Autor: Nils Kahlenfendt

„Da steht eure Zielgruppe !“
15. Juni 2016
Kreativität und Leidenschaft: Cosplay ist vom Hobby weniger Fans zur weltweiten Community geworden.
Autor: Nils Kahlenfendt

„Da steht eure Zielgruppe !“
15. Juni 2016
Kreativität und Leidenschaft: Cosplay ist vom Hobby weniger Fans zur weltweiten Community geworden.

Kreativität und Leidenschaft: Cosplay ist vom Hobby weniger Fans zur weltweiten Community geworden. Für Szene-Kenner Fritjof Eckardt sind die besten Coser echte Künstler.

Herr Eckardt, klären Sie uns auf: Was ist Cosplay?

Fritjof Eckardt: Cosplay („Kostümspiel“) ist ein Kunstwort, das aus den englischen Begriffen „costume“ und „play“ zusammengesetzt ist. Ein Cosplayer stellt einen Charakter aus einem Anime (japanischer Zeichentrickfilm), einem Manga (japanischer Comic), einem Videospiel oder einer japanischen Band dar. Für die meisten Cosplayer ist die Herstellung des Kostüms und der Requisiten sehr wichtig; im Zentrum stehen Auftritte in Wettbewerben, die Dokumentation in Fotos und Videos – und natürlich der Austausch, das Treffen mit Gleichgesinnten

Wie hat sich Cosplay in Deutschland entwickelt?

Eckardt: Während die Manga-Kultur schon 300 Jahre alt ist, kann man Cosplay als Kind der Popkultur bezeichnen. Ab Ende der 1990er Jahre begann der Cosplaytrend, zunächst zögerlich, auch in Deutschland Fuß zu fassen. Den meisten Fans begegnete man damals an den Universitäten, insbesondere unter Informatikstudenten, die Zugang zu schnellem Internet hatten. Neben der Ausstrahlung verschiedenster Anime im deutschen Fernsehen sorgte später auch die rasche Entwicklung des Internets und entsprechender Communities dafür, dass sich Cosplay auch außerhalb Japans zunehmend verbreitete. Die Website www.animexx.de ist mit weit über 100.000 Online-Mitgliedern die größte Manga-Communitie im deutschsprachigen Raum – und auch bei Cosplayern sehr beliebt. Das Internet zeigt den Leuten: Ich bin nicht allein! Und über neue Tools und soziale Netzwerke ist das Phänomen immer größer geworden.

Was war Ihr erster Kontakt mit Cosplay?

Eckardt: Auf einer Veranstaltung in Düsseldorf habe ich zum ersten Mal in Deutschland Live-Cosplayer gesehen. Kurz danach war ich in Japan auf der Comiket, der weltgrößten Dōjinshi-Messe. Mein erstes Kostüm Anfang der Nullerjahre war nach heutigen Maßstäben allerdings äußerst amateurhaft – wir mussten mit Styropor schnitzen, mit Salzteig, Holz und Sekundenkleber haben wir Zauberstäbe und Schilde zusammengebaut. Heute kann man mit thermoplastischen Werkstoffen und 3-D-Druckern arbeiten.

Was hat Cosplay mit Ihnen gemacht, was hat Sie begeistert?

Eckardt: Ich fand die Möglichkeit, in eine andere Rolle hineinzuschlüpfen, jemand komplett anderes zu sein, sehr reizvoll.

Man taucht in andere Welten ein, noch aktiver als beim Lesen?

Eckardt: Man entdeckt sein Interesse für Kreatives. Das reicht von der Gestaltung der oft sehr aufwändigen Kostüme über Fotografie bis zum Webdesign. Vielen Cosplayern gibt ihr Hobby zudem Selbstbewusstsein. Nach den ersten gelungenen Auftritten können sich schüchterne, introvertierte Teenager durchaus in sozial aktive Menschen mit breiter Brust verwandeln – auch im Alltagsleben oder im Beruf. Für manche ist es der Einstieg in eine kreative Laufbahn, etwa als Schneider oder Modedesigner.

Ab einem gewissen Komplexitätsgrad kann Cosplay zu einer eigenen Art von Kunst werden?

