst“, sagt Richter. Im Rap gilt das als Ehrenbezeugung – und in der Literaturgeschichte wohl auch, denken wir nur an Thomas Bernhards Dramolett „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ (1986). 

Jubiläumsparty 2023 (c)mikrotext

Richter kann sich bestelltes Störfeuer leisten. Für ihren 2013 gegründeten Verlag war 2023 ein extrem erfolgreiches Jahr: „Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter, das im April den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik gewann, mauserte sich zum „Spiegel“-Bestseller und liegt inzwischen in der siebten Auflage vor. Elfi Conrads „Schneeflocken wie Feuer“, von Kritik wie Publikum gleichermaßen geliebt, liegt in fünfter Auflage vor. Was dazu führte, dass Richter auf einmal Aufgaben stemmen musste, die normaler Weise großen Publikumsverlagen vorbehalten bleiben, von der Beschaffung größerer Mengen Papier über die Organisation von Nachdruck-Terminen bis zum Bestseller-Marketing. 

Dinçer Güçyeter & Nikola Richter (c)mikrotext

Dass ihr Verlag, der zunächst rein digital gestartet war, noch immer generös als Ausnahme-Phänomen bewertet wird, nervt Richter zuweilen massiv. Dabei hat sie, von Aboud Saeed („Der klügste Mensch im Facebook“) bis Ruth Herzberg („Wie man mit einem Mann unglücklich wird“) einfach nur kontinuierlich mit ihren Autorinnen und Autoren gearbeitet. Von Anfang an waren das sehr besondere Stimmen, die bei der klassischen Ochsentour zum Verlagsvertrag wohl eher durchgerutscht wären. Richter war es, die die hierzulande noch unbekannte Stefanie Sargnagel („In der Zukunft sind wir alle tot“) 2014 als erster deutscher Verlag veröffentlichte, mit Elfi Conrad brachte sie eine 80jährige Debütantin. „2023 war der gleiche Spirit wie 2013“, sagt sie. „Jetzt verstehen nur mehr Leute, was ich mache.“ Neue Erzählformen sind dabei hoch willkommen – egal, ob es die „Kryptopoeme“ eines Yevgeniy Breyger oder Sina Kamala Kaufmanns „nahphantastische Erzählungen“ sind.

 Auch das Erfolgsjahr 2023 war kein reines Glücks-Momentum, das irgendwie vom Himmel gefallen wäre. Dank einiger kluger unternehmerischer Weichenstellungen hatten die Jahre seit Ausbruch der Corona-Pandemie für mikrotext sehr gut funktioniert. Mit dem Preisgeld des ersten Deutschen Verlagspreises (mikrotext wurde 2019, 2020 und 2023 ausgezeichnet) setzte Nikola Richter ihren Webshop auf – der punktgenau mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 online ging. Eine nachhaltige Investition in die Zukunft. 2020 schrieb Nikola Richter zum Jahr des offenen Verlags aus. Motto: „Zusammen verlegt man weniger allein.“ 

Nikola Richter © Sarah Eick

Nach fast sieben Jahren One-Woman-Show fühlte die Verlegerin, wie sich die große Müdigkeit des Landes auch bleischwer auf ihre Schultern legte – und dachte gelegentlich gar über eine vorübergehende Pause ihrer Verlegertätigkeit nach. Ole Rauch vom „Jacobin“-Mag riet zur Vorwärts-Verteidigung: „Mach doch das Gegenteil! Öffne den Verlag!“ Am Ende entstanden sechs Titel mit sechs Gastverlegerinnen – alle Projekte waren über Crowdfunding durchfinanziert. Die Arbeit mit den Teilzeitverlegerinnen, die sich für andere einsetzen, war eine beglückende Erfahrung – auch wenn 2020 alles andere als ein Sabbatjahr für Richter wurde. 

Auf der Leipziger Buchmesse 2023 (c)mikrotext

Nach dem rasanten 2023 will es die Verlegerin im elften, dem „Schnapsjahr“ 2024 mit zwei statt vier Titeln pro Saison etwas ruhiger angehen lassen. Mely Kiyak ist mit einer gänzlich neu überarbeiteten Ausgabe von „Dieser Garten“ am Start, in der wir die Benediktinerinnen der Abtei zur Heiligen Maria in Fulda und den wohl ersten nachhaltigen Garten Deutschlands kennenlernen. Isobel Markus, Berliner Salonière des 21. Jahrhunderts, beschreibt in ihrem „Dating Roman“, wie sich zwei Freundinnen zusammentun, um die Hochs und Tiefs des Online-Datings gemeinsam durchzustehen.

Gut zu tun hat Nikola Richter trotzdem: Anfang April hat „Unser Deutschlandmärchen“ Premiere am Berliner Gorki, die Lesereise von Dinçer Güçyeter geht an gefühlt 100 Stationen weiter – und 2025 ist ja auch noch ein Jahr. Der Kurt-Wolff-Förderpreis ist bei all dem „eine große Ehre“, freut sich die Verlegerin. „Ich arbeite nicht in großen Bögen, sondern versuche, für jedes einzelne Buch das Beste zu machen“. Das ist gewiss keine Schnapsidee. Auch im elften Jahr macht ihr Independent-Schnellboot zwischen all den großen Verlags-Tankern bella figura

„Die Welle reiten“ 

„Die Welle reiten“ 

„Ich soll einen Preis bekommen. Das Buch, das ich geschrieben habe, hat vielen Leuten gefallen. Der Verlag hat angerufen, dass er nachdrucken will.“ Das sagt die Ich-Erzählerin in Anke Stellings Roman „Schäfchen im Trockenen“ (2018). Im März 2019 erhielt sie für dieses Buch, erschienen im Berliner Verbrecher Verlag, den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. Für die Romantrilogie, zu der neben „Schäfchen im Trockenen“ auch „Bodentiefe Fenster“ (2015) und „Fürsorge“ (2017) gehören, wurde ihr zudem im Juni 2019 der Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg verliehen. 

An den Tag der Leipziger Preisverleihung kann sich Anke Stelling auch fünf Jahre später noch genau erinnern – mit Jörg Sundermeier und Kristine Listau, ihrem Verleger-Duo, landete sie am Abend im „Telegraph“, bei der Party der Verlagsauslieferung LKG. Irgendwie passend für die Autorin, die ‚buchnah’ aufwuchs – ihre Mutter führte einst den Vaihinger Buchladen in Stuttgart, ihr Vater war Verlagsvertreter in den Reisegebieten Baden-Württemberg und Bayern. 

1971 in Ulm geboren, studierte Anke Stelling ab 1997 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihr Debüt „Gisela“, gemeinsam mit Robby Dannenberg verfasst, erschien 1999. Nach dem Wechsel zu S. Fischer erschienen drei weitere Bücher, doch es wurde ruhig um die Autorin. Hat der Preis-Paukenschlag von 2019 ihr Leben, gar ihr Schreiben verändert? Es ist ein Einschnitt, den sie unterschätzt hat: „Wenn man sich zur Indie-Szene gehörig fühlt, schreibt man aus einem Avantgarde-Gefühl heraus, gegen das Establishment. Man ist der Geheimtipp, und strebt doch aus dieser Marginalisierung heraus. Wenn man im Scheinwerferlicht steht, sich etabliert hat, ist das toll. Aber dieser kleine Motor – ich zeig’s euch, ihr werdet schon sehen! – wird dann nicht mehr gefüttert.“ 

Nach dem Frühjahr 2019 veränderten sich die Begleitumstände ihres Schreibens zunächst deutlich – Interviews, Blitzlichter, die Platzierung auf der Spiegel-Bestsellerliste. Außenreize, die sich mit der Zeit wieder auf Normalmaß einpegelten. „Aber es gibt dann natürlich den Druck, sichtbar zu bleiben, die Welle zu reiten, das einmal erworbene Standing zu beweisen“, erklärt Stelling. „Ich hatte unterschätzt, dass die gewachsene Aufmerksamkeit auch zu einem kleinen Zensor auf der Schulter werden kann.“ 

Immerhin versteht, wer durch einen so prominenten Preis quasi über Nacht vom Geheimtipp zur Bestsellerautorin katapultiert wurde, die Mechanismen des Betriebs besser. Anke Stelling hat sich fürs Beste entschieden, was man tun kann: Weiterarbeiten. Im März 2020, Corona hatte der Buchmesse den Stecker gezogen, erschien ihr zweites Kinderbuch „Freddie und die Bändigung des Bösen“ (cbj), beim Verbrecher Verlag folgte der Erzählband „Grundlagenfoschung“. Längst ist auch das Drehbuch zu „Schäfchen im Trockenen“ abgeschlossen, doch in post-pandemischen Zeiten, sagt Stelling, ist es noch einmal schwieriger geworden, Kinofilme zu finanzieren. Langstreckenqualitäten sind gefragt. 

Die Preisträger 2019: Eva Ruth Wemme, Anke Stelling, Harald Jähner (c) Tom Schulz

Zum ersten Mal war der Preis der Leipziger Buchmesse in der Belletristik-Kategorie an einen waschechten Indie-Verlag gegangen – auch das eine Sensation. Als der Knall der Sektkorken an jenem Buchmesse-Donnerstag 2019 verklungen war, orderte Jörg Sundermeier bei der Druckerei eine Nachauflage von 10.000 Exemplaren – und erhöhte nur Stunden später um weitere 10.000. „Das hatte ich in meinem Verlegerleben noch nicht erlebt!“ Bis heute sind rund 40.000 Exemplare der Hardcover-Ausgabe über den Ladentisch gegangen, die Taschenbuchausgabe bei btb läuft immer noch gut. Unterm Strich war der Preis auch enorm wichtig für das Standing des kleinen, unabhängigen Verlags: „Ankes Roman hat nicht nur literarische Debatten befeuert“, sagt Sundermeier, „wir haben gezeigt, dass wir auch mehrere zehntausend Exemplare verkaufen können, ohne dass das Buch drei Wochen lang nicht lieferbar ist.“ 

Anerkennung im Literaturbetrieb, das hat Anke Stelling erfahren, kann sehr angenehm und, ja: regelrecht euphorisierend sein. Ewige Sicherheit gibt es nicht: „Es hört einfach nie auf“, sagte sie 2019 in ihrer Dankesrede zum Hölderlin-Preis: „Das Unwohlsein bleibt, sonst endet ja die Suche. Wär’s vorbei mit mir als Schriftstellerin.“ Sie schreibt am nächsten Roman, der sowieso immer der schwerste ist. Er wird, und das ist in diesen Zeiten schon eine Ansage, im Verbrecher Verlag erscheinen.   

Weisheit der Fulbe 

Weisheit der Fulbe 

Es ist zwanzig vor fünf an diesem Buchmessedonnerstag 2012, in der sonnendurchfluteten Glashalle wird gleich der Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik verkündet und man könnte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Als Wolfgang Herrndorf und sein Roman „Sand“ genannt werden – 2011 war der Autor hier schon einmal mit „Tschick“ nominiert, Wahnsinn! – schiebt sich Robert Koall, Chefdramaturg des Dresdner Staatsschauspiels, aus den Sitzreihen, entert die Bühne und tritt ans Mikro: „Ich bin von Wolfgang Herrndorf gebeten worden, im Erfolgsfall heute für ihn einzuspringen, ich freue mich wahnsinnig, freue mich in seinem Namen, weiß auch, dass er sich wahnsinnig freut, und er hat mir einen Satz mitgegeben: ‚Die Sonne geht immer hinter der Düne unter, die dir gerade am nächsten ist.’ In diesem Sinne vielen Dank für die Jury, vielen Dank für den Preis, danke für das viele schöne Geld.“ Beifall brandet, die ein oder andere Träne wird verdrückt. Aber: Was, bitte, hat es mit dem rätselhaften Satz auf sich, den der frisch gekürte Preisträger unbedingt in die Welt tragen wollte – und der, auch zehn Jahre nach Herrndorfs Tod, noch immer auf Youtubenachhallt?  

Anruf zwölf Jahre später bei Robert Koall, inzwischen Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant am Düsseldorfer Schauspielhaus. Koall erinnert sich noch genau an jenen Glücksmoment und seine Vorgeschichte. Als Herrndorfs Roman Anfang Februar 2012 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde, stand für den Autor fest, dass er unter keinen Umständen persönlich kommen würde. Seine Erkrankung war zu diesem Zeitpunkt bereits sehr weit fortgeschritten; schon den Deutschen Jugendliteraturpreis für „Tschick“ hatte im Herbst 2011 Kathrin Passig für ihn auf der Frankfurter Buchmesse entgegengenommen. Als feststand, dass Robert Koall im Fall der Fälle den Preis entgegennehmen würde, lief im Internet-Forum „Wir höflichen Paparazzi“ – in dem damals fast alle aus Herrndorfs großem Freundeskreis verbandelt waren – die Vorbereitungs-Diskussion heiß. Besonders emsig wurde im Kreis der „Pappen“ gefachsimpelt, welche Botschaften im Ernstfall in einer Dankesrede unterzubringen wären. Running Gag im Forum waren damals die „Weisheiten der Fulbe“, laut Koall „sinnlose Zuckertüten-Aphorismen“, die man einem realexistierenden, laut Wikipedia einstmals nomadisierenden Westafrikanischen Hirtenvolk unterschob. Ein „Sprichwort der Fulbe“ hatte es bereits, neben echten Worten von Herodot bis Stephen Hawking, als Mottozitat in „Sand“ geschafft. Der Nonsens-Satz „Wer nicht weiß, wohin er geht, erreicht mit jedem Schritt sein Ziel“ leitet dort Kapitel 11 ein. In der Nacht vor der Preisverleihung wurde dann jener Satz mit Sonne und Düne geboren, der, wie Koall lachend gesteht, „weder astronomisch noch sonst wie Sinn macht“.  

