Als Kerstin Thomar im vergangenen Jahr die Stellenausschreibung der Leipziger Buchmesse auf Instagram entdeckte, war sie Projektmanagerin in der Leipziger Niederlassung des IT-Unternehmens SoftwareONE. Gesucht hatte die Messe eine Projektmanagerin für die Manga Comic Con (MCC) – und Thomar spürte sofort das gewisse Kribbeln, das einen immer dann befällt, wenn man spürt: Das könnte es sein! Branchenwechsel? Wieso nicht? Sie hatte bei SoftwareOne zwar auch Veranstaltungen organisiert, war aber vorwiegend im Bereich Projekt-Controlling tätig. „Das ist zwar super fürs Zahlengefühl und die Expertise im Schreiben von Reportings“, sagt sie lachend, „Aber es war dann doch eine Excel-Tabelle pro Tag zu viel für mich.“ Kerstin Thomar suchte eine neue Herausforderung, wollte näher an die Inhalte, „etwas Kreatives machen“.
Kerstin Thomars erster Arbeitstag bei der MCC fiel in den Oktober 2024. Sie lesen richtig: Noch fünf Monate bis zum März 2025, ein ganz eigener Countdown. „Ich durfte ins kalte Wasser springen“, erinnert sich Thomar. Ab jetzt hätten ihre Tage gern 48 Stunden haben können. Die Aufgaben jedenfalls würden das hergeben: Kommunikation mit den Verlagen, Programm-Koordination, die Hallenplanung: Wo, bitte, steht wann was? Das auf der MCC ziemlich schnell wachsende Thema Gaming landet auch bei ihr. Im Prinzip ist die Messehalle 3 ihr Beritt; plus Signierbereich, plus Schwarzes Sofa in Halle 1. Kerstin Thomars Messe-Premiere im Frühjahr 2025 läuft nach diesem ausführlichen learning by doing erstaunlich rund: „Es war gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe“, sagt sie augenzwinkernd. „Ich fand’s sogar schön!“ Großartig etwa das Gefühl, dass sich alles zusammenruckelt – auch wenn man bislang „nur Papier“ gesehen hat: Es erscheint ihr wie das organische Wachstum einer ganzen Stadt: „Da IST plötzlich was!“
Mit Aussteller:innen und Mangakas zu sprechen, die Zufriedenheit über eine erfolgreiche Messe in ihren Gesichtern zu sehen, gehört für Kerstin Thomar zu den befriedigenden Momenten in ihrem Job. Während es bei den japanischen Ehrengästen, deren Zeitplan eng getaktet ist, keine Chance für einen Plausch gibt, wirkt das Gespräch mit dem deutschen Manga-Künstler Dominik Jell („Crossing Borders“, Carlsen) länger nach. Auch die Unterhaltung mit einer italienischen Künstlerin des in vier Sprachen erscheinenden, vom Hamburger Comic-Verlag altraverse herausgegebenen Magazins „MANGA ISSHO“ ist spannend. Kerstin Thomar war während ihres Studiums ein halbes Jahr in Italien – noch 2017 kaufte sie Manga dort überwiegend im Comic-Fachhandel. „Inzwischen geschieht das ganz selbstverständlich auch in der Buchhandlung.“
Aufgewachsen ist Kerstin Thomar in der „Kindermedienstadt“ Erfurt – die Thüringer Hauptstadt ist Sitz des KiKa von ARD und ZDF, des größten deutschen Kindermedien-Festivals „Goldener Spatz“ und der Akademie für Kindermedien. Als 1989 geborene Tochter eines Elektrotechnikers und einer vietnamesischen Vertragsarbeiterin ist sie ein „Wendekind“, hineingeboren ins wiedervereinigte Deutschland. Nach dem Abitur ging sie mit Erasmus-Förderung für ein Jahr ins litauische Kaunas. Sie arbeitete dort in einem Mehrgenerationenhaus, ein Modell-Projekt, das Seniorenheim, betreutes Wohnen und einen Schutzraum für alleinerziehende Mütter unter einem Dach vereinte. Wieder zurück in Deutschland, begann Kerstin Thomar zunächst ein Studium der evangelischen Theologie – das sich jedoch nur als Ausgangspunkt einer längeren Suchbewegung herausstellen sollte: „Ich bin multireligiös aufgewachsen, und über meine Mutter auch mit der buddhistischen Lehre vertraut. Im Studium habe ich gemerkt, dass ich die – ihren Gegenstand etwas nüchterner betrachtende – Religionswissenschaft spannender finde.“
Thomar wechselte von Leipzig nach Halle/Saale und landete über die Fächerkombination Erziehungswissenschaften/Theologie „am Ende des Tages“ bei Erziehungswissenschaften und Kunstgeschichte. Ihre Bachelor-Arbeit schrieb sie über die Bauhaus-Leuchten der Designerin, Fotografin und Malerin Marianne Brandt (1893-1983). Noch heute hält Thomar auf Flohmärkten gelegentlich Ausschau nach Brandts Kandem-Leuchten (gut erhaltene Exemplare haben es ins MOMA oder ins British Museum geschafft) – wichtiger für ihren weiteren Werdegang sollten die Jobs werden, mit denen sie sich das Studium finanzierte: Sie arbeitete auf Messen etwa für die Christoffel Blindenmission (CBM) oder im Hochschulmarketing; auf der vocatium, einer Fachmesse für Ausbildung und Studium, vertrat sie ihre Fakultät. „So eine Beratung“, sagt sie rückblickend, „hätte ich als Schülerin auch gern gehabt. Und auch was das authentische Auftreten auf Messen und Events angeht, habe ich von dieser Zeit sehr profitiert.“ Im Corona-Jahr 2020 hat Kerstin Thomar ihr Studium abgeschlossen. Manche Snapshots aus dieser Zeit wirken surreal: „Ich habe mein Zeugnis zum Beispiel durch ein Fenster herausgereicht bekommen“, erinnert sie sich. Der Einstieg ins Berufsleben gelang reibungslos – Thomar wurde Office-Managerin in einem Startup aus der IT-Branche; die Zeit, in der die Firma coronabedingt kaum neue Geschäftsfelder entwickeln konnte, nutze sie für eine Weiterbildung zur Projektmanagerin.
