Frau Damm, Sie haben vier Kinder, die auch alle in der Kita waren – was sind Ihre Erfahrungen?
Antje Damm: Die beiden Kleinen sind heute 14, die Großen schon über 20. Sie waren, je nachdem, wo wir gewohnt haben, in unterschiedlichen Einrichtungen, sowohl in städtischen wie privaten, untergebracht. Wenn es um den Stellenwert von Literatur oder die Buchbestände in der Kita geht, habe ich die Erfahrung gemacht, dass das oft sehr unzulänglich ist. Ich glaube, dass das auch daran liegt, dass bei uns – anders als etwa in Frankreich – die Buchausstattung in den Händen der einzelnen Institutionen liegt. Leider ist es so, dass die jeweiligen „Bibliotheken“ – oder besser gesagt das, was als Grundstock an Büchern vorhanden ist, oftmals sehr in die Jahre gekommen ist: Alte, zerfledderte Bücher, die immer wieder repariert werden. Im Grunde fehlt oft jemand, der grundlegend informiert ist: Was gibt es eigentlich Neues, was ist wichtig, wie könnte ein Grundstock an Titeln aussehen. Was sollte da auf keinen Fall fehlen. Wenn es jemanden gibt, der sich engagiert, sich schlau macht, dann funktioniert das gut. Wenn nicht, schleift es gewaltig. Es steht und fällt mit der Initiative der Einzelnen, das finde ich schade.
Kann man gegensteuern?
Damm: Es gibt viele tolle und wichtige Initiativen von Buchhandlungen oder Bibliotheken, die Leute aus den Kitas einladen und ihnen die Breite des Angebots-Spektrums, etwa bei Bilderbüchern zeigen. Oder selbst mit Bücherkisten in die Einrichtungen gehen, und neue Titel vorstellen. Das ist ganz, ganz wichtig – und passiert natürlich wieder nur da, wo es engagierte Buchhändlerinnen oder Bibliothekarinnen gibt (lacht). Hin und wieder setzen sich auch Eltern auf diesem Feld ein. Das ist in meinen Augen absolute Basisarbeit.
Aber es scheint auch nicht nur eine Frage des Budgets, der Ausstattung zu sein, oder?
Damm: Nein, es ist auch eine Frage der Aus- und Weiterbildung. Ich weiß nicht, ob die Vermittlung der einschlägigen Trends heute Teil des Curriculums sind. Ich selbst werde von verschiedenen Institutionen eingeladen, die solche Weiterbildungs-Veranstaltungen für Erzieherinnen und Erzieher machen, um meine Bücher vorzustellen. Und da kommen wir zu einem weiteren Punkt: Ich versuche natürlich auch zu vermitteln, was man alles mit den Büchern machen kann! Ich habe oft mitbekommen, dass unter Kita-Erzieherinnen zu viel Ehrfurcht vor Büchern herrscht. Sie lesen vor, nutzen aber oftmals die vielen Möglichkeiten und Anregungen, die in guten Büchern stecken, nicht aus.
Das „Gute Buch“, dem man sich gefälligst weihevoll zu nähern hat?
Damm: Ich habe Situationen erlebt, in denen eine Kindergärtnerin ein Buch vorgelesen hat, und wenn Kinder dazu etwas sagen wollten, hieß es: Pst! Jetzt lese ich vor! Natürlich steckt in Büchern viel mehr, als so eine einseitige Vorlese-Situation. Hier gilt es, Mut zu machen – und das Potenzial eines Buches mit all seinen Gesprächs-Anlässen und vielfältigen Möglichkeiten zu nutzen.
Inzwischen hat auch das „Erzähltheater“ Einzug in die Arbeit mit Kindern gehalten. So etwas gibt es auch auf Basis Ihres mehrfach preisgekrönten Bilderbuchs „Der Besuch“ (Moritz Verlag, 2015). Was passiert da?
Damm: Die „Bühne“ des Erzähltheaters – im Japanischen „Kamishibai“ – bildet ein Holzrahmen mit Flügeltüren. In diesen Rahmen können mehrere Bilder als Stapel hineingestellt werden. Die Zuschauer vor der Bühne betrachten die Bilder im Rahmen, der Vorführer zieht beim Erzählen die Bilder nacheinander wieder heraus. Also eine Art Mini-Theater. Das Besondere: Die kleinen Tafeln enthalten vorn die Bilderbuchseiten, allerdings ohne Text. Der steht – häufig auch in verschiedenen Sprachen – auf der Rückseite. Es gibt also die Möglichkeit, den Bilderbuchtext frei und in eigenen Worten wiederzugeben.
Welche Erfahrungen machen Sie, wenn Sie mit Ihren Büchern in Kitas gehen?
Damm: Kinder haben Spaß daran, beim Anschauen eines Bilderbuchs miteinbezogen zu werden, die Bilder zu entschlüsseln, Details zu entdecken oder Stimmungen, Charaktere und ihre Gefühle zu beschreiben. Ich lese eigentlich nie vor – ich erzähle, und lasse Gespräche zu. Im „Besuch“ spielt z.B. unter anderem das Thema „Angst“ eine Rolle. Das kann Anlass sein, mit Kindern über Ängste zu reden und darüber, wie sie dieses Gefühl erleben.
Man weiß, wo die Stellschrauben sind – aber es müsste mehr passieren?
Damm: In erster Linie brauchen Kita-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Informationen und finanzielle Mittel für gute Literatur. Aber auch das Wissen, die Lust und den Mut, das Potenzial, das in vielen Büchern steckt, auszuloten.
Antje Damm, geboren 1965 in Wiesbaden, studierte Architektur in Darmstadt und Florenz und arbeitete in Berlin und Nürnberg. Seit ihre 4 Töchter auf der Welt sind, schreibt und illustriert sie Kinderbücher und hat schon etliche in verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Viele davon wurden ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie, einer Katze und einer Schildkröte in einem alten Fachwerkhaus in der Nähe von Gießen.
Fotos © Zalozba Zala (2), Kronberger Bücherstube
Illustration © Moritz Verlag