Als es dann soweit ist und er leibhaftig auf der Glashallen-Bühne steht, freut sich Koall nicht nur für Herrndorf, sondern für alle „Pappen“, den Freundeskreis, der die Verleihung natürlich im Livestream verfolgte. „Ich wusste, alle schauen zu!“ Wolfgang Herrndorf selbst meldet sich ein paar Minuten später im Forum und fragt kreuzbrav: „Hab’ ich was verpasst?“ Treffer versenkt. Das gilt auch für den frei erfunden Satz: Der kleine Guerilla-Gag wird von den Medien aufgegriffen – die SZ macht ein „afrikanisches Sprichwort“ daraus, die F.A.Z. einen „Sinnspruch aus Nordafrika“. Für Robert Koall endet der Tag weit nach Mitternacht, im Taxi fährt er aus einem MDR-Studio ins Hotel. Er hat die mediale Nach-Wirkung des Preises unterschätzt: „Ich dachte: Super, jetzt gibt’s Sekt, Schnittchen und Party! Gab’s auch – aber ich hatte währenddessen einen Interview-Marathon zu absolvieren.“ Als die „Pappen“ am nächsten Tag im Berliner „Prassnik“, ihrer Stammkneipe, Wolfgang Herrndorfs Leipziger Buchpreis feiern, ist Robert Koall schon wieder auf Arbeit im Theater. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.  

Robert Koall, Chefdramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus (c)Thomas Rabsch

Robert Koall, geboren 1972 in Köln, studierte zunächst einige Semester Jura, Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Von 1995 bis 1998 war er Assistent von Christoph Schlingensief, anschließend arbeitete er als Dramaturg an den Schauspielhäusern in Hamburg, Zürich und Hannover. Von 2009 bis 2016 war er Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, seit der Saison 2016/17 ist er Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant am Düsseldorfer Schauspielhaus. Koall hat zahlreiche Romane für das Theater bearbeitet, darunter „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, das zum meistgespielten Bühnenstück der 2010-er Jahre wurde.

Am Düsseldorfer Schauspielhaus läuft derzeit Wolfgang Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ in einer sehr sehenswerten Bühnenfassung von Robert Koall (Regie: Adrian Figueroa).

Preis der Leipziger Buchmesse 2012 im Video

Entdeckungen an den Rändern

Entdeckungen an den Rändern

Jedes Jahr dasselbe: Man rast auf Weihnachten und die Zeit „zwischen den Jahren“ zu und hofft auf freies, voraussetzungsloses Lese-Glück. Ein Glück, das auch Jury-Mitgliedern von Literaturpreisen zuteil wird?  

Marie Schmidt: Wir haben von der Buchmesse einen Reader bekommen, auf dem alle 486 Einreichungen für den Preis der Leipziger Buchmesse gespeichert sind. Mit dem sitze ich schon seit geraumer Zeit auf dem Sofa. Das ist aber kein Lesen, wie man es sich für ruhige Tage erträumt.  

Sie haben – vom Wilhelm-Raabe- bis zum Döblin-Preis – bereits in allerhand Jurys gesessen und wissen, dass Jury-Arbeit vor allem eins ist: Arbeit. Warum setzt man sich dem aus?  

Es gibt sonst kaum einen Ort, an dem so konzentriert über Texte gesprochen wird wie in der Jury-Sitzung eines Literaturpreises. 

Marie Schmidt

Schmidt: Es gibt sonst kaum einen Ort, an dem so konzentriert über Texte gesprochen wird wie in der Jury-Sitzung eines Literaturpreises. Beim Döblin-Preis, der ja für noch unveröffentlichte Buchprojekte vergeben wird, war ich sehr berührt: Man bekommt dort einen sehr intimen Einblick in entstehende Bücher. Im Job bei der Tageszeitung denke ich in anderen Formen von Relevanz als bei der Juryarbeit; es sind ganz unterschiedliche Umgehensweisen mit Büchern, an denen man wächst. 

Wir haben keinen Mangel an Literaturpreisen – was ist für Sie das Besondere am Preis der Leipziger Buchmesse? 

Schmidt: Das ist die Auffächerung in drei Kategorien, insbesondere die tolle Kategorie Übersetzung. Ein Bereich, der in der großen Öffentlichkeit zumeist unterbelichtet bleibt. Mit der Frage, was eine sehr gute Übersetzung wirklich ausmacht, hatte auch ich mich, so ins Detail gehend, seit meinem Studium nicht mehr befasst. Das ist schon jetzt ein Gewinn.    

Wie organisiert sich die Jury-Arbeit?  

Schmidt: Wir haben uns in einer Zoom-Konferenz gesehen, einige Kolleginnen auch schon im Real Life. Es gibt sehr viele E-Mails, die die ganze Zeit über hin und her gehen.  

Aber es liest nicht jeder alles? 

Schmidt: Nein. Die Titel sind unter den Jurorinnen und Juroren aufgeteilt. Sobald es jedoch zu einzelnen Büchern Zustimmung gibt, fangen auch die Kolleginnen und Kollegen an zu lesen. 

