Lesen, Zuhören, miteinander sprechen: 260.000 Besucher zog es 2016 zum Frühjahrsfest der Bücher nach Leipzig. In einer kleinen Serie blicken wir auf die Höhepunkte zurück. Teil 3: Literaturblogger verändern die Branche – und die Buchmesse.
„Alles ist begrüßenswert, was Bücher zu potenziellen Lesern bringt“, meinte „Welt“-Literaturchef Richard Kämmerlings unlängst, als ihn das Magazin „BuchMarkt“ zur neuen Kritiker-Konkurrenz im Netz befragte. „Aber diese neuen Felder des literarischen Diskurses“, so Kämmerlings weiter, „ersetzen nicht die professionelle Literaturkritik, deren Geltungsanspruch auf der Autorität und Kompetenz des einzelnen Kritikers und dem Ruf der Institution Feuilleton beruht“. Noch zur Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse hatte die neue Jury-Vorsitzende Kristina Maidt-Zinke angemahnt, dass Literaturkritiker keine „Kaufberater und Trendscouts“ seien. Die schnöde Wirklichkeit sieht anders aus: Der Literaturbetrieb ist durchlässiger geworden, der Raum, in dem über Bücher gesprochen wird, hat sich radikal erweitert. Heute sind auch Print-Redakteure auf Facebook und Twitter unterwegs. Warum von der Kanzel schreiben, wenn man miteinander ins Gespräch kommen kann?
Eure Meinung ist Gold wert!
Karla Paul, Programmleiterin der beiden Digital-Labels von Edel (Hamburg) und mit Buchkolumne selbst als reichweitenstarke Bloggerin unterwegs, ärgert sich über den Blick, der von den Höhenkämmen des Groß-Feuilletons auf die ach so possierliche Blogosphäre geworfen wird – handelt es sich tatsächlich um ein „herziges, kleines Ökosystem von lesenden Katzenbesitzern, die ihre Bücher nach Farbe sortieren und zum aktuellen Lieblingsbuch gleich noch den passenden Tee samt Nagellack empfehlen?“ Als Keynote-Speakerin auf der Bloggerkonferenz buchmesse:blogger sessions 16 am Messe-Sonntag forderte Paul ihre Blogger-KollegInnen in einer kämpferischen Rede auf, sich zunächst an die eigene Nase zu fassen, sprich: Sich der dringend benötigten Professionalisierung zu stellen: „Kommt raus aus der Flauschzone!“ Wo Mode- und Lifestyle-Blogs längst zu florierenden Unternehmen geworden seien, wären Mediadaten, Nutzer-Analysen oder Google-Optimierung für viele Buchblogger Fremdworte – von „Herzblut“ allein könne man keine Miete zahlen: „Eure Meinung ist Gold wert!“
Gemeinsam Reichweite aufbauen
Das gilt vielleicht nicht unbedingt für jedes Buch-Selfie und die mal gehobenen, mal gesenkten Daumen im Netz. Doch der Ruf nach Monetarisierung wird in der Szene lauter – auch wenn viele Blogger dabei noch Bauchschmerzen haben: Gesponserte Texte sind vielerorts verpönt und Unabhängigkeit gilt als hohes Gut. Modelle wie das Affiliate-Programm von Amazon, das die Nutzer an den durch Klicks über die Blogseite entstandenen Umsätzen beteiligt, werden durchaus kritisch gesehen, gerade von bloggenden Buchhändlerinnen. Die Konferenz bemühte sich ums Handwerkszeug; das Themenspektrum reichte dabei von rechtlichen Rahmenbedingungen über Blogger Relations bis zu Workshop-Angeboten für den redaktionellen Alltag. Dass, wenn von Professionalisierung im Verhältnis von Bloggern und Verlagen gesprochen wird, auch bei Letzteren noch viel Luft nach oben ist, betonte in einer abschließenden Podiumsdiskussion Ute Nöth, die seit März bei Carlsen für Social Influencer Relations verantwortlich ist – eine Jobbezeichnung, die nebenbei zeigt, dass hier ein Verlag dabei ist, weiter zu denken als bis zum Leseexemplar-Verteiler: „Wir können persönliche Beziehungen aufbauen, für transparente Regeln sorgen, versuchen, durch geteilte Blogbeiträge gemeinsam Reichweite aufzubauen, gemeinsame Marketing Aktionen anstoßen. Und vielleicht selbst Veranstaltungen wie diese organisieren.“ Die „Begegnung auf Augenhöhe“, die sich viele Blogger wünschen, ist noch längst nicht der Regelfall – mit dem neuen Konferenzformat, der Bloggerlounge und der rege genutzten Netzwerkfläche Read & Greet in Halle 5 ist man in Leipzig auf gutem Weg.
Die Buchbeschleuniger
Literaturblogs haben in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen – steht die klassische Literaturkritik damit gleichsam auf der Roten Liste der aussterbenden Arten? Vorhergesagt wird ihr baldiges Ableben ja in schöner Regelmäßigkeit: „Das wahre, das eigentliche Publikum, eine Minderheit von zehn- bis zwanzigtausend Leuten, die sich nichts vormachen lassen -, dieses Publikum hat sich vom Kasperltheater der großen Medien längst abgekoppelt; es bildet sich sein Urteil unabhängig vom Blabla der Rezensionen und der Talkshows, und die einzige Form der Reklame, an die es glaubt, ist die Mundpropaganda, die ebenso kostenlos wie unbezahlbar ist.“ – Das schrieb Hans Magnus Enzensberger schon 1986, vor 30 Jahren. Und heute? Rezensentendämmerung reloaded? Ist die Literaturkritik – mal wieder – in der Krise? Oder sind es nur die Medien, die sie verbreiten? Unter dem Titel „Die Buchbeschleuniger. Literatur zwischen Feuilleton und Blogosphäre“ diskutierte Andreas Platthaus (F.A.Z.) zum Messeauftakt auf dem bücher.macher-Podium mit einer hochkarätig besetzten Runde darüber, ob eine Kritik alten Stils noch gebraucht wird – und die Zukunft tatsächlich allein im Netz liegt.
Knappe Ressource Aufmerksamkeit
Während Thierry Chervel vom Online-Kulturmagazin „Perlentaucher“ schrumpfende Besprechungsseiten an einer notorisch unterversorgten Informationsökonomie festmachte, sieht „Zeit“-Literaturchef Ijoma Mangold einen anderen Ressourcen-Schwund: Die Knappheit an Aufmerksamkeit für Information. Je weniger Platz Literaturzeitschriften und Feuilletons böten, desto wichtiger die Erweiterung ins Digitale: „Ich kann keinen Grund erkennen, weshalb der nicht refinanzierte Gedanke der langweiligere sein soll.“ Dass die Grenzen zwischen Weblog, Onlinemagazin und Lesecommunity fließend werden, zeigen verschiedene aktuelle Projekte – so auch das von der Journalistin Sieglinde Geisel gestartete Literaturkritik-Magazin Tell, das am Messefreitag online ging: „Es gibt das Bedürfnis nach einem Raum, in dem es keine Unterscheidung zwischen Kritikern, Autoren und Bloggern gibt.“ Die Zeit der Literaturpäpste – sie scheint vorbei.
Bildquellen: Leipziger Messe, Monique Wüstenhagen