Wie aber gelangte Kerstin Thomar von Pittiplatsch und Bernd, dem Brot, deren Figuren man als Kind in Erfurt häufig begegnen konnte, zur phantastischen Welt der Manga-Heldinnen und Helden? Die Familien-Tradition konnte hier nicht helfen – „bis auf die Tatsache, dass man manche ausgefallenen Merch-Produkte in die Hand bekam, bevor sie auf dem deutschen Markt auftauchten“. Die Reise nach Vietnam war teuer, zwei Mal war Thomar mit den Eltern in die alte Heimat der Mutter unterwegs, allein fuhr sie zum ersten Mal mit 17. Die Kinderserien im deutschen Fernsehen begannen Thomar schon im zarten Alter von fünf, sechs Jahren zu langweilen, sie landete früh bei „Heidi“, „Sailormoon“ oder „Dragonball“ auf RTL II. Die Liebe zu Manga wurde zuhause, wo man Bildungserfolg und einen erstklassigen Abschluss als Sprungbrett fürs künftige Leben extrem wichtig nahm, nicht unbedingt gern gesehen, „Kinderkram“ nennt es die Mutter noch heute. Ein Stachel, der tief saß, und dazu führte, dass Thomar als Teenagerin aufhörte, Manga-Figuren zu zeichnen und ihre gesamte Sammlung verkaufte. „Nur die Sailor-Moon-Bücher in Erstauflagen habe ich behalten. Aus heutiger Sicht war es das emotional Schwierigste, was ich mir in meinem Leben angetan habe.“ Verständlich, dass Kerstin Thomar „superfroh“ darüber ist, wie sie sich aus eigener Kraft aus dieser Drucksituation befreien konnte – und mit der Arbeit für die MCC an ihrer alten Manga-Liebe anknüpfen kann.
Inzwischen laufen die Vorbereitungen für die MCC 2026 (19. – 22. März) auf Hochtouren. Kerstin Thomar kann den Herausforderungen nun schon mit einer gewissen Routine begegnen. Es sind mehr als genug: Da ist der erstmals ausgeschriebene Tancho Award, der den deutschsprachigen Mangaka-Nachwuchs künftig sichtbarer machen soll. Das Potenzial des boomenden Rollenspiel-Themas „Pen and Paper“ (und die dazugehörigen Bücher) soll für die MCC gehoben werden. Dazu die üblichen „Daily-Business-Themen“, von der Hallenplanung bis zur richtigen Mischung zwischen Händler:innen und Künstler:innen. Und natürlich nutzt Kerstin Thomar jede sich bietende Gelegenheit, Wissen über und Akzeptanz für die vermeintliche „Nerd-Kultur“ zu mehren – die im deutschsprachigen Raum heute zu den am stärksten wachsenden Medien-Segmenten gehört. Statt von rechts nach links liest die MCC-Projektmanagerin in diesem Sommer allerdings vermehrt traditionell von links nach rechts: Sie büffelt für ihr Master-Studium Business Coach/Change Management an der Euro-FH Europäische Fernhochschule Hamburg. „Dafür geht gerade mein Urlaub drauf.“
Welche Rolle spielen die Buchmessen in Zeiten von zunehmender Konzentration und notorisch beklagtem Leser-Schwund für einen Verlag wie S. Fischer?
Oliver Vogel: Wenn wir über Leipzig reden, ist die Veränderung mit Händen zu greifen. Die Besucher scheinen deutlich jünger zu sein als früher; es kommt mir zumindest so vor, dass eine bestimmte Generation diese Messe übernommen hat. Leise war es ja nie – aber doch sehr viel ruhiger als jetzt. Es ist eine andere, ‚jüngere’ Art von Büchern, die einen Großteil der Besucher interessiert…
Sie sprechen von den Büchern mit den aufregenden Farbschnitten, Bücher, von denen die Branche so vieles erhofft?