Sie steigen dann auch für Ihre Favoriten in den Ring? 

Schmidt: Das kommt, aber vermutlich eher später im Prozess. Wenn die Liste kürzer geworden ist.  

Im Herbst wurde, etwa von Ludwig Lohmann vom Kanon Verlag, der auch als Literatur-Podcaster unterwegs ist, bemängelt, dass auf den Shortlists der wichtigen Literaturpreise Bücher aus unabhängigen Verlagen fehlen. Eine berechtigte Kritik?   

Schmidt: Das erlebe ich als Berichterstatterin, ehrlich gesagt, nicht so… 

Der Preis der Leipziger Buchmesse scheint sich die Jacke tatsächlich nicht anziehen zu müssen: In der Kategorie Belletristik ging er zuletzt an Mikrotext (2023), Droschl (2022 und 2021) und die Verbrecher (2019).   

Schmidt: Anders als bei den Preisen haben es Indie-Verlage in den Feuilletons schwerer. Das hat mit Dynamiken der Öffentlichkeit zu tun: Das, was scheinbar groß und wichtig ist, wird auch groß und wichtig in der Zeitung dargestellt. So wird ein neuer Roman von Stuckrad-Barre… 

… am Erscheinungstag groß besprochen… 

Schmidt: Aufmerksamkeit, die dann womöglich fehlt für eine Entdeckung aus dem Verbrecher Verlag.  

Sie würden aber keine Indie-Quote fordern? 

Schmidt: Ich glaube, das ist illusorisch. Wenn es um ästhetische Urteile geht, sollte man es der Sensibilität der Jurorinnen und Juroren überlassen, darauf zu achten, dass auch weniger „laute“ Positionen gehört werden. Das schaffen wir schon!  

Identitäts- und Genderfragen werden im Literaturbetrieb gerade breit diskutiert. Welche Rolle spielen außerliterarische Überlegungen in der Jury-Arbeit?  

Schmidt: Es glaubt immer niemand, aber: In den Jurys, in denen ich bisher saß, spielten sie in erstaunlichem Ausmaß KEINE Rolle. Und sollte jemand mal, ich beispielsweise, in einer drohenden Patt-Situation, angeregt haben, nach äußeren Kriterien zu gehen, bin ich sehr zurechtgewiesen worden. Allerdings gibt es eben auch Literaturen, die in den Jahrzehnten zuvor vielleicht nicht so ernst genommen wurden; Bücher von Frauen beispielsweise oder Bücher von Menschen mit Diskriminierungserfahrung – die vielleicht auch ästhetisch interessanter sind als andere Bücher. Ihnen ist eine Signatur unserer Epoche eingeschrieben – über gebrochene Lebensläufe vielleicht oder, speziell in Deutschland, die Frage nach der mehr oder weniger gelungenen Vereinigung. Das sind die Fragen unserer Zeit… 

Sie waren im Frühjahr Critic-in-Residence in St. Louis. Das klingt, wenn nicht nach dem Kritikerinnen-Himmel, so doch spannend? 

Schmidt: Es ist eine tolle Einladung. Aber St. Louis ist nicht das Paradies. Die Aufgabe besteht darin, dort zu unterrichten. Das Germanistik-Department der Washington University St. Louis hat seit den 1980er Jahren ein Programm, innerhalb dessen sie jedes Jahr eine Kritikerin und eine Dichterin einladen, Protagonisten der Gegenwartsliteratur, wenn man so will. Ich habe einen Kurs angeboten zu Literatur, in der Sprachwechsel eine Rolle spielt, Arbeitstitel „Einwanderungsbedingungen in die deutsche Sprache und Literatur“. Da spielten die Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse 2022 eine wichtige Rolle – Uljana Wolfs Etymologischer Gossip (Kookbooks) in der Kategorie Sachbuch/Essayistik, und Tomer Gardis Roman Eine runde Sache (Droschl) in der Belletristik-Kategorie.  

Für Sie auch Gelegenheit, sich mit den Voraussetzungen und „Begleitumständen“ Ihres Kritikerinnen-Jobs auseinanderzusetzen? 

Schmidt: Ich wollte eigentlich mit den Studierenden über die Bücher reden, sie hatten allerdings ganz andere Fragen. Es gibt dort auch ein Creative-Writing-Programm, bei dem man seinen PhD zur Hälfte mit einem Roman-Projekt erlangen kann. Infolgedessen waren die Studierenden sehr heiß darauf zu wissen, wie eben solche Preise funktionieren und wer sie bekommt. 

In meinen Kritiken findet sich meist nicht dieser eineindeutige Satz: Dieses Buch ist toll. Oder jenes ist schlecht, das können Sie sich sparen.

Marie Schmidt

Und was, bitte, macht eine gute Literaturkritik aus? 

