Als „literarisches Gedächtnis“ für ihre Lektüre hat Mara Giese 2011 ihr Literaturblog Buzzaldrins Bücher gegründet; heute hat ihre Seite zwischen 10.000 und 15.000 Besucher im Monat. Giese gehört zu den arrivierten Literaturbloggern im Netz; zur letzten Leipziger Buchmesse wurde sie von einem Kamerateam des MDR-Fernsehens begleitet – und auch in den Verlagen kennt man sie längst. Das war nicht immer so: „Anfangs war es total schwierig, mit meinen Anfragen überhaupt durchzudringen.“ Inzwischen hat sich viel getan, die Verlage kümmern sich verstärkt um die Bloggerszene – von der Verlinkung der Blogbeiträge auf den eigenen Facebook-Fanpages bis zu speziellen Ansprechpartnern und Bloggertreffen im richtigen Leben. Der Literaturbetrieb ist durchlässiger geworden, der Raum, in dem über Bücher gesprochen wird, hat sich radikal erweitert. Man geht aufeinander zu. Die Initiative geht immer häufiger von den Verlagen, oft aber auch von den Bloggern selbst aus.
Smartphone raus!
So hat die in der Kinder- und Jugendliteraturszene bestens vernetzte Bloggerin Stefanie Leo, die unter anderem Jurymitglied des „Leipziger Lesekompass ist, die Idee des „Tweetups“ – Treffen von kulturbegeisterten Onlinern, die live im Netz berichten – in die Branche übertragen: #bookupDE ist eine Art „Tag der offenen Tür“ in Bibliotheken, Buchhandlungen und Verlagen; so konnte man etwa bei der Frankfurter Verlagsanstalt, Kiepenheuer & Witsch, Hanser oder in der Börsenblatt-Redaktion hinter die Kulissen blicken.
We read Indie
Im letzten März öffnete die Leipziger Buchmesse ihre Bloggerlounge, kurz zuvor hatte Random House bereits ein eigenes Bloggerportal eröffnet: Blogger erhalten dort neben Rezensionsexemplaren auch Zusatzmaterial wie Lese- und Hörproben, Buchtrailer oder Cover, können die eigenen Besprechungen hochladen und direkt mit den Bloggerbetreuern der Verlagsgruppe in Kontakt treten. „Eine tolle Einrichtung“, lobt die Buchhändlerin Simone Finkenwirth, die ihr Blog klappentexterin seit 2010 betreibt. „Auch Verlage wie Diogenes, Kiepenheuer & Witsch, Hanser, Dumont oder Suhrkamp sind sehr aktiv.“ Ebenso schätzt Finkenwirth die kollegiale Zusammenarbeit mit vielen Independent-Verlagen – die Initialzündung, im Anschluss an den Indiebookday 2013 die Blogger-Allianz We read Indie zu gründen. „Ich habe mich gefragt, wieso man nur einmal im Jahr auf diese wunderbaren Verlage hinweisen soll? Und da ich mit vielen Bloggern vernetzt bin, die die Idee gut fanden, kam eins zum anderen.“ Inzwischen bespricht die Gruppe nicht nur Bücher aus unabhängigen Verlagen, sondern stellt in der Porträt-Reihe „We talk Indie“ regelmäßig Verleger und ihre Arbeit vor.
Blogger am Verleger-Schreibtisch
Seit sechs Jahren arbeitet Frauke Vollmer als Online Marketing Managerin in der Werbeabteilung von Hanser. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Tony Stubenrauch und eng verzahnt mit der Presseabteilung, kümmert sich Vollmer um die Blogger Relations der Münchner. Neben den Anfragen der Blogger, die auf der Facebook-Seite oder der Website des Verlags eingehen, wollte Hanser auch aktiv auf die Bloggerszene zugehen. Aus diesem Impetus wurde der erste Bloggertag Anfang 2015 geboren; im Herbst organisierte man gemeinsam mit den Kollegen von Suhrkamp und S. Fischer ein Bloggertreffen im Orbanism Space der Frankfurter Buchmesse, im November eroberte #bookupDE die Verlagsräume in München, Jo Lendles Schreibtisch inklusive. Die Zahl der Anfragen, die Vollmer aus der Blogger-Szene erreichen, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Das Qualitäts-Gefälle und die thematische Bandbreite sind enorm. „Wir schauen uns die Seiten sehr genau an“, sagt Vollmer: „Wer ist Meinungsführer? Wer hat ein gutes Netzwerk? Man muss sich Zeit nehmen, sich ein Bild machen, welche Relevanz die Blogs mit ihrer speziellen Ausrichtung haben.“
Pforten der Wahrnehmung
