Lesezeichen (III): Ein Blick ins Buch, zwei ins Leben – wir empfehlen Ihnen unsere persönlichen Leipzig liest-Favoriten
Wir feiern das Lesen – endlich wieder in Leipzig! Leipzig liest, das Lesefest mit über 2.400 Veranstaltungen und 2.500 Mitwirkenden, bringt den Bücherfrühling vier Tage lang zum Blühen. Tagsüber in den Hallen des Messegeländes, abends in Cafés und Bars, Museen und Szene-Clubs. Ein wenig Ausnahmezustand, eine Art Woodstock der Literatur – und zugleich die vermutlich beste Chance, Leipzig und seine Potenziale zu erkunden.Nationale und internationale Stimmen aller Genre sind zu entdecken: Von Krimi bis Sachbuch, von Kinder- und Jugendbuch bis Phantastik, von Unterhaltungsliteratur bis Manga und Comic. Die Qual der Wahl ist beträchtlich. Wir haben deshalb in den letzten Tagen noch einmal Bücherstapel durchforstet, Tablets, Smartphones, Haftnotizen und Kladden gesichtet – und für Sie spannende Veranstaltungen abseits des Mainstreams zusammengetragen. Ob inspirierende, herzerwärmende Kinderbücher, mitreißende Romane oder ätzende Gesellschaftssatiren – Leipzig liest ist so bunt und vielfältig wie die Welt der Bücher. Bis dahin!
Wiedergutwerdung | Von Dr. Andreas Knaut, Unternehmenssprecher Leipziger Messe GmbH
Max Czollek ist ein unbequemer Autor, der sich bereits in Büchern wie „Desintegriert euch!“ und „Gegenwartsbewältigung“ kritisch mit Fragen nach der deutschen Identität und Leitkultur auseinandergesetzt hat. Er selbst nennt sein Generalthema „Ideologiekritik einer deutschen Gegenwart“. In seinem jüngsten Buch Versöhnungstheater (Hanser) [https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/versoehnungstheater/978-3-446-27609-3/], geht es um das eigenartige Phänomen der deutschen Erinnerungskultur. Diese vollzieht sich aus seiner Sicht vor allem als „Versöhnungstheater“ – mit dem Zweck, ein neues Narrativ für moralische Selbstvergewisserung und für ein positives nationales Selbstbild zu schaffen. Ein Stück, dessen Libretto aber ohne die Stimmen der Betroffenen aufgeführt wird und bei dem unklar ist, wer eigentlich im Zuschauerraum sitzt. Längst, so Czollek, hat sich solche Erinnerungskultur zum Selbstzweck verstetigt und ihren ursprünglichen Sinnkern, niemals soll sich Gleiches wiederholen, vergessen. Czolleks Thesen muss man nicht alle teilen. Aber er stellt die richtigen Fragen – und seine Essays lesen sich flüssig und inspirierend.
Max Czollek: Versöhnungstheater. Der Autor im Gespräch mit Shelly Kupferberg. 28. April, 21 Uhr. Ariowitsch-Haus, Hinrichsenstraße 14.
Resilienz, Baby! | Von Constanze Hilsebein, Kommunikationsmanagerin Marketing
Zwei Eichhörnchen, die Gymnastik und Nüsse lieben, und ihre beste Freundin, die Häsin, stimmen gegen die Jagd und damit gegen alle anderen Tiere und Menschen. Sie wollen einfach nur in Ruhe ihre Nüsse verstecken. Alle drei haben mit ‚Nein’ gestimmt, aber niemand hat sich darum gekümmert. Jetzt heißt es, Selbstbewusstsein zu wahren und sich nicht von der eigenen Meinung abbringen zu lassen, auch wenn die Stimmung komisch ist. Eva Lindström, die zu den bedeutendsten Bilderbuch-Schöpferinnen weltweit zählt und letztes Jahr mit dem Astrid Lindgren Memorial Award – dem wichtigsten internationalen Kinder- und Jugendbuchpreis – geehrt wurde, hat sich einmal mehr selbst übertroffen: Mit Wir sind die Könige des Waldes, sozusagen (Kunstmann) ist der schwedischen Autorin und Zeichnerin ein fast schon weises Bilderbuch über Freundschaft und Solidarität gelungen. Ich lese meiner vierjährigen Tochter selbst viel vor und weiß, wie wichtig es ist, Kindern auf spielerische Weise die Welt nahezubringen. Mit Büchern, die so inspirierend sind wie die von Eva Lindström, macht das gemeinsame Entdecken doppelt Spaß.
Eva Lindström: Wir sind die Könige des Waldes, sozusagen. Vorgestellt von der Übersetzerin des Buchs, Maike Dörries. 28. April, 16.30 Uhr, Nordisches Forum, Halle 4, Stand C 310.
Slow Travel | Von Laura Büching, Projektmanagerin Internationaler Bereich/Österreich und Schweiz, Dienstleister, Non-Book und Fachprogramm
Das Leben in vollen Zügen genießen? Ich reise leidenschaftlich gern, und das zeitgemäße Fortbewegungsmittel ist für mich dabei die Bahn. Logisch, dass ich mich besonders auf eine Veranstaltung freue, in der drei Autoren aus drei unterschiedlichen Perspektiven aufs Zugreisen blicken. Die Eisenbahn-Passion von Jaroslav Rudiš ist mir inzwischen gut bekannt – keiner kann so schön erzählen, wie er in vierzig Stunden auf so vielen Verbindungen wie möglich durch ganz Deutschland fährt. Kein Wunder: Jaroslavs Großvater war Weichensteller, sein Onkel Fahrdienstleiter und sein Cousin Lokführer. Gespannt bin ich auf die beiden anderen Gäste: In Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts (Sonderzahl) versucht Markus Köhle einen realistischen Eindruck vom Zustand Österreichs zu bekommen, in dem er dem Volk in den Railjets und Speisewägen der Nation aufs Maul schaut. Auch in Bastian Schneiders Buch Das Loch in der Innentasche meines Mantels (Sonderzahl) spielt die Bahn eine tragende Rolle, da die Figur des Romans sich mit dem Zug auf die Suche nach ihrem Autor begibt. Wenn ein feiner Verlag aus dem Gastland Österreich drei bahnverrückte Autoren präsentiert, gibt’s nur eins: einsteigen!
In vollen Zügen: Jaroslav Rudiš, Markus Köhle und Bastian Schneider lesen aus ihren aktuellen Werken. 29. April, 17 Uhr, Galerie KUB, Kantstraße 18.
Traumata überwinden | Von Kerstin Grüner, Projektmanagerin Internationaler Bereich, Musik, Buchkunst & Grafik
In ihrem Roman Was suchst du, Wolf? (Zsolnay) verarbeitet die heute in Warschau lebende belarussische Autorin Eva Viežnaviec die Geschichte der „Bloodlands“, wie der Historiker Timothy Snyder die einstigen Sowjetrepubliken südwestlich von Moskau nannte. Allerdings wird der Blutrausch des 20. Jahrhunderts mit all seinen Grausamkeiten bei Viežnaviec konsequent aus der Perspektive der Frauen geschildert – allen voran ihrer Großmutter. Dabei gelingt das Wunder, die Gräuel-Chroniken in beklemmend lebendige Literatur zu verwandeln. Und auch meine Lektüre endet durchaus nicht hoffnungslos; eher frage ich mich, wie sich Kriegs-Traumata überwinden lassen, ohne in künftige Generationen nachzuwirken? In Belarus wurde das Buch jedenfalls zum Überraschungserfolg und Bestseller. Veröffentlicht wurde es im PFLAŬMBAŬM Verlag, der sich der Förderung von Autorinnen in Belarus verschrieben hat und unter der Schirmherrschaft der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch steht. Ich freue mich darauf, dass zur Buchmesse nicht nur die Autorin, sondern auch ihre mutige Verlegerin in Lesung und Diskussion zu erleben sind.