Schmidt: Oha. Große Frage. Eine gute Kritik stellt ein Buch – egal, ob Belletristik oder Sachbuch – erst mal seinen eigenen Prinzipien gemäß dar. Was will es, was versucht es? Dann stellt es diesen Versuch in einen Kontext. Wie steht es, seinen eigenen Maßstäben folgend, in der Welt? Dadurch ergibt sich ein Urteil fast wie von selbst. Zumindest können die Leserinnen und Leser entscheiden, ob sie sich mit dem Gegenstand der Kritik auseinandersetzen wollen. In meinen Kritiken findet sich meist nicht dieser eineindeutige Satz: Dieses Buch ist toll. Oder jenes ist schlecht, das können Sie sich sparen. Dafür werde ich durchaus auch kritisiert. Um der Bücher willen möchte ich so nicht sprechen. Die letzte Entscheidung sollten die Leserin, der Leser in der Buchhandlung treffen. 

Die Marketing- und Werbeabteilungen der Verlage lieben diese „blurbs“… 

Schmidt: Ehrlich gesagt, versuche ich sogar so zu schreiben, dass diese zitierbaren Halbsätze nicht in meinen Texten enthalten sind. Manchmal klappt es nicht, Zeitungen leben nun mal von Zuspitzungen.  

Manchmal wirkt aber auch der Hammersatz: Als Sie in der SZ schrieben, dass Mascha Jacobs’ „Dear Reader“ der aktuell beste Literatur-Podcast im Land sei, musste ich den sofort anhören.   

Schmidt: Erwischt, Regel gebrochen. Aber auch, weil sich die Podcast-Welt derzeit drastisch umstellt. Es war lange eine Medien-Welt, in der sehr viel passieren konnte, auch Experimentelles. Nun sortiert sich auch das nach ökonomischen Maßstäben der Reichweite und des Anzeigenpotenzials neu. Ein Podcast wie Dear Reader, der ganz anders funktioniert als gewöhnliches Literaturfernsehen, hat es da sehr schwer. Diese Fallhöhe musste man einmal markieren.   

Sie haben mal gesagt, dass die „kulinarische Kritik“ auf dem Vormarsch wäre. Sie meinen da keine Kochbücher, oder?  

Schmidt: Oft wird das eigene Wohlgefühl bei der Lektüre als Kriterium herangezogen. 

„Ich habe das gern gelesen…“ – So?  

Schmidt: Das ist natürlich ein phatischer Satz; damit möchte man eher ausdrücken, dass man das Buch überhaupt gelesen hat – und eher dafür ist. Zum Glück finden wir Kritiker dann meist noch einen zweiten, dritten und vierten Satz (lacht).  

Jetzt untertreiben sie, denn 2019 haben Sie den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik bekommen und sind damit ein Stück weit in den Kritiker-Olymp vorgerückt. Können Sie sich noch an Ihre Anfänge erinnern? Gab es einen Plan?  

Schmidt: Nein. Ich habe eine Ausbildung an der Journalistenschule absolviert zur Redakteurin und Journalistin. Ich hatte zwar bereits als Kind in einem Lehrerhaushalt immer mit Büchern zu tun gehabt und dann Komparatistik, also Vergleichende Literaturwissenschaften, studiert – hätte mich aber nie zu sagen getraut: Ich werde Literaturkritikerin. 

Es ist Ihnen passiert… 

Schmidt: Bei der „Zeit“, für die ich dann frei arbeitete, gab es Leute, die mir manchmal kommentarlos Bücher zugeschickt – und mich haben schreiben lassen. Irgendwann, als ich mal etwas Bescheidenes über das Literaturkritikerin-Werden gesagt habe, meinte ein Kollege: Das bist Du schon! Und ich dachte: Ah. Ich würde heute auch jüngeren Kolleginnen und Kollegen immer sagen: Es ist eine Frage der Praxis. Man macht’s – oder man macht’s nicht. Es ist ja nicht so, dass es zu viele gute Literaturkritiker gäbe! Es kann auch ein zäher Beruf sein. Oft lese ich nicht nur das zu rezensierende Werk, sondern ziehe in der Bibliothek noch ein Zweit- oder Drittbuch zu Rate. Das ist eine lange, einsame Geschichte. 

Als Freier ist man auch finanziell nicht auf Rosen gebettet… 

Schmidt: Stimmt. Auf Zeile bei einer Tageszeitung zu schreiben, macht man nicht, um seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen.  