Vogel: Ja, schon. Diese Bücher haben sich ihren Platz in Leipzig erobert. Was nicht heißt, dass die anderen Bücher weg wären. Es ist etwas dazugekommen, und zwar sehr sichtbar.
Wir sprechen nicht von einer Gaming-Messe…
Vogel: Eben. Es geht um Bücher. Die verlangen eine bestimmte Form der Konzentration. Ich finde es rundweg erfreulich, wenn wir eine neue Generation von Leser:innen mit ganz eigenen Erwartungen ansprechen können und auch erreichen.
Auch Frankfurt hat reagiert und die Publikumstage ausgedehnt. Welche Unterschiede außer dem der schieren Größe fallen Ihnen auf?
Vogel: Frankfurt ist internationaler. Leipzig richtet den Blick vor allem nach Osten, in den Osten Europas. Das ist schon lange wichtig und wird es immer mehr. In Leipzig werden weniger Geschäfte gemacht, heißt es immer, und das ist ja auch nicht ganz falsch. Aber auch in Frankfurt werden weniger Geschäfte gemacht als früher. Oder anders: Deutsche Verlage kaufen die großen internationalen Rechte meistens schon vor den Messen. Die kleineren Rechte, die sogenannten kleineren Sprachen, die Internationalisierung der Bücher findet nach wie vor hier statt, vielleicht sogar mehr denn je. Politisch ist das in diesen Zeiten vielleicht unsere wichtigste Aufgabe. Worum es hier wie da vor allem geht: Dass man persönlich miteinander zu tun hat, sich austauscht, redet.
Unsere kleine Serie heißt „Der menschliche Faktor“…
Vogel: Ja, das trifft es. Und dabei passiert tatsächlich sehr viel mehr, als man unter dem Wort „Geschäft“ subsumieren möchte. Leipzig war immer eine Messe der Autoren. Wenn Frankfurt ein internationaler Branchentreff ist, ist Leipzig ein Treffpunkt von Autor:innen mit ihren Leser:innen.
Leipzig liest und liest…
Vogel: Das ist eine Riesen-Erfolgsgeschichte. Wir Verlage profitieren zusammen mit den Autor:innen von diesem Aufmerksamkeits-Verstärker. Innerhalb einer Woche wird wirklich überall über Literatur geredet. In Leipzig ist man dabei. Und: Man schaut als Verlag ja auch zu: Was interessiert die Leute? Wonach fragen sie? Wo gehen sie hin?
Ein Leseforschungs-Labor…
Vogel: Ich würde da nicht widersprechen. Es war ja schon immer so, dass man nach Leipzig gegangen ist – und Zeit hatte. Man hat Zeit, Gespräche zu führen, miteinander zu reden. Man tauscht sich aus. Wir bewegen uns ja eh in einer sehr kollegialen Branche – aber in Leipzig ist es wie eine große Familie, die sich trifft. Der Teil der Familie, den ich schon sehr lange kenne, schaut genau wie ich erstaunt dabei zu, wie dieses Publikum jünger wird, wie es, zusätzlich zu dem, was bisher stattfand, andere Dinge sehen will. Das ist toll.
Wie geht ein Verlag wie Fischer damit um, auch, was Gewichtungen betrifft? Wie steuert man solche Prozesse?
Vogel: Man begleitet sie selbstbewusst. Wir machen unser Programm. Fischer deckt sehr viel ab – wir haben ein großes Herz, in das vieles reinpasst. Und das zeigen wir, auch in Leipzig. Und wir zeigen das in der Gewichtung, in der wir es publizieren. Die „Hochliteratur“, die hier absolut im Fokus stand, zeigen wir natürlich weiterhin. Es ist nur etwas Anderes hinzugekommen. Die Grenzen werden durchlässiger.
Das Schichtenmodell von U- und E-Literatur ist ja auch schon etwas angestaubt. Aber es spukt noch durch die Köpfe. Heute verlegt Suhrkamp auch Krimis…
Vogel: Warum auch nicht? Clemens Meyer schreibt tolle „Tatorte“. Ich finde, die klinische Trennung ist heute auch nicht mehr nötig. Wenn ich mit Young-Adult-Lesern ins Gespräch komme, rede ich natürlich auch über die Sachen, die ich mache. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich die damit schrecklich langweile. Gerade ist mein Sohn bei mir zu Besuch, er ist 25. Er hat gestern den „Krabat“ zu Ende gelesen – und heute mit Flauberts „Lehrjahre der Männlichkeit“ angefangen (was früher „Erziehung des Herzens“ hieß).
Ein interessanter Move…
Vogel: Ich glaube, so funktioniert das jetzt. Und das ist sehr schön, vor allem, wenn es zwei solche Bücher sind.