Eva Viežnaviec: Was suchst du, Wolf? Lesung und Diskussion mit Swetlana Alexijewitsch. Café Europa, 28. April, ab 15 Uhr.
Lesung und Gespräch mit Zsolnay-Verleger Herbert Ohrlinger. naTo, 29. April, 17 Uhr.
Zeitenwandel | Von Gritt Philipp,Projektmanagerin Belletristik/Sachbuch, Kunstbuch
Susanne Gregor, 1981 in Žilina (Tschechoslowakei) geboren, zog 1990 mit ihrer Familie nach Oberösterreich, seit 2005 wohnt sie in Wien, wo sie Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Auch Gregors Roman Wir werden fliegen (Frankfurter Verlagsanstalt) entfaltet die Geschichte der Geschwister Alan und Miša zwischen zwei Welten, Ost und West. Aus wechselnder Perspektive entwirft Susanne Gregor ein einfühlsames Porträt zweier Geschwister, die auf der Suche nach sich selbst in unterschiedliche Richtungen aufbrechen und doch umeinanderkreisen – ein warmer, ein hoffnungsvoller Roman.
Susanne Gregor: Wir werden fliegen. Lesung. 28. April, 15.30 Uhr, Forum „Die Unabhängigen“, Halle 4/D313
Die Lage ist critical | Von Nikola Korb, Praktikantin Kommunikation
Eine „langweilige Heten-Hochzeit auf f***ing Sylt“ – so klingt es, wenn Hengameh Yaghoobifarah in ihrer taz-Kolumne „Habibitus“ losnörgelt, hier über die Vermählung unseres Finanzministers. Rechter Terror, Rassismus unter Linken, Rape Culture, fades Essen und schlechtes Netz: Seit 2016 legt Hengameh Yaghoobifarah schonungslos den Finger in die Wunden deutscher Leitkultur. Nun also Habibitus (Blumenbar) als Buch. Ich lese gern politische Texte, wenn sie nicht zu schwer und unverdaulich aufbereitet werden. Hengameh Yaghoobifarah verknüpft Humor und eine scharfe Auffassungsgabe und hält einem selbst den Spiegel vor. Gut so! Ich freue mich auf ihren Auftritt.
Hengameh Yaghoobifarah: Habibitus. Lesung und Gespräch. 27. April, 15.15 Uhr, taz-Studio, Halle 5, C 500.
Treffen sich zwei | Von Theresa Schicketanz,Studentin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)
Ewald Arenz ist Gymnasiallehrer – und das gerne. Zudem schreibt er alle zwei Jahre einen Erfolgsroman. In seinem neuen bemerken zwei Menschen eine Lücke in ihren Leben und dass sie vielleicht doch gerne mehr teilen würden. Er, ein attraktiver Schauspieler, sie eine elegante Fotografin, einige Jahre älter als er. Beide wollen sich reinstürzen ins Gefühlschaos. Und doch ist das kein Selbstläufer: Sie zweifeln, kämpfen und ringen, verlieren sich fast wieder in Ewald Arenz‘ neuem Roman Die Liebe an miesen Tagen (DuMont). In dieser Geschichte findet man sich nach ein paar Seiten selbst wieder – genau das richtige für einen Sonntagnachmittag auf der Couch, mit Keksen und Kakao.
Ewald Arenz: Die Liebe an miesen Tagen. Lesung. 29. April, 15 Uhr, Buchhandlung Ludwig, Hauptbahnhof, Willy-Brandt-Platz 5.
Faszination Cosplay | Von Sassette Scheinhuber, Projektmanagerin Manga-Comic-Con
Als die Cosplay-Begeisterung Ende der 1990er Jahre auch auf Deutschland überschwappte, schlüpfte ein Großteil der Akteurinnen und Akteure in die Rolle ihrer liebsten Manga- oder Anime-Charaktere – ganz nach japanischem Vorbild. Ich weiß, wovon ich rede, ich war selbst Teil der Szene. Seitdem hat sich in der Cosplay-Welt ziemlich viel getan. Neben Superheld:innen und Filmfiguren hat nun auch das Buch-Cosplay enorm an Bedeutung gewonnen. Über die Herausforderungen und die Faszination dieser Cosplay-Form wollen wir mit Cosplayer:innen sprechen: Gäste des von Mary Stormhouse moderierten Talks sind die Buch-Cosplayerinnen Bianka Behrend („Bibi“) und Kisacchi. Ich werde am Messe-Samstag nicht nur „dienstlich“ in Halle 3 dabei sein: Klar, dass mich dieses Panel als ehemalige Cosplayerin auch privat brennend interessiert.
Buch-Cosplay – Trend oder Herzensangelegenheit? Podium mit Bianka Behrend aka Bibi und Kisacchi, Moderation Mary Stormhouse. 29. April, 16.30 Uhr, Große Bühne, Halle 3, Stand G 400.
Familienaufstellung nach Safier | Von Julia Lücke, Pressesprecherin
Der Beststellerautor und weltbekannter Bremer David Safier zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern Deutschlands. Seine Romane, darunter „Mieses Karma“, „Jesus liebt mich“ oder „Miss Merkel“ erreichten Millionenauflagen im In- und Ausland. Dazwischen erlaubt er sich aber auch mit viel Beifall von Publikum und Kritik bedachte Abstecher ins ernste Fach: So trug ihm der im Warschauer Ghetto spielende Roman „28 Tage lang“ den Jugendbuchpreis Buxtehuder Bulle ein. Inspiriert war seine Beschäftigung mit der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten auch autobiografisch: Sein Vater war österreichischer Jude, die Geschichte des Holocaust entsprechend präsent. In seinem neuen Roman Solange wir leben (Kindler) erzählt er nun die Geschichte seiner Eltern, die uns vom Wien des Jahres 1937 durch die Gefängnisse der Gestapo führt, später nach Palästina, wo sein Vater Joschi als Barmann und Spion arbeitet und schließlich zur See fährt. Bei der ersten Begegnung der Eltern ist Waltraut eine junge alleinerziehende Witwe, Joschi zwanzig Jahre älter als sie. Ich habe schon viele Bücher von David Safier gelesen – nun bin ich gespannt, wie der Bestseller-Autor mit subversivem Humor mit diesem nicht eben leichten Thema umgeht.
David Safier: Solange wir leben. David Safier liest aus seinem neuen Roman und spricht mit Shelly Kupferberg. Jüdische Lebenswelten, 27. April, 20 Uhr, Ariowitsch-Haus, Hinrichsenstraße 14.
Kaleidoskop des Schreckens | Von Franziska Burghard, Projektassistentin Ausstellerservice
Sie heißen “Der letzte Vampir von Kradov”, „Nekropias Thron“ oder „Haus Waidmannsruh“, die fünfzehn handverlesenen Schauergeschichten, die der Leipziger Autor Christian von Aster im Band Das Zwielichtkaleidoskop. Schrecken, Verdammnis und Tentakel (Buchheim Verlag) versammelt hat. Ursprünglich geschrieben für Anthologien oder Pulp-Magazine, als Drehbuch oder Theaterstück entstanden, spannen die Storys einen schwarzen Bogen des Schreckens über Jahrhunderte. 2012 hat Christian von Aster den ersten Seraph, den von der Phantastischen Akademie (Mannheim) verliehenen Literaturpreis für deutschsprachige Phantastik-Literatur bekommen – total verdient. Ich selbst liebe die Bücher dieses Multitalents, der mit Leichtigkeit Genregrenzen überspringt und dessen Lesungen immer wieder großartige Erlebnisse sind, seit über einem Jahrzehnt.
Christian von Aster: Das Zwielichtkaleidoskop. Lesung. 28. April, 17 Uhr, Phantastische Leseinsel 2, Halle 3, Stand D 401.