In der Laudatio zum Kerr-Preis sagte Ihre Kollegin Susanne Mayer über Sie: „Sie schreibt weniger für die Kollegen, sie schreibt auch nicht, um der Welt mitzuteilen, wie wichtig sie ist, sie schreibt über Dinge, die sie interessieren. Das sind vielleicht Bücher, die andere noch gar nicht auf dem Schirm haben.“     

Schmidt: Das ist sehr freundlich. Das stimmte natürlich mehr in meinen ersten Berufsjahren, wo es arriviertere Kritikerinnen und Kritiker gab, die die Bücher besprachen, auf die alle warteten. Und ich habe am Rande auch Dinge entdecken können, die etwa in Deutschland noch nicht so bekannt waren, die ich aus einem amerikanischen oder französischen Kontext kannte. Das einbringen zu können, ist ein wenig das Privileg der Anfänger, die sich einen Weg erst noch bahnen. Das war eine schöne Zeit. Inzwischen besteht die Erwartung, dass ich als Literaturredakteurin auch „große“ Bücher bespreche.   

Wir sind in den Wochen der Empfehlungslisten, deshalb möchte ich sie zum Schluss fragen: Welchem Buch aus dem zurückliegenden Jahr wünschen Sie möglichst viele Leserinnen und Leser? 

Schmidt: Da gibt es einige. Aber Dana Vowinckel und ihrem in Chicago, Jerusalem und Berlinspielenden Roman Gewässer im Ziplock (Suhrkamp) wünsche ich sie besonders; vor allem jetzt, nach dem 7. Oktober, wo vieles im Buch noch einmal einen ganz anderen Bedeutungsraum entwickelt. In den SZ-Literaturtipps zu Weihnachten habe ich die erste Werkausgabe von Marlen Haushofer (Claassen) empfohlen. Die meisten kennen vermutlich „Die Wand“, aber es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Romanen und Erzählungen, die uns heute unglaublich aktuell und modern anmuten.   

Marie Schmidt wurde 1983 in München geboren, studierte im Hauptfach Vergleichende Literaturwissenschaften sowie Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule München und einer abgebrochenen Promotionsarbeit über Ezra Pound arbeitete sie als Redakteurin vier Jahre bei der „Zeit“ in Hamburg. Seit Juli 2018 ist sie Literaturredakteurin bei der „Süddeutschen Zeitung“. Im Frühjahr 2023 war sie Critic-in-Residence an der Washington University in St. Louis. Juryerfahrung sammelte sie bereits beim Wilhelm Raabe-Literaturpreis, Alfred-Döblin-Preis und Marie Luise Kaschnitz-Preis. Gemeinsam mit David Hugendick von der „Zeit“ gehört Marie Schmidt nun erstmals der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse an.  

Straße der Besten

Straße der Besten

Bei der nächsten Manga-Comic-Con im März wird aus der bisherigen Gemeinschaftspräsentation MCC Kreativ die New Artist Alley – an der Weltsprache Englisch führt kein Weg vorbei? 

Sassette Scheinhuber (lacht): Das spart uns an der ein oder anderen Stelle Übersetzungsarbeit…

Im Ernst: Was hat Sie veranlasst, diesen Schritt zu gehen? 

Kerstin Krämer: Man muss ihn vor dem Hintergrund einer generellen Überarbeitung unseres Hallenkonzepts sehen. Wir haben ja sämtliche Ausstellungsbereiche in den Hallen 1 und 3 umbenannt. Wir haben uns gefragt: Wie können wir am Puls der Zeit bleiben, noch mehr Besucher anlocken? Wir haben uns dazu, klar, auch andere Conventions angeschaut – und uns am Ende in den Bezeichnungen an eine japanische Stadt angelehnt – mit ihren Straßen, Plätzen und speziellen Ecken. Das Ganze natürlich in Englisch. Und da passte MCC Kreativ nicht rein…

Scheinhuber: Mit einer Umbenennung allein ist es natürlich nicht getan. Wir feiern 2024 zehn Jahre Manga-Comic-Con; den Bereich MCC Kreativ gibt es dabei schon seit dem Start 2014 – insofern galt es, generell an ein paar Stellschrauben zu drehen, ein bisschen aufzuräumen, frischen Wind reinzubringen. Mit dem neuen Namen lässt sich das perfekt kommunizieren. 

Planen die MCC: Kerstin Krämer (links) und Sassette Scheinhuber vom Team der Leipziger Buchmesse (c)Leipziger Messe

Krämer: Ein Punkt, der uns wichtig ist: Wir wollen den Bereich der kreativen Einzelkünstler deutlicher abgrenzen von den Künstlerinnen und Künstlern, die sich schon einen eigenen Messestand leisten. In unseren Köpfen war die Trennung vorhanden – aber nicht bei Ausstellern und Publikum. Der Bereich MCC Kreativ war auf 130 Teilnehmer begrenzt, die aus 400 bis 500 Bewerbungen ausgelost wurden. Allerdings hatten nicht wenige offenbar sehr stabiles Losglück, und waren immer wieder dabei – obwohl die Auslosungen notariell überwacht wurden und wir auch streng darauf geachtet haben, Doppelbewerbungen zu vermeiden. 

