Wie am Schnürchen
Die letzte Woche war lang, mitunter zog es sich: Donnerstag Referentenabend im Hôtel de Pologne, Freitag Ceva-Kongressabend mit 1200 Teilnehmern des Tierärztekongresses in der Kongresshalle am Zoo. Ein nine-to-five-Job ist es nun wirklich nicht, den Carina Menzer, Protokollreferentin bei der Leipziger Messe, ausfüllt. Aber das ist auch gut so: Eine Nullachtfünfzehn-Anstellung hat Menzer nie gesucht.
Nach dem Abitur wünschte sie sich ein Studium mit Praxisbezug. „Und für eine gebürtige Leipzigerin ist die Leipziger Messe natürlich ein Begriff.“ Menzer bewarb sich für ein duales Hochschulstudium – und erhielt die Zusage. Drei Jahre lang, von 1999 bis 2002, pendelte sie zwischen der Berufsakademie Ravensburg und dem neuen Messegelände: Auf drei Monate Theorie am Bodensee folgten jeweils drei Monate in einer neuen Abteilung der Messe. Menzer schloss als diplomierte Betriebswirtin, Fachrichtung Messe- und Kongressmanagement, ab – und erhielt zunächst einen befristeten Vertrag im Projektteam der Wäsche-Messen Body Look und Fashion Look. Eine Zeit, die Carina Menzer rückblickend sehr schätzt: „Es ist nicht das Schlechteste, wenn man die Arbeit im Projektteam – von der Aussteller-Akquise bis zur Besucherwerbung – von der Pike auf und in der Vernetzung mit anderen Abteilungen kennenlernt. Das schärft das Verständnis fürs Funktionieren des Messe-Mechanismus insgesamt.“ Als die Body Look 2006 nach Düsseldorf ging, bewarb sich Carina Menzer auf eine frei werdende Stelle in der Protokollabteilung. Sie bekam den Job – und blieb bis heute.
Fällt das Wort „Protokoll“, denkt man zumeist ans klassische diplomatische Parkett – und Vorschriften, die den Ablauf staatlicher Zeremonien, so etwa den Ablauf von Staatsbesuchen, regeln. Berühmt-berüchtigt waren die mit großem Aufwand betriebenen „Protokollstrecken“ der DDR – auf dem Weg vom Flughafen Schönefeld zum Schloss Niederschönhausen, dem Gästehaus der Regierung, soll der Rasen schon mal per Nagelschere geschnitten und grün lackiert worden sein. Weniger bekannt ist, dass heute auch große Wirtschaftsunternehmen über eine eigene Protokollabteilung verfügen. Bei der Leipziger Messe ist die Abteilung „Protokoll und Geschäftsführungsangelegenheiten“, so die korrekte Bezeichnung, eine so genannte „Querschnittsabteilung“: Zusammen mit ihren Kolleginnen betreut Menzer ein begrenztes Aufgabengebiet für alle Messe-Themen – von Kongressen über Industriemessen bis zur Leipziger Buchmesse im Frühjahr, bei der der Anteil protokollarischer Herausforderungen naturgemäß besonders hoch ist.
So ist die Protokollabteilung fürs VIP-Management verantwortlich, der Betreuung ausgewählter very important persons aus Politik, Wirtschaft oder Kultur. Ganz gleich, ob ein Promi am Helikopter-Landeplatz einrauscht, oder mit seiner Entourage am Glashallen-Eingang vorfährt: Mit dem Betreten des Messegeländes ist buchstäblich jeder Schritt getaktet. Diskretion gehört dazu: „Während die Geschäftsführung begrüßt, hält sich das Protokoll im Hintergrund“, so Menzer. „Wir schauen, dass alles läuft und die richtigen Wege eingehalten werden.“ Kommissar Zufall ist, so gesehen, der natürliche Feind des Protokolls. „Am Ende agieren Menschen. Wenn ein VIP spontan die Idee hat, vom Plan abzuweichen, bedeutet das zusätzlichen Stress. Im Zweifel muss man sehr schnell reagieren.“ Natürlich spielen auch Sicherheitsaspekte eine wichtige Rolle; als Faustregel gilt: Je prominenter die Gäste, desto aufwändiger die Vorbereitungen.
Zu den Aufgaben des Protokolls gehört auch die Organisation von Rahmenveranstaltungen – im Fall der Buchmesse etwa die Eröffnung im Gewandhaus, die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse in der Glashalle, die traditionelle Ausstellerparty in der Moritzbastei oder der Übersetzer-Empfang. „Bei der Eröffnung reicht das von Mietvertrag und Catering über die persönliche Platzierung der Ehrengäste bis zum Ablauf auf der Bühne oder das Programmheft.“ Wenn also 2019, im prä-pandemischen Buchmesse-Jahr des tschechischen Gastlandauftritts, auf der Gewandhaus-Bühne Bedřich Smetanas „Moldau“ erklingt, hat das Protokoll präzise vorgearbeitet. Dazu sind Menzer und ihre Kolleginnen für den reibungslosen Betrieb der VIP-Lounges, den VIP-Shuttleservice und die Erarbeitung individueller Messe-Rundgänge zuständig. „Im Zusammenspiel mit dem Börsenverein und den Kolleginnen des Buchmesse-Projektteams erarbeiten wir Wegeverläufe und Zeitrahmen“, erklärt Menzer. „Und wir kontaktieren natürlich vorab die ausgewählten Aussteller, um vorab die Details des Besuchs zu klären.“
Fragt man Carina Menzer, was sie an ihrem Job reizt, ist es zuallererst die Vielfalt der Aufgaben, die herausfordert. „Wir arbeiten nicht nur mit einer Messe, einem Projektteam zusammen – sondern eigentlich mit dem gesamten Haus!“ Während die Buchmesse-Organisatoren gefühlt 360 Tage im Jahr auf ein fünftägiges Feuerwerk zuarbeiten, kennt Menzers Jahreskreis viele Höhepunkte. Dazu lernt sie durch die Planung mit vielen Leipziger Locations ihre Stadt immer wieder anders und neu kennen. Für Ihren Job braucht Carina Menzer Organisationsgeschick, gute Nerven und die Gabe, Wichtiges von weniger Relevantem zu trennen. Effizienz ist das Zauberwort: „Ich kann ziemlich gut erkennen, wo es sich lohnt, Zeit und Mühe zu investieren – und wo man Gefahr läuft, sich in Details zu verbeißen.“ Für ausgefallene Hobbies hat die Mutter zehnjähriger Zwillingsjungs kaum Zeit; Sport und Yoga bieten Ausgleich zum kräftezehrenden Beruf. Am besten entspannt sie auf Ausflügen mit der Familie in die Natur. Wer denkt, die seien perfekt durchorganisiert, ist schief gewickelt. In der Freizeit dürfen die To-do-Listen gern mal Pause machen. „Auf Klassentreffen“, lacht Menzer, „bin ich lieber Gast.“
Die Zeit der Corona-Pandemie, in der auch auf dem Leipziger Messegelände der gewohnte Betrieb still stand, hat Carina Menzer genutzt, um etwas zu tun, für das in der engen Taktung des physischen Messe-Alltags eigentlich kein Platz ist: Das Gewohnte in Frage stellen, konzeptionell neue Horizonte eröffnen. „Die Verbindung von Home-Office und Home Schooling war manchmal kräftezehrend. Aber angesichts der Tatsache, dass es in unserer Branche zu nicht wenigen Verwerfungen gekommen ist, Corona mancher Agentur oder Messebauer die Luft abgeschnürt hat, hatte ich das Privileg, mich neu fokussieren zu können.“ Als erste Präsenzmessen gingen im September letzten Jahres Cadeaux und Midora an den Start. Im Herbst 2020 waren sie die ersten Messen unter Pandemie-Bedingungen – jetzt markierten sie wieder einen Meilenstein. Die Leipziger Buchmesse im nächsten April wirft ihre Schatten voraus. Protokoll ist, zum Glück, ein wenig wie Fahrradfahren oder Atmen: Man verlernt nichts. Carina Menzer ist längst wieder im Tritt.
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