Wir feiern das Lesen – endlich wieder in Leipzig! Leipzig liest, das Lesefest mit über 2.400 Veranstaltungen und 2.500 Mitwirkenden, bringt den Bücherfrühling vier Tage lang zum Blühen. Nationale und internationale Stimmen aller Genre sind zu entdecken: Von Krimi bis Sachbuch, von Kinder- und Jugendbuch bis Phantastik, von Unterhaltungsliteratur bis Manga und Comic. Die Qual der Wahl ist beträchtlich. Wir haben deshalb in den letzten Tagen noch einmal Bücherstapel durchforstet, Tablets, Smartphones, Haftnotizen und Kladden gesichtet – und für Sie spannende Veranstaltungen abseits des Mainstreams zusammengetragen. Ob Schwimmbad-Sommerfeeling, Liebe und Widerstand in finsteren Zeiten oder das geheime Doppelleben eines vielfach preisgekrönten Schriftstellers – Leipzig liest ist so bunt und vielfältig wie die Welt der Bücher. Wir sehen uns!
Sind so kleine Stühle | Von Anja Griesebach-Wesp, Assistentin Kommunikation
„Kein Thriller“, so stand es warnend auf dem Cover von Sebastian Fitzeks Roman „Der erste letzte Tag“. Und auch Elternabend (Droemer Knaur) gehört in die Reihe von Fitzeks Nicht-Thrillern, auch wenn sich der Titel für jemanden, der schulpflichtige Kinder hat (oder hatte), schon leicht nach Horror anhört. Denn wenn mindestens 25 Erwachsene in verkrampfter Haltung auf zu kleinen Stühlen nervös hin und her rutschen, wenn sie am liebsten ganz woanders wären, dann hört der Spaß definitiv auf. Bei Fitzek beginnt er jetzt gerade: Im Buch geraten ein Kleinkrimineller und eine Klimaaktivistin auf der Flucht in den titelgebenden Elternabend – und müssen, wenn sie nicht entdeckt werden wollen, in die Rolle der Eltern des 11jährigen Hector schlüpfen, des größten Rüpels der Schule. Na ja, wahrscheinlich entgeht niemand dem Charme eines Elternabends. Und auch ich werde mir Fitzek nicht entgehen lassen.
Sebastian Fitzek: Elternabend. Lesung und Gespräch. 29. April, 16 Uhr, ARD-Forum, Halle 2, Stand H 301.
Seemannsköpper | Von Maren Hein, Projektmanagerin Bildung/Leseförderung
Ein Kopfsprung mit am Körper angelegten Armen vom Dreier, vom Fünfer, gar vom Siebener – die ultimative Mutprobe. Seit meiner frühen Kindheit ist das Schwimmbad meine base, und auch heute noch verbringe ich viel Freizeit in Schwimmverein und -bad. Arno Franks Roman Seemann vom Siebener (Tropen) fühlt sich an wie ein flirrender Sommertag – das 70er-Jahre-Schwimmbad als kleiner Kosmos, der das große Ganze wie in einer Nussschale spiegelt: Treffen, Lieben, Verlust, Leben. Vom Autor ganz leicht, mit einer Prise Humor erzählt. Das Schreberbad, Leipzigs älteste noch genutzte Badeanstalt, hat Ende April noch geschlossen. Doch die Kinobar Prager Frühling, in der auch an den 361 buchmessefreien Tagen des Jahres coole Veranstaltungen stattfinden, ist für diesen Abend die denkbar beste Alternative.
Arno Frank: Seemann vom Siebener. Lesung. 28. April, 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling, Bernhard-Göring-Straße 152.
Digital Gold | Von Philipp Valentin Müller, Student der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)
Hat mit Bitcoin tatsächlich eine neue Zeitrechnung begonnen? Könnte die Welt dadurch besser und gerechter werden? Oder zeigt der Crash der FTX-Börse und der Kursverfall der Kryptowährungen, dass Bitcoin und Co nur eine nerdige Spielerei sind? In seinem Buch Die orange Pille (dtv) schildert Ijoma Mangold, wie sogar er, der Literaturkritiker, der Faszination Bitcoin verfiel. Ich persönlich interessiere mich sehr für Kryptowährungen und bin überzeugt, dass sie in Zukunft fester Bestandteil unseres Alltags sein werden. Ich bin gespannt, wie der Literaturkritiker die Sache sieht. Vielleicht vorher noch Goethe lesen? Immerhin war der auch Finanzminister. Und in Faust II spielen Geld und Inflation eine Hauptrolle.
Ijoma Mangold: Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist. Der Autor im Gespräch mit Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung). 28. April, 15 Uhr, Medienforum, Halle 5, Stand C 501.
Feministische Comics | Von Marlene Riedel, Projektmanagerin Leipzig liest
Die 1978 in Lund geborene Liv Strömquist ist in der DIY-Szene der 1990er Jahre groß geworden; mit Mitte 20 gab sie ein Comic-Fanzine heraus, das von Punk und der amerikanischen Riot Grrrl-Bewegung inspiriert war. Heute gehören ihre augenzwinkernden, minutiös recherchierten Sachcomics zu den erfolgreichsten Graphic-Novels weltweit. Die fünf Strömquist-Werke, die seit 2017 beim Berliner Avant Verlag erschienen sind, habe ich alle verschlungen – nun bin ich gespannt auf den neuen Streich. „Mit Astrologie sollte man sich gar nicht erst einlassen“, meinte zwar Liv Strömquists 74jährige Mutter – wie man in einem der Panels nachlesen kann. Dennoch heißt das Buch genauso: Astrologie (Avant). Der Tierkreis wird als Rahmen benutzt, um uns Menschen zu unterhalten. Dümmer wird man bei Liv Strömquist sowieso nie. Wenn ihr mich fragt: Ein Astrologiebuch für alle, die Astrologie hassen!
Liv Strömquist: Astrologie. Die Comic-Autorin im Gespräch über ihr neues Buch. 28. April, 15.30 Uhr, Nordisches Forum, Halle 4, Stand C 310.
In der Stadt tritt Liv Strömquist bei der Nordischen Lesenacht in Connewitz auf: 28. April, 19 bis 30.30 Uhr, Werk 2, Halle A, Kochstraße 132.
Widerstand in finstersten Zeiten | Von Kerstin Krämer, Projektdirektion Bildung, Kinder+Jugend, Manga-Comic-Con; Leitung Messemanagement
In ihrem Buch Seit ich weiß, dass du lebst. Liebe und Widerstand in finstersten Zeiten (Hentrich & Hentrich) begibt sich Nora Goldenbogen auf die Spuren der Lebensgeschichte ihrer Eltern. Ihr Vater überlebte das KZ-Sachsenhausen, ihre Mutter, eine rumänische Jüdin, die Verfolgung in Bukarest. Die Dresdner Historikerin zeichnet die bewegende Liebes- und Leidensgeschichte ihrer Eltern Netty und Hellmut Tulatz nach. Nora Goldenbogen erzählt eng entlang historischer Quellen und Dokumente, sie tut dies aber aus einer sehr persönlichen Sicht. Das macht ihr Buch authentisch und ergreifend. In Zeiten, da Antisemitismus in Deutschland weiter zum Alltag gehört – mehr als fünf antisemitische Straftaten pro Tag zählte das Bundesinnenministerium 2022! – ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur. Vielleicht braucht es solche Geschichten, um uns Mut zu machen für unsere ganz eigenen Entscheidungen zur Wahrheit?
Nora Goldenbogen: Seit ich weiß, dass du lebst. Liebe und Widerstand in finstersten Zeiten. Lesung und Gespräch mit Nora Pester. Jüdische Lebenswelten, 28. April, 18 Uhr, Ariowitsch-Haus, Hinrichsenstraße 14.
