Autor: Nils Kahlefendt

Bildquelle: Tilman Schenk

„Hey, wir sind noch da!“
21. Mai 2022
Leander Wattig über die erste rein digitale Ausgabe der Leipziger Autorenrunde und die steile Lernkurve im Pandemie-Jahr
Autor: Nils Kahlefendt

Bildquelle: Tilman Schenk

„Hey, wir sind noch da!“
21. Mai 2022
Leander Wattig über die erste rein digitale Ausgabe der Leipziger Autorenrunde und die steile Lernkurve im Pandemie-Jahr

Für Autorinnen und Autoren ist Corona seit über einem Jahr eine zum Teil existentielle Herausforderung. Wie nehmen Sie das wahr?

Leander Wattig: Es hat uns früh erwischt: Im März 2020 musste im Zuge der pandemiebedingt abgesagten Buchmesse auch die Leipziger Autorenrunde abgesagt werden. Die Zeit danach entwickelte sich für viele Autorinnen und Autoren wirtschaftlich, aber auch künstlerisch zu einer echten Belastungsprobe. Deswegen wollen wir mit der Leipziger Autorenrunde 2021 auch ein Zeichen setzen. Das drückt sich schon im Motto „Das digitale Wir“ aus. Das soll nicht heißen, dass sich jetzt alles nur noch ums Digitale dreht! Aber es ist der Kanal, auf dem wir seit 15 Monaten primär alle unterwegs sind – und wo man das Mögliche tun kann, um sich auszutauschen und gegenseitig zu bestärken.

In der Branche hat es ja 2020 einen echten Digitalisierungs-Sprung gegeben…

Wattig: Es ist an vielen Stellen ein „Jetzt erst recht!“-Ruck durch die Branche gegangen. Aber auch darüber hinaus, in der Literaturwelt: In der Fontane-Gesellschaft etwa, wo ich im Vorstand mitarbeite, haben wir ja auch nicht nur Digital Natives (lacht). Dennoch haben wir letztes Jahr zum ersten Mal unsere Mitgliederversammlung digital durchgeführt. Und da war auch ganz selbstverständlich die Generation 70+ mit Zoom & Co. am Start. In der Buchwelt hat sich viel in den Köpfen getan – traditionell wird Technik in den Inhalte-Branchen ja latent misstrauisch beäugt.

Wie stellt man „Augenhöhe“, die zur DNA der Leipziger Autorenrunde gehört hat, digital her? Wie transformiert man etwa die lebendigen „Tischrunden“, die einen Gutteil des Charmes ausgemacht haben, ins Digitale?

Wattig: Natürlich ist es eine Herausforderung, so ein Format ins Digitale zu übersetzen. Da sind wir 2021 schon wieder ein Stück weiter als letztes Jahr. Es geht nicht um eine 1:1 Verlängerung, wir wollen auch digital wertschöpfend sein. Es wird keine ellenlangen Vorträge geben, die allen, die nebenher noch in tausend Videoformaten hängen, den Stecker ziehen. Wir planen kurze, knackige 15-Minuten-Vorträge; anschließend werden die Speaker:innen für Fragen im Networking-Raum zur Verfügung stehen. Mit der Auswahl der Vortragenden geht’s schon los: Es sind sämtlich Leute, die Lust auf Austausch haben, und nicht irgendwelche kühlen Marketing-Vorträge abspulen. Der Kerncharakter der Autorenrunde wird auf diese Weise beibehalten.

Was wünschen sich Autorinnen und Autoren aktuell, wie haben Sie die Themen gesetzt?

Wattig: Aufhänger ist die Frage, wie wir in diesen Zeiten und einem veränderten Umfeld erfolgreich weitermachen können. Während wir sonst sehr viele freie Themen parallel verhandelt und auch mal Mut zur Nische bewiesen haben, zieht sich dieser Grundgedanke diesmal als roter Faden durch den Tag – beginnend mit der Keynote von Zoë Beck über die fünf Themenblöcke: Vom Schreibhandwerk über die Zusammenarbeit mit Agenturen und Verlagen bis zu rechtlichen Fragen, Marketing, Lesungen und Networking. Das reicht von Şeyda Kurt, die mit der Frage, ob es ein „radikal zärtliches Wir“ im Schreiben gibt, eine gesellschaftliche Diskussion aufgreift, bis zu eher nutzwertorientierten Themen: Das geht dann von Elisabeth Ruge, die Werkstatteinblicke in die Arbeit ihrer Agentur gerade in diesen Zeiten gibt, bis zu Cally Stronk, die mit ihrer “Schreibküche“ auf der neuen Audio-App Clubhouse unterwegs ist.

Gibt es mit Händen zu greifende Vorteile gegenüber der analogen Runde?

Wattig: Absolut. Wir haben Tina Folsom als Spenderin gewinnen können. Tina ist gebürtige Deutsche und lebt seit 2001 in Kalifornien; sie ist eine der ersten drei Autorinnen, die weltweit über eine Million E-Books verkauft hat. Die hätten wir sonst nicht mal eben so einladen können (lacht).

„Digital ist besser“ hieß es einmal bei Tocotronic. Was erhoffen Sie sich von dem Experiment einer erstmals rein digitalen Autorenrunde?

Wattig: Die Mischung macht’s! Zum einen wollen wir Flagge zeigen, hey: Die Welt dreht sich weiter und wir sind noch da! Aber wir wollen natürlich auch Erfahrungen sammeln, die für mögliche hybride Konzepte nützlich sein können. Es wird nicht reichen, einfach ein „Digital“-Schild vor die alten Analog-Veranstaltungen zu stellen.

Fotos: © Leipziger Buchmesse, Leander Wattig, Julia Tomaschko (Zoë Beck), Stefan Nimmesgern (Elisabeth Ruge)

Die Leipziger Autorenrunde #lar21 findet am 29. Mai, von 10 bis 17 Uhr erstmals im digitalen Raum statt. Tickets kosten 29 Euro und sind unter www.leipziger-autorenrunde.de/tickets verfügbar.

http://leipziger-autorenrunde.de

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