Nun führen Sie einen Turnus ein?

Scheinhuber: Das ist die wahrscheinlich krasseste Neuerung. Die Teilnahme an der New Artist Alley ist nur noch alle drei Jahre möglich. Teilnehmer, die ausgelost wurden und sich angemeldet haben, können sich erst nach drei Jahren erneut bewerben…

Krämer: … oder regulär Aussteller werden, mit einem kleinen Stand. 

Stimmt, aber auch der kostet! Für manche Künstlerinnen und Künstler war der Bereich MCC Kreativ auch aufgrund der günstigen Preise attraktiv. Wird die New Artist Alley nun teurer?  

Scheinhuber: Ja, aber das Gros der Bewerber hat realisiert, dass es in den vergangenen drei Jahren generell Preissteigerungen gegeben hat. MCC Kreativ war ein von uns bezuschusster Bereich, vor allem im Standbau haben wir da ordentlich was draufgelegt – und das lange vor Corona! Das Projekt soll nun weitgehend kostendeckend laufen, im Idealfall mit einer schwarzen Null.  

Die MCC ist ein Magnet für kreative Künstlerinnen und Künstler (c) Jens Schlüter/Leipziger Messe

Sie haben auch die Teilnehmerzahl strenger limitiert: Statt 130 Künstlerinnen und Künstler der MCC Kreativ liegt die Höchstgrenze der New Artist Alley bei 80 Plätzen…

Krämer: Das muss man vor dem Hintergrund einer insgesamt positiven Entwicklung in diesem Kreativ-Segment sehen. Sehr viele Künstler haben uns im Vorfeld signalisiert, dass sie 2024 eigene Stände mieten wollen. Zum anderen waren die 130 Plätze bei MCC Kreativ schon die Obergrenze dessen, was Besucher sinnvoll aufnehmen können. Und wir mussten damit rechnen, dass sich der Pool der potenziellen Bewerber durch den Drei-Jahres-Turnus etwas verringert. Deshalb die Begrenzung auf 80 Plätze bei der New Artist Alley. Es ist eine Konzentration, von der alle profitieren: Die Künstlerinnen und Künstler und das Publikum. 

Wie viele Bewerbungen haben Sie für die erste New Artist Alley erhalten? 

Scheinhuber: Es waren 415; damit lagen wir auf dem Level der Vor-Corona-Zeit. 

Krämer: Wir sind insgesamt mit dem Stand der Jubiläums-MCC hoch zufrieden! Wir hatten im Frühjahr 397 Aussteller auf einer Fläche von 3880 Quadratmetern. Für 2024 konnten wir bei Ausstellern und belegter Fläche noch einmal zulegen. Wenn wir speziell auf den Kreativ-Bereich schauen: Da hatten wir im Frühjahr über 100 Künstlerinnen und Künstler mit eigenem Stand, dachten aber, dass das mit der BKM-Förderung zusammenhängt. Dank der Neustart-Kultur-Gelder konnten wir ja 30 Prozent Rabatt auf den eigenen Messestand gewähren. Diese Förderung ist nun ausgelaufen. Insofern haben wir prognostiziert, dass der Run auf eigene Stände etwas abebbt. Aber es sind jetzt mehr als im Frühjahr 2023!

(c) Jens Schlüter/Leipziger Messe

Abschließend gefragt: Welche Bedeutung kommt dem Kreativ- und Künstlerbereich auf der MCC aus Ihrer Sicht zu? 

Scheinhuber: Für Künstlerinnen und Künstler ist die MCC eine der wichtigsten Veranstaltungen im Jahr. Im Gegensatz zu anderen Conventions haben wir den Vorteil, dass hier auch alle relevanten Verlage ausstellen. Am Ende des Tages hat das Gros der nicht-kommerziellen Kreativen doch das Ziel, ihr Werk über einen professionellen Verlag zu veröffentlichen. Die meisten, die hier Artworks und selbstproduzierten Merch anbieten, schreiben eigene Manga oder zeichnen Comics. Hier finden sie das Publikum und die Fachplattform, die sie suchen. 

Krämer: Durch die Verknüpfung von Leipziger Buchmesse und MCC erreicht man schlicht andere Publikumsbereiche als auf einer reinen Anime- oder Manga-Convention mit jeweils sehr spitzer Zielgruppe. Bei uns in Leipzig trifft man auf Schulklassen, Lehrer, Eltern, ein neugieriges allgemeines Publikum. Das ist ein ungeheures Pfund!   

Kerstin Krämer ist Projektdirektion Bildung / Kinder+Jugend / Manga-Comic-Con und leitet das Management der Leipziger Buchmesse. 

Sassette Scheinhuber ist Projektmanagerin bei der Manga-Comic-Con.