Doppelleben | Von Anja Kösler, Leipzig liest Stadtprojekte
Leipziger Messe AG , Kommunikation Team
„Ich war ein Vagabund, ein Stadtstreicher, ein Lumpensammler, ein Niemand und weiter nichts.“ So schreibt Arno Geiger über sein Leben mit Anfang bis Mitte 20, als er studierte, Schriftsteller werden wollte, aber mit seinen Plänen nicht weiterkam. Das glückliche Geheimnis (Hanser), Arno Geigers bisher persönlichstes Buch, verwebt sein Doppelleben als Containertaucher und werdender Schriftsteller mit wesentlichen Lebensstationen, mit den gewundenen Pfaden der Liebe, mit Krankheit und Tod von Eltern und Freunden und mit den Erfahrungen des Literaturbetriebsteilnehmers. Dass der Joseph-Breitbach-Preisträger des Jahres 2018 nun auf Einladung der Breitbach-Stiftung in die Albertina kommt, ist eine große Freude.
Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis. Leseabend der Stiftung Joseph Breitbach. 29. April, 20 Uhr, Bibliotheca Albertina, Beethovenstraße 6.
Depressiv in Dresden | Von Sarina Libramm, Projektassistentin
Ohne Schulabschluss, Hartz-IV-Empfängerin, Instagram-affin: Marlen Hobrack erzählt in Schrödingers Grrrl (Verbrecher Verlag) die Geschichte von Mara Wolf, die aus dem Nichts kommt und einen Roman über ihr Lebensgefühl schreibt, der den Literaturbetrieb elektrisiert. Dabei wird Mara zu einer Hochstaplerin wider Willen… Ich war bereits von Hobracks autobiografischen Sachbuch „Klassenbeste“ (Hanser 2022) begeistert, in dem sie mit Mittelklassemythen von Chancengleichheit und sozialem Aufstieg aufräumt – und auch ihre Herkunft aus Ostdeutschland explizit zum Thema macht. Umso gespannter bin ich jetzt auf ihren ersten Roman.
Marlen Hobrack: Schrödingers Grrrl. Lesung und Gespräch mit Verbrecher-Verlegerin Kristine Listau. 27. April, 12 Uhr, Leseinsel Junge Verlage, Halle 5, Stand C 200.
Das Ganze im Kleinsten entdecken | Von Darja Piekarz, Praktikantin
Wer auf die Details achtet, hat mehr vom Ganzen. Das ist die These der Kunsthistorikerin Wieteke van Zeil. Ihre Bildbetrachtungen sind sehr inspirierend. Ihr neues Buch Sieh mehr! Wie Kunst unser Denken bereichert (E. A. Seemann) zeigt nicht nur die Schönheit der Kunst, sondern gibt uns eine klare Maxime mit: Schärfe den Blick für die Feinheiten – und bilde dir erst dann eine Meinung! Als kunstinteressierte Leipzigerin freue ich mich, einen regionalen Verlag unterstützen zu können und auf einen Abend in einem der schönsten Museen der Stadt!
Wieteke van Zeil: Sieh mehr! Wie Kunst unser Denken bereichert. Lesung und Gespräch mit Verlegerin Annika Bach. 28. April, 20 Uhr, Grassi Museum für Völkerkunde, Johannisplatz 5-11.
Coming-of-Age | Von Romana Czajka, Werkstudentin
Fünf Julias (Magas Verlag) spielen in dem gleichnamigen Jugendroman von Matheus Souza zwischen Rio und Sao Paulo die Hauptrollen. Die Protagonistinnen, fünf Mädchen namens Julia, sind 18 Jahre alt. Sie sind schwarz oder weiss, dick oder dünn – und durchweg schön. Plötzlich jedoch versinkt ganz Brasilien aufgrund eines gigantischen Hacks in den Sozialen Medien im Chaos: Wer den Namen einer Person im Netz eingibt, kann sämtliche ihrer E-Mails, Chats und Posts einsehen – was auch das Leben unserer Protagonistinnen völlig aus der Bahn schießt. Ich finde die Thematik des sorglosen Umgangs mit den Sozialen Medien spannend – und möchte mir gar nicht vorstellen, dass ich einmal von so einem Hack betroffen sein könnte. Die „Fünf Julias“ jedenfalls stellen jede brasilianische Soap gendergerecht in den Schatten. Auch cool: Übersetzerin Petra Bös hat eine Spotify-Playlist erstellt, die in chronologischer Reihenfolge alle 92 (!) im Buch erwähnten Songs enthält.
Matheus Souza: Fünf Julias. Lesung. 29. April, 13.30 Uhr, Lesetreff, Halle 3, Stand B 400.
Tagebuch eines Lebens | Von Sarah Annowsky, Projektassistentin
Wenn die Marketing-Managerin und Pferdetrainerin Aylin Hoffmann ein Buch schreibt, kommt, logisch, auch ihr Lieblingspferd Calimero, Spitzname Cali, vor. In erster Linie ist Du kriegst ihn nicht natürlich ein Thriller, in dem, als eine junge Frau den Chatverlauf ihres Freundes liest, eine ganz normale Beziehung ins Rutschen kommt. Es geht um Nichtloslassenkönnen, um eine toxisch gewordene Beziehung – was einigermaßen harmlos beginnt, entwickelt sich rasch zu einer Achterbahn der Gefühle. Für ihren Roman hat Aylin Hoffmann eigene Erlebnisse verarbeitet: Ein Tagebuch als Spannungsroman, das klingt nach einer aufregenden Mischung. Wer wissen möchte, wie sich Dichtung und Wahrheit zueinander verhalten, kann Aylin Hoffmann nach der Lesung auf dem Schwarzen Sofa direkt fragen.
Aylin Hoffmann: Du kriegst ihn nicht. Lesung im Rahmen des KSM Anime Panel. 28. April, 11 Uhr, Schwarzes Sofa, Halle 1, Stand C 400/A 401.
2021 war Judith Hermann mit ihrem Roman „Daheim“ (S. Fischer) für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Ich habe das Buch vor zwei Jahren regelrecht verschlungen, da ich mich in der Protagonistin so sehr selbst wiederfinden konnte: Sowohl die Idee, in der Lebensmitte einen Neuanfang zu wagen, als auch das Meer als Zufluchtsort zu wählen, haben mich sehr fasziniert. Nun also Wir hätten uns alles gesagt (S. Fischer). Konjunktiv II, Irrealis. Da ist man sich sicher übers Unsichere. „Vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben“, so lautet der Untertitel von Hermanns im letzten Jahr an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main gehaltenen Poetikvorlesung. Judith Hermann hat das Schreiben übers Schreiben am Ende vermieden; ihre Vorlesung ist am Ende eher selbst eine Erzählung. Eine, in der sich viel Privates verbirgt. Ich bin sehr gespannt auf die Begegnung mit Judith Hermann im Leipziger Literaturhaus.
Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt. Lesung und Gespräch mit Thorsten Ahrend. 26. April, 19.30 Uhr, Literaturhaus Leipzig, Gerichtsweg 28.
Wir feiern das Lesen – endlich wieder in Leipzig! Leipzig liest, das Lesefest mit über 2.400 Veranstaltungen und 2.500 Mitwirkenden, bringt den Bücherfrühling vier Tage lang zum Blühen. Nationale und internationale Stimmen aller Genre sind zu entdecken: Von Krimi bis Sachbuch, von Kinder- und Jugendbuch bis Phantastik, von Unterhaltungsliteratur bis Manga und Comic. Die Qual der Wahl ist beträchtlich. Wir haben deshalb in den letzten Tagen noch einmal Bücherstapel durchforstet, Tablets, Smartphones, Haftnotizen und Kladden gesichtet – und für Sie spannende Veranstaltungen abseits des Mainstreams zusammengetragen. Ob Gedichte mit Balkan-Drive, schlaue Sachbücher oder Webtoons aus Südkorea – Leipzig liest ist so bunt und vielfältig wie die Welt der Bücher. Auf bald!
Steine aus dem Himmel | Von Oliver Zille, Buchmesse-Direktor
Ich empfehle dringend, mal wieder Gedichte zu lesen – auf das Wesentliche komprimierte Sprache, die unser Denken und Empfinden wunderbar beschleunigen und beflügeln kann. Dazu lohnt es, einen Blick nach Südosteuropa zu werfen: Auf das Leben und das dichterische Werk des slowenischen Ausnahmekünstlers Tomaž Šalamun (1941 – 2014). Šalamun hat nicht nur die slowenische Lyrik revolutioniert, sondern genoss auch international höchstes Ansehen. In den USA, wo er in den 1970er Jahren eine Zeit lang lebte und lehrte, wird er bis heute als einer der bekanntesten europäischen Dichter seiner Generation verehrt. Steine aus dem Himmel (Suhrkamp) ist der Titel der zweisprachigen Auswahl, die eben erschienen ist – so bezeichnete Šalamun seine Gedichte und die Weise, wie sie ihm zufielen. In der Veranstaltung lernen wir diese Dichterlegende in Film und Wort gemeinsam mit Liza Linde und den Co-Übersetzer:innen Monika Rinck und Matthias Göritz kennen.
Steine aus dem Himmel. Über den slowenischen Dichter Tomaž Šalamun. Mit Liza Linde, Monika Rinck und Matthias Göritz. 28. April, 21 Uhr, naTo, Karl-Liebknecht-Straße 46.
Grüne Lunge | Von Maike Henkel, Onlinemanagerin
Ohne Wald kann der Mensch nicht sein. Unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere gesamte Entwicklung ist untrennbar mit dem Wald verbunden. In ihrem ersten gemeinsamen Werk Waldwissen (Ludwig) vereinen Deutschlands berühmtester Förster Peter Wohlleben und der renommierte Biologe Pierre L. Ibisch ihre Expertise und die neuesten Erkenntnisse der internationalen Wissenschaft. Sie bringen Licht ins Dickicht eines hochkomplexen Ökosystems, das es normalerweise immer dann in die Medien schafft, wenn es – siehe die Auseinandersetzungen um „Hambi“ und „Lützi“ – bedroht wird. Mich hat eine Doku über Peter Wohlleben zugleich begeistert und erschüttert – weil sie mir vor Augen geführt hat, wie entfremdet unser Umgang mit der Natur ist und welche katastrophalen Auswirkungen unser Eingreifen hat. Zum Auftakt der Klimabuchmesse sprechen Wohlleben und Ibisch mit Cordula Weimann, Gründerin von „Omas for Future“ und „Leipzig Pflanzt“ – und überlegen, wie wir unsere Welt grüner machen können.
Wald ist viel mehr als Bäume! Zum Auftakt der Klimabuchmesse sprechen Peter Wohlleben und Pierre L. Ibisch mit Cordula Weimann. 27. April, 15 Uhr, Forum Sachbuch + Wissenschaft, Halle 2, Stand D 500.
Erkundung eines politischen Gefühls | Von Malte Schlage, Praktikant Kommunikation
Wer sind sie, die Hassenden, und aus welchen Machtverhältnissen kommen sie? Wer darf überhaupt hassen und wer nicht? Welche Gefühle lähmen, welche Gefühle helfen, nicht zu erstarren, und sich immer und immer weiter zu bewegen auf dem Weg in eine gerechtere und zärtliche Gesellschaft? Das sind meiner Meinung nach alles spannende Fragen, die Şeyda Kurt in ihrem neuen Band Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls (HarperCollins) sich selbst, aber auch der Allgemeinheit stellt. Ich glaube Şeyda Kurt wird auch in Zukunft eine wichtige Stimme in der Gesellschaft sein und bin froh Sie als Teil der Leipziger Buchmesse und dem Forum offene Gesellschaft zu sehen
Şeyda Kurt Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls. Şeyda Kurt im Gespräch mit Patrick Bahners, Moderation Antonie Rietzschel. 30. April, 11.30 Uhr, Forum offene Gesellschaft, Halle 4, Stand E 101.
Atemberaubende Animationen | Von Lea Amelie Peterknecht, Projektmanagerin Manga-Comic-Con
Team der Leipziger Buchmesse
One Piece Film: Red ist der vierzehnte Film aus dem „One Piece“ Universum von Eiichiro Oda. In Japan wurden in den ersten vier Wochen nach Filmstart über neun Millionen Karten verkauft – damit ist „Red“ nicht nur der erfolgreichste Film der Serie, sondern auch einer der Kassenhits im japanischen Kino des Jahres 2022. Bald nach dem Release in Japan kam „Red“ im letzten Herbst auch in unsere Kinos – wo ich ihn als großer „One Piece“-Fan natürlich schon gesehen habe. Ich kann den Film nur wärmstens empfehlen: Atemberaubende Animationen, geniale Choreos für Kampfszenen wie für die Bühnenauftritte von Prinzessin Uta, die auf der Insel der Musik Elegia ihr erstes Live-Konzert gibt. Und energetische Musik. Wer eine kurze Auszeit vom Messetrubel nehmen möchte, kommt in unserem direkt an Halle 1 angrenzenden Anime-Kino bestimmt auf seine Kosten. Von Donnerstag bis Sonntag werden hier rund um die Uhr Anime-Episoden oder auch ganze Filme gezeigt. Zurücklehnen und genießen!
One Piece Film: Red. 30. April, 14 Uhr, Anime-Kino, Messehaus, Raum M 2 (FSK 12).
Zwischen Magie und Wissenschaft | Von Joana Semmlack, Praktikantin
Mit She Who Alights The Night (Moon Notes) dem im Paris des späten 19. Jahrhunderts spielenden zweiten Band ihrer Night-Shadow-Reihe, hat Laura Cardea eine mysteriöse und romantische Welt geschaffen: Eine Mischung aus Magie und kühler Wissenschaft, mit liebenswerten und mutigen Protagonist:innen, die für und um ihr Leben kämpfen. Ein Date mit Marie Curie, die erste Elektrizität, ein Leben zwischen Standesgrenzen? In „Night Shadow“ gibt es das alles. Für mich ohne Zweifel ein Romantasy-Lesehighlight! Erschienen sind beide Bände bei Moon Notes, einem noch relativ jungen Paperback-Label unterm Dach der Verlagsgruppe Oetinger, das mich mit seinem Programm noch nie enttäuscht hat.
Laura Cardea: She Who Alights The Night. Lesung. 28. April, 11 Uhr, Phantastische Leseinsel 2, Halle 3, Stand D 401.
Toxische Männlichkeit | Von Raphael Richter, Projektmanager Leipzig liest
Fikri Anıl Altıntaş erzählt in seinem Buch Im Morgen wächst ein Birnbaum (btb) von seiner Familie und seiner Kindheit inmitten von Sozialwohnblocks in der hessischen Provinz. Und davon, wie er – mit inzwischen dreißig Jahren – als muslimisch-türkischer Mann in Berlin, ein anderes Leben jenseits von Klischees zu führen versucht. Wie er zu dem Mann wurde, der er heute ist – mit und durch seinen Vater, wegen und trotz Deutschland. Inmitten von festgefahrenen Narrativen sucht Fikri Anıl Altıntaş nach den Zwischentönen jenseits der Klischees.
Fikri Anıl Altıntaş: Im Morgen wächst ein Birnbaum. Lesung und Diskussion. 28. April, 20 Uhr, interim by linxxnet, Demmeringstraße 32.