Wie finden Sie dann den Leipziger Mischungs-Ansatz, New Adult & Co. nicht in riesige Hangars auszulagern – sondern zwischen allen anderen Buch-Angeboten stattfinden zu lassen?
Vogel: Ich glaube, auf solche Separations-Ideen kommen nur noch ältere Semester. Ich würde das nicht aussondern. Wenn der kleine österreichische Lyrikverlag neben einem großen Kochbuchverlag auftritt, hat das doch auch niemanden gestört.
Es geht wieder los: Oliver Vogel nach dem S. Fischer-Abend 2023 in der Connewitzer im Specks Hof mit Peter Stamm (links) und Marion Brasch (c) cvb
Ich frage als lokalpatriotischer Leipziger: Haben Sie zu Messe-Zeiten Lieblings-Orte in unserer Stadt?
Vogel: Grundsätzlich ist Leipzig liest ein Riesen-Vergnügen. Das sollte bitte nicht kleiner, sondern größer werden. Und mein Lieblings-Ort – das ist am Samstagabend der Messe die Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Wir haben seit vielen Jahren die unausgesprochene Verabredung, dass wir immer samstagabends dort eine Veranstaltung machen. Ich habe mehrere Veranstaltungen moderiert – unter anderem mit Clemens Meyer, Felicitas Hoppe, Peter Stamm, eine mit Thomas Glavinic… Das waren ausnahmslos die schönsten Veranstaltungen, die ich mit diesen Autoren hatte.
Woran liegt’s? Am Genius loci?
Vogel: Der Raum selbst ist ja unmöglich: Es ist eng, die Decke zu flach, man bekommt nach einer halben Stunde keine Luft mehr. Ich saß dort schon moderierend auf dem Bücher-Sofa, vis à vis Zuschauer, Knie an Knie. Aber etwas entsteht da. Zu tun hat es natürlich mit den Buchhändlern, die den Laden führen: Engagiert, klug und belesen – die haben das, was die Literatur braucht. Und es gibt eine zweite Sache, die ich in Leipzig immer mache: Ich gehe zur Motette der Thomaner in die Thomaskirche und höre ihrem Bach (manchmal auch Mendelssohn-Bartholdy) zu. Meistens samstags, am Nachmittag. Das nehme ich mir raus, das geht nur hier.
Abseits vom Messetrubel: Freitags-Motette der Thomaner in der Leipziger Thomaskirche (c)SINNergy Roman Friedrich
Das klingt schon nach der besten aller Welten. Bleiben aus Verlegersicht Wünsche offen?
Vogel: Der Wunsch, den ich habe, der ist nicht erfüllbar: Mehr Platz! Vor allem natürlich Freitag, Samstag, Sonntag. Aber inzwischen ist es ja auch Donnerstag schon so voll, dass dieses Rumspazieren, das zur Leipziger Messe gehört, fast nicht mehr geht. Und noch einen Wunsch habe ich: Niemand soll auf die Idee kommen, Leipzig liest zu verkleinern oder gar abzuschaffen. Und in diesem Zusammenhang gesagt: Ich wünsche mir, dass auch auf der Messe noch mehr Veranstaltungen stattfinden – Gespräche, auf kleinen, auf großen Bühnen, ganz egal. Ich finde, die Präsenz der Autorinnen und Autoren, die Energie, die in dieser einen Frühjahrswoche von Leipzig ausgeht, ist wahnsinnig wichtig.
Oliver Vogel, geboren 1966, wuchs in München und Santiago de Chile auf. Er studierte Germanistik, Philosophie und Anglistik, arbeitete im Lektorat des Suhrkamp Verlags (1991-1996), im Verlag der Autoren (1996-1999), ab 1999 bei S. Fischer, wo er seit 2001 Programmleiter für Deutschsprachige Literatur war. Im Januar 2022 wechselte er zur Literaturagentur Graf & Graf. Seit Oktober 2022 ist er Verleger des S. Fischer Verlags. Er war Mitherausgeber der Wolfgang Hilbig Werkausgabe und der Kulturzeitschrift Neue Rundschau.
Welche Rolle spielen die großen Buchmessen, und speziell Leipzig, für einen Verlag wie Satyr?
Volker Surmann: Es war, vor 15 Jahren oder so, für uns wichtig, dabei zu sein, und sichtbar zu werden auf der Messe. Als kleinerer Verlag ist man häufig ziemlich unsichtbar. In diesem Sinne war es für uns ein großer Schritt, nach Leipzig zu gehen – ein Schritt, den wir nie bereut haben. Wir sind auch nie wieder weggegangen (lacht)
Haben Sie einen Stammplatz?
VS: Man findet uns ziemlich verlässlich in Halle 5, unweit der Leseinsel der jungen Verlage… Der Gang ändert gelegentlich seine Bezeichnung, aber der Standort ist mehr oder weniger immer derselbe. Wir teilen uns den Stand seit vielen Jahren mit dem Lektora Verlag aus Paderborn. Inzwischen gibt es in Leipzig auch ein Publikum, das uns ganz gezielt ansteuert.
Besuch von Satyr-Autorin und -Herausgeberin Ella Carina Werner am Stand (2025) (c) Satyr Verlag
Was macht Leipzig besonders?
VS: Wir sind auf beiden großen deutschen Messen präsent. In Frankfurt organisieren wir mit den Verlagen unserer VertriebskooperationBuchkoop Konterbande (Assoziation A, Edition Nautilus, Orlanda und Transit) einen Gemeinschaftsstand; durch die Teilung von Standfläche versuchen wir, die Kosten im Griff zu behalten. Da bin ich selbst auch nicht die ganze Zeit vor Ort; wir teilen uns auch in die Präsenzzeiten. Leipzig gebe ich mir dagegen komplett, obwohl die Hotelpreise dort inzwischen fast mit Frankfurt konkurrieren können (lacht). Aber hier treffen wir auf ein lesehungriges und lesewilliges Publikum. Es ist großartig, wie viele Menschen es gibt, die Lust auf Literatur, Lust auf Bücher haben – und die, auch das merken wir, mit gut gefüllten Portemonnaies auf die Messe gehen.
Verkauf spielt also durchaus auch eine Rolle?
VS: Das ist für alle Indieverlage inzwischen sehr, sehr wichtig. Eine Buchmesse kostet unendlich viel Geld, und leider wird Leipzig auch immer teurer. Die Möglichkeit zu haben, das ein Stück weit zu refinanzieren, ist essentiell. Seit der Freigabe des Buchverkaufs klappt das etwas besser. Neben der partiellen Refinanzierung des Standes merkt man auch sofort, welche Titel gut funktionieren – gerade, wenn die Bücher frisch und neu sind, ist das auch ein großes Testlabor.
Gelebte Leserforschung?
VS: Ja, klar! Man bekommt direktes Feedback: Das spricht mich an, das weniger. Hey, das ist ein geiles Cover! Das bekommt man sonst als Verlag relativ selten. Ich liebe es, in Leipzig zu beobachten, nach welchen Büchern das Publikum greift. Natürlich ist es bitter zu sehen, wenn ein bestimmter Titel schnell wieder weggestellt wird. Man zermartert sich dann den Kopf: Was stimmt da nicht am Backcovertext…?
Ich nehme an, dass Sie auch am Lesefest „Leipzig liest“ teilnehmen. Wie wählen Sie da aus? Die Ressourcen sind ja nicht unbegrenzt…
VS: Wir versuchen immer, Autorinnen und Autoren vorzuschlagen für diverse etablierte Formate, etwa für die L3, die Lange Leipziger Lesenacht in der Moritzbastei. Das hat in den letzten Jahren – ich klopfe auf Holz! – immer funktioniert. Wir haben nicht die Kapazität, groß eigene Veranstaltungen zu organisieren, dafür fehlen uns auch die Leipziger Kontakte. Wenn wir allerdings mit einer guten Idee um die Ecke kommen, unterstützt uns auch das Team von Leipzig liest.
Gibt es Orte, die sich über die Jahre besonders bewährt haben?
VS: Wir haben seit acht Messen eine schöne Kooperation mit dem Schauspiel Leipzig. Zusammen mit dem Lektora Verlag organisieren wir eine Poetry Slam- und Spoken Word-Veranstaltung in der Diskothek des Schauspielhauses, die wir „Gipfeltreffen der G 4“ nennen – jeder Verlag schickt dazu zwei Autor:innen ins Rennen.
Haben Sie für uns noch ein Leipzig-Erlebnis für uns, dass sich tief in Verlegerhirn und -herz eingeprägt hat?
VS: Sensationell toll war das Gefühl zur ersten Leipziger Buchmesse nach den Corona-Ausfällen. Die Leute waren glücklich, wieder da zu sein. Das war mit Händen zu greifen. Dass sie uns dabei auch die Stände leergekauft haben, war ein sehr angenehmer Nebeneffekt.
Besuch von Autor Thomas Nicolai am Stand (2023) (c) Satyr Verlag
Dr. Volker Surmann, geboren 1972 in Halle/Westfalen, Satiriker, Autor, Vorleser und Verleger. Seit 2010 betreut er als Lektor das Programm des Berliner Satyr Verlags; seit September 2011 ist er alleiniger Eigentümer.
Satyr, fest verankert in der deutschen Lesebühnen- und Poetry-Slam-Szene, wurde 2005 zunächst als Teil eines Kleinkunstnetzwerkes von Peter Maassen gegründet. Mit der Übernahme durch Volker Surmann zog der Verlag aus dem Kreuzberger Graefekiez nach Berlin-Friedrichshain. Die Büroräume in der Auerstraße 23 teilt sich Satyr mit dem Schaltzeit Verlag und dem Sprecher Sascha Tschorn.
Wir leben in Zeiten digitaler Transformation, also frage ich mal provokant: Brauchen wir eigentlich noch Buchmessen? Oder können wir sie uns schenken?
Kristine Listau: Natürlich können wir sie uns ganz und gar nicht schenken! Vor allem die Leipziger und die Frankfurter Buchmesse, dazu eine ganze Anzahl kleiner, feiner Messen wie die „Buchlust“ in Hannover oder die „Kleinen Verlage am Großen Wannsee“ sind wahnsinnig gut für den Verkauf…
Jörg Sundermeier: Messen erhöhen die Sichtbarkeit, das berühmte Wort. Und es ist ja tatsächlich so: In Leipzig zahlen die Leute mehr als 20 Euro Eintritt, damit sie Bücher kaufen dürfen. Im März waren die Tagestickets an zwei Tagen ausverkauft! Eine völlig neue Erfahrung für uns…
KL: Dadurch, dass die Printmedien immer weniger Rezensionen bringen und auch weniger gelesen werden, funktioniert der klassische Weg der Wahrnehmung immer weniger – das leisten jetzt die Messen. In Zeiten, da der stationäre Buchhandel unsere Bücher nicht unbedingt stärker einkauft, sie dort nicht in breiter Front ausliegen, gehen Leute extra auf Buchmessen, um Indies wie uns zu finden.
JS: Dazu gibt es viele Buchhandlungen, die ihre Kundinnen und Kunden sehr gut erzogen haben: Da diskutierst du mit ihnen eine halbe Stunde über dieses und jenes Buch – wenn es aber zum Punkt kommt, heißt es: Das kaufe ich natürlich zu Hause bei meiner Buchhandlung. Respekt!
Gibt es überhaupt noch Buchhändlerinnen und Buchhändler in nennenswerter Zahl auf der Messe?
KL: In Leipzig deutlich mehr als in Frankfurt. Allerdings verfügen kleine Buchhandlungen auch nur über eine dünne Personaldecke – die müssen schlicht und einfach ihren Laden offenhalten.
JS: An den Wochenenden kommen dann doch viele. Jens Fleischer (Buchhandlung Hübener) aus Bremerhaven etwa, den treff’ ich öfter in Leipzig als irgendwo anders (lacht). Dazu kommen viele Jungbuchhändler:innen. Das darf man echt nicht unterschätzen. Etwa Leute wie Otto Ritter (Buchhandlung Ritter, Bad Belzig), der seit letztem Sommer Co-Sprecher des Zukunftsparlaments ist.
KL: Oder die Seiteneinsteiger Tina Kniep und Maximilian Gräber – die stammen eigentlich aus München und haben gerade in Chemnitz die Buchhandlung am Brühl übernommen. Die waren mit ihren langjährigen Vorgängern, Elke und Günther Ebert, hier – und haben quasi die Übergabe bei uns am Stand gemacht.
JS: Und, auch wichtig: Wir lernen auf der Messe Buchhandlungen kennen, von deren Existenz wir zum Teil gar nicht gewusst haben – zum Beispiel „Der Esel auf dem Dach“ aus Wittenberg. Die machen Modernes Antiquariat und Neubuch – und kümmern sich sehr stark um Indie-Verlage.
KL: Ich nehme zurzeit generell viele Seiteneinsteiger im Buchhandel wahr. Diese Leute kommen dann auf die Messe, um zu lernen…
Wenn das Kurt Wolff wüsste: Ein stolzer Jörg Sundermeier (4. v. l.) an der Seite von Dietmar Dath, mit dem 1995 alles begann (c) KWS
… während ihr schon zu den alten Messe-Hasen gehört. Ihr habt die Zeiten des „Berliner Zimmers“ noch erlebt…
JS: Um 2000 waren wir das erste Mal mit unseren Büchern in Leipzig. Wir sind konkret wegen der „Leseinsel der Jungen Verlage“ nach Leipzig gekommen – Gritt Philipp von der Buchmesse hat uns damals angesprochen. Im „Berliner Zimmer“ haben wir 2014 den Kurt-Wolff-Preis bekommen. Dass die Bundesrepublik uns einmal für „Anarchismus und Sozialismus“ auszeichnet – damit war nicht zu rechnen (lacht). Mit dem wunderbaren Detlef Bluhm, dem langjährigen Geschäftsführer des Landesverbands Berlin-Brandenburg, haben wir im „Berliner Zimmer“ die letzten Luftballons zertanzt – damals gab es schon die Pläne für das Forum „Die Unabhängigen“.
Großer Moment: Im März 2019 gewann Verbrecher-Autorin Anke Stelling den Preis der Leipziger Buchmesse – und bewies damit schlagend, dass in Leipzig auch Indies ganz groß rauskommen (c) LBM
KL: Die Café-Bar im Forum „Die Unabhängigen“ – auch das ist Sichtbarkeit! Wir machen manchmal sogar Termine da. Der Espresso ist klasse, die Kolleg:innen sind nett. Und, ja: Dieser lebendige Austausch, das ist der andere große Grund, warum wir auf die Buchmesse kommen. Wir alle stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Wir geben uns gegenseitig Tipps, lachen viel – und heulen auch mal zusammen, wenn’s sein muss.