Eckardt: Absolut! Es gibt Cosplayer, die in ihrer Präsentation einen enormen Professionalitätsgrad erreicht haben. Wenn man es ernsthaft betreibt, lernt man viele Fähigkeiten, die im heutigen Berufsleben eigentlich vorausgesetzt werden: Wie gehe ich mit Kritik um? Wie vermarkte ich mich online? Wie arbeite ich im Team?

In Leipzig trifft die Buchmesse-Klientel auf ein ausgelassenes, ziemlich buntes Völkchen – für manchen Verleger oder Buchhändler ein Kulturschock. Was würden Sie denen sagen?

Eckardt: Da steht eure Zielgruppe! Die meisten Cosplayer sind ja nicht nur Japan-Fans: Sie lesen Fantasy- und Science-Fiction-Romane, sie lesen Bücher über Reisen in fremde Welten, kaufen Kochbücher oder Krimis. Cosplayer kommen aus allen Schichten der Gesellschaft: Menschen, die arbeiten, lernen, in Urlaub fahren, Familie haben – wer weiß schon, wer sich hinter dem martialischen Schwertkämpfer verbirgt, der einem gerade gegenübersteht? Die Durchlässigkeit zwischen Buchmesse und MCC ist für mich der richtige Ansatz – beide Welten können voneinander profitieren.

Fotos: privat (Fritjof Eckardt), Leipziger Buchmesse

Beitrag teilen


Fritjof Eckardt, Jahrgang 1975, im Fandom als „Puka“ bekannt, beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Anime, Cosplay und Manga. Das Resümee seiner Erfahrungen zieht er in dem Buch „Was ist Cosplay“ (Edition Octopus 2016). Eckardt war lange als Mitorganisator und Juror von Wettbewerben aktiv, heute arbeitet der Medieninformatiker in einer Düsseldorfer Werbeagentur. Comics für alle: Parallel zur Buchmesse öffnet im März 2017 die 4. Manga-Comic-Con (MCC) ihre Tore: In Halle 1 präsentieren sich auf rund 20.000 Quadratmetern alle Größen der Branche, dazu Aussteller aus dem Games-Bereich sowie zahlreiche Händler. All das erleben Messebesucher ohne Aufpreis: Mit einem Kombi-Ticket können sie problemlos zwischen den Hallen wechseln.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Leipzig liest Slider

Alles außer flach! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 5: Der opulente Gastlandauftritt der Niederlande und Flanderns war eine intelligent orchestrierte Charme-Offensive fürs deutsche Lesepublikum

Literarisches Leben Slider

„Gute Bücher übersetzen ist leicht!“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (4): 2018 ging der Preis in der Sparte Übersetzung an Sabine Stöhr und Jurij Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadans Roman „Internat“. Inzwischen hat der Ukrainer, der lange mit Worten und Musik für die Sache seines Landes gekämpft hat, zur Waffe gegriffen.

Slider Wir

Back to the Roots 

Von der klassischen ‚PK’ bis ‚unter drei’: Der Thüringer Felix Wisotzki, Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, organisiert die Kommunikation des Branchen-Großereignisses. Mit der Arbeit fürs Buch ist der studierte Amerikanist zu einer frühen Leidenschaft zurückgekehrt

Leipzig liest Slider

Fest des freien Wortes 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 4: Mit Leipzig liest swingte eine ganze Stadt vier Tage lang im Takt der Literatur. Die heißgeliebte fünfte Jahreszeit – sie war zurück!

Literarisches Leben Slider

Fortüne & Phantasie 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen Independent-Verlage für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. In Leipzig kommen auch die Kleinen groß raus

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest

„Comic ist ein Medium, kein Genre!“ 

Alles außer flach (5): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämischen Comic-Pionierinnen Ephameron und Judith Vanistendael

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Wir

Brücke zum Osten

März-Splitter (1): Statt Messe-Eröffnung feierte Leipzig die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung

Comic & Manga

Hamburger Schule

Beziehungs-Kisten (II): Comic-Helden können ein ganzes Leben verändern. Heute: Dirk Rehm (Reprodukt) über Love & Rockets