Freundinnen müsste man sein | Von Doreen Rothmann,Leipzig liest Stadtprojekte
Wer ein Kind erwartet, verliert sich leicht im Wust der Ratgeber: Von der natürlichen Geburt über Hypno-Birthing zu dicken Wälzern über Babys erstes Jahr. Allerdings gibt es keinen einzigen Ratgeber für die, die noch nicht, gar nicht oder nicht noch einmal Mutter werden wollen. Genau das will Laura Dornheim mit ihrem Buch Deine Entscheidung. Alles, was Du über Abtreibung wissen musst (Kunstmann) ändern. Dornheims Buch ist kein politisches Manifest. Es erklärt empathisch, aber auch pragmatisch, wie alltäglich ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche sind. Wie die Rechtslage ist. Wer den vorgeschriebenen Beratungsschein ausstellt. Welche Methoden welche Vor- und Nachteile haben. Dazu gibt es Listen mit hilfreichen Links, Adressen und Literatur. Ein Buch wie eine gute, schlaue Freundin, die für einen da ist, wenn man sie braucht.
Laura Dornheim: Deine Entscheidung. 28. April, 18 Uhr, Petersbogen-Apotheke, Petersstraße 36-44.
Schkeuditz liest | Von Kerstin Scholz, Projektmanagerin Messeorganisation/Ausstellerservice
Die Schriftstellerin Kati Naumann hat schon etliche Romane geschrieben, in denen sie in beeindruckender Weise Vergangenheit lebendig werden lässt. Die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus und die DDR-Vergangenheit sind Epochen, in denen ihre Bücher spielen. In ihrem neuesten Roman Die Sehnsucht nach Licht (HarperCollins) geht es um die Geschichte einer Bergarbeiterfamilie im Schlematal im Erzgebirge. Kati Naumann erzählt von den lebensgefährlichen Arbeiten im Bergbau, aber sie schildert auch die tiefe Verbundenheit mit diesem Beruf. Ihr Roman trifft mich persönlich: Meine Mutter stammt aus dem Erzgebirge, meine Großeltern wohnten nur zehn Kilometer vom Schlematal entfernt. Da ich in einem Ortsteil von Schkeuditz wohne, freue ich mich besonders über den „Lokaltermin“. Und als ob das alles noch nicht reichen würde: Der Lesungsort, unsere Stadtbibliothek, hat 2022 den Sächsischen Bibliothekspreis bekommen!
Kati Naumann: Die Sehnsucht nach Licht. Lesung. 28. April, 19 Uhr, Stadtbibliothek Schkeuditz, Bahnhofstraße 9.
Wundersame Welt der Webtoons | Von Lusy Seifarth, Praktikantin
Webtoons oder auch Manhwa sind aus Südkorea stammende Comics, die sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen und auch in Deutschland längst bekannt und beliebt sind. Allerdings haben bisher nur wenige Comic- und Mangaverlage überhaupt Webtoons auf Deutsch gedruckt und veröffentlicht. papertoons aus Ludwigsburg, gegründet von den ehemaligen Manga Cult-Redakteuren Lea Heidenreich und Michael Schuster, ist seit Anfang 2023 der erste und bislang einzige deutsche Verlag, der sich ausschließlich auf diese Art Comics spezialisiert hat. Was alles passieren muss, damit ein in Südkorea digital veröffentlichter Webtoon seinen Weg als gedrucktes Buch in deutsche Bücherregale findet, erklären Lea und Micha im Comicforum auf dem Schwarzen Sofa. Ich selbst habe vor einigen Jahren, ausgehend von meiner Beschäftigung mit Manga, zu Webtoons gefunden – und freue mich daher sehr auf dieses Panel.
Papertoons & Webtoons in Deutschland. Eine kurze Reise durch die Welt der Webtoons. Präsentation mit Lea Heidenreich und Michael Schuster (papertoons GmbH). 27. April, 14.30 Uhr, Schwarzes Sofa, Halle 1, Stand C 400/ A 401.
Zwischen allen Stühlen | Von Inka Kirste, Projektmanagerin Belletristik/Sachbuch, Fachbuch/Wissenschaft, Religion, Reisen
In der DDR zierte ihr Porträt Münzen, Briefmarken und Geldscheine. Gedenkmedaillen und Straßen waren nach ihr benannt – und wer kennt in Leipzig nicht den Clara-Park? Der internationale Frauentag, den Zetkin mit anderen Sozialdemokratinnen 1910 erfand, wurde offiziell begangen – im Alltag sah es mit der Gleichberechtigung schon anders aus. Und noch heute ist der Gender Pay Gap, das geschlechtsspezifische Lohngefälle, in Deutschland und Österreich europaweit am stärksten ausgeprägt. Gründe genug, sich für eine biografische Annäherung an Clara Zetkin aus der Feder einer seit den 60er Jahren frauenpolitisch engagierten Autorin zu interessieren. „Clara Zetkin – geliebt und gehasst. Eine umstrittene Sozialistin“ (Karl Dietz Verlag) von Florence Hervé (die erst letztes Jahr mit dem Louise-Otto-Peters-Preis der Stadt Leipzig ausgezeichnet wurde) beleuchtet Frauengeschichte, das Recht auf Arbeit, Bildung, politische Betätigung und Selbstbestimmung sowie, brennend aktuell, Krieg und Frieden. Ach ja: Wie diese Leipzig liest-Begegnung sind die meisten Veranstaltungen des Frauenkultur e. V. Leipzig offen für alle Menschen.
Florence Hervé: Clara Zetkin – geliebt und gehasst. Lesung und Gespräch. 26. April, 17 Uhr, Frauenkultur e. V., Windscheidstraße 51.
Şeyda Kurt, in Ihrem im März erscheinenden Buch „Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls“ führen Sie an Orte des Hasses wie Hanau oder Istanbul, Sie führen in die queere Community, Sie führen aber auch an den Küchentisch Ihrer Mutter. Die Frage, die Sie umtreibt: Wer darf hassen? Was macht diese Frage so zentral?
Şeyda Kurt: Das „Wer“ ist eine zentrale Frage für mich, weil es sehr viel über Herrschaftsverhältnisse, über Ohnmacht und Handlungsfähigkeit erzählt. Es gibt ja Begriffe und Themen, die auch in liberalen Gesellschaften sehr moralisch aufgeladen sind: Wenn etwa Politiker*innen nach rassistischen Anschlägen wie in Hanau sagen: „Hass hat bei uns keinen Platz!“ Wir wissen, dass das nicht stimmt. Außerdem sollte man innehalten und fragen: Um wessen Hass geht es eigentlich? Wir sehen oft die Tendenz, dass Opfer von Faschismus, Rassismus oder Misogynie abgesprochen wird, dass sie selbst auch hassende Subjekte sein können – einfach, weil sie Zielscheibe von Hass sind. Stattdessen müssen sie immer wieder beweisen, dass sie selbst nicht hassend sind. Um sich als Opfer eine Legitimation zu verschaffen, dem eigenen Leid, dem durchgemachten Trauma Gültigkeit zu verschaffen. Das passiert den „Samstagsmüttern“ in Istanbul, die wegen ihrer durch den Staat verschleppten Söhne und Männer demonstrieren, aber auch den Angehörigen der Opfer des Terroranschlags von Hanau.
Gibt es eine dunklen, einen hellen Hass?
Kurt: Mir geht es darum, den Hass aus der Versenkung herauszuholen, mir geht es um die Sichtbarmachung seines widerständigen Potentials. Letztendlich interessiert mich tatsächlich auch ein Hass, der Zärtlichkeit hervorbringen kann. So paradox das auch klingt.
Aber ist Hass nicht allgegenwärtig?
Kurt: Ja, wir haben in den letzten Jahren sehr viel über Hass gesprochen, von Pegida bis zur Reichsbürgerszene. Mich haben vor allem die Gefühle der Menschen interessiert, die zur Zielscheibe wurden, Menschen, über die nicht so oft gesprochen wird. Egal ob ihr Hass berechtigt ist – es gibt ihn. Ihre Geschichte möchte ich nachzeichnen. Wenn Menschen Gewalt geschieht, können sie oft nicht einfach abschließen. Sie sind traumatisiert, sitzen oft in einer Vergangenheit fest, die sich ständig wiederholt. Zu einer Aushandlung über die Konsequenzen auf Augenhöhe kommt es fast nie…
Es geht aber nicht um ein biblisches „Auge um Auge, Zahn um Zahn“?
Kurt: Der angeblich rachsüchtige Gott des Ersten Testaments… viele Theolog*innen legen das anders aus: Es soll nicht eine Gewalttat mit einer anderen vergolten werden. Aber den von Gewalt Betroffenen steht eine Aushandlung auf Augenhöhe zu, was jetzt auf die Gewalt folgen soll. Das hat nichts mit „vergeben und vergessen“ zu tun. Vergebung muss erst verdient werden.
Hier höre ich Ihre Erfahrung aus der Arbeit mit dem Hanau-Komplex mit heraus…
Kurt: Es ist das, was die Angehörigen nicht müde werden zu sagen: Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben. Eine Gerechtigkeit, die die Perspektive der Betroffenen – und sei es mit ihrem Hass! – mit einbezieht.
Hass lässt sich nicht wegdiskutieren…
Kurt: Das ist die politische Ebene, die sich mit der biografischen verbindet. Im Buch schreibe ich auch sehr viel entlang meiner Biografie – etwa die Art und Weise, wie ich erzogen worden bin, wo Bestrafung eine große Rolle gespielt hat. Auch darauf habe ich als Kind mit einer gewissen Form von Hass reagiert.
Sie gelten als sehr meinungsfreudige Publizistin – wie schätzen Sie den Stand der Debattenkultur im Deutschland des Jahres 2023 ein?
Kurt: Allein der Umstand, dass ich nach Leipzig eingeladen wurde, zeigt, dass aus meiner perspektive viele Sachen ganz gut laufen. Dass es eine gewisse Öffnung, eine Pluralität der Stimmen gibt. Auf der anderen Seite wird in den Medien noch immer sehr stark in Binaritäten gedacht, etwa in den Reaktionen auf Putins Angriffskrieg. Emanzipatorische, feministische und zugleich konsequent anti-militaristische Perspektiven, die für Rechte nicht anschlussfähig sind, kommen nicht vor. Die Pandemie hat vieles noch verschärft: Sie hat viele Menschen isoliert, vereinzelt. Viele haben – jenseits ihrer Internet-Bubbles – oft einfach verlernt zu debattieren. Es ist etwas anderes, einem konkreten Menschen in die Augen zu schauen, als sich auf einer Internet-Plattform anzuschreien.
Auf Twitter geht es ordentlich zur Sache…
Kurt: Deswegen bin ich dort nicht mehr so gern unterwegs (lacht). Natürlich habe ich mir über Twitter eine gewisse Reichweite aufgebaut. Aber eigentlich bin ich diese verkürzenden Ping-Pong-Debatten leid.
Gibt es Alternativen? Den Mikroblogging-Dienst Mastodon?
Kurt: Ich finde, Instagram funktioniert schon ein bisschen anders als Twitter. Man kann – ich mache das ganz gern – auch längere Texte schreiben. Obwohl das vom Algorithmus noch nicht belohnt wird… Ich konzentriere mich inzwischen wieder sehr stark auf persönliche Gespräche, in meinem Kiez zum Beispiel. Mit Menschen, mit denen ich mich vor Ort organisiere. Ich merke, dass mich das sehr erdet.
Welche Rolle können Räume wie Leipziger Buchmesse und dort das Forum offene Gesellschaft spielen?
Kurt: Die große Chance bei Debatten, die sich um Literatur herum entspinnen, ist, dass sie die Geschwindigkeit von uns allen etwas herunterbremst, uns zu uns selbst kommen lässt.
Das Forum offene Gesellschaft ist ja eher als gesellschaftspolitischer Resonanzraum gebaut…
Kurt: Alexander Kluge hat mal sinngemäß in einem Radiointerview gesagt, dass es darum gehen müsse, die Debatte aus der Horizontalen herauszuholen – und in die Vertikale zu bringen. Also nicht sich nur an der Oberfläche bewegen und in denselben Floskeln und Reaktionen verharren. Sondern bei einer Sache bleiben und die so gründlich erforschen, wie man irgend kann. In Gespräche zu gehen, die auch mal wehtun. Ich bin gespannt, was im April passiert!
Sehen Sie die Gefahr, immer in der eigenen Bubble zu bleiben? Lässt sich das irgendwie aufbrechen?
Kurt: Letztlich bringt das grundsätzliche Fragen nach sozialer Gerechtigkeit ein Innehalten mit sich: Wer kann sich denn eigentlich Bücher leisten? Wer nimmt sich tatsächlich Zeit, auf Messen zu gehen, und die Gespräche zu verfolgen? Vielleicht sogar mitzudiskutieren, in so einem Forum.
Können Bücher die Welt verändern?
Kurt: Für mich verändern Menschen die Welt. Aber Bücher können Menschen dabei motivieren, sie mobilisieren und ihnen Kraft geben.
Zur Person:
Şeyda Kurt, geboren 1992 in Köln, studierte Philosophie, Romanistik und Kulturjournalismus in Köln, Bordeaux und Berlin. Als freie Journalistin und Kolumnistin schreibt sie für unterschiedliche Print- und Onlinemedien, darunter Zeit Online. Als Redakteurin arbeitete sie an dem Spotify-Originalpodcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“, der 2021 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr zählte das Medium Magazin das Redaktionsteam zu den Journalistinnen des Jahres. In ihrem Buch „Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist“ (2021) untersuchte sie Liebe im Kraftfeld von Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus. Mitte März erscheint ihr neues Buch „Hass – Von der Macht eines widerständigen Gefühls“ bei HarperCollins.
Der Buchhandel ist der wichtigste Partner der Leipziger Buchmesse, die deutschsprachige Literatur einer ihrer Schwerpunkte. Unter dem Motto „Your Place to read“ lesen ab März Autorinnen und Autoren in 12 Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Messe zahlt Honorare und Reisekosten aus Fördergeldern der Kulturstaatsministerin. Los geht’s am 9. März bei Lessing und Kompanie in Chemnitz: Jutta Hoffritz (Verlagsgruppe HarperCollins) und Christian Bommarius (dtv) sprechen mit Moderatorin Melanie Longerich (Deutschlandfunk) über das deutsche Schicksalsjahr 1923 und ihre Bücher zum Thema.
Für Buchhändler Klaus Kowalke ist der Start auf dem Chemnitzer Kaßberg eine super Reverenz an die Kulturhauptstadt in spe. Der Kaßberg, eines der größten Gründerzeitviertel Deutschlands, ist eher kein Hipster-Biotop. Dennoch ist miteinander leben hier mehr, als Amazon- und Zalando-Päckchen für den abwesenden Nachbarn anzunehmen. Hier eröffneten Kowalke und seine Partnerin Susanne Meysick im März 2008 ihre Buchhandlung „Lessing und Kompanie“ – ein wunderbarer Link von der Chemnitzer Theodor-Lessing-Straße zu Sylvia Beachs Traumbuchhandlung Shakespeare & Co. in Paris.
Wir nehmen den Start der Buchhandelstour zum Anlass, um mit Klaus Kowalke über Buchhandlungen als Lese-Orte und Magneten für Literatur- und Kultur-Interessierte zu sprechen. Aber auch über die Leidenschaft, mit der Buchhändlerinnen und Buchhändler landauf, landab immer wieder neue, spannende Begegnungen zwischen Autoren und Leser-Gemeinde organisieren.
Normalerweise ist Lesen ein einsames Geschäft – bei Lesungen begegnet man anderen Buch-Fans und Autoren (c)nk
Hand aufs Herz, Klaus: Sind Lesungen für Dich die Königsdisziplin, wo Du als Buchhändler Deinen kuratorischen Ehrgeiz ausleben kannst? Oder der Ausgangspunkt von viel Arbeit und häufigem Heimkommen weit nach Mitternacht?
Klaus Kowalke: Lesungen und andere Veranstaltungsformate machen riesigen Spaß – aber auch jede Menge Arbeit. Wir bekommen sehr viele Anfragen von Verlagen, auch von Autorinnen und Autoren direkt. Oft müssen wir ‚Nein’ sagen, wir könnten sonst an allen 365 Tagen des Jahres mehrere Lesungen anbieten. Bedenkt man, dass das alles seriös finanziert werden soll – wer bei uns auftritt, soll ein faires Honorar erhalten, dazu kommen Reise- und Übernachtungskosten – müssen wir sorgfältig auswählen.
Qual der Wahl: Klaus Kowalkes privater Lesetisch (c) LuK
Wie viele Veranstaltungen macht ihr pro Jahr?
Kowalke: Bis zur Corona-Pandemie haben wir in der Regel jeden zweiten Donnerstag im Monat eine Lesung angeboten, ab 2020 haben wir dann auch mit kleineren Open-Air-Formaten experimentiert, die tagsüber vor der Buchhandlung liefen, quasi mitten im laufenden Straßenleben.
In Corona-Zeiten habt ihr begonnen, auch andere Genres zu bespielen, zuallererst die Musik?
Kowalke: Wir haben im Lockdown mit befreundeten Musikern der Robert-Schumann-Philharmonie gesprochen, die auch nicht auftreten konnten. So wurde der „FreitagsLuK“ geboren; von Mai bis September, den ganzen Sommer über, gab es die letzten beiden Jahre immer freitags 19.30 Uhr Konzerte mit wechselnden Beteiligten vor dem Laden. Wir haben das mit kleinem Geld, aus eigener Tasche finanziert. 2022 gab es dann sogar eine Mikroprojekt-Förderung der Stadt.
Im Sommer gibts jeden Freitag auf die Ohren: Die Kaßberg-Philharmoniker vor der Buchhandlung (c) LuK
Wie plant ihr eure Lesungen? Nach welchen Kriterien wählt ihr aus?
Kowalke: Wir arbeiten die Vorschauen mit den Novitäten durch, überlegen dabei, welche Autorinnen und Autoren zu uns passen könnten. Belletristik nimmt den Löwenanteil ein, auf zehn Lesungen kommt vielleicht ein Sachbuch. Aber wir versuchen, einen guten Mix herzustellen, bei uns ist auch für Fantasy oder Kinderbücher Platz. Wir nehmen auch Anregungen von unseren Kundinnen und Kunden auf. Am Ende gilt immer: Wenn wir schon Leute einladen, muss es auch uns selbst Spaß machen.
Ob Newcomer oder prominente Autorinnen wie hier Marion Brasch: alle zwei Wochen wird auf dem Kaßberg gelesen (c) LuK
Gegenwärtig hört man häufiger von zögerlich besuchten Kinos und Theatern – wie ist das mit euren Lesungen?
Kowalke: Es ist schwieriger geworden. Das Eintrittsgeld ist kein wirklicher Bestandteil der Finanzierung, eher der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Dabei bemühen wir uns schon um eher günstige Preise. Eine klassische Lesung kann man bei uns in der Regel für zehn Euro erleben. Aber die Infrastruktur kostet ja auch, von Strom, Wasser und Heizung bis zu den Überstunden des Personals!
Lesende Tätigkeit: Co-Chefin Susanne Meysick bei der Arbeit (c) LuK
Nicht alle Veranstaltungen finden bei euch im Laden statt?
Kowalke: In den letzten Jahren sind wir mit größeren Lesungen regelmäßig ins „Metropol“ gegangen, ein imposantes Kino, das 1912/13 am Fuß des Kassbergs, in der Zwickauer Straße, errichtet wurde. Wenn’s voll ist, sind alle glücklich, aber du kannst auch Pech haben: Vor einer Lesung von Nino Haratischwili, die sehr stark nachgefragt war, gab es Eisregen, so dass am Abend ‚nur’ 80 Leute kamen. Hin und wieder sind wir auch im Club „Atomino“ oder im „Weltecho“ gewesen; das Gros der Veranstaltungen findet aber hier im Laden statt.
2014 fiel der Startschuss für euer ungewöhnliches Projekt „EinhundertMeter Weihnachtsmarkt“, bald darauf kam „EinhundertMeter Sommer“ dazu. Was ist da passiert?
Kowalke: Das hat mit dem besonderen Charakter des Kassberg zu tun, wir sind eine gute Nachbarschaft. Der Weihnachtsmarkt sollte Anwohner und Händler zusammenbringen. Uns schwebte ein Straßenmarkt der etwas anderen Art vor, einer, der eben nicht auf der Straße stattfindet – und damit das Ordnungsamt auf den Plan rufen würde. Mit rund 30 befreundeten Geschäften, Initiativen, Künstlern und Musikern aus der ganzen Stadt wurden die privaten Vorgärten und Freiflächen vor den Häusern der oberen Franz-Mehring-Straße in eine turbulente Meile verwandelt, dazu gab es an zwei Tagen nicht nur Glühwein und Kuchen, sondern auch ein opulentes Kulturprogramm – vom Bläserensemble der Chemnitzer Mozart-Gesellschaft bis zum Geigenkonzert und mehreren Chören. Wir holten keine gewerbliche Gastronomie dazu, der Reiz des Ganzen besteht im ‚handgemachten’ Charakter. Zur Premiere kamen rund 3000 Chemnitzer, im Jahr darauf waren es an die 5000, inzwischen reisen Leute aus dem Umland an. Bei der Sommermeile gibt es immer ein Motto, und eine Jury aus Chemnitzer Promis, die wir Buchhändler zusammentrommeln, entscheidet, wer die beste Idee hat. Als Preis winkt ein opulenter Warenkorb, der von allen beteiligten Händlern bestückt wird.
Folk & Electronica: Foreghost spielen auch zum Buchhandlung-Jubiläum (c) LuK
Was zeichnet für Dich eine ideale Lesung aus?
Kowalke: Sowohl die geladenen Autorinnen und Autoren wie auch das Publikum sollen sich wohl fühlen. Idealer Weise ist es ein Abend mit Mehrwert für alle – in ganz seltenen Fällen wird daraus ein unvergessliches Erlebnis. So war es bei uns 2019, als wir am Vorabend der PEN-Jahrestagung in Chemnitz zu einer klitzekleinen Lesung mit Leuten aus dem damaligen Vorstand eingeladen hatten. Am Ende war die Bude proppenvoll, die Leute saßen sich auf dem Schoß, wildfremde Menschen haben Freundschaft geschlossen. Es war ein Traum!
Eure Buchhandlung feiert im März ihren 15. Geburtstag – am Ende auch mit einer Lesung?
Kowalke: Der 29. März liegt mitten in der Woche, aber wir wollen genau am Gründungstag feiern. Es wird eine Kinderbuch-Lesung mit Rusalka Reh geben, das Kraftwerk-Ensemble der Robert-Schumann-Philharmonie wird ein einstündiges Umsonst & Draußen-Konzert geben, und abends spielen unsere Freunde von Foreghost einen Mix aus Folk und Electronica. Es kann nur großartig werden.
Betreiben seit 15 Jahren Lessing und Kompanie in Chemnitz: Susanne Meysick und Klaus Kowalke (c) LuK
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