Gibt es Wünsche, die bislang offen blieben?
JS: Wir stehen super, haben einen mega-guten Platz an der Leseinsel der Jungen Verlage in Halle 5. Unsere Weinempfänge am Messefreitag mit Bahoe Books, Ventil und Voland & Quist sind legendär.
KL: Wenn unser größtes Problem ist, dass wir morgens auch mal mit dem Fachbesucher-Ausweis eine halbe Stunde anstehen müssen, dann haben wir keine Probleme…
Am Anfang wart ihr mit dem kleinstmöglichen Stand in Leipzig…
JS: Inzwischen sind wir bei acht Quadratmeter. Wenn der Stand größer ist, passen mehr Leute rein. Das merkt man an den Verkäufen, den Gesprächen, generell der Atmosphäre. Die Überlegungen mancher Kolleg:innen, eine der beiden großen Messen sausen zu lassen, haben wir nicht. Und: Wir nehmen alle mit, das ist uns wichtig. Wir haben im März schon Schaufenster klargemacht für die 30-Jahre-Aktion – da hatten wir noch nicht mal ein Plakat vorzuzeigen. So etwas funktioniert hier, Leipzig ist ein super Kommunikations-Faktor.
KL: Wir müssen an allen Ecken und Enden sparen. Aber nicht an den Messen!
Das Team des Verbrecher Verlags auf der Leipziger Buchmesse 2025 (c) Verlag
Kristine Listau ist in der Sowjetunion und im Rheinland aufgewachsen, studierte in Frankfurt am Main und arbeitete dort im Kulturamt, wo sie insbesondere für die Organisation und Öffentlichkeitsarbeit von Literaturfestivals und Stadtjubiläen verantwortlich war. In Berlin leitete sie kurz den Veranstaltungsbereich der Stiftung Stadtmuseum Berlin, bevor sie 2014 zunächst Geschäftsführerin und 2016, zusammen mit Jörg Sundermeier, Mitinhaberin und Verlegerin des Verbrecher Verlags wurde.
Jörg Sundermeier, 1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Sundermeier war 2015 bis 2021 Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung und 2014 bis 2024 Mitglied im Vorstand des Börsenvereins, Landesverband Berlin Brandenburg. Er ist Gründungsmitglied des PEN Berlin, dessen Board er 2022 bis 2024 angehörte. Zuletzt erschienen von ihm „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt“ (2017) und das Kinderbuch „Eine verbogene Geschichte“, illustriert von Katrin Funcke (Bahoe Books 2024).
Verbrecher Verlag forever and ever and ever: Im August 2025 wird der Berliner Verbrecher Verlag, dessen Autorin Anke Stelling 2019 mit dem Roman „Schäfchen im Trockenen“ den Preis der Leipziger Buchmesse gewann, 30 Jahre alt. Getanzt wird auf unterschiedlichsten Hochzeiten: Im August erscheint unter dem Titel „Verbrecher Verlag Geschichte“ eine bebilderte Verlagschronik. Am 26. September findet ein großes Verlagsfest im Literaturforum im Brecht-Haus statt; weitere Verlagsfeste werden u.a. in Leipzig, Frankfurt am Main oder München stattfinden. Auf seinen Social-Media-Kanälen macht der Verlag – mit dem Hashtag #30jahreverbrecherei versehen – derzeit eine Reel-Aktion mit bekannten Akteur:innen aus dem Kulturbetrieb: Von Simone Buchholz und Klaus Lederer bis Eva Menasse, Sven Regener oder Hengameh Yaghoobifarah.
Trau keinem über 30? Verlegerinnen und Verleger, die nicht nur Bilanzen lesen, sondern auch Bücher entdecken können, hat es immer gegeben. Gegen Konzernkonkurrenz und Massenware setzen die „Independents“, wie sie sich in Analogie zur Musik-Szene nennen, auf sorgfältig zusammengestellte Programme und liebevoll gestaltetes Buchdesign. Ihre Geschichten erzählen von Freiheitsnischen, von geglückter Improvisation und fröhlichen Zufällen. Sie fürchten die Logik der Ökonomie eben so wenig wie die Konkurrenz der Großen. Sie wollen erfolgreich Bücher verkaufen – und doch authentisch, ganz nah bei ihren Lesern bleiben. In Leipzig, wo seit 2001 der Kurt-Wolff-Preis vergeben wird, sind die Indies mit originellen Veranstaltungsformaten und immer wieder neuen, ausgefallenen Veranstaltungs-Orten Magneten fürs Lesepublikum.
Zwischen diese beiden Herren passt kein Blatt Papier: Frank Böttcher (Lukas) und Roman Pliske (mdv). (c) KWS
Herzstück des Indie-Aufgalopps war schon zum achten (!) Mal das Forum Die Unabhängigen in Halle 5. Dort gingen – neben knapp 50 Lesungen und Diskussionen im Halbstundentakt – die Verleihung des Alfred-Kerr-Preises an die Literaturkritikerin Beate Tröger und die des Kurt-Wolff-Preises an Theater der Zeit (Hauptpreis) und den Verlag A • B • Fischer (Förderpreis) über die Bühne. Der Espresso an der Bar wurde (gegen Spende) von leibhaftigen Verlegerinnen und Verlegern ausgeschenkt, die guten Gespräche waren gratis. Und da unabhängige Verlage ohne unabhängiges Sortiment nichts wären, gab’s am Freitagabend den Buchhandelstreff, einen schon zur guten Tradition gewordenen geplanten Flash-Mob, an dem sich beide Branchenteile bei einem guten Drink begegnen konnten. Zum fünften Mal zog das Forum am Messe-Samstag in die Stadt – zur Spätausgabe im Westflügel in Leipzig-Plagwitz. Das Abendprogramm fand in bewährter Weise zeitgleich im Westflügel-Saal und in der Kulturbar „froehlich & herrlich“ statt – manch einer wünschte sich da die Gabe der Bi-Lokalität.
Gute Stimmung im Westflügel: Moderator Jörg Schieke (2. v.l.) mit Autor:innen-Runde (c) KWS
Kulturpolitisch ernst wurde es vor der Verleihung des Kurt-Wolff-Preises (Laudator Friedrich Dieckmann forderte, „aus Achtung vor der Amtlichen Rechtschreibung“, fortan auch die gleichnamige gastgebende Stiftung „unbedingt mit zwei Bindestrichen“ zu schreiben); in Gegenwart der scheidenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth schrieb die Stiftungsvorsitzende Katharina E. Meyer (Merlin Verlag) noch einmal allen ins Stammbuch, warum Indie-Verlage „systemrelevant“ sind: Oberflächlich betrachtet, produzieren deren Verlegerinnen und Verleger die Ware Buch, sind also Unternehmerinnen und Unternehmer. „Aber tatsächlich verbreiten sie Inhalte, Geschichten, Ideen, die Leserinnen und Leser anregen und bilden, die diskurste und Gesellschaftliche Debatten begleiten oder anstoßen.“ Systemrelevant sind Indie-Verlage aber auch, weil sie an der Schnittstelle der Kreativwirtschaft agieren und mit ihren Aufträgen eine Existenzgrundlage für eine sehr große Zahl von Freiberuflern in Deutschland schaffen.Um die komplexe Vielschichtigkeit von Verlagsarbeit für Außenstehende transparenter zu machen, hat die Stiftung anlässlich der Leipziger Buchmesse das Plakat„Was macht ein Verlag“entwickelt, umgesetzt von der Berliner Agentur Golden Cosmos.
Sind diese Glückskekse druckfrisch? Das Indie-Dinner ist ein kulturpolitisch-kulinarisches Gesamtkunstwerk. (c) nk
Nach sechsjähriger Hunger- und Durststrecke brachte das Independence-Dinner Medienleute und unabhängige Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Der legendäre „Chinabrenner“ von Thomas Wrobel ging in Corona-Zeiten über den Deister, doch nun konnte das Festbankett wieder neu aufleben – in Wrobels neuem Etablissement „Drunken Master“, zu finden auf einem von der Gentrifizierung noch nicht voll erwischten klandestinen Areal zwischen Messegelände und Bahnhof, auf dem es ein wenig ausschaut wie im Leipzig von 1990. So vielfältig und stark gewürzt wie Wrobels Gerichte sind die Programme der unabhängigen Verlage, die nach langer Pause wieder Medien-Leute und Kulturnetzwerker einluden, selbst Denis Scheck („Druckfrisch“) ließ sich nicht zwei Mal bitten. Das kulinarisch-kulturpolitische Gemeinschaftswerk von Hotlist, ARGE Österreichische Privatverlage, Swiss Independent Publishers (SWIPS) und der Kurt-Wolff-Stiftung (KWS) kam heuer, so erklärte Hotlist-Promotor Axel von Ernst (Lilienfeld) durch tatkräftige Hilfe von Dörlemann Satz(Lemförde) zustande. Dem Vorsitzenden des Österreichischen Verlegerverbandes Alexander Potyka (Picus) blieb es vorbehalten, mit einer Legende aufzuräumen – der in schöner Regelmäßigkeit vorgebrachten Behauptung, man sei unabhängig. Das Gegenteil ist der Fall: „Wir sind extrem abhängig! Von unseren Lesern, Autoren, von Buchhändlerinnen und Buchhändlern.“ Und natürlich auch von den so zahlreich erschienenen Kritikerinnen und Kritikern. Letztlich, so Potyka, sitzen Journalisten und Verlagsleute in einem Boot. Den passenden Slogan dafür liefert ihm ein indischer Wirt, der unweit seines Verlags in der Wiener Josefstadt mit diesen Worten wirbt: „Essen Sie bei mir, sonst verhungern wir beide!“
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