Lesen, Zuhören, miteinander sprechen: 260.000 Besucher zog es 2016 zum Frühjahrsfest der Bücher nach Leipzig. In einer kleinen Serie blicken wir auf die Höhepunkte zurück. Teil 4: Leipzig liest unabhängig.
Zur Verleihung des Kurt-Wolff-Preises am Messefreitag ist das heuer zum zweiten Mal errichtete Forum Die Unabhägigen so proppenvoll wie sein Vorgänger, das „Berliner Zimmer“. Autoren, Verleger und Leser sitzen dicht an dicht, wer Pech hat, steht, selbst auf den Gängen bilden sich dicke Menschentrauben. Als „Wahrheitsverlag“ preist Laudator und Links-Autor Christoph Dieckmann das Haus in der Berliner Kulturbrauerei – und dessen Chef als „freiheitsbewussten Erbnießer des Mauerfalls“, obendrein als „herzensguten Intellektuellen mit paternalistischen Zügen“. Der Preisträger schmunzelt und ist fest entschlossen, das als Lob zu nehmen. Und wird in seiner Dankesrede eminent politisch. Weniger um Bücher geht es, als um die Bedingungen, unter denen diese entstehen. Christoph Links nutzt das Podium, um deutliche Worte Richtung Politik zu senden. Teilentwarnung gibt es beim ersten Entwurf zum Urhebervertragsrecht, bei der Auseinandersetzung um die Verwertungsgesellschaften und die Beteiligung der Verlage an deren Ausschüttungen gilt dies nicht: „Tun Sie alles dafür, dass die Bedingungen für uns Unabhängige nicht verschlechtert werden – damit die Vielfalt im Land erhalten bleibt.“ Applaus brandet da auf: „Der Knall“, so Siegmund Ehrmann, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag, „ist in Berlin angekommen“.
Forever young
Das letztes Jahr eingeweihte, vom Designer Jakob Kirch gestaltete Forum ist ein echter Eye-Catcher. Dass es sich spartenübergreifend Die Unabhängigen nennt, hat gute Gründe: In Zeiten zunehmender Marktkonzentration stehen unabhängige Verlage und Buchhandlungen für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. Ein Schulterschluss, der am Messefreitag beim Empfang für unabhängige Buchhändlerinnen und Buchhändler bekräftigt wird. Buchhandelstreff ist das Motto der Happy Hour, manche Kollegen, die sich bisher nur virtuell, auf den Seiten der gleichnamigen Facebook-Gruppe, begegnet sind, treffen nun erstmals im Offline-Modus aufeinander. Die Unabhängigen, das Gemeinschaftsprojekt von Buchmesse und Kurt-Wolff-Stiftung, ist in Leipzig so etwas wie das Herzstück des Indie-Aufgalopps. In mehr als 40 Veranstaltungen präsentiert das von Barbara Weidle kuratierte Programm Perlen aus den Frühjahrsprogrammen unabhängiger Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Schöne, kluge, ach was: unwiderstehliche Bücher. An der Bar schenken Verlegerinnen und Verleger derweil duftenden Espresso und die KWS-Sonderabfüllung eines Mosel-Rieslings aus – die beste Chance für Gespräche über die Vorzüge der Unabhängigkeit. Im Leipzig liest-Reigen sind die Indies mit originellen Veranstaltungsformaten und immer wieder neuen, ausgefallenen Locations sowieso echte Publikums-Renner. Veranstaltungen wie UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage im Lindenfels-Westflügel oder die Party der jungen Verlage im Schauspielhaus besitzen längst Kultstatus und haben Leipzig-Afficionados noch immer um den Schlaf gebracht. Wird es nächstes Jahr, wie ein Leipziger Dichter auf Facebook vorschlägt, parallel zur Fete der Jungen Wilden eine Seniorenvesper im Café Riquet geben? „Der bald legendäre Elefantentee. Zugang ab 50“? Wir sind gespannt.
Charme-Offensive auf Chinesisch
„Wer nicht scharf essen kann, ist kein Revolutionär“, so soll es einst der Große Vorsitzende dekretiert haben. Im Chinabrenner des Leipziger Gastronomen Thomas Wrobel hängt der Mao-Spruch prominent platziert über den Köpfen der Gäste. So vielfältig und stark gewürzt wie Wrobels Gerichte sind die Programme der feinen, kleinen Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die heuer zum vierten Mal Medien-Leute und Kulturnetzwerker zum „Independence Dinner“ einluden. Beim Preis der Leipziger Buchmesse duften unabhängige Verleger diesmal alle Glückskekse auswickeln – im Alltag geht der Lange Marsch der Independents weiter. Allerdings konnte SWIPS-Frontfrau Ursi Anna Aeschbacher (Verlag Die Brotsuppe) auch einen kleinen Sieg vermelden: Eidgenössische Verlage bekommen künftig rund 1,9 Millionen Franken Strukturförderung, die Zuschüsse sollen nach Umsatzgröße berechnet werden. Damit kleine Verlage hier nicht ganz durch den Rost fallen, hat SWIPS gekämpft – immerhin 200.000 Franken werden als spezielle Förderung an sie ausgereicht.
Ende einer Legende
ARGE-Sprecher Alexander Potyka (Picus Verlag, Wien) blieb es vorbehalten, mit der großen Legende des Abends aufzuräumen – der in schöner Regelmäßigkeit von allen drei Vereinen vorgebrachten Behauptung, man sei unabhängig. Das Gegenteil ist der Fall: „Wir sind extrem abhängig! Von unseren Lesern, Autoren, von Buchhändlerinnen und Buchhändlern.“ Und natürlich auch von den so zahlreich wie nie erschienenen Kritikerinnen und Kritikern. Im Chinabrenner passte zwischen Feuilletonisten und Indie-Verleger, für diesen einen Abend jedenfalls, kein Stück Esspapier.
Bildquellen: Franziska Frenzel, Nils Kahlefendt