Bei Kiepenheuer & Witsch in Köln wurde früher titelgebunden gearbeitet, von der Online-Abteilung wurden auch die Blogger-Kontakte mitbetreut. Inzwischen wurden die Arbeitsbereiche logisch aufgeteilt: Neben einer Online-Marketing-Managerin und dem Redakteur des hauseigenen Verlagsblogs kümmert sich Ulrike Meier als „verlängerter Arm der Presseabteilung“ um alle Belange der Online-Pressearbeit – inklusive der Blogger-Relations. „So haben die Blogger bei uns einen Ansprechpartner – und mittlerweile auch ein Gesicht“, erklärt Meier. „Das ist besser als eine unpersönliche E-Mail-Adresse und macht es leichter, sich auch in der realen Welt zu treffen“. In der Serie „Vierundzwanzig Türen“ öffnete sich das KiWi-Verlagsblog im letzten Dezember für Buchhändler – und Blogger. Eine Initiative, die in der Szene sehr gut ankam. Logisch, dass solche Charme-Offensiven nicht aus reinem Idealismus gefahren werden: Für die Verlage sind die Blogger wichtige Multiplikatoren, die eine breite Öffentlichkeit jenseits der klassischen Printmedien erreichen. Zudem ist das Netz zwar schnell, kann aber deutlich nachhaltiger wirken. Blogger folgen ihren Neigungen, nicht den Aktualitätsvorgaben einer Chefredaktion. So können Titel, die im klassischen Print-Feuilleton längst „durch“ sind, weiter im Diskurs bleiben. Für Ulrike Meier ist etwa Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ ein schlagendes Beispiel: „Ich habe noch Anfragen bekommen, als die Literaturbeilagen der Zeitungen längst im Altpapier waren.“
Verhältnis in der Findungsphase
Simone Finkenwirth stemmt ihr Blog neben einer 40-Stunden-Woche bei Hugendubel in Berlin; Mara Giese hat im letzten Herbst ein Volontariat bei edel & electric in Hamburg angetreten. „Nach allem, was ich von der anderen Seite des Schreibtischs mitbekomme, würde ich sagen: Blogger dürfen ruhig ein Stück selbstbewusster sein, gerade in Richtung der Verlage.“ Zwar ist die Zahl der unverlangt und offenbar ohne jede Kenntnis des Blogs geschickten Büchersendungen geringer geworden, auch unpersönliche Sammel-Mails („Liebe Bloggerin, lieber Blogger“) sind nicht mehr die Regel. Dennoch ist die Begegnung auf Augenhöhe noch längst nicht der Regelfall. Noch stecke das Verhältnis zwischen Bloggern und Verlagen in einer „Findungsphase“, meint Giese. Während Blogger etwa im Technik-Bereich die Möglichkeiten der Monetarisierung – von Produkt-Tests über Sponsored Posts bis zu Bannerwerbung – weit ausreizen und in schönstem Marketing-Denglisch von „Influencer Relations“ sprechen, ist vielen Literaturbloggern ihre Unabhängigkeit ein hohes Gut. Auch Mara Giese möchte sich nicht als „blinkende Litfaßsäule“ benutzen lassen. Die Anfrage eines Filmverleihers, auf ihrem Blog Kinogutscheine zu verlosen, hat sie abgelehnt – Werbung für Shop-Betreiber, Verlage oder Dienstleister kann sie sich hingegen vorstellen. Voraussetzung: Sie muss selbst vom beworbenen Produkt überzeugt sein. In jedem Fall gilt: „Mein Blog soll mein Ort bleiben.“
buchmesse:blogger sessions 16: Mit Ihrer ersten Bloggerkonferenz leistet die Leipziger Buchmesse einen Beitrag zur Professionalisierung des Verhältnisses von Literaturbloggern und Verlagen. Das Themenspektrum reicht von rechtlichen Rahmenbedingungen über Blogger Relations bis zu Workshop-Angeboten für den redaktionellen Alltag. Als Referenten werden unter anderem Karla Paul (Edel eBooks), Rainer Dresen (Random House), Ute Nöth (Carlsen) und Leander Wattig erwartet. Die Konferenz findet am Messesonntag, 20. März, von 11 – 16.30 Uhr im CCL statt, die Anmeldung (Teilnahmegebühr 35 Euro) ist ab sofort online möglich: www.leipziger-buchmesse.de/bloggersessions
Bloggerlounge und Bloggerguide: Neben dem Fachprogramm lädt die Bloggerlounge in Halle 5 erneut zum Netzwerken ein. Infos zu allen Blogger-Aktivitäten auf der Messe und weitere praktische Tipps gibt es ab Ende Februar im Bloggerguide der Buchmesse.
Bildinhalte: Nils Kahlefendt (Mara Giese), Hanser Verlag, Simone Finkenwirth/We read Indie