Es war erst meine zweite Buchmesse überhaupt und dann durfte ich gleich als Kurator des politischen Schwerpunkts #Europa21 mitbestimmen, wohin die Reise 2018 in Leipzig ging. Doch aus ganz persönlicher Sicht hat die Buchmesse mit einer für mich sehr irritierenden Szene angefangen. Ein wichtiges Thema war in diesem Jahr die Meinungsfreiheit, die in vielen Ländern dieser Welt akut bedroht oder missachtet wird. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ergänzte diese Debatte mit einem pointierten Statement auf der Auftaktpressekonferenz. Ich wunderte mich schwer, als auf dem Podium behauptet wurde, dass es in Deutschland Tabus gäbe, dass man nicht über alles sprechen könne. Und natürlich stellte ich dazu eine Nachfrage. Woraufhin Skipis die (stets allgegenwärtige) „Flüchtlingsfrage“ als Beispiel nannte. Man könne da nicht sagen, was man wolle, behauptete er.
Als Buchautor, Journalist und Kurator weiß ich, dass diese Ansicht die imaginierte Realität einer einzelnen Person darstellt. Sechs Monate hatte ich zusammen mit dem Team der Leipziger Buchmesse und der Robert Bosch Stiftung an einem Programm gearbeitet, das zeigt, dass man im Rahmen des Grundgesetzes in Deutschland wirklich alles sagen und leider auch behaupten kann. Nach dieser Pressekonferenz war es also an der Zeit – mit Haltung und Fakten – alles zu den Themen Armut, Gerechtigkeit, Solidarität und auch Identität auf den Tisch zu packen.
Um jede nur mögliche Denkrichtung und politische Position auf dem Podium zu repräsentieren, habe ich als Kurator Dutzende Einladungen an Autor/innen aus ganz Europa verschickt. Meistens trudelten danach von rechten und rechtskonservativen Autor/innen Absagen in meinen Posteingang. Ich vermute, dass sich vor allem diese Gruppe nicht wirklich mit anderen Argumenten auseinandersetzen möchte. Dabei hatte ich schon in der künstlerischen Begleitung von #Europa21 deutlich gemacht, dass es mir um einen fairen, konstruktiven und unterhaltsamen Austausch ging und geht. Als Kurator war ich von Anfang an überzeugt, dass das bessere Argument auf der Bühne gewinnen würde. Als Moderator und Kurator sagte ich mir während der Buchmesse immer wieder in den Leipziger Hallen: Mohamed, habe keine Angst vor der Konfrontation, denn sie kann nur gut ausgehen.
Das Highlight des Programms waren für mich ohne Frage also die Europa-Duelle im Zeitgenössischen Forum in der Innenstadt von Leipzig. Wie bei allen anderen Veranstaltungen waren alle Plätze im Publikum belegt. Im Rahmen von „Leipzig liest!“ ließ ich als Kurator entgegengesetzte Welten aufeinanderprallen. Was macht die Zukunft Europas besser? Fragte ich mit Absicht sehr offen auf dem Podium den Documenta-Chef Adam Szymczyk und die konservative Autorin Aleksandra Rybińska. Die beiden übernahmen dann quasi den Rest des Duells. Die Femen-Aktivistin Zana Ramadani stritt danach mit der stellvertretenden Chefredakteurin der taz, Katrin Gottschalk, über die feministische Ausrichtung europäischer Politik. Und in diesem Geist erlebte ich alle anderen Streitgespräche, die unzähligen Diskussionen mit dem Publikum und die Auseinandersetzungen abends bei Wein und Käse.
Dieses Programm auf die Beine zu stellen war viel Arbeit. Ohne das Team der Buchmesse und der Robert Bosch Stiftung hätte ich es inhaltlich und organisatorisch nicht geschafft, so viele verschiedene Gäste nach Leipzig einzuladen, sie zu betreuen und sie zum konstruktiven Streit zu animieren. Am letzten Tag von #Europa21 wäre das ganze Programm fast ins Wasser gefallen, eher in den Schnee. Leider habe ich den Namen der wahren Heldin der Leipziger Buchmesse 2018 nicht notiert. Es war am Messesamstag einfach zu hektisch, dabei hat sie ein sehr gut besuchtes Podium mit ihrem Einsatz gerettet. An dieser Stelle möchte ich mich bei der Leipziger Taxifahrerin bedanken, die sich spontan bereit erklärte, unsere in Bitterfeld gestrandete Referentin Danae Sioziou abzuholen und in letzter Minute nach Leipzig zu bringen. Und das obwohl Taxen in Leipzig an diesem Tag zum begehrtesten Gut geworden waren. Wegen des Bahnchaos mussten viele Menschen dieses Jahr auf einen Besuch der Leipziger Buchmesse verzichten. Das Programm von #Europa21 konnten wir aber auch dank der Solidarität dieser einen Taxifahrerin realisieren. Diese Frau ist ein Vorbild für ganz Europa.