Autor: Nils Kahlefendt

Foto: Tom Schulz

Abschied der Alphatiere?
4. Juli 2019
Messe-Nachschlag, Teil 4: Die bücher.macher fragten nach dem neuen Verleger-Bild und der Führungskultur in der Branche
Autor: Nils Kahlefendt

Foto: Tom Schulz

Abschied der Alphatiere?
4. Juli 2019
Messe-Nachschlag, Teil 4: Die bücher.macher fragten nach dem neuen Verleger-Bild und der Führungskultur in der Branche

Wenn man sich die Besetzung des aktuellen bücher.macher-Podiums im CCL anschaute, konnte die Runde schon als Symbolbild herhalten: Vier Frauen, zwei Männer – Quote übererfüllt, alles paletti? Unter dem Titel „Patriarchendämmerung. Wie sich das Bild des Verlegers wandelt“ diskutierte Mara Delius, Leiterin der „Literarischen Welt“, zum Messeauftakt mit einer hochkarätig besetzten Runde über vermeintlich gläserne Decken, alte Hierarchien und neuen Teamgeist – und darüber, was nach dem Abschied der Alphatiere kommt. Mit dabei: Moritz Kirschner, Junior-Verleger bei Kunstmann, die Verlagsleiterinnen Kerstin Gleba (KiWi), Constanze Neumann (Aufbau) und Felicitas v. Lovenberg (Piper) sowie Thomas Rathnow, CEO der Verlagsgruppe Random House.

Frauen spielen in der zu 80 Prozent weiblichen Buchbranche eine ökonomisch wichtige Rolle. Sie kaufen mehr Bücher als Männer und lesen häufiger – in den Spitzenpositionen der Verlage waren sie bis vor kurzem eher selten vertreten. Das ändert sich gerade: Felicitas von Lovenberg, seit vier Jahren auf dem Chefsessel bei Piper, staunte, dass sie „die Älteste in dieser Verlegerinnen-Runde“ sei; als sie in der Bonnier-Gruppe begann, war sie mit Siv Bublitz (Ullstein) und Renate Herre (Carlsen) gleich auf Kolleginnen gestoßen. „Vielleicht ist Bonnier, was das angeht, schon immer schwedisch-zukunftsträchtig gewesen?“ Für Aufbau-Verlagsleiterin Constanze Neumann hat der nun langsam sichtbar werdende Wandel lange vor der #metoo-Debatte begonnen: „Seit ein paar Jahren ist die gläserne Decke nicht mehr da. Aber in so einer Position zu sein, ist immer noch anders als für einen Mann. Manchmal merkt man bei seinen Gegenübern ein gewisses Erstaunen.“ Eine Sicht, der KiWi-Verlegerin Kerstin Gleba zustimmte: „Die kulturellen Stereotype der Gesellschaft ändern sich sehr langsam. In manchen Köpfen ist der Typus des alles selbst bestimmenden Verlegers alter Schule noch sehr virulent.“ Zum Glück werde es inzwischen selbstverständlicher, dass Verlage von Frauen und Männern geleitet werden.

Foto: Tom Schulze

Random House-CEO Thomas Rathnow erinnerte daran, dass in seiner aus drei großen „Divisionen“ bestehenden Verlagsgruppe mit Nicola Bartels und Grusche Juncker zwei Verleger Frauen sind – die rund 100 Millionen Euro Umsatz verantworten. „Das zeigt ihre Bedeutung.“ Allerdings ist die Frage, „wie in Verlagen geführt wird“, für Rathnow wichtiger als die nach dem Geschlecht. Führung müsse entschieden sein – aber eben nicht in top-down-Manier alter, hierarchischer Art. „Wir brauchen eine Unternehmenskultur, die es ermöglicht, dass wir Gespräch, Transparenz, eine Durchlässigkeit von unten nach oben haben.“ Hier rannte Rathnow bei Kunstmann-Junior-Publisher Moritz Kirschner offene Türen ein. Er bekannte, als Sohn einer feministischen Verlegerin nicht vor sich hin zu dämmern, „bis ich mein Patriarchen-Dasein erfüllen kann“ – und begrüßte ausdrücklich den gewachsenen Frauenanteil in den Führungsetagen von Konzern-Verlagen.

Haben wir damit das Problem fehlender Gleichberechtigung überwunden, sind Initiativen wie #frauenzählen Ã¼berflüssig geworden? „Ich glaube, es ist wichtig, dass der Umbruch fortgeführt wird“, warnte Kerstin Gleba. „Der Blickwinkel muss sich verändern – und das nicht nur in unserer Branche. Gab es jemals eine Chefredakteurin bei den Magazinen von SZ und ZEIT?“ Mit Blick auf Ostdeutschland stelle sich die Lage in der Branche noch einmal anders dar: „Man kann die Leute aus dem Osten in Führungspositionen an höchstens zwei Händen abzählen“, stellte Constanze Neumann fest. „Bei Frauen wird es noch mal weniger.“ Ein Umstand, der geändert werden müsse, wenn unser Land wirklich zusammenwachsen soll. Thomas Rathnow nahm das Diversity-Thema generell auf: „Wir müssen uns fragen: Wie agieren wir als Unternehmen, als Arbeitgeber?“ Letztlich würde das auch bedeuten, nicht mehr nur Angestellte aus dem akademischen Mittelstands-Milieu zu favorisieren. „Wir sind sehr weit davon entfernt, dass die Verlagsmitarbeiter einen Spiegel unserer Gesellschaft repräsentieren. Da muss man andere Impulse setzen.“

Beitrag teilen


Die Reihe bücher.macher, von Nils Kahlefendt (u. a. Börsenblatt, Deutschlandfunk, MDR Kultur) für die Leipziger Buchmesse kuratiert, bereitet aktuelle Branchenthemen für ein breites Publikum auf. Im Fokus stehen besonders Aspekte unabhängigen Verlegens. Zu den Gästen gehörten u. a. Dave Eggers, Susan Hawthorne, Dennis L. Johnson, Jo Lendle, John Mitchinson, Michael Krüger, Antje Kunstmann, Sascha Lobo, Helge Malchow, Peter Olson, Kathrin Passig und Klaus Wagenbach.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Comic & Manga Slider

Straße der Besten

Zur Jubiläums-MCC im März 2024 löst die New Artist Alley die bisherige Gemeinschaftspräsentation MCC Kreativ ab. Im Interview sprechen Kerstin Krämer und Sassette Scheinhuber über Hintergründe – und wesentliche Neuerungen.

Bildung Slider

Leseförderung per Podcast

Die Initiative „Bücheralarm“ erlaubt es Kindern und Jugendlichen, die Welt der Bücher aktiv für sich zu erobern. Mit dem „Bücheralarm Award“, der im März in Leipzig erstmals verliehen wird, geht Initiatorin Lena Stenz nun den nächsten Schritt.

Leipzig liest Slider

Vom Buch auf die Bühne

Für seine ausgefallenen Locations ist „Leipzig liest“ berühmt. Hier stellen wir in loser Folge einige der spannendsten vor. Heute: Christoph Awe und die Cammerspiele Leipzig im Connewitzer Werk 2.

Leipzig liest Slider

Zeltplatz Mitte 

Für seine ausgefallenen Locations ist „Leipzig liest“ berühmt. Hier stellen wir in loser Folge einige der spannendsten vor. Heute: Rando Steinbach und der Outdoor-Spezialist tapir im Herzen der City.

International Slider

„Es geht immer ums Vollenden“ 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: Unter dem Motto „meaoiswiamia“ feierte Österreich die Vielfalt seiner Literatur. Insgesamt kamen rund 200 Autorinnen und Autoren aus Österreich zu mehr als 110 Veranstaltungen auf dem Messegelände und in der Stadt.

Leipzig liest Slider

Endlich! Wieder! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die erste Gewandhaus-Eröffnung seit vier Jahren wurde mit überschäumender Freude gefeiert – überschattet vom Angriffskrieg auf die Ukraine. Aufmerksamkeitsdusche, reloaded.

Wir

„Kein Schreibtisch-Job“ 

Bitte nicht alle auf einmal: Als Referent für die Tageskassenkoordination kümmert sich Tom Geißler darum, dass wir Besucher möglichst reibungslos zu unseren Tickets und aufs Messegelände kommen. Das ist alles andere als trivial

Literarisches Leben

Neue Verlegerinnen braucht das Land!

Nora Pester (Hentrich & Hentrich) und Kirsten Witte-Hofmann (edition überland), zwei von 20 Gewinnern des Sächsischen Verlagspreises 2022, sprechen über Aufbrüche zu neuen Ufern und die Buchmesse als Heimspiel

International

Leben und Schreiben

Intelligent und unterhaltsam: Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ mit Katja Gasser verkürzt die Zeit bis zum Gastlandauftritts Österreichs im Frühjahr.

Wir

Ideen Raum geben 

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Als Teamleiter bei der Leipziger Messe-Tochter FAIRNET kümmert sich Christian Merkel darum, tolle Ideen auf die Straße zu bringen.

Wir

Brücke zum Osten

März-Splitter (1): Statt Messe-Eröffnung feierte